Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)/Teil I/Vorlesung 2/kontrolle



Abbildungen

Ein Hauptgebiet der Mathematik ist es zu untersuchen, wie sich eine gewisse Größe mit einer (oder mehreren) anderen Größe verändert, wie beispielsweise der Flächeninhalt eines Quadrats von der Seitenlänge abhängt, wie der Einkaufspreis von den gekauften Waren abhängt oder wie eine Population mit der Zeit wächst. Solche Abhängigkeiten werden mit dem Begriff Abbildung ausgedrückt.


Es seien und Mengen. Eine Abbildung von nach ist dadurch gegeben, dass jedem Element der Menge genau ein Element der Menge zugeordnet wird. Das zu eindeutig bestimmte Element wird mit bezeichnet. Die Abbildung drückt man als Ganzes häufig durch

aus.

Bei einer Abbildung heißt die Definitionsmenge (oder Definitionsbereich) der Abbildung und die Wertemenge (oder Wertevorrat oder Zielbereich) der Abbildung. Zu einem Element heißt das Element

der Wert von an der Stelle . Statt Stelle sagt man auch häufig Argument.

Zwei Abbildungen und sind gleich, wenn die Definitionsmengen und die Wertemengen übereinstimmen und wenn für alle die Gleichheit in gilt. Die Gleichheit von Abbildungen wird also zurückgeführt auf die Gleichheit von Elementen in einer Menge. Abbildungen werden häufig auch Funktionen genannt. Wir werden den Begriff Funktion für solche Abbildungen reservieren, deren Wertemenge ein Zahlbereich wie die reellen Zahlen ist.

Zu jeder Menge nennt man die Abbildung

also die Abbildung, die jedes Element auf sich selbst schickt, die Identität (auf ). Sie wird mit bezeichnet. Zu einer weiteren Menge und einem fixierten Element nennt man die Abbildung

die also jedem Element den konstanten Wert zuordnet, die konstante Abbildung (mit dem Wert ). Sie wird häufig wieder mit bezeichnet.[1]

Für eine Abbildung gibt es mehrere Darstellungsmöglichkeiten, z.B. Wertetabelle, Balkendiagramm, Kuchendiagramm, Pfeildiagramm, den Graphen der Abbildung. Dabei sind die Übergänge zwischen der formalen Definition einer Abbildung und den visuellen Realisierungen fließend. In der Mathematik wird eine Abbildung zumeist durch eine Abbildungsvorschrift beschrieben, die es erlaubt, die Werte der Abbildung zu berechnen. Solche Abbildungsvorschriften sind beispielsweise (jeweils von nach ) , , etc. In den Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften sind empirische Funktionen wichtig, die reale Bewegungen oder Entwicklungen beschreiben, doch auch bei solchen Funktionen erhebt sich die Frage, ob man diese auch mathematisch gut beschreiben (approximieren) kann. Solche Abbildungsvorschriften sind beispielsweise (jeweils von nach ) , , etc.





Injektive und surjektive Abbildungen

Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Dann heißt injektiv, wenn für je zwei verschiedene Elemente auch und verschieden sind.


Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Dann heißt surjektiv, wenn es für jedes mindestens ein Element mit

gibt.


Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Dann heißt bijektiv, wenn sowohl injektiv als auch surjektiv ist.

Diese Begriffe sind fundamental!

Die Frage, ob eine Abbildung die Eigenschaften injektiv oder surjektiv besitzt, kann man anhand der Gleichung

(in den beiden Variablen und ) erläutern. Die Surjektivität bedeutet, dass es zu jedem mindestens eine Lösung

für diese Gleichung gibt, die Injektivität bedeutet, dass es zu jedem maximal eine Lösung für diese Gleichung gibt, und die Bijektivität bedeutet, dass es zu jedem genau eine Lösung für diese Gleichung gibt. Die Surjektivität entspricht also der Existenz von Lösungen, die Injektivität der Eindeutigkeit von Lösungen. Beide Fragestellungen durchziehen die Mathematik und können selbst wiederum häufig als die Surjektivität oder die Injektivität einer geeigneten Abbildung interpretiert werden.


Beim Nachweis der Injektivität einer Abbildung geht man häufig so vor, dass man zu zwei gegebenen Elementen und aus der Voraussetzung erschließt, dass ist. Dies ist oft einfacher zu zeigen, als aus auf zu schließen.


Die Abbildung

ist weder injektiv noch surjektiv. Sie ist nicht injektiv, da die verschiedenen Zahlen und beide auf abgebildet werden. Sie ist nicht surjektiv, da nur nichtnegative Elemente erreicht werden (eine negative Zahl hat keine reelle Quadratwurzel). Die Abbildung

ist injektiv, aber nicht surjektiv. Die Injektivität folgt beispielsweise so: Wenn ist, so ist eine Zahl größer, sagen wir

Doch dann ist auch und insbesondere . Die Abbildung

ist nicht injektiv, aber surjektiv, da jede nichtnegative reelle Zahl eine Quadratwurzel besitzt. Die Abbildung

ist injektiv und surjektiv.



Es sei eine bijektive Abbildung. Dann heißt die Abbildung

die jedes Element auf das eindeutig bestimmte Element mit abbildet, die Umkehrabbildung zu .

Die Umkehrabbildung wird mit bezeichnet.

Wir besprechen zwei Beispielklassen von Abbildungen, die im Rahmen der linearen Algebra besonders wichtig sind, da es sich um sogenannte lineare Abbildungen handelt.


Es sei fixiert. Diese reelle Zahl definiert eine Abbildung

Bei liegt die konstante Nullabbildung vor. Bei liegt eine bijektive Abbildung mit der Umkehrabbildung

vor. Die Umkehrabbildung hat hier also eine ähnliche Bauart wie die Ausgangsabbildung.



Beispiel  Beispiel 2.8 ändern

Es sei eine - Matrix

gegeben, wobei die Einträge reelle Zahlen seien. Eine solche Matrix definiert eine Abbildung

indem ein -Tupel auf das -Tupel

abgebildet wird. Die -te Komponente des Bildvektors ergibt sich also als[2]

man muss also die -te Zeile der Matrix in der beschriebenen Weise auf den Spaltenvektor anwenden.


Es ist ein Ziel der linearen Algebra, in Abhängigkeit von den Einträgen zu bestimmen, ob die dadurch definierte Abbildung injektiv, surjektiv oder bijektiv ist und welche Gestalt im Falle der Bijektivität die Umkehrabbildung besitzt.


Ein gesundes Frühstück beginnt mit einem Obstsalat. Die folgende Tabelle zeigt, wie viel Vitamin C, Calcium und Magnesium (jeweils in Milligramm) unterschiedliche Früchte (pro 100 Gramm) besitzen.


Frucht Vitamin C Calcium Magnesium
Apfel 12 7 6
Orange 53 40 10
Traube 4 12 8
Banane 9 5 27

Dies führt zu einer Abbildung, die einem -Tupel , das die verarbeiteten (oder verzehrten) Früchte beschreibt, den Gesamtgehalt des Obstsalats an Vitamin C, Calcium und Magnesium in Form eines -Tupels zuordnet. Diese Abbildung kann mit der Matrix

unter Verwendung der Matrixmultiplikation als Zuordnung

beschrieben werden.




Hintereinanderschaltung von Abbildungen

Es seien und Mengen und

und

Abbildungen. Dann heißt die Abbildung[3]

die Hintereinanderschaltung der Abbildungen und .

Es gilt also

wobei die linke Seite durch die rechte Seite definiert wird. Wenn die beiden Abbildungen durch funktionale Ausdrücke gegeben sind, so wird die Hintereinanderschaltung dadurch realisiert, dass man den ersten Ausdruck anstelle der Variablen in den zweiten Ausdruck einsetzt (und nach Möglichkeit vereinfacht).

Die Hintereinanderschaltung von

und

ist durch

gegeben. Dagegen ist

Bei der Hintereinanderschaltung von Abbildungen kommt es also auf die Reihenfolge an.

Zu einer bijektiven Abbildung ist die Umkehrabbildung durch die beiden Bedingungen

und

charakterisiert.



Lemma  Lemma 2.11 ändern

Es seien und Mengen und es seien

und

Abbildungen.

Dann ist

Zwei Abbildungen sind genau dann gleich, wenn für jedes die Gleichheit gilt. Es sei also . Dann ist



Graph, Bild und Urbild einer Abbildung

Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Dann nennt man

den Graphen der Abbildung .

Ein Graph ist ein mengentheoretisches Konzept. Ob man ihn „graphisch“ veranschaulichen kann, hängt davon ab, ob man die Produktmenge veranschaulichen kann.


Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Zu einer Teilmenge heißt

das Bild von unter . Für heißt

das Bild der Abbildung.


Es seien und Mengen und es sei

eine Abbildung. Zu einer Teilmenge heißt

das Urbild von unter . Für eine einelementige Teilmenge heißt

das Urbild von .


Zur Abbildung

ist das Bild von die Menge aller Quadrate von reellen Zahlen zwischen und , also gleich . Das Urbild von besteht aus allen reellen Zahlen, deren Quadrat zwischen und liegt. Das ist also .

Zu zwei Mengen und bezeichnet man die Menge der Abbildungen von nach mit



Verknüpfungen

Die natürliche Addition ordnet zwei reellen Zahlen eine weitere reelle Zahl zu, sie hat also die Struktur

Solche Verknüpfungen spielen eine wichtige Rolle in der Mathematik.


Eine Verknüpfung auf einer Menge ist eine Abbildung

Eine Verknüpfung macht also aus einem Paar

ein einziges Element

Eine Vielzahl von mathematischen Konstruktionen fällt unter diesen Begriff: Die Addition, die Differenz, die Multiplikation, die Division von Zahlen, die Verknüpfung von Abbildungen, der Durchschnitt oder die Vereinigung von Mengen, etc. Als Verknüpfungssymbol kommt eine ganze Reihe in Frage, z.B. u.s.w. Je nach dem gewählten Symbol spricht man statt Verknüpfung auch von Multiplikation oder Addition, ohne dass man damit eine inhaltliche Bedeutung verbinden sollte. Wichtige strukturelle Eigenschaften einer Verknüpfung werden in den folgenden Definitionen aufgelistet.


Eine Verknüpfung

auf einer Menge heißt kommutativ, wenn für alle die Gleichheit

gilt.


Eine Verknüpfung

auf einer Menge heißt assoziativ, wenn für alle die Gleichheit

gilt.


Es sei eine Menge mit einer Verknüpfung

gegeben. Dann heißt ein Element neutrales Element der Verknüpfung, wenn für alle die Gleichheit gilt.

Im kommutativen Fall muss man natürlich für das neutrale Element nur eine Reihenfolge betrachten.


Es sei eine Menge mit einer Verknüpfung

und einem neutralen Element gegeben. Dann heißt zu einem Element ein Element inverses Element (zu ). wenn die Gleichheit

gilt.


Es sei eine Menge und

die Menge aller Abbildungen von in sich. Durch die Hintereinanderschaltung von Abbildungen liegt eine Verknüpfung auf vor, die aufgrund von Lemma 2.11 assoziativ ist. Dagegen ist sie nicht kommutativ. Die Identität auf ist das neutrale Element. Eine Abbildung besitzt genau dann ein inverses Element, wenn sie bijektiv ist; das inverse Element ist einfach die Umkehrabbildung.




Fußnoten
  1. Von Hilbert stammt die etwas überraschende Aussage, die Kunst der Bezeichnung in der Mathematik besteht darin, unterschiedliche Sachen mit denselben Symbolen zu bezeichnen.
  2. Das Summenzeichen ist für gegebene reelle Zahlen durch definiert.
  3. Man beachte, dass in der Bezeichnung die „verkehrte“ Reihenfolge verwendet wird, da ja zuerst ausgeführt wird. Dies beruht darauf, dass das Argument rechts geschrieben wird.