Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 3/latex

\setcounter{section}{3}






\zwischenueberschrift{Simpliziale Komplexe}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Draft0.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Draft0.svg } {} {Kalan} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}

Die wohl einfachste Art einer Singularität liegt vor, wenn sich verschiedene Standardunterräume
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{K^d }
{ \subseteq }{K^n }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \zusatzklammer {auch unterschiedlicher Dimension} {} {,} die jeweils von einer Auswahl an Standardvektoren erzeugt werden, im Nullpunkt treffen. Dazu gehören das Achsenkreuz in der Ebene, das Achsenkreuz im Raum, die Vereinigung der drei Achsenebenen im Raum, die Vereinigung einer Ebene mit einer dazu senkrechten Geraden. Diese geometrischen Objekte sind dadurch gegeben, dass sie aus gewissen Teilachsenräumen in einem gegebenen affinen Raum bestehen. Solche Konfigurationen erfassen wir hier mit einem einheitlichen Konzept, das auch in der algebraischen Topologie, der Kombinatorik und der kombinatorischen kommutativen Algebra wichtig ist.




\inputdefinition
{}
{

Unter einem \definitionswort {simplizialen Komplex}{} auf einer endlichen Menge $V$ versteht man eine Ansammlung $\Delta$ von Teilmengen von $V$, die die Eigenschaft erfüllen, dass für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{F }
{ \in }{\Delta }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{E }
{ \subseteq }{F }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} auch
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{E }
{ \in }{\Delta }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt.

}

Die zugrunde liegende Menge $V$ nennt man auch die Menge der \stichwort {Ecken} {} \zusatzklammer {vertices} {} {} und die Mengen aus $\Delta$ nennt man die \stichwort {Seiten} {} des simplizialen Komplexes. Entsprechend nennt man die Teilmengen, die nicht zu $\Delta$ gehören, die Nichtseiten des simplizialen Komplexes. Gelegentlich fordert man, dass $V$ nicht leer ist oder dass die einzelnen Ecken, also die einelementigen Mengen $\{v\}$, stets Seiten sind. Oft setzt man die Menge $V$ als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{V }
{ =} { \{1 , \ldots , n \} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} an.

Für einen simplizialen Komplex gibt es verschiedene geometrische Interpretationen. Wir konzentrieren uns auf die durch einen simplizialen Komplex definierte Achsenraumkonfiguration. Zu einem Körper $K$ bezeichnet
\mathl{K^V}{} die Menge der durch $V$ indizierten Tupel mit Werten in $K$. Bei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{V }
{ =} { \{1 , \ldots , n \} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist das einfach die Menge aller $n$-Tupel in $K$, also der $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{} $K^n$. Zu einem Tupel
\mathbed {(x_v)} {}
{v \in V} {}
{} {} {} {,} bezeichnet man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{supp} { \left( x_v \right) } }
{ =} { { \left\{ v \in V \mid x_v \neq 0 \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} den \stichwort {Träger} {} des Tupels.






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {3D coordinate system.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { 3D coordinate system.svg } {} {Sakurambo} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Non_cohen_macaulay_scheme_thumb.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Non cohen macaulay scheme thumb.png } {} {Jakob.scholbach} {en.wikipedia} {CC-by-sa 3.0} {}




\inputdefinition
{}
{

Zu einem \definitionsverweis {simplizialen Komplex}{}{} $\Delta$ auf der Menge $V$ und einem Körper $K$ nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Delta (K) }
{ =} { { \left\{ (x_v) \in K^V \mid \operatorname{supp} { \left( x_v \right) } \in \Delta \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die zu $\Delta$ gehörende \definitionswort {Achsenraumkonfiguration}{} über $K$.

}




\inputdefinition
{}
{

Eine Seite eines \definitionsverweis {simplizialen Komplexes}{}{} heißt \definitionswort {Facette}{,} wenn sie \definitionsverweis {maximal}{}{} \zusatzklammer {bezüglicher der Inklusion} {} {} unter den Seiten von $\Delta$ ist.

} Jede Seite eines simplizialen Komplexes ist in einer Facette enthalten. Wenn man die Facetten eines simplizialen Komplexes kennt, so kennt man bereits den gesamten simplizialen Komplex, da er aus sämtlichen Teilmengen der Facetten besteht. So wie die Facetten, die maximalen Seiten, bestimmen auch die minimalen Nichtseiten einen simplizialen Komplex vollständig.

\inputfaktbeweis
{Simplizialer Komplex/Achsenraumkonfiguration/K/Beschreibung/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei ein \definitionsverweis {simplizialer Komplex}{}{} $\Delta$ auf der Menge $V$ und ein Körper $K$ gegeben.}
\faktfolgerung {Dann besitzt die zu $\Delta$ gehörende \definitionsverweis {Achsenraumkonfiguration}{}{} über $K$ die Beschreibungen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Delta (K) }
{ =} { \bigcup_{ F \in \Delta} K^F }
{ =} { \bigcup_{ F \in \Delta,\, F \text{ Facette} } K^F }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{K^F }
{ \subseteq }{K^V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} in natürlicher Weise aufgefasst wird, indem man ein $F$-Tupel als ein $V$-Tupel auffasst, das an den Stellen
\mathl{V \setminus F}{} den Wert $0$ besitzt.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{ Siehe Aufgabe 3.3. }





\inputbeispiel{}
{

Zu einem \definitionsverweis {simplizialen Komplex}{}{} $\Delta$ auf einer Menge $V$, der nur aus einzelnen Punkten
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{W }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \zusatzklammer {und der leeren Menge} {} {} besteht, besteht die zugehörige \definitionsverweis {Achsenraumkonfiguration}{}{} einfach aus den Achsen zu
\mathl{w \in W}{.} Das ist eine Teilmenge des vollen Achsenkreuzes.


}




\inputdefinition
{}
{

Ein \definitionswort {ungerichteter Graph}{} auf einer Menge $V$ \zusatzklammer {die die Eckpunktmenge des Graphen heißt} {} {} besteht aus einer gewissen Auswahl an zweielementigen Teilmengen \zusatzklammer {die die Kantenmenge des Graphen heißt} {} {} von $V$.

}

Einen ungerichteten Graphen kann man direkt als einen simplizialen Komplex auf $V$ auffassen, bei dem alle Eckpunkte dazugehören und der ansonsten nur zweielementige Seiten besitzt, nämlich genau die Kanten des Graphen.


\inputbeispiel{}
{






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Complete bipartite graph K2,1.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Complete bipartite graph K2,1.svg } {} {Illes} {Commons} {gemeinfrei} {}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Intersecting planes.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Intersecting planes.svg } {} {David Eppstein} {Commons} {gemeinfrei} {}

Zu einem Graphen $\Gamma$ auf einer Menge $V$ bzw. dem zugehörigen \definitionsverweis {simplizialen Komplex}{}{} $\Delta$ besteht die zugehörige Achsenraumkonfiguration aus allen Achsen
\mathl{K e_v}{} und genau aus denjenigen Achsenebenen
\mathl{K e_v + Ke_w}{,} für die
\mathl{\{v,w\}}{} eine Kante des Graphen ist. Bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{V }
{ = }{ \{1,2,3\} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ergibt der leere Graph \zusatzklammer {bei dem die Kantenmenge leer ist} {} {} das Achsenkreuz im Raum, der Graph mit einer Kante ergibt eine Ebene mit einer dazu senkrechten Geraden, der Graph mit zwei Kanten ergibt zwei Ebenen, die sich in einer Geraden senkrecht schneiden, und der Graph mit drei Kanten ergibt die drei Achsenebenen im Raum.


}




\inputdefinition
{}
{

Der \definitionsverweis {simpliziale Komplex}{}{} $\Delta$ auf einer Menge $V$, der aus allen Teilmengen von $V$ besteht, heißt \definitionswort {Simplex}{.}

} Die Achsenraumkonfiguration zum Simplex
\mathl{\mathfrak {P} \, (V )}{} ist der Gesamtraum $K^V$.






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {SKT2009OxOyOzTriRavn2.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { SKT2009OxOyOzTriRavn2.png } {} {P queensgod} {Commons} {CC-by-sa 4.0} {}





\inputfaktbeweis
{Simplizialer Komplex/Achsenraumkonfiguration/K/Korrespondenz/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $V$ eine endliche Menge, $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und
\mathl{K^V}{} der zugehörige Tupelraum und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ H }
{ =} { { \left\{ (x_v) \in K^V \mid \sum_{v \in V} x_v = 1 \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann entsprechen sich die folgenden Objekte \zusatzklammer {für (3) sei die Charakteristik des Körpers gleich $0$} {} {.} \aufzaehlungdrei{\definitionsverweis {Simpliziale Komplexe}{}{} auf $V$. }{Achsenraumkonfigurationen in $K^V$, also Vereinigungen der Form
\mathl{\bigcup_F K^F}{} über gewisse Teilmengen $F$ von $V$. }{Teilmengen von $H$, die mit einem Punkt ${ \left( x_v \right) }$ auch jeden Punkt ${ \left( y_v \right) }$ enthalten, dessen Träger im Träger von ${ \left( x_v \right) }$ liegt. }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die Zuordnungen von (1) nach (2) ist dabei durch die Definition 3.2 gegeben. Aus einer Achsenraumkonfiguration $A$ erhält man einen simplizialen Komplex durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\Delta_A }
{ =} { { \left\{ F \subseteq V \mid K^F \subseteq A \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Diese beiden Zuordnungen sind offenbar invers zueinander. Aus (2) erhält man (3), indem man die Achsenraumkonfiguration mit $H$ schneidet. Aus einer Menge $T$ wie in (3) beschrieben erhält man eine Achsenraumkonfiguration, indem man die Vereinigung der $K^F$ zu denjenigen $F$ nimmt, die einen Punkt in $H$ mit Träger $F$ besitzen. Auch diese Zuordnungen sind invers zueinander, da es zu einem Achsenraum $K^F$, der zu einer Achsenraumkonfiguration $A$ gehört, den Punkt
\mathl{{ \frac{ 1 }{ { \# \left( F \right) } } } \sum_{v \in F} e_v}{} auf
\mathl{A \cap H}{} gibt, aus dem $A$ zurückkonstruiert wird.

}







\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {2D-simplex.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { 2D-simplex.svg } {} {Tosha} {Commons} {gemeinfrei} {}




\inputdefinition
{}
{

Zu einem \definitionsverweis {simplizialen Komplex}{}{} $\Delta$ auf $V$ nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Delta_{\rm geom} }
{ =} { { \left\{ { \left( x_v \right) } \in \R^V \mid \operatorname{supp} { \left( x_v \right) } \in \Delta , \, \sum_{v \in V } x_v = 1 , \, 0 \leq x_v \leq 1 \text{ für alle } v \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {geometrische Realisierung}{} des simplizialen Komplexes.

}

Die geometrische Realisierung ergibt sich also aus der reellen Achsenraumkonfiguration, wenn man diese mit dem Standardsimplex
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Delta^n }
{ =} { { \left\{ { \left( x_v \right) } \in \R^n \mid \sum_{v \in V} x_v = 1 , \, 0 \leq x_v \leq 1 \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} schneidet.

Wir interessieren uns nun dafür, wie sich die zu einem simplizialen Komplex gegebene Achsenraumkonfiguration als Nullstellenmenge von Funktionen beschreiben lässt. Beispielsweise ist das Achsenkreuz die Nullstellenmenge der Funktion $XY$ und die Vereinigung der drei Achsenebenen im Raum ist die Nullstellenmenge der Funktion $XYZ$. Betrachten wir eine einzelne Seite des Komplexes, sagen wir
\mathbed {F \subseteq V} {}
{F \in \Delta} {}
{} {} {} {.} Dann ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{K^F }
{ \subseteq }{ K^V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine Achsenraum, der zu der zugehörigen Achsenraumkonfiguration gehört. Das Variablenprodukt
\mathl{\prod_{i \in F} X_i}{} ist eine Funktion auf dem
\mathl{K^V}{,} das auf diesem Teilraum nicht identisch verschwindet \zusatzklammer {wohl aber Nullstellen hat} {} {,} da es ja auf allen $V$-Tupeln, deren $F$-Einträge alle von $0$ verschieden sind, einen von $0$ verschiedenen Wert annimmt. Damit ist dieses Variablenprodukt erst recht nicht auf der gesamten Achsenraumkonfiguration gleich $0$. Wenn hingegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{A }
{ \subseteq }{ \Delta }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine Nichtseite des Komplexes ist, so verschwindet das Variablenprodukt
\mathl{\prod_{i \in A} X_i}{} auf der Achsenraumkonfiguration, wie das folgende Lemma zeigt.




\inputfaktbeweis
{Simplizialer Komplex/Achsenraumkonfiguration/Nullstellengebilde/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Zu einem \definitionsverweis {simplizialen Komplex}{}{} $\Delta$}
\faktfolgerung {wird die \definitionsverweis {zugehörige Achsenraumkonfiguration}{}{} als Nullstellenmenge von allen Variablenprodukten zu Nichtseiten beschrieben, also
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Delta (K) }
{ =} { \bigcup_{ F \in \Delta} K^F }
{ =} { V { \left( \prod_{v \in A} X_v {{|}} A \text{ Nichtseite von } \Delta \right) } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {Dabei kann man sich auf die minimalen Nichtseiten beschränken.}
\faktzusatz {}

}
{

Nach Proposition 2.6 ist
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{V { \left( \prod_{v \in A} X_v {{|}} A \text{ Nichtseite von } \Delta \right) } }
{ =} { \bigcap_{A \text{ Nichtseite von } \Delta} V ( \prod_{v \in A} X_v ) }
{ =} { \bigcap_{A \text{ Nichtseite von } \Delta} \bigcup_{v \in A} V ( X_v ) }
{ } { }
{ } { }
} {} {}{.} Wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{ K^F }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit einer Seite $F$ von $\Delta$ ist, so sind sämtliche Koordinaten von $P$, die nicht zu $F$ gehören, gleich $0$. Wir können annehmen, dass $F$ eine Facette ist. Es sei $A$ eine Nichtseite. Dann ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{A }
{ \not\subseteq }{F }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und somit gibt es eine Ecke
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{z }
{ \in }{ A }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{,}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{z }
{ \notin }{F }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dann ist die $z$-te Komponente von $P$ gleich $0$ und somit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{ V(X_z) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und $P$ gehört zur rechten Seite dazu. Es sei nun umgekehrt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{P }
{ =} { (x_v) }
{ \notin} { \bigcup_{ F \in \Delta} K^F }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} angenommen. Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{B }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} der Träger von $P$, also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{v }
{ \in }{B }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} genau dann, wenn
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x_v }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist. Dann ist $B$ eine Nichtseite, da andernfalls
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{ K^B }
{ \subseteq }{ \bigcup_{F \in \Delta} K^F }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gelten würde. Wegen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{P }
{ \notin} { \bigcup_{ v \in B} V(X_v) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gehört $P$ auch nicht zur rechten Seite.

}





\inputfaktbeweis
{Simplizialer Komplex/Achsenraumkonfiguration/Nullstellengebilde/Irreduzible Komponenten/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein unendlicher Körper und $\Delta$ ein \definitionsverweis {simplizialer Komplex}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann entsprechen die \definitionsverweis {irreduziblen Komponenten}{}{} der \definitionsverweis {zugehörigen Achsenraumkonfiguration}{}{} den \definitionsverweis {Facetten}{}{} von $\Delta$.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Dies folgt unmittelbar aus Lemma 3.11, wenn man berücksichtigt, dass über einem unendlichen Körper die affinen Räume \definitionsverweis {irreduzibel}{}{} sind.

}






\zwischenueberschrift{Glatte Punkte}

Bei einer Achsenraumkonfiguration, die zu einem simplizialen Komplex gehört, erwartet man, dass die Punkte, die auf genau einer irreduziblen Komponente liegen und daher die anderen Komponenten nicht treffen, sich lokal wie Punkte auf einem affinen Raum der entsprechenden Dimension verhalten, also glatt sind. Um dies zu bestätigen müssen wir zuerst allgemein für einen beliebigen Körper die Glattheit definieren. Dieses Konzept hängt zwar im Allgemeinen auch von der Dimension der affin-algebraischen Mengen ab, die wir noch nicht eingeführt haben, doch ist bei den Achsenraumkonfigurationen klar, dass die Dimension einfach die maximale Dimension einer irreduziblen Komponente ist, die ja alle affine Räume sind, deren Dimension aus der Elementanzahl der zugehörigen Facette ablesbar ist.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{.} Zu einem Polynom
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{F }
{ =} {\sum_{\nu } a_\nu X^\nu }
{ \in} { K[X_1 , \ldots , X_n] }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und
\mathbed {i} {}
{1 \leq i \leq n} {}
{} {} {} {,} heißt das Polynom
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{\partial_i F }
{ \defeq} { { \frac{ \partial F }{ \partial X_i } } }
{ \defeq} { \sum_\nu \nu_i a_\nu X_1^{\nu_1} \cdots X_{i-1}^{\nu_{i-1} } X_i^{\nu_i -1} X_{i+1}^{\nu_{i+1} } \cdots X_n^{\nu_n} }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {formale partielle Ableitung}{} von $F$ nach $X_i$.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und es seien
\mathl{f_1 , \ldots , f_m \in K[X_1 , \ldots , X_n]}{} Polynome. Es sei
\mathl{P\in K^n}{} ein Punkt. Dann heißt die Matrix
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Jak}(f_1 , \ldots , f_m )_P }
{ \defeq} { \begin{pmatrix} { \frac{ \partial f_1 }{ \partial x_1 } } (P) & \ldots & { \frac{ \partial f_{1} }{ \partial x_{n} } } (P) \\ \vdots & \ddots & \vdots \\{ \frac{ \partial f_{m} }{ \partial x_1 } } (P) & \ldots & { \frac{ \partial f_{m} }{ \partial x_{n} } } (P) \end{pmatrix} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {Jacobi-Matrix}{} zu $f_1 , \ldots , f_m$ im Punkt $P$.

}

Die Jacobi-Matrix im Punkt $P$ ist eine
\mathl{m \times n}{-}Matrix über $K$. Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{K }
{ = }{ {\mathbb K} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} beschreibt die Jacobi-Matrix das \definitionsverweis {totale Differential}{}{.} Wenn die Jacobi-Matrix in einem Punkt $P$ surjektiv ist, als ihr \definitionsverweis {Rang}{}{} gleich $m$ ist, so gilt der Satz über implizite Abbildungen, der besagt, dass die Faser durch $P$ von
\mathl{f_1 , \ldots , f_m}{} in einer offenen Umgebung von $P$ diffeomorph zu
\mathl{{\mathbb K}^{n-m}}{} ist. Die Faser ist also lokal um $P$ eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.

Dies führt zur folgenden Definition, die sich bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{n }
{ \geq }{m }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} am Satz über implizite Abbildungen orientiert, sonst aber darüber hinausgeht.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {algebraisch abgeschlossener Körper}{}{} und seien
\mathl{F_1 , \ldots , F_s \in K[X_1 , \ldots , X_n]}{} Polynome mit der zugehörigen \definitionsverweis {affin-algebraischen Menge}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{Y }
{ =} {V(F_1 , \ldots , F_s) }
{ \subseteq} { { {\mathbb A}_{ K }^{ n } } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{Y }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt von $Y$ mit der Eigenschaft, dass $Y$ im Punkt $P$ die \definitionsverweis {Dimension}{}{} $d$ besitze. Dann heißt $P$ ein \definitionswort {glatter Punkt}{} von $Y$, wenn der \definitionsverweis {Rang}{}{} der Matrix
\mathdisp {{ \left( { \frac{ \partial F_i }{ \partial X_j } } \right) }_{i,j}} { }
im Punkt $P$ mindestens
\mathl{n-d}{} ist. Andernfalls heißt der Punkt \definitionswort {singulär}{.}

}

Allerdings haben wir noch nicht den Dimensionsbegriff entwickelt, so dass diese Definition noch in der Luft hängt. Den Dimensionsbegriff zu entwickeln wird eine Aufgabe dieses Kurses sein. Die folgenden erwarteten Eigenschaften geben eine wichtige Orientierung und legen in vielen Situationen die Dimension fest, auch wenn die allgemeine Theorie noch nicht zur Verfügung steht.

\aufzaehlungacht{Der affine Raum
\mathl{{ {\mathbb A}_{ K }^{ n } }}{} soll die Dimension $n$ haben. }{Ein einzelner Punkt soll nulldimensional sein. }{Bei einem linearen \zusatzklammer {oder affinen} {} {} Unterraum soll die Vektorraumdimension gleich der Dimension sein. }{Bei einer komplexen Mannigfaltigkeit soll die Dimension der Mannigfaltigkeit die Dimension sein. }{Die Dimension eines geometrischen Objekt, das sich aus verschiedenen \zusatzklammer {irreduziblen} {} {} Komponenten zusammensetzt, sollte die maximale Dimension der beteiligten Komponenten sein. }{Bei einem einzigen Polynom $\neq 0$ in $n$ Variablen soll die Faser die Dimension
\mathl{n-1}{} besitzen \zusatzklammer {Hyperfläche} {} {.} }{Zu affin-algebraischen Mengen \mathkor {} {X} {und} {Y} {} soll die Dimension des Produktes
\mathl{X \times Y}{} gleich der Summe der beiden Dimensionen sein. Insbesondere soll die Dimension von
\mathl{X \times { {\mathbb A}_{ }^{ n } }}{} gleich
\mathl{\operatorname{dim} { \left( X \right) } +n}{} sein. }{Wenn eine polynomiale Abbildung \maabbdisp {\varphi} {X} {Y } {} zwischen affin-algebraischen Mengen \mathkor {} {X} {und} {Y} {} vorliegt, bei der alle Fasern aus endlich vielen Punkten bestehen, sollen \mathkor {} {X} {und} {Y} {} die gleiche Dimension haben. }


Die vorletzte Forderung ist, wenn man über den reellen Zahlen arbeitet, nicht immer zutreffend, wie einfache Beispiele zeigen, im algebraischen und im komplex-analytischen Fall ist dies aber erfüllt.


\inputbeispiel{}
{

Zur Abbildung \maabbeledisp {} {\R^n} { \R } { \left( x_1 , \, \ldots , \, x_n \right) } {x_1^2 + \cdots + x_n^2 } {,} die durch die Summe der Quadrate gegeben ist, besteht die \definitionsverweis {Faser}{}{} über dem Nullpunkt allein aus dem Punkt
\mathl{\left( 0 , \, \ldots , \, 0 \right)}{.} Ein einziger Punkt besitzt aber \zusatzklammer {in jeder sinnvollen Dimensionstheorie} {} {} die Dimension $0$ und nicht, wie bei komplexen Hyperflächen, die Dimension
\mathl{n-1}{.} Über ${\mathbb C}$ kann man sich die ersten $n-1$ Koordinaten frei vorgeben und hat dann für die letzte Variable $x_n$ noch zwei \zusatzklammer {gelegentlich eine} {} {} Wahlmöglichkeiten, da jede komplexe Zahl $\neq 0$ zwei Quadratwurzel besitzt.


}






\inputbemerkung
{}
{

Wenn \maabb {\varphi} { {\mathbb K}^n} { {\mathbb K}^m } {} eine differenzierbare Abbildung und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{ {\mathbb K}^n}
{ }{}
{ }{}
{ }{}
} {}{}{} ein Punkt ist, in dem das totale Differential surjektiv ist \zusatzklammer {was
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{n }
{ \geq }{m }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} voraussetzt} {} {,} so dass man den Satz über implizite Abbildungen anwenden kann, so sind auch die Voraussetzungen von Definition 3.15 erfüllt. Aufgrund der Voraussetzung des Satzes ist ja der Rang des totalen Differentials \zusatzklammer {also der Rang der Jacobi-Matrix} {} {} gleich $m$ und aufgrund des Satzes ist die Dimension der Faser im Punkt $P$ gleich
\mathl{n-m}{.} Damit ist der Rang gleich
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{m }
{ = }{n -(n-m) }
{ = }{n - \operatorname{dim}_P(Y) }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Hierbei wird allerdings verwendet, dass die Mannigfaltigkeitsdimension der lokalen Faser mit der später zu definierenden algebraischen Dimension übereinstimmt. Bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{m }
{ = }{1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{\varphi }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist die Dimension der Faser $\leq n-1$ und ein Punkt der Faser ist genau dann glatt, wenn man den Satz über implizite Abbildungen anwenden kann. Beispiel 4.2 gibt ein einfaches Beispiel eines glatten Punktes, in dem der Satz nicht angewendet werden kann.

}




\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Tangentialvektor.svg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Tangentialvektor.svg } {} {TN} {de Wikipedia} {PD} {}

Wir definieren den Tangentialraum für einen Punkt einer affin-algebraischen Menge, wobei wir uns an der \definitionsverweis {entsprechenden Definition}{}{} aus der Analysis orientieren. Wir werden im Laufe dieser Vorlesung eine ganze Reihe von weitere Konzepten für den Tangentialraum und den Kotangentialraum kennenlernen. Der Nachteil der gegebenen Definition ist, dass sie extrinsisch ist, also vom umgebenden Raum abhängt, und nicht intrinsisch ist. Eine intrinsische Realisierung werden wir in der zwölften Vorlesung kennenlernen.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und \maabb {f} {{ {\mathbb A}_{ K }^{ n } }} {{ {\mathbb A}_{ K }^{ m } } } {} eine polynomiale Abbildung mit dem Nullstellengebilde
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{V }
{ = }{ V(f_1 , \ldots , f_m) }
{ \subseteq }{ { {\mathbb A}_{ K }^{ n } } }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein Punkt. Dann nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ T_P V }
{ \defeq} { \operatorname{kern} \left( \operatorname{Jak}(f_1 , \ldots , f_m )_P \right) }
{ =} { { \left\{ v \in { {\mathbb A}_{ K }^{ n } } \mid \operatorname{Jak}(f_1 , \ldots , f_m )_P (v) = 0 \right\} } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} den \definitionswort {Tangentialraum}{} an die Faser $V$ in $P$.

}

Oft nennt man auch den affinen Raum
\mathl{P + T_PY}{} den Tangentialraum an $P$ von $V$. Nach der Dimensionsformel für lineare Abbildungen gilt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \dim_{ K } { \left( T_PV \right) } }
{ =} { m - \operatorname{rang} \, { \left( \operatorname{Jak}(f_1 , \ldots , f_m )_P \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} In einem glatten Punkt stimmt somit die Vektorraumdimension des Tangentialraumes mit der Dimension von $V$ in $P$ überein. Bei einem singulären Punkt einer Hyperfläche ist der gesamte umgebende Raum der Tangentialraum.




\inputdefinition
{}
{

Ein \definitionsverweis {singulärer Punkt}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{V }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} auf einer \definitionsverweis {Varietät}{}{} heißt \definitionswort {isoliert}{,} wenn es eine offene Umgebung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{P }
{ \in }{U }
{ \subseteq }{V }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart gibt, dass $P$ der einzige singuläre Punkt von $U$ ist.

}