Kurs:Analysis (Osnabrück 2014-2016)/Teil I/Vorlesung 4



Angeordnete Körper

Zwei reelle Zahlen kann man ihrer Größe nach vergleichen, d.h. die eine ist größer als die andere oder es handelt sich um die gleiche Zahl. Auf der Zahlengeraden bedeutet dies, dass die eine Zahl rechts von der anderen liegt. Die wesentlichen Eigenschaften der Größerbeziehung werden im Begriff des angeordneten Körpers zusammengefasst. Um dieses Konzept formulieren zu können, führen wir kurz die grundlegenden Begriffe Relation und Ordnungsrelation ein.


Es seien und Mengen. Eine Relation zwischen und ist eine Teilmenge .

D.h. bei einer Relation stehen gewisse Paare in der gegebenen Relation, und die anderen Paare eben nicht. Man schreibt dafür oder oder . Im Moment sind wir an Ordnungsrelationen interessiert, die folgendermaßen definiert werden.


Eine Relation auf einer Menge heißt Ordnungsrelation oder Ordnung, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind.

  1. Es ist für alle .
  2. Aus und folgt stets .
  3. Aus und folgt .

Eine Ordnungsrelation auf einer Menge heißt lineare Ordnung (oder totale Ordnung), wenn zu je zwei Elementen die Beziehung oder gilt.

Wenn auf einer Menge eine totale Ordnung vorliegt, so bezeichnet man für zwei Elemente das kleinere der beiden mit und das größere mit . Man spricht vom Minimum und vom Maximum.


Ein Körper heißt angeordnet, wenn es eine totale Ordnung auf gibt, die die beiden Eigenschaften

  1. Aus folgt (für beliebige ),
  2. Aus und folgt (für beliebige ),

erfüllt.

Statt schreibt man auch . Die Schreibweise bedeutet und . Eine wichtige Beziehung in einem angeordneten Körper ist, dass äquivalent zu ist. Diese Äquivalenz ergibt sich durch beidseitiges Addieren von bzw. aus dem ersten Axiom. In einem angeordneten Körper nennt man ein Element positiv, wenn ist, und negativ,[1] wenn ist. Die ist demnach weder positiv noch negativ, und jedes Element ist entweder positiv oder negativ oder null. Die Elemente  mit nennt man dann einfach nichtnegativ und die Elemente  mit nichtpositiv. Für die entsprechenden Mengen schreibt man

oder Ähnliches. Die wichtigsten Beispiele für angeordnete Körper sind der Körper der rationalen Zahlen und der Körper der reellen Zahlen .



In einem angeordneten Körper gelten die folgenden Eigenschaften.

  1. ,
  2. Aus und folgt ,
  3. Aus und folgt .

Beweis

Siehe Aufgabe 4.8.



Es sei ein angeordneter Körper. Zu , , nennt man

    das abgeschlossene Intervall.

    das offene Intervall.

    das linksseitig offene Intervall.

    das rechtsseitig offene Intervall.

    Für das offene Intervall wird häufig auch geschrieben. Die Zahlen und heißen die Grenzen des Intervalls, genauer spricht man von oberer und unterer Grenze. Die Bezeichnung linksseitig und rechtsseitig bei den beiden letzten Intervallen (die man auch als halboffen bezeichnet) rühren von der üblichen Repräsentierung der reellen Zahlen als Zahlengerade her, bei der rechts die positiven Zahlen stehen. Zutreffender (also weniger konventionsverhaftet) wäre es von „größerseitig offen“ und „kleinerseitig offen“ zu sprechen. Manchmal werden auch Schreibweisen wie verwendet. Dies bedeutet nicht, dass es in ein Element gibt, sondern ist lediglich eine kurze Schreibweise für .

    Bemerkung

    Ein äquivalenter Zugang zum Begriff des angeordneten Körpers funktioniert so: Man hat einen Körper , bei dem eine Teilmenge (die „positive Hälfte“) ausgezeichnet ist mit den folgenden Eigenschaften

    1. Entweder oder oder .
    2. Aus folgt .
    3. Aus folgt .

    In einem angeordneten Körper erfüllen die positiven Elemente diese Bedingungen. Man kann aber umgekehrt aus einem Körper mit einer solchen positiven Teilmenge einen angeordneten Körper machen, indem man

    definiert, siehe Aufgabe 4.26.



    Der Betrag

    In einem angeordneten Körper ist der Betrag eines Elementes folgendermaßen definiert.

    Der Betrag ist also nie negativ (da aus die Beziehung folgt, vergleiche Aufgabe 4.6) und hat nur bei den Wert , sonst ist er immer positiv. Die Gesamtabbildung

    nennt man auch Betragsfunktion. Der Funktionsgraph setzt sich aus zwei Halbgeraden zusammen; eine solche Funktion nennt man auch stückweise linear.



    Es sei ein angeordneter Körper.

    Dann erfüllt die Betragsfunktion

    folgende Eigenschaften (dabei seien beliebige Elemente in ).
    1. Es ist .
    2. Es ist genau dann, wenn ist.
    3. Es ist genau dann, wenn oder ist.
    4. Es ist .
    5. Es ist .
    6. Für ist .
    7. Es ist (Dreiecksungleichung für den Betrag).
    8. Es ist .

    Beweis

    Siehe Aufgabe 4.23.


    Die Zahl nennt man auch den Abstand der beiden Zahlen und .



    Bernoulli'sche Ungleichung


    In der folgenden Aussage verwenden wir für ein Element in einem Körper und einer natürlichen Zahl die Schreibweisen



    Es sei ein angeordneter Körper und eine natürliche Zahl. Dann gilt für jedes  mit die Abschätzung

    Wir führen Induktion über . Bei steht beidseitig , sodass die Aussage gilt. Es sei nun die Aussage für bereits bewiesen. Dann ist

    da Quadrate (und positive Vielfache davon) in einem angeordneten Körper nichtnegativ sind.




    Archimedisch angeordnete Körper

    Wenn man sich wie üblich die reellen Zahlen als Zahlengerade vorstellt, so ist das nächste Axiom selbstverständlich. Es gibt aber auch sehr interessante angeordnete Körper, in denen dieses Axiom nicht gilt; es gilt auch nicht im Rahmen der sogenannten Nichtstandardanalysis. Zur Formulierung dieses Axioms muss man jede natürliche Zahl in einem Körper interpretieren können. Dies geschieht, indem man einer natürlichen Zahl das Körperelement

    zuordnet.



    Es sei ein angeordneter Körper. Dann heißt archimedisch angeordnet, wenn das folgende Archimedische Axiom gilt, d.h. wenn es zu jedem eine natürliche Zahl mit

    gibt.

    Diese Eigenschaft ist für negative Elemente stets erfüllt, für positive Elemente handelt es sich aber um eine echte neue Bedingung, die nicht jeder angeordnete Körper erfüllt. Die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen bilden jeweils einen archimedisch angeordneten Körper, ein nicht-archimedisch angeordneter Körper wird in Aufgabe 11.28 besprochen. Einen archimedisch angeordneten Körper kann man sich als eine Zahlengerade vorstellen, auf denen auch die ganzen Zahlen liegen. Mit Zahlengerade wird noch nichts genaues über „Lücken“ oder „Kontinuität“ behauptet.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.

    Dann gibt es zu mit stets ein mit .

    Wir betrachten . Aufgrund des Archimedes-Axioms gibt es ein mit . Da positiv ist, gilt nach Lemma 4.5  (6) auch .



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper. Es sei .

    Dann gibt es eine natürliche Zahl mit .

    Es ist eine nach Fakt *****  (1) positive Zahl und daher gibt es eine natürliche Zahl mit . Dies ist nach Fakt *****  (4) äquivalent zu


    Im folgenden Lemma verwenden wir, dass man zunächst die ganzen Zahlen in einem angeordneten Körper wiederfindet und dass man dann auch die rationalen Zahlen in wiederfindet. Die rationale Zahl ist als das Element zu interpretieren, siehe auch Aufgabe 4.25.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.

    Dann gibt es zwischen je zwei Elementen auch eine rationale Zahl (mit ) mit

    Wegen ist und daher gibt es nach Lemma 4.13 ein mit . Nach Lemma 4.12 gibt es auch ein mit

    und ein mit

    Daher gibt es auch ein derart, dass

    ist. Damit ist einerseits

    und andererseits

    wie gewünscht.


    In einem archimedisch angeordneten Körper bilden die ganzzahligen Intervalle , , eine disjunkte Überdeckung, d.h. es ist

    und für Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und . Die Gaußklammer von ist durch

    definiert.

    Da die Werte der Gaußklammer die ganzen Zahlen sind, kann man die Gaußklammer auch als eine Abbildung auffassen.



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und .

    Dann gibt es zu jedem eine natürliche Zahl mit

    Wir schreiben  mit . Aufgrund von Lemma 4.12 gibt es eine natürliche Zahl mit . Damit gilt unter Verwendung der Bernoulli-Ungleichung die Abschätzung



    Fußnoten
    1. Man beachte, dass hier negativ in einem neuen Sinn auftritt. In jedem Körper gibt zu jedem Element das negative Element , also das Inverse von bezüglich der Addition. Das Element ist aber nicht in einem absoluten Sinn negativ, sondern nur in Bezug auf . Dagegen gibt es in einem angeordneten Körper wirklich negative und positive Elemente.



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