Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil I/Vorlesung 6



Darstellungsmöglichkeiten für Abbildungen

Wir modellieren das Abzählen einer Menge mathematisch als eine bijektive Abbildung zwischen einer Menge der Form und . Wir wollen zeigen, dass dabei das unabhängig von der gewählten Abbildung ist. Um dies klar begründen zu können, müssen wir uns etwas genauer mit Abbildungen beschäftigen. Abbildungen können auf recht unterschiedliche Arten dargestellt werden. Zu nennen sind (vollständige oder unvollständige) Wertetabellen, der Graph einer Abbildung, Säulen- und Kuchendiagramme, Pfeildiagramme, Höhenlinien, Animationen. Eine besondere Rolle spielen funktionale Vorschriften, mit denen häufig Abbildungen festgelegt werden, das sind Ausdrücke der Form .



Wir wollen zu zwei gegebenen Nummerierungen einer Menge , also zu zwei bijektiven Abbildungen und zeigen, dass ist. Da bei einer Bijektion sich die Elemente der beiden Mengen eindeutig entsprechen, führt dies zu einer eindeutigen Entsprechung zwischen und . Mit diesem Trick, dem die Hintereinanderschaltung von Abbildungen und die Umkehrabbildung einer bijektiven Abbildung zugrunde liegt, kann man also unter Umgehung der Menge direkt diese Teilmengen der natürlichen Zahlen untereinander vergleichen.



Die Hintereinanderschaltung von Abbildungen

Es seien und Mengen und

und

Abbildungen. Dann heißt die Abbildung

die Hintereinanderschaltung der Abbildungen und .

Eine Hintereinanderschaltung kann man sich durch ein Diagramm der Form

gut veranschaulichen.


Die Wertetabelle

beschreibt, welche Person der Bearbeitungsgruppe welche Aufgabe federführend macht und die Wertetabelle

mit den möglichen Werten beschreibt, wie viel Lust die Personen in dieser Woche haben (: hat Megalust, : hat Superlust, hat Lust, hat wenig Lust, hat Unlust). Die zusammengesetzte Abbildung beschreibt dann, mit wie viel Lust die verschiedenen Aufgaben bearbeitet werden, die zugehörige Wertetabelle ist


Wenn die Abbildungen durch funktionale Ausdrücke gegeben sind, so erhält man die zusammengesetzte Abbildung, in den man den einen funktionalen Ausdruck in den anderen funktionalen Ausdruck einsetzt. Damit ist folgendes gemeint: Wenn

Funktionen sind, die durch und gegeben sind, so besitzt die zusammengesetzte Funktion (also in der Ausführung zuerst !) die Vorschrift

In der anderen Reihenfolge ergibt sich

Hier haben wir die beiden Funktionen mit unterschiedlichen Variablen geschrieben, was die Einsetzung dann erleichtert hat. Häufig muss man zuerst eine sinnvolle Umbenennung durchführen.



Es seien und Mengen und es seien

und

Abbildungen.

Dann ist

Zwei Abbildungen sind genau dann gleich, wenn für jedes die Gleichheit gilt. Es sei also . Dann ist



Es seien und Mengen und

und

Abbildungen mit der Hintereinanderschaltung

Dann gelten folgende Eigenschaften.
  1. Wenn und injektiv sind, so ist auch injektiv.
  2. Wenn und surjektiv sind, so ist auch surjektiv.
  3. Wenn und bijektiv sind, so ist auch bijektiv.
  1. Es seien mit

    gegeben. Aufgrund der Injektivität von folgt

    und aufgrund der Injektivität von folgt

    was die Injektivität von bedeutet.

  2. Sei gegeben. Aufgrund der Surjektivität von gibt es ein mit

    Aufgrund der Surjektivität von gibt es ein mit

    Insgesamt ist

    es gibt also ein Urbild von und somit ist die Gesamtabbildung surjektiv.

  3. Folgt aus (1) und (2).



Die Umkehrabbildung

Es sei eine Menge. Dann heißt die Abbildung

die also jedes Element auf sich selbst schickt, die identische Abbildung oder Identität auf . Sie wird mit oder bezeichnet.

Die Identität ist natürlich bijektiv. Umgekehrt kann man zu einer bijektiven Abbildung eine Abbildung derart angeben, dass die Verknüpfung die Identität ergibt.


Es sei eine bijektive Abbildung. Dann heißt die Abbildung

die jedes Element auf das eindeutig bestimmte Element mit abbildet, die Umkehrabbildung zu .

Die Umkehrabbildung zu wird mit bezeichnet. Es gilt die charakteristische Eigenschaft, dass sowohl als auch die Identität (auf den jeweiligen Mengen) sind.


Die Nummerierung der Schüler durch Heino,

ist bijektiv und hat daher eine eindeutig bestimmte Umkehrabbildung. Die Wertetabelle dieser Umkehrabbildung ist

Bei einem natürlichen Zählvorgang kann man sich darüber streiten, ob die Zahlen „eher“ den Personen oder die Personen eher den Zahlen zugeordnet wird. Bei einer bijektiven Abbildung liegt eine Entsprechung vor.


Wir erwähnen noch die konstanten Abbildungen.


Es seien und Mengen und es sei ein Element. Dann heißt die Abbildung

die also jedes Element auf abbildet, die konstante Abbildung zum Wert .



Die Wohldefiniertheit der Anzahl

Wir kehren zu dem Problem zurück, warum die Anzahl einer endlichen Menge wohldefiniert ist, warum es also egal ist, in welcher Reihenfolge man zählt.



Es sei eine natürliche Zahl mit dem Vorgänger , es sei also . Es sei ein fixiertes Element.

Dann gibt es eine bijektive Abbildung zwischen und .

Wir definieren eine Abbildung

durch

Dies ist eine wohldefinierte Abbildung, da die Bilder echt unterhalb von oder echt oberhalb von liegen, niemals aber gleich sind, und da maximal der Nachfolger von , also erreicht wird.

Die Abbildung ist injektiv: Wenn und beide unterhalb von liegen, so werden beide Elemente auf sich selbst abgebildet. Wenn beide oberhalb von liegen, so werden beide auf ihren Nachfolger abgebildet, und das Nachfolgernehmen ist injektiv (dies ist die Eigenschaft, dass der Vorgänger eindeutig bestimmt ist). Wenn unterhalb von und oberhalb von (oder umgekehrt) liegt, so ist erst recht oberhalb von und somit von verschieden.

Die Abbildung ist auch surjektiv. Die Zahlen echt unterhalb von werden durch sich selbst erreicht und die Zahlen echt oberhalb von (und unterhalb von einschließlich ) kann man als

mit oberhalb von (einschließlich ) und echt unterhalb von , also maximal gleich schreiben. Insgesamt ist also eine Bijektion.



Wenn eine Menge ist und wenn

und

bijektive Abbildungen sind,

so ist

Die Anzahl einer endlichen Menge ist also wohldefiniert.

Es seien die bijektiven Abbildungen

und

gegeben. Da man bijektive Abbildungen umkehren kann und da die Hintereinanderschaltung von bijektiven Abbildungen nach Lemma 6.4  (3) wieder bijektiv ist, ist auch

bijektiv. Wir müssen also nur die endlichen Standardmengen untereinander vergleichen. Wir müssen also zeigen, dass wenn eine bijektive Abbildung

vorliegt, dass dann

ist. Dies zeigen wir durch Induktion[1] nach . Wenn ist, so ist die Menge links leer und somit muss auch die rechte Menge leer sein, also ist dann auch . Es seien nun nicht , sodass sie also jeweils einen Vorgänger haben. Es sei der Vorgänger von und der Vorgänger von . Diese Zahlen sind eindeutig bestimmt, da die Nachfolgerabbildung injektiv ist. Wir setzen

Dann gibt es nach der Herausnahme von bzw. eine bijektive Abbildung

Nach Lemma 6.9 gibt es eine bijektive Abbildung zwischen und . Somit gibt es dann auch insgesamt eine bijektive Abbildung zwischen und . Nach Induktionsvoraussetzung ist , also auch



Zählen von Prozessen

Mit natürlichen Zahlen kann man nicht nur endliche Mengen zählen, sondern auch Prozesse. Wenn ein Einzelprozess wohldefiniert ist, wie beispielsweise das Nachfolgernehmen in einem Modell der natürlichen Zahlen, oder das Umlegen eines Apfel von einem Haufen auf einen anderen Haufen, oder auf einer Leiter eine Sprosse nach oben steigen, so kann man mit den natürlichen Zahlen angeben, wie oft der Prozess durchgeführt wird oder werden soll. Dies eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten, komplexere mathematische Konzepte dadurch festzulegen, dass gesagt wird, wie oft ein gewisser grundlegenderer Prozess durchgeführt werden soll. In diesem Sinne kann die Addition von zwei natürlichen Zahlen dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft von der anderen[2] Zahl ausgehend der Nachfolger genommen werden soll, die Multiplikation von zwei natürlichen Zahlen kann dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft die andere Zahl zur addiert werden soll (die Anzahl der Summanden ist durch die erste Zahl festgelegt), die Potenzierung von zwei natürlichen Zahlen kann dadurch eingeführt werden, dass die eine Zahl angibt, wie oft die andere Zahl mit sich selbst multipliziert werden soll (Anzahl der Faktoren). Wenn eine Strecke und eine natürliche Zahl gegeben ist, so kann man die Strecke -fach Hintereinanderlegen. Dabei entsteht eine Strecke, die -mal so lang wie die Ausgangsstrecke ist. Geometrisch kann man dies dadurch durchführen, dass man die Stecke zu einer Geraden verlängert und dann mit Hilfe eines Zirkels die Strecke -mal umschlägt.



Fußnoten
  1. Dies ist ein Induktionsbeweis, ein Prinzip, das wir später begründen werden.
  2. Es ist bei diesen wichtigen Operationen nicht einheitlich festgelegt, welche der beiden beteiligten Zahlen die Anzahl der Prozesse angibt und welche angibt, dass mit ihr der Prozess durchgeführt werden soll. Ferner kommt beispielsweise bei der Summand fünfmal vor, in der ersten Darstellung kommt aber nur viermal das Pluszeichen vor, sodass hier Präzisierungen nötig sind. Auch Formulierungen wie „mit sich selbst addieren“ sind problematisch, es wird ja jeweils zu dem Teilergebnis hinzuaddiert.


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