Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2016-2017)/Teil II/Vorlesung 51/kontrolle



Stetige Funktionen

Den Abstand zwischen zwei reellen Zahlen und bezeichnen wir mit

Bei einer Funktion

kann man sich fragen, inwiefern der Abstand in der Wertemenge durch den Abstand in der Definitionsmenge kontrollierbar ist. Sei und der Bildpunkt. Man möchte, dass für Punkte , die „nahe“ an sind, auch die Bildpunkte „nahe“ an sind. Schon lineare Funktionen mit unterschiedlicher Steigung zeigen, dass die „Nähe“ im Bildbereich nicht mit der „Nähe“ im Definitionsbereich direkt verglichen werden kann. Die Zielsetzung ist vielmehr, dass zu einer gewünschten Genauigkeit im Bildbereich überhaupt eine Ausgangsgenauigkeit gefunden werden kann, die sichert, dass die Funktionswerte innerhalb der gewünschten Genauigkeit beieinander liegen.

Um diese intuitive Vorstellung zu präzisieren, sei ein vorgegeben. Dieses repräsentiert eine „gewünschte Zielgenauigkeit“. Die Frage ist dann, ob man ein finden kann (eine „Startgenauigkeit“) mit der Eigenschaft, dass für alle mit die Beziehung gilt. Dies führt zum Begriff der stetigen Funktion.


Es sei eine Teilmenge,

eine Funktion und . Man sagt, dass stetig im Punkt ist, wenn es zu jedem ein derart gibt, dass für alle mit die Abschätzung gilt. Man sagt, dass stetig ist, wenn sie in jedem Punkt stetig ist.

Bei sollte man an den Definitionsbereich der Funktion denken. Typische Situationen sind, dass ganz ist, oder ein reelles Intervall, oder ohne endlich viele Punkte und Ähnliches. Statt mit den nichtnegativen reellen Zahlen und kann man genauso gut mit Stammbrüchen und arbeiten.


Beispiel  Beispiel 51.2 ändern

Eine konstante Funktion

ist stetig. Zu jedem vorgegebenen kann man hier ein beliebiges wählen, da ja ohnehin

gilt.

Eine lineare Funktion

mit einem Proportionalitätsfaktor (bei ist die Funktion konstant und somit auch stetig) ist ebenfalls stetig. Zu jedem vorgegebenen kann man unabhängig vom Punkt hier wählen: Wenn nämlich

gilt, so ist



Wir zeigen, dass das Quadrieren

stetig ist. Es sei dazu fixiert, wir zeigen die Stetigkeit im Punkt . Es sei ein vorgegeben. Wir müssen ein finden (bzw. die Existenz eines solchen nachweisen), das die Eigenschaft besitzt: Wenn

dann ist auch

also wenn und -nahe sind, so sind die beiden Funktionswerte -nahe. Es ist klar, dass die Wahl von nicht nur von abhängt, sondern auch von . Wenn man nämlich zu eine Zahl hinzuaddiert, so ist der Funktionswert gleich

und die Differenz zu ist somit . Insbesondere muss der Betrag dieser Differenz kleinergleich dem vorgegebenen werden. Dies wird erreicht, wenn die beiden Summanden und beide kleinergleich sind. Von daher ist bei und die Wahl

naheliegend. Um alle Fälle zu erfassen, wählen wir

wobei der vordere Term bei zu ignorieren ist. Es gelten dann in der Tat für

die Abschätzungen


Das vorhergehende Beispiel zeigt schon, dass im Allgemeinen das Auffinden eines geeigneten zu einem gegebenen recht mühsam sein kann. Wir werden aber gleich wichtige Sätze kennenlernen, mit denen man die Stetigkeit einer Vielzahl an wichtigen Funktionen sofort erhält.


Wir betrachten die Funktion

mit

Diese Funktion ist im Nullpunkt nicht stetig. Für und jedes beliebige positive gibt es nämlich negative Zahlen mit . Für diese ist aber .


Nicht jede stetige Funktion kann man zeichnen, auch nicht nach beliebiger Vergrößerung. Gezeigt wird eine Approximation einer Weierstraß-Funktion, die stetig, aber nirgendwo differenzierbar ist. Bei einer stetigen Funktion kann man zwar die Größe der Schwankungen im Bildbereich durch Einschränkungen im Definitionsbereich kontrollieren, die Anzahl der Schwankungen (die Anzahl der Richtungswechsel des Graphen) kann man aber nicht kontrollieren.

Die folgende Aussage bringt die Stetigkeit mit konvergenten Folgen in Verbindung.


Lemma  Lemma 51.5 ändern

Es sei eine Teilmenge,

eine Funktion und . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist stetig im Punkt .
  2. Für jede konvergente Folge in mit ist auch die Bildfolge konvergent mit dem Grenzwert .

Es sei (1) erfüllt und sei eine Folge in , die gegen konvergiert. Wir müssen zeigen, dass

ist. Dazu sei vorgegeben. Wegen (1) gibt es ein mit der angegebenen Abschätzungseigenschaft und wegen der Konvergenz von gegen gibt es eine natürliche Zahl derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Nach der Wahl von ist dann

sodass die Bildfolge gegen konvergiert.
Es sei (2) erfüllt.  Wir nehmen an, dass nicht stetig ist. Dann gibt es ein derart, dass es für alle Elemente gibt, deren Abstand zu maximal gleich ist, deren Wert unter der Abbildung aber zu einen Abstand besitzt, der größer als ist. Dies gilt dann insbesondere für die Stammbrüche , . D.h. für jede natürliche Zahl gibt es ein mit

Diese so konstruierte Folge konvergiert gegen , aber die Bildfolge konvergiert nicht gegen , da der Abstand der Bildfolgenglieder zu zumindest ist. Dies ist ein Widerspruch zu (2).



Lemma  Lemma 51.6 ändern

Es sei

eine stetige Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Funktion ist durch ihre Werte auf eindeutig festgelegt.
  2. Der Funktionswert ist durch die Funktionswerte , , festgelegt.
  3. Wenn für alle die Abschätzung

    gilt, so gilt auch

  1. Nach Korollar 28.10 gibt es für jede reelle Zahl eine Folge von rationalen Zahlen (sogar von Dezimalbrüchen), die gegen konvergiert. Wegen der Stetigkeit und Lemma 51.5 ist dann
  2. Für jedes ist

    Da die Folge der Stammbrüche eine Nullfolge ist, konvergiert diese Folge gegen . Wegen der Stetigkeit und Lemma 51.5 ist wieder

  3. Dies folgt aus Teil (2) und Lemma 44.14.

Die letzte Aussage gilt nicht, wenn man durch ersetzt.



Rechenregeln für stetige Funktionen



Es seien und Teilmengen und

und

Funktionen mit . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Wenn in und in stetig sind, so ist auch die Hintereinanderschaltung in stetig.
  2. Wenn und stetig sind, so ist auch stetig.

Die Aussage (1) ergibt sich direkt aus der Folgencharakterisierung der Stetigkeit. Daraus folgt auch (2).



Satz  Satz 51.8 ändern

Es sei und seien

stetige Funktionen.

Dann sind auch die Funktionen

stetig. Für eine Teilmenge , auf der keine Nullstelle besitzt, ist auch die Funktion

stetig.

Dies ergibt sich aus der Folgencharakterisierung der Stetigkeit und Lemma 44.11.



Korollar  Korollar 51.9 ändern

Polynomfunktionen

sind stetig.

Aufgrund von Beispiel ***** und Satz 51.8 sind für jedes die Potenzen

stetig. Daher sind auch für jedes die Funktionen

stetig und wiederum aufgrund von Satz 51.8 sind auch alle Funktionen

stetig.


Eine rationale Funktion ist auf ihrer Definitionsmenge stetig.



Es seien Polynome und es sei .

Dann ist die rationale Funktion

stetig.

Dies folgt aus Korollar 51.9 und Satz 51.8.



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