Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil I/Vorlesung 23/kontrolle
- Die rationalen Zahlen
Eine Gleichung der Form
mit fixierten ganzen Zahlen besitzt innerhalb der ganzen Zahlen im Allgemeinen keine Lösung für . Bei und gibt es auch keine Lösung innerhalb einer sinnvollen Zahlenbereichserweiterung. Bei gibt es hingegen innerhalb der rationalen Zahlen eine eindeutige Lösung, nämlich
Wir führen nun die rationalen Zahlen, ausgehend von , ein und zwar zunächst als Menge von Brüchen mit einer bestimmten Identifikation. Anschließend definieren wir eine Addition und eine Multiplikation auf dieser Menge und weisen, ebenfalls unter Bezug auf die ganzen Zahlen, die Gültigkeit der wichtigsten Rechengesetze nach.
Als eine Motivation für die folgende Gleichsetzung von unterschiedlichen Brüchen betrachten wir nochmal die Proportionalität. Zwei ganze Zahlen und definieren einen proportionalen Zusammenhang , der an der Stelle den Wert besitzt. Er besitzt dann an der Stelle den Wert . Dieser Zusammenhang besteht unabhängig davon, ob er durch eine ganzzahlige Konstante in der Form beschrieben werden kann. Ein proportionaler Zusammenhang ist durch ein einziges von verschiedenes Zahlenpaar eindeutig festgelegt, er kann durch die Gerade, die durch und verläuft, graphisch dargestellt werden, unabhängig davon, ob der proportionale Zusammenhang auf ganz definiert ist oder nicht. Dabei bestimmen zwei ganzzahlige Paare und genau dann den gleichen Zusammenhang (die Steigungen der zugehörigen linearen Graphen stimmen überein), wenn sie an der Stelle , wo man die Werte unmittelbar vergleichen kann, den gleichen Wert besitzen. Die Werte sind an dieser Stelle bzw. , sodass genau im Fall
die beiden proportionalen Zusammenhänge als gleich zu betrachten sind. Dies ist eine Grundlage für die in der folgenden Definition auftretenden Überkreuzregel.
Unter einer rationalen Zahl versteht man einen Ausdruck der Form
wobei und sind, und wobei zwei Ausdrücke und genau dann als gleich betrachtet werden, wenn (in ) gilt. Die Menge aller rationalen Zahlen wird mit bezeichnet.
Einen Ausdruck nennt man Bruch, wobei der Zähler und der Nenner des Bruches heißt. Eine rationale Zahl wird durch verschiedene Brüche beschrieben und kann mit unterschiedlichen Zählern und Nennern dargestellt werden, beispielsweise ist
Man sagt auch, dass diese beiden Brüche gleichwertig sind. Für die rationale Zahl schreibt man einfach . In diesem Sinne sind ganze Zahlen insbesondere auch rationale Zahlen. Insbesondere gibt es die Null und die Eins . Es gelten die folgenden Identitäten (dabei seien , ansonsten seien beliebig).
Die Begründung für de Richtigkeit dieser Regeln liegt in der Überkreuzregel. Die letzte Regel heißt Erweiterungsregel (wenn man sie von links nach rechts liest) bzw. Kürzungsregel (wenn man sie von rechts nach links liest). Der Wert eines Bruches (also die rationale Zahl, die durch den Bruch festgelegt ist) ändert sich also nicht, wenn man sowohl den Zähler als auch den Nenner mit der gleichen, von verschiedenen ganzen Zahl multipliziert. Wegen
kann man jede rationale Zahl mit einem positiven Nenner schreiben. Zwei Brüche mit einem gemeinsamen Nenner, also von der Form und , heißen gleichnamig. Zwei beliebige Brüche und kann man gleichnamig machen, indem man sie durch Erweiterung auf einen Hauptnenner bringt. Eine Möglichkeit ist, die beiden Nenner miteinander zu multiplizieren und zu den gleichwertigen Brüchen und überzugehen. Statt mit kann man mit jedem gemeinsamen Vielfachen der beiden Nenner arbeiten.
Ein Bruch heißt gekürzt, wenn und teilerfremd sind.
Zu jeder rationalen Zahl gibt es eine gekürzte Darstellung. Wenn man den Nenner positiv wählt, ist diese Darstellung sogar eindeutig. Man erhält sie, indem man in einer beliebigen Darstellung durch den größten gemeinsamen Teiler des Zählers und des Nenners dividiert und das Vorzeichen anpasst.
Eine rationale Zahl der Form , , heißt Stammbruch.
- Rechenoperationen auf den rationalen Zahlen
Eine über formulierte Gleichung der Form
mit soll bei eine eindeutige Lösung besitzen, nämlich . Um dies formulieren zu können, müssen wir natürlich erstmal eine Multiplikation und eine Addition auf den rationalen Zahlen definieren. Bei gleichnamigen Nenner addiert man einfach die Zähler, auf diesen Fall kann die allgemeine Definition zurückgeführt werden. Mit diesem Übergang, endlich viele rationale Zahlen mit einem gemeinsamen Nenner zu schreiben, kann man häufig Rechnungen und auch theoretische Überlegungen vereinfachen.
Man addiert also zwei rationale Zahlen, indem man die Nenner gleichnamig macht. Diese Operation ist wohldefiniert! Was soll das bedeuten? Es gibt hier das folgende Problem, das gerne übersehen wird. Die beiden rationalen Zahlen und , die miteinander addiert werden sollen, besitzen unterschiedliche Darstellungen als Brüche, beispielsweise ist
und
In der Definition der Addition kann man mit einer beliebigen Bruchdarstellung arbeiten. Dann ergibt sich einerseits, wenn man jeweils die erste Darstellung nimmt, die Summe
und andererseits, wenn man jeweils die zweite Darstellung nimmt, die Summe
Es ist nicht unmittelbar klar, dass hier die gleiche rationale Zahl steht. Wegen und ist aber nach Erweitern mit und Kürzen durch
sodass das Ergebnis als rationale Zahl wohldefiniert ist. Nach der Definition nimmt man für den Nenner das Produkt der beiden Nenner. Man kann aber genauso gut ein beliebiges gemeinsames Vielfaches der beiden Nenner und die entsprechende Erweiterung nehmen. Bei gleichem Nenner ist insbesondere
Auch hier muss man die Wohldefiniertheit der Verknüpfung nachweisen, siehe Aufgabe 23.21. Mit der Multiplikation kann man einen Bruch auch als
schreiben. Bei positivem ist dies die -fache Summe des Stammbruches mit sich selbst.
Die Addition von rationalen Zahlen kann man über die Proportionalitäten begründen. Es sei ein proportionaler Zusammenhang durch
und ein weiterer (gleichskaliger) proportionaler Zusammenhang durch
gegeben. Beispielsweise seien (vergleiche Bemerkung 22.12) die Übernachtungskosten dadurch beschrieben, dass Tage (und Nächte) Euro kosten und die Verpflegungskosten dadurch beschrieben, dass Tage Euro kosten. Wie kann man die beiden Zusammenhänge sinnvoll addieren, also wie viel kostet Übernachtung und Verpflegung zusammen in einem bestimmten Zeitabschnitt? Die beiden Einzelangaben kann man nur dann sinnvoll miteinander verarbeiten, wenn sie sich auf die gleiche Tagesanzahl beziehen. Dies kann man erreichen, indem man zum Produkt der beiden Tagesanzahlen übergeht. Die Übernachtungskosten sind für Tage gleich und die Verpflegungskosten sind für Tage gleich , die Gesamtkosten für Tage sind also Euro.
Für eine entsprechende Interpretation der Multiplikation von rationalen Zahlen muss man die Hintereinanderschaltung von proportionalen Zusammenhängen wie in Bemerkung 22.13 betrachten.
Die Addition und die Multiplikation von rationalen Zahlen erfüllen weitere wichtige algebraische Eigenschaften. Letztlich werden diese auf die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten von zurückgeführt.
Die rationalen Zahlen erfüllen die folgenden Eigenschaften.
- Die Addition ist eine kommutative assoziative Verknüpfung mit als neutralem Element. Zu jedem gibt es ein mit
- Die Multiplikation ist eine kommutative assoziative Verknüpfung mit als neutralem Element. Zu jedem
, ,
gibt es ein mit
- Es gilt das Distributivgesetz.
- Die Kommutativität der Addition folgt unmittelbar aus der Definition und der Kommutativität der ganzzahligen Addition und der ganzzahligen Multiplikation. Zum Nachweis der Assoziativität können wir annehmen, dass alle drei beteiligten rationalen Zahlen den gleichen Nenner haben. Es sei also
Dann ist
Ferner ist
Zu betrachtet man . Dann ist
- Die Kommutativität und die Assoziativität der Multiplikation ergeben sich unmittelbar aus der Definition und den entsprechenden Eigenschaften der ganzzahligen Verknüpfungen. Die
hat die Eigenschaft
es ist also das neutrale Element der Multiplikation. Zu einer rationalen Zahl ist mit (also sowohl der Zähler als auch der Nenner sind von verschieden) und daher ist auch der umgedrehte Bruch
eine rationale Zahl, und es gilt
- Zum Nachweis des Distributivgesetzes sei
Damit ist unter Verwendung des Distributivgesetzes der ganzen Zahlen
Man nennt die negative rationale Zahl zu und man nennt bei
die Zahl die inverse rationale Zahl
(oder den Kehrwert)
zu .
- Körper
Wir erfassen die algebraischen Eigenschaften, die für die rationalen Zahlen gelten, mit einem eigenen Begriff.
Eine Menge heißt ein Körper, wenn es zwei Verknüpfungen (genannt Addition und Multiplikation)
und zwei verschiedene Elemente gibt, die die folgenden Eigenschaften erfüllen.
- Axiome der Addition
- Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
- Kommutativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Addition, d.h. für alle ist .
- Existenz des Negativen: Zu jedem gibt es ein Element mit .
- Axiome der Multiplikation
- Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
- Kommutativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Multiplikation, d.h. für alle ist .
- Existenz des Inversen: Zu jedem mit gibt es ein Element mit .
- Distributivgesetz: Für alle gilt .
Da wir den Ringbegriff schon haben, kann man auch die folgende kürzere Definition verwenden.
Ein kommutativer Ring heißt Körper, wenn ist und wenn jedes von verschiedene Element ein multiplikatives Inverses besitzt.
Ein Körper ist also insbesondere ein kommutativer Ring. Jede Eigenschaft, die in einem kommutativen Ring gilt, gilt auch in einem Körper (aber nicht umgekehrt).
Die beiden wichtigsten Körper sind für uns der Körper der rationalen Zahlen und der Körper der reellen Zahlen, der Körper mit zwei Elementen wurde in Beispiel 11.4 besprochen. Zu einem Element bezeichnet man, wie in jedem kommutativen Ring, dasjenige Element, das mit addiert die ergibt, als das Negative von , geschrieben . Zu einem Element , , bezeichnet man dasjenige Element, das mit multipliziert die ergibt, als das Inverse von (oder den Kehrwert von oder die zu reziproke Zahl), geschrieben . Auch dieses ist eindeutig bestimmt.
In einem Körper wird für beliebige Elemente mit , die Bruchschreibweise
verwendet. Es handelt sich also um eine Abkürzung für das Produkt von mit dem inversen Element von . Die Zahl ist das eindeutig bestimmte Element, das mit multipliziert das Element ergibt. Diese Schreibweise passt mit der Bruchschreibweise für rationale Zahlen zusammen, da ja
ist.
Die Berechnung von
nennt man Division, wobei der Dividend und der Divisor der Division heißt, das Ergebnis heißt Quotient.
In einem Körper ist wie in jedem kommutativen Ring die additive Struktur eine kommutative Gruppe. Insbesondere besitzt in jedem Körper eine Gleichung der Form
mit eine eindeutige Lösung, nämlich
wie sich direkt aus Lemma 19.8 ergibt. Darüber hinaus ist zu jedem Körper die multiplikative Struktur, wenn man die herausnimmt, also eine kommutative Gruppe. Dies bedeutet wiederum, dass eine Gleichung der Form
mit eine eindeutige Lösung in besitzt, nämlich
Die folgende Eigenschaft heißt die Nichtnullteilereigenschaft eines Körpers. Sie gilt auch für , im Allgemeinen aber nicht für jeden kommutativen Ring, siehe Aufgabe 19.5.
In einem Körper kann man die Potenzschreibweise erweitern. Zu
, ,
und einer natürlichen Zahl
versteht man, wie in jedem kommutativen Ring, unter das -fache Produkt von mit sich selbst
( Faktoren).
Für negatives
schreibt man
mit
und setzt
Für diese Potenzen gelten die folgenden Potenzgesetze, die die Potenzgesetze für positive Exponenten (siehe Lemma 11.8), die in jedem kommutativen Halbring gelten, wesentlich erweitern.
Es sei ein Körper und seien Elemente aus . Dann gelten die folgenden Potenzgesetze für .
- Es ist
- Es ist das inverse Element zu .
(1) folgt aus Aufgabe 19.13, da eine Gruppe ist. (2). Bei ist die linke Gleichheit eine Definition und die Behauptung folgt aus
Daraus folgt auch die Aussage für negatives . Für (3), (4), (5) siehe Aufgabe 23.42.