Kurs:Invariantentheorie (Osnabrück 2012-2013)/Vorlesung 19/latex

\setcounter{section}{19}






\zwischenueberschrift{Die Hilbert-Reihe und die Formel von Molien}

Wir setzen nun die Untersuchung der Invariantenringe
\mathl{K[X_1 , \ldots , X_n]^G}{} zu einer endlichen Gruppe
\mathl{G \subseteq \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{} fort. Insbesondere wollen wir charakterisieren, wann der Invariantenring ein Polynomring ist, wie das beispielsweise bei der symmetrischen Gruppe der Fall ist. Für diese Fragestellung ist das Konzept der Hilbert-Reihe hilfreich.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und $R$ eine \definitionsverweis {positiv-graduierte}{}{} \definitionsverweis {kommutative}{}{} $K$-\definitionsverweis {Algebra}{}{} mit der Eigenschaft, dass für jedes
\mathl{d \in \N}{} die \definitionsverweis {Stufe}{}{} $R_d$ \definitionsverweis {endlichdimensional}{}{} ist. Dann nennt man die \definitionsverweis {Potenzreihe}{}{}
\mathdisp {\sum_{d =0 }^\infty \dim_{ K } { \left( R_d \right) } z^d} { }
die \definitionswort {Hilbert-Reihe}{} von $R$.

}

Es handelt sich also um eine Potenzreihe mit Koeffizienten aus $\N$. Wir werden sie als formale Potenzreihe handhaben, Konvergenzuntersuchungen werden keine Rolle spielen. Die Hilbert-Reihe hängt nicht nur von dem Ring, sondern auch wesentlich von der gegebenen Graduierung ab. Die Hilbert-Reihe eines Polynomringes, wobei die Variablen positiven Grad besitzen, hat folgende Gestalt.





\inputfaktbeweis
{Polynomring/Positiv graduiert/Hilbert-Reihe/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und es sei
\mathl{R=K[X_1 , \ldots , X_n]}{} der \definitionsverweis {Polynomring}{}{} über $K$, wobei die $X_i$ den positiven Grad
\mathl{d_i \in \N_+}{} haben mögen.}
\faktfolgerung {Dann ist die \definitionsverweis {Hilbert-Reihe}{}{} dieses Ringes gleich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ H(R,z) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ { \left( 1-z^{d_1} \right) } \cdots { \left( 1-z^{d_n} \right) } } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Die Monome
\mathl{X^{\nu_1}_1 \cdots X^{\nu_n}_n}{} vom Gesamtgrad
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{d }
{ = }{ \sum_{j = 1}^n d_j\nu_j }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} bilden eine $K$-\definitionsverweis {Basis}{}{} von $R_d$. Die \definitionsverweis {Dimension}{}{} der $d$-ten Stufe $R_d$ ist also die Anzahl der Elemente in der Menge
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ A_d }
{ \defeq} { { \left\{ (\nu_1 , \ldots , \nu_n) \in \N^n \mid \nu_1 d_1+\ldots+\nu_n d_n = d \right\} } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Die Behauptung folgt somit aus
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ \sum^\infty_{d = 0} \betrag { A_d } z^d }
{ =} { \sum^\infty_{d = 0} \sum_{(\nu_1 , \ldots , \nu_n) \in A_d} z^d }
{ =} { { \left( \sum^\infty_{\nu_1 = 0} z^{\nu_1 d_1} \right) } \cdots { \left( \sum^\infty_{\nu_n = 0} z^{\nu_n d_n} \right) } }
{ =} { \frac{1}{1-z^{d_1} } \cdots \frac{1}{1-z^{d_n} } }
{ } {}
} {} {}{,} wobei wir im letzten Schritt die Formel für die \definitionsverweis {geometrische Reihe}{}{} verwendet haben.

}


Die lineare Operation von einer endlichen Gruppe $G$ auf einem $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{} $V$ bzw. auf dem zugehörigen Polynomring
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{R }
{ = }{K[V] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} induziert eine $K$-lineare Operation \maabb {} {R_d} {R_d } {} in jeder Stufe und der \definitionsverweis {Invariantenring}{}{} $R^G$ ist selbst graduiert. Dies ermöglicht folgende Definition.


\inputdefinition
{}
{

Die \definitionsverweis {endliche Gruppe}{}{} $G$ \definitionsverweis {operiere linear}{}{} auf dem \definitionsverweis {Polynomring}{}{}
\mathl{R=K[X_1,\ldots,X_n]}{.} Dann nennt man die \definitionsverweis {Potenzreihe}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Phi_G(z) }
{ =} { \sum^\infty_{d = 0} \dim_{ K } { \left( R^G_d \right) } z^d }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {Hilbert-Reihe}{} \zusatzklammer {oder \definitionswort {Molien-Reihe}{}} {} {} zu dieser Operation.

}

Die Dimensionen der homogenen Stufen sind endlich und daher ist diese Definition sinnvoll. Die Hilbert-Reihe zur Operation ist einfach die Hilbert-Reihe des Invariantenringes.

Die Dimension des \definitionsverweis {Fixraumes}{}{} zu einer linearen Operation kann man über die \definitionsverweis {Spur}{}{} der einzelnen Automorphismen berechnen. Wir erinnern an die Definition der \stichwort {Spur} {} einer Matrix und eines Endomorphismus.


\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ M }
{ = }{{ \left( a _{ i j } \right) }_{ i j } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine $n \times n$-\definitionsverweis {Matrix}{}{} über $K$. Dann heißt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Spur} { \left( M \right) } }
{ \defeq} {\sum_{ i = 1 }^{ n } a_{ii} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \definitionswort {Spur}{} von $M$.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und sei $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{.} Es sei \maabb {\varphi} {V} {V } {} eine \definitionsverweis {lineare Abbildung}{}{,} die bezüglich einer \definitionsverweis {Basis}{}{} durch die \definitionsverweis {Matrix}{}{} $M$ beschrieben werde. Dann nennt man
\mathl{\operatorname{Spur} { \left( M \right) }}{} die \definitionswort {Spur}{} von $\varphi$, geschrieben
\mathl{\operatorname{Spur} { \left( \varphi \right) }}{.}

}

Diese Definition ist unabhängig von der gewählten Basis, siehe Aufgabe 19.5.




\inputfaktbeweis
{Endliche Gruppe/Lineare Operation/Invariantendimension über Spur/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {Körper}{}{} und $V$ ein \definitionsverweis {endlichdimensionaler}{}{} $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{,} auf dem eine \definitionsverweis {endliche Gruppe}{}{} $G$ \definitionsverweis {linear}{}{} und \definitionsverweis {treu}{}{} \definitionsverweis {operiere}{}{.}}
\faktvoraussetzung {Die \definitionsverweis {Gruppenordnung}{}{} sei kein Vielfaches der \definitionsverweis {Charakteristik}{}{} von $K$.}
\faktfolgerung {Dann besitzt der \definitionsverweis {Fixraum der Operation}{}{} \zusatzklammer {also der gemeinsame Eigenraum zum Eigenwert $1$} {} {} die \definitionsverweis {Dimension}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \dim_{ K } { \left( V^G \right) } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma \in G} \operatorname{Spur} { \left( \sigma \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Wir betrachten die lineare Abbildung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \pi }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \betrag { G } } } \sum_{\sigma\in G}\sigma }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Zu
\mathl{w \in V}{} ist
\mathl{\pi (w)}{} $G$-invariant und für
\mathl{v \in V^G}{} ist
\mathl{\pi (v)= v}{.} Daher ist $\pi$ eine \definitionsverweis {lineare Projektion}{}{} \maabbdisp {} {V} {V^G } {.} Eine lineare Projektion wird in einer geeigneten \definitionsverweis {Basis}{}{} durch eine \definitionsverweis {Diagonalmatrix}{}{} beschrieben, in der
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ m }
{ = }{ \dim_{ K } { \left( V^G \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} Einsen und sonst Nullen stehen. Also ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Spur} { \left( \pi \right) } }
{ = }{m }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Die Behauptung folgt daraus, dass die \definitionsverweis {Spur}{}{} additiv ist.

}


Der folgende Satz berechnet die Hilbert-Reihe \zusatzklammer {Formel von Molien} {} {.}





\inputfaktbeweis
{Invariantenring/Formel von Molien/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {algebraisch abgeschlossener Körper}{}{} der \definitionsverweis {Charakter\-istik}{}{} $0$. Die \definitionsverweis {endliche Gruppe}{}{} $G$ \definitionsverweis {operiere linear}{}{} auf einem \definitionsverweis {endlichdimensionalen}{}{} $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{} $V$.}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Phi_G(z) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ { \# \left( G \right) } } } \sum_{\sigma \in G} { \frac{ 1 }{ \det { \left( \operatorname{Id} -z \sigma \right) } } } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Der lineare Automorphismus $\sigma$ ist nach Satz 3.19 \definitionsverweis {diagonalisierbar}{}{,} da er \definitionsverweis {endliche Ordnung}{}{} hat. In einer geeigneten Basis besitzt die \definitionsverweis {duale Abbildung}{}{} ${ \sigma }^{ * }$ die Gestalt
\mathdisp {X_i \longmapsto \xi_i X_i} { . }
Auf der $d$-ten Stufe induziert dies den linearen Automorphismus \maabbdisp {\sigma^{(d)}} {K[V]_d } {K[V]_d } {} mit
\mathl{X^\nu \longmapsto \xi^\nu X^\nu}{.} Die \definitionsverweis {Eigenvektoren}{}{} von
\mathl{\sigma^{(d)}}{} sind die
\mathl{\binom{n+d-1}{d}}{} verschiedenen Monome
\mathdisp {X_{1}^{\nu_1} \cdots X_{n}^{\nu_n}} { }
\zusatzklammer {es sei
\mathl{n= \dim_{ K } { \left( V \right) }}{}} {} {} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \nu_1 + \cdots + \nu_n }
{ = }{ d }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit den \definitionsverweis {Eigenwerten}{}{}
\mathl{\xi_{1}^{\nu_1} \cdots \xi_{n}^{\nu_n}}{.} Die Spur von
\mathl{\sigma^{(d)}}{} ist daher
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Spur} { \left( \sigma^{(d)} \right) } }
{ =} {\sum_{ \betrag { \nu } = d} \xi^\nu }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Nach Lemma 19.6 ergibt sich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \dim_{ K } { \left( \right) } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma \in G} \operatorname{Spur} { \left( \sigma^{(d)} \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} mit
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Spur} { \left( \sigma^{(d)} \right) } }
{ =} { \sum_{\nu_1 + \cdots + \nu_n = d}\xi^{\nu_1}_{1} \cdots \xi^{\nu_n}_{n} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Damit ist unter Verwendung der \definitionsverweis {geometrischen Reihe}{}{}
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{ \Phi_G(z) }
{ =} { \sum_{d=0}^\infty { \left( { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma \in G} \operatorname{Spur} { \left( \sigma^{(d)} \right) } \right) } z^d }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum^\infty_{d = 0} { \left( \sum_{\sigma\in G} \sum_{\nu_1 + \cdots + \nu_n=d}\xi^{\nu_1}_{\sigma,1} \cdots \xi^{\nu_n}_{\sigma,n} \right) } z^d }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma\in G} \sum_{(\nu_1 , \ldots , \nu_n) \in \N^n} \xi^{\nu_1}_{\sigma,1} \cdots \xi^{\nu_n}_{\sigma,n} z^{\nu_1 + \cdots + \nu_n} }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma\in G} { \left( \sum_{\nu_1 = 0}^\infty \xi_{\sigma,1} ^{\nu_1} z^{\nu_1} \right) } \cdots { \left( \sum_{\nu_n = 0}^\infty \xi_{\sigma,n}^{\nu_n} z^{\nu_n} \right) } }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma\in G} { \frac{ 1 }{ { \left( 1-z \xi_{\sigma,1} \right) } \cdots { \left( 1-\xi_{\sigma, n} \right) } } } }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\sigma\in G} { \frac{ 1 }{ \det { \left( \operatorname{Id} -z \sigma \right) } } } }
{ } {}
{ } {}
} {}{.}

}


Die Formel besagt insbesondere, dass diese Potenzreihe eine rationale Funktion \zusatzklammer {also ein Quotient aus zwei Polynomen} {} {} ist und daher nur endlich viele Polstellen hat. Die Nennerpolynome in den Summanden erinnern an die \definitionsverweis {charakteristischen Polynome}{}{} der Gruppenelemente, doch steht hier die Variable bei der linearen Abbildung, nicht bei der Identität.






\zwischenueberschrift{Der Satz von Chevalley-Shephard-Todd}

Wir wenden uns nun der Charakterisierung derjenigen linearen Operationen auf dem Polynomring zu, die zu einem Invariantenring führen, der selbst ein Polynomring ist.




\inputdefinition
{}
{

Ein \definitionsverweis {linearer Automorphismus}{}{} auf einem \definitionsverweis {endlichdimensionalen}{}{} $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{} heißt \definitionswort {Pseudoreflektion}{} \zusatzklammer {oder \definitionswort {Pseudospiegelung}{}} {} {,} wenn er in einer geeigneten Basis durch eine Matrix der Form
\mathdisp {\begin{pmatrix} 1 & 0 & \cdots & \cdots & 0 \\ 0 & 1 & 0 & \cdots & 0 \\ \vdots & \ddots & \ddots & \ddots & \vdots \\ 0 & \cdots & 0 & 1 & 0 \\ 0 & \cdots & \cdots & 0 & \zeta \end{pmatrix}} { , }
wobei
\mathl{\zeta \neq 1}{} eine \definitionsverweis {Einheitswurzel}{}{} ist, beschrieben werden kann.

}

Eine Pseudoreflektion besitzt also eine Hyperebene \zusatzklammer {einen $(n-1)$-dimensionalen Untervektorraum} {} {,} auf der sie fix ist \zusatzklammer {der \definitionsverweis {Eigenraum}{}{} zum \definitionsverweis {Eigenwert}{}{} $1$} {} {} und einen weiteren dazu linear unabhängigen Eigenvektor zum Eigenwert $\zeta$. Die Ordnung der Einheitswurzel $\zeta$ bestimmt auch die Ordnung der Pseudoreflektion. Das Inverse einer Pseudoreflektion ist wieder eine Pseudoreflektion.




\inputdefinition
{}
{

Eine \definitionsverweis {endliche Untergruppe}{}{}
\mathl{G \subseteq \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{} heißt \definitionswort {Reflektionsgruppe}{} \zusatzklammer {oder \definitionswort {Spiegelungsgruppe}{}} {} {,} wenn sie durch \definitionsverweis {Pseudoreflektionen}{}{} \definitionsverweis {erzeugt}{}{} wird.

}

Man beachte, dass dies keine Eigenschaft der \zusatzklammer {abstrakten} {} {} Gruppe $G$ ist, sondern eine Eigenschaft der Untergruppe
\mathl{G \subseteq \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{.} In einer Reflektionsgruppe kann man jedes Element $\tau$ als ein Produkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{\tau }
{ = }{ \sigma_1 \cdots \sigma_k }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit Pseudoreflektionen $\sigma_j$ schreiben.

Die Bedeutung von Reflektionsgruppen in der Invariantentheorie kommt im folgenden wichtigen Satz, dem \stichwort {Satz von Chevalley-Shephard-Todd} {,} zum Ausdruck.




\inputfakt{Chevalley-Shephard-Todd/Fakt}{Satz}{} {

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {algebraisch abgeschlossener Körper}{}{} der \definitionsverweis {Charakteristik}{}{} null. Die \definitionsverweis {endliche Gruppe}{}{} $G$ \definitionsverweis {operiere linear}{}{} und \definitionsverweis {treu}{}{} auf dem $K$-\definitionsverweis {Vektorraum}{}{} $V$.}
\faktuebergang {Dann sind folgende Aussagen äquivalent.}
\faktfolgerung {\aufzaehlungzwei {
\mathl{G\subseteq \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{} ist eine \definitionsverweis {Reflektionsgruppe}{}{.} } {Der \definitionsverweis {Invariantenring}{}{}
\mathl{K[X_1 , \ldots , X_n]^G}{} ist \zusatzklammer {isomorph zu einem} {} {} ein \definitionsverweis {Polynomring}{}{} \zusatzklammer {in $n$ Variablen} {} {.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}

Aus Dimensionsgründen ist klar, dass wenn der Invariantenring ein Polynomring ist, dieser $n$ Variablen besitzt. Der Beweis dieses Satzes benutzt verschiedene Lemmata und verwendet die Theorie der Hilbert-Reihen. Hierbei werden verschiedene elementare Hilfsmittel aus der Theorie der Potenzreihen verwendet.





\inputfaktbeweis
{Reflektion/Linearform/Teilungseigenschaft/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {algebraisch abgeschlossener Körper}{}{} und
\mathl{\sigma \in \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{} eine \definitionsverweis {Pseudoreflektion}{}{.} Es sei $H_\sigma$ der \definitionsverweis {Fixraum}{}{} zu $\sigma$ und $L_\sigma$ eine \definitionsverweis {Linearform}{}{} $\neq 0$, die auf $H_\sigma$ verschwindet.}
\faktfolgerung {Dann ist $L_\sigma$ für jedes Polynom
\mathl{f \in K[X_1 , \ldots , X_n]}{} ein Teiler von
\mathl{f\sigma - f}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Für
\mathl{v \in H_\sigma}{} ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ ( f \sigma - f)(v) }
{ =} {f(\sigma v)-f(v) }
{ =} {f(v)-f(v) }
{ =} { 0 }
{ } { }
} {}{}{.} Das Polynom
\mathl{f\sigma -f}{} verschwindet also auf der \definitionsverweis {Nullstellenmenge}{}{} von $L_\sigma$. Wir können $L_\sigma$ zu einer Variablenmenge
\mathl{L_\sigma,L_2 , \ldots , L_n}{} ergänzen und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{f \sigma -f }
{ =} { P(L_\sigma,L_2 , \ldots , L_n) L_\sigma + Q(L_2 , \ldots , L_n) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} schreiben. Das Polynom $Q$ verschwindet auf $H_\sigma$ und ist somit die Nullfunktion, also muss es auch das Nullpolynom sein, da der Körper unendlich ist.

}





\inputfaktbeweis
{Reflektionsgruppe/Hilbert-Ideal/Alternative/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $K$ ein \definitionsverweis {algebraisch abgeschlossener Körper}{}{} der \definitionsverweis {Charakteristik}{}{} $0$ und
\mathl{G \subseteq \operatorname{GL}_{ n } \! { \left( K \right) }}{} eine \definitionsverweis {Reflektionsgruppe}{}{.} Es sei $I_G$ das \definitionsverweis {Ideal}{}{} in
\mathl{K[X_1 , \ldots , X_n]}{,} das durch die homogenen Invarianten von einem positiven \definitionsverweis {Grad}{}{} \definitionsverweis {erzeugt}{}{} wird.}
\faktvoraussetzung {Es gelte
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ g_1h_1 + \cdots + g_mh_m }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei die
\mathl{h_1 , \ldots , h_m \in K[X_1 , \ldots , X_n]}{} homogene Polynome und die
\mathl{g_1 , \ldots , g_m \in K[X_1 , \ldots , X_n]^G}{} invariante Polynome seien.}
\faktfolgerung {Dann ist
\mathl{h_1\in I_G}{} oder
\mathl{g_1 \in(g_2 , \ldots , g_m)}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Wir führen Induktion über den Grad von $h_1$. Bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{h_1 }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gehört natürlich $h_1$ zu $I_G$. Für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{h_1 }
{ \neq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{grad} \, (h_i) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist
\mathl{g_1 \in(g_2 , \ldots , g_m)}{.} Es sei also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{grad} \, (h_1) }
{ \geq }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und die Aussage für kleineren Grad bewiesen. Es sei
\mathl{g_1 \notin (g_2 , \ldots , g_m)}{} vorausgesetzt und es sei
\mathl{\sigma\in G}{} eine \definitionsverweis {Pseudoreflektion}{}{.} Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \sum_{i=1}^m g_i \cdot( h_i \sigma ) }
{ =} { { \left( \sum_{i= 1}^m g_ih_i \right) } \sigma }
{ =} { 0 \sigma }
{ =} { 0 }
{ } { }
} {}{}{.} Nach Lemma 19.11 kann man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{h_i \sigma }
{ =} { h_i+L_\sigma \cdot\widetilde{h}_i }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} schreiben, wobei $L_\sigma$ eine beschreibende Linearform des Fixraumes zu $\sigma$ ist und
\mathl{\widetilde{h}_i}{} einen kleineren Grad als $h_i$ besitzt. Wir schreiben die obige Gleichung als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ 0 }
{ =} { \sum^m_{i=1} g_i { \left( h_i+L_\sigma\widetilde{h}_i \right) } }
{ =} { L_\sigma\sum^m_{i=1}g_i \widetilde{h}_i }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Daher ist die Summe rechts gleich $0$ und nach Induktionsvoraussetzung ist
\mathl{\widetilde{h}_1 \in I_G}{,} also auch
\mathl{h_1\sigma-h_1=\widetilde{h}_1 L_\sigma\in I_G}{.}

Es sei nun
\mathl{\tau=\sigma_1 \cdots \sigma_k \in G}{} ein Produkt von Pseudoreflektionen. Dann ist
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{h_1\tau -h_1 }
{ =} { \sum_{i = 1}^k { \left( h_1 \sigma_i \cdots \sigma_k -h_1 \sigma_{i+1} \cdots \sigma_{k} \right) } }
{ =} { \sum_{i = 1}^k { \left( h_1 \sigma_i - h_1 \right) } { \left( \sigma_{i+1} \cdots\sigma_{ k} \right) } }
{ } {}
{ } {}
} {} {}{.} Da
\mathl{h_1\sigma_{i}-h_1}{} zu $I_G$ gehört und $I_G$ unter $G$ invariant ist, gehört auch
\mathl{h_1\tau-h_1}{} zu $I_G$. Mit dem \definitionsverweis {Reynolds-Operator}{}{} $\rho$ ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \rho(h_1)-h_1 }
{ =} { { \left( { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{\tau \in G} h_1 \tau \right) } -h_1 }
{ =} { { \frac{ 1 }{ \operatorname {ord} { { \left( G \right) } } } } \sum_{ \tau \in G} { \left( h_1 \tau -h_1 \right) } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Dies gehört zu $I_G$ und wegen
\mathl{\rho(h_1) \in I_G}{} ist auch
\mathl{h_1 \in I_G}{.}

}


<< | Kurs:Invariantentheorie (Osnabrück 2012-2013) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)