Kurs:Invariantentheorie (Osnabrück 2012-2013)/Vorlesung 19
- Die Hilbert-Reihe und die Formel von Molien
Wir setzen nun die Untersuchung der Invariantenringe zu einer endlichen Gruppe fort. Insbesondere wollen wir charakterisieren, wann der Invariantenring ein Polynomring ist, wie das beispielsweise bei der symmetrischen Gruppe der Fall ist. Für diese Fragestellung ist das Konzept der Hilbert-Reihe hilfreich.
Es sei ein Körper und eine positiv-graduierte kommutative - Algebra mit der Eigenschaft, dass für jedes die Stufe endlichdimensional ist. Dann nennt man die Potenzreihe
die Hilbert-Reihe von .
Es handelt sich also um eine Potenzreihe mit Koeffizienten aus . Wir werden sie als formale Potenzreihe handhaben, Konvergenzuntersuchungen werden keine Rolle spielen. Die Hilbert-Reihe hängt nicht nur von dem Ring, sondern auch wesentlich von der gegebenen Graduierung ab. Die Hilbert-Reihe eines Polynomringes, wobei die Variablen positiven Grad besitzen, hat folgende Gestalt.
Es sei ein Körper und es sei der Polynomring über , wobei die den positiven Grad haben mögen.
Dann ist die Hilbert-Reihe dieses Ringes gleich
Die Monome vom Gesamtgrad bilden eine - Basis von . Die Dimension der -ten Stufe ist also die Anzahl der Elemente in der Menge
Die Behauptung folgt somit aus
wobei wir im letzten Schritt die Formel für die geometrische Reihe verwendet haben.
Die lineare Operation von einer endlichen Gruppe auf einem
-
Vektorraum
bzw. auf dem zugehörigen Polynomring
induziert eine -lineare Operation
in jeder Stufe und der
Invariantenring
ist selbst graduiert. Dies ermöglicht folgende Definition.
Die endliche Gruppe operiere linear auf dem Polynomring . Dann nennt man die Potenzreihe
die Hilbert-Reihe (oder Molien-Reihe) zu dieser Operation.
Die Dimensionen der homogenen Stufen sind endlich und daher ist diese Definition sinnvoll. Die Hilbert-Reihe zur Operation ist einfach die Hilbert-Reihe des Invariantenringes.
Die Dimension des Fixraumes zu einer linearen Operation kann man über die Spur der einzelnen Automorphismen berechnen. Wir erinnern an die Definition der Spur einer Matrix und eines Endomorphismus.
Es sei ein Körper und sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei eine lineare Abbildung, die bezüglich einer Basis durch die Matrix beschrieben werde. Dann nennt man die Spur von , geschrieben .
Diese Definition ist unabhängig von der gewählten Basis, siehe Aufgabe 19.5.
Es sei ein Körper und ein endlichdimensionaler - Vektorraum, auf dem eine endliche Gruppe linear und treu operiere. Die Gruppenordnung sei kein Vielfaches der Charakteristik von .
Dann besitzt der Fixraum der Operation (also der gemeinsame Eigenraum zum Eigenwert ) die Dimension
Wir betrachten die lineare Abbildung
Zu ist -invariant und für ist . Daher ist eine lineare Projektion
Eine lineare Projektion wird in einer geeigneten Basis durch eine Diagonalmatrix beschrieben, in der Einsen und sonst Nullen stehen. Also ist . Die Behauptung folgt daraus, dass die Spur additiv ist.
Der folgende Satz berechnet die Hilbert-Reihe
(Formel von Molien).
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik . Die endliche Gruppe operiere linear auf einem endlichdimensionalen - Vektorraum .
Dann ist
Der lineare Automorphismus ist nach Satz 3.19 diagonalisierbar, da er endliche Ordnung hat. In einer geeigneten Basis besitzt die duale Abbildung die Gestalt
Auf der -ten Stufe induziert dies den linearen Automorphismus
mit . Die Eigenvektoren von sind die verschiedenen Monome
(es sei ) mit mit den Eigenwerten . Die Spur von ist daher
Nach Lemma 19.6 ergibt sich
mit
Damit ist unter Verwendung der geometrischen Reihe
Die Formel besagt insbesondere, dass diese Potenzreihe eine rationale Funktion
(also ein Quotient aus zwei Polynomen)
ist und daher nur endlich viele Polstellen hat. Die Nennerpolynome in den Summanden erinnern an die
charakteristischen Polynome
der Gruppenelemente, doch steht hier die Variable bei der linearen Abbildung, nicht bei der Identität.
- Der Satz von Chevalley-Shephard-Todd
Wir wenden uns nun der Charakterisierung derjenigen linearen Operationen auf dem Polynomring zu, die zu einem Invariantenring führen, der selbst ein Polynomring ist.
Ein linearer Automorphismus auf einem endlichdimensionalen - Vektorraum heißt Pseudoreflektion (oder Pseudospiegelung), wenn er in einer geeigneten Basis durch eine Matrix der Form
wobei eine Einheitswurzel ist, beschrieben werden kann.
Eine Pseudoreflektion besitzt also eine Hyperebene (einen -dimensionalen Untervektorraum), auf der sie fix ist (der Eigenraum zum Eigenwert ) und einen weiteren dazu linear unabhängigen Eigenvektor zum Eigenwert . Die Ordnung der Einheitswurzel bestimmt auch die Ordnung der Pseudoreflektion. Das Inverse einer Pseudoreflektion ist wieder eine Pseudoreflektion.
Eine endliche Untergruppe heißt Reflektionsgruppe (oder Spiegelungsgruppe), wenn sie durch Pseudoreflektionen erzeugt wird.
Man beachte, dass dies keine Eigenschaft der (abstrakten) Gruppe ist, sondern eine Eigenschaft der Untergruppe . In einer Reflektionsgruppe kann man jedes Element als ein Produkt mit Pseudoreflektionen schreiben.
Die Bedeutung von Reflektionsgruppen in der Invariantentheorie kommt im folgenden wichtigen Satz, dem Satz von Chevalley-Shephard-Todd, zum Ausdruck.
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik null. Die endliche Gruppe operiere linear und treu auf dem - Vektorraum . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist eine Reflektionsgruppe.
- Der Invariantenring ist (isomorph zu einem) ein Polynomring (in Variablen).
Aus Dimensionsgründen ist klar, dass wenn der Invariantenring ein Polynomring ist, dieser Variablen besitzt. Der Beweis dieses Satzes benutzt verschiedene Lemmata und verwendet die Theorie der Hilbert-Reihen. Hierbei werden verschiedene elementare Hilfsmittel aus der Theorie der Potenzreihen verwendet.
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und eine Pseudoreflektion. Es sei der Fixraum zu und eine Linearform , die auf verschwindet.
Dann ist für jedes Polynom ein Teiler von .
Für ist
Das Polynom verschwindet also auf der Nullstellenmenge von . Wir können zu einer Variablenmenge ergänzen und
schreiben. Das Polynom verschwindet auf und ist somit die Nullfunktion, also muss es auch das Nullpolynom sein, da der Körper unendlich ist.
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper der Charakteristik und eine Reflektionsgruppe. Es sei das Ideal in , das durch die homogenen Invarianten von einem positiven Grad erzeugt wird. Es gelte
wobei die homogene Polynome und die invariante Polynome seien.
Dann ist oder .
Wir führen Induktion über den Grad von . Bei gehört natürlich zu . Für und ist . Es sei also und die Aussage für kleineren Grad bewiesen. Es sei vorausgesetzt und es sei eine Pseudoreflektion. Dann ist
Nach Lemma 19.11 kann man
schreiben, wobei eine beschreibende Linearform des Fixraumes zu ist und einen kleineren Grad als besitzt. Wir schreiben die obige Gleichung als
Daher ist die Summe rechts gleich und nach Induktionsvoraussetzung ist , also auch .
Es sei nun ein Produkt von Pseudoreflektionen. Dann ist
Da zu gehört und unter invariant ist, gehört auch zu . Mit dem Reynolds-Operator ist
Dies gehört zu und wegen ist auch .
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