Kurs:Einführung in die Algebra (Osnabrück 2009)/Vorlesung 6

Bevor wir die Gruppentheorie weiter entwickeln und insbesondere die Restklassenbildung sinnvoll behandeln können ist es notwendig, einige grundlegende mengentheoretische Konzepte sich klar zu machen, insbesondere das Konzept der Äquivalenzrelation.



Relationen auf einer Menge
Ein Pfeildiagramm ist eine Möglichkeit, eine Relation darzustellen.

Eine Relation auf einer Menge ist eine Teilmenge der Produktmenge , also .

Wenn ein Paar zu gehört, so sagt man auch, dass und in der Relation stehen. Statt verwendet man häufig suggestivere Schreibweisen wie oder oder . Dabei werden manche Symbole nur verwendet, wenn die Relation gewisse zusätzliche Eigenschaften erfüllt. Die wichtigsten Eigenschaften fasst die folgende Definition zusammen.


Es sei eine Menge und eine Relation auf . Man nennt

    • reflexiv, wenn

    gilt für alle .

    • transitiv, wenn für beliebige

    aus und aus stets folgt.

    • symmetrisch, wenn für beliebige

    aus auch folgt.

    • antisymmetrisch, wenn für beliebige

    aus und die Gleichheit folgt.



    Ordnungsrelationen

    Eine reflexive, transitive und antisymmetrische Relation nennt man eine Ordnung, wofür man häufig ein Symbol wie verwendet.


    Eine Relation auf einer Menge heißt Ordnungsrelation oder Ordnung, wenn folgende drei Bedingungen erfüllt sind.

    1. Es ist für alle .
    2. Aus und folgt stets .
    3. Aus und folgt .

    Eine Menge mit einer fixierten Ordnung darauf heißt geordnete Menge. Wenn zusätzlich gilt, dass für je zwei Elemente oder gilt, so spricht man von einer total geordneten Menge.


    Die reellen Zahlen (ebenso die rationalen Zahlen und die ganzen Zahlen) sind total geordnet durch die Größergleichrelation . Dies gehört zum Begriff des angeordneten Körpers, der nicht nur verlangt, dass eine totale Ordnung erklärt ist, sondern auch, dass diese mit den algebraischen Operationen verträglich ist. Die strikte Größerrelation ist keine Ordnungsrelation, da sie nicht reflexiv ist. Der Körper der komplexen Zahlen ist nicht angeordnet (und lässt sich auch nicht anordnen).



    Wir betrachten die positiven ganzen Zahlen zusammen mit der Teilbarkeitsbeziehung. Man sagt, dass eine Zahl die Zahl teilt, geschrieben

    wenn es eine weitere natürliche Zahl mit

    gibt. Die Bezeichnung ist nicht sonderlich glücklich gewählt, da ein symmetrisches Symbol für eine nichtsymmetrische Relation verwendet wird. Die Teilbarkeitsrelation ist in der Tat reflexiv, da stets ist, wie zeigt. Die Transitivität sieht man so: sei und mit und . Dann ist und daher . Die Antisymmetrie folgt so: Aus und folgt . Da wir uns auf positive natürliche Zahlen beschränken, folgt und daraus . Also ist Einfache Beispiele wie und zeigen, dass hier keine totale Ordnung vorliegt, da weder von noch umgekehrt geteilt wird.



    Es sei eine beliebige Menge und die Potenzmenge davon. Dann sind die Elemente aus - also die Teilmengen von - durch die Inklusionsbeziehung geordnet. Die Reflexivität bedeutet einfach, dass eine jede Menge in sich selbst enthalten ist und die Transitivität bedeutet, dass aus und die Inklusion folgt. Die Antisymmetrie ist dabei ein wichtiges Beweisprinzip für die Gleichheit von Mengen: Zwei Mengen sind genau dann gleich, wenn und umgekehrt gilt.



    Es sei eine Menge (beispielsweise ein reelles Intervall, oder ein topologischer Raum), so ist die Menge der (stetigen) Funktionen geordnet, indem man dadurch definiert, dass für jeden Punkt sein muss. Dies ist offensichtlich keine totale Ordnung.




    Äquivalenzrelationen

    Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge ist eine Relation , die die folgenden drei Eigenschaften besitzt (für beliebige ).

    1. Es ist (reflexiv).
    2. Aus folgt (symmetrisch).
    3. Aus und folgt (transitiv).

    Dabei bedeutet , dass das Paar zu gehört.


    Das Urbeispiel für eine Äquivalenzrelation ist die Gleichheit auf einer beliebigen Menge . Unter der Gleichheit ist jedes Element nur mit sich selbst äquivalent.


    Gnus bilden eine Äquivalenzklasse bezüglich der Äquivalenzrelation der Gleichartigkeit, ebenso Zebras.

    Häufig interessiert man sich gar nicht so genau für einzelne Objekte, sondern nur für bestimmte Eigenschaften davon. Objekte, die sich bezüglich einer bestimmten, genau definierten Eigenschaft gleich verhalten, kann man dann (bezüglich dieser Eigenschaft) als äquivalent betrachten. Offenbar handelt es sich dabei um eine Äquivalenzrelation. Wenn man sich beispielsweise nur für die Farbe von Objekten interessiert, so sind alle Objekte, die (exakt) gleichfarbig sind, zueinander äquivalent. Wenn man sich bei Tieren nicht für irgendwelche individuellen Eigenschaften interessiert, sondern nur für ihre Art, so sind gleichartige Tiere äquivalent, d.h. zwei Tiere sind genau dann äquivalent, wenn sie zur gleichen Art gehören. Studierende kann man als äquivalent ansehen, wenn sie die gleiche Fächerkombination studieren. Vektoren kann man als äquivalent ansehen, wenn sie zum Nullpunkt den gleichen Abstand besitzen, etc. Eine Äquivalenzrelation ist typischerweise ein bestimmter Blick auf bestimmte Objekte, der unter Bezug auf eine gewisse Eigenschaft gewisse Objekte als gleich ansieht.


    Bei den zuletzt genannten „alltäglichen“ Beispielen muss man etwas vorsichtig sein, da im Allgemeinen die Eigenschaften nicht so genau definiert werden. Im Alltag spielt Ähnlichkeit eine wichtigere Rolle als Gleichheit hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft. Die Ähnlichkeit ist aber keine Äquivalenzrelation, da sie zwar reflexiv und symmetrisch ist, aber nicht transitiv. Wenn und zueinander (knapp) ähnlich sind und und ebenso, so kann und schon knapp unähnlich sein (ebenso: lebt in der Nachbarschaft von, ist verwandt mit, etc.).

    Die Gleichheit bezüglich einer Eigenschaft wird durch folgende mathematische Konstruktion präzisiert.


    Es seien und Mengen und sei eine Abbildung. In einer solchen Situation hat man immer eine Äquivalenzrelation auf dem Definitionsbereich der Abbildung, und zwar erklärt man zwei Elemente als äquivalent, wenn sie unter auf das gleiche Element abgebildet werden, wenn also ist. Wenn die Abbildung injektiv ist, so ist die durch auf definierte Äquivalenzrelation die Gleichheit. Wenn die Abbildung konstant ist, so sind unter der zugehörigen Äquivalenzrelation alle Elemente aus untereinander äquivalent.


    Zu einer Abbildung nennt man übrigens die Menge aller Punkte , die auf einen bestimmten Punkt abgebildet werden, die Faser über . Die Äquivalenzklassen (s.u.) sind dann also die Fasern.


    Wir betrachten die Gaußklammer (oder den „floor“) einer reellen Zahl, also die Abbildung

    Eine Zahl wird also auf die größte ganze Zahl abgebildet, die kleiner oder gleich ist (die „Vorkommazahl“). Dabei wird das gesamte ganzzahlige (also mit ganzzahligen Intervallgrenzen) rechtsseitig offene Intervall auf abgebildet. Bezüglich dieser Abbildung sind also zwei reelle Zahlen genau dann äquivalent, wenn sie im gleichen ganzzahligen Intervall liegen.

    Statt der Vorkommazahl kann man auch die „Nachkommazahl“ betrachten. Das ist die Abbildung

    Unter der durch diese Abbildung definierte Äquivalenzrelation sind zwei reelle Zahlen genau dann gleich, wenn sie die gleiche Nachkommazahl besitzen, und das ist genau dann der Fall, wenn ihre Differenz eine ganze Zahl ist.


    Unter der Äquivalenzrelation „erreichbar auf dem Landweg“ sind Inseln und Kontinente die Äquivalenzklassen.



    Es sei eine Situation gegeben, wo gewisse Orte (oder Objekte) von gewissen anderen Orten aus erreichbar sind oder nicht. Die Erreichbarkeit kann dabei durch die Wahl eines Verkehrsmittels oder durch eine abstraktere (Bewegungs)-Vorschrift festgelegt sein. Solche Erreichbarkeitsrelationen liefern häufig eine Äquivalenzrelation. Dass ein Ort von sich selbst aus erreichbar ist, sichert die Reflexivität. Die Symmetrie der Erreichbarkeit besagt, dass wenn man von nach kommen kann, dass man dann auch von nach kommen kann. Das ist nicht für jede Erreichbarkeit selbstverständlich, für die meisten aber schon. Die Transitivität gilt immer dann, wenn man die Bewegungsvorgänge hintereinander ausführen kann, also zuerst von nach und dann von nach .

    Wenn erreichbar beispielsweise dadurch gegeben ist, dass man auf dem Landweg von einem Ort zu einem anderen kommen kann, so sind zwei Ortspunkte genau dann äquivalent, wenn sie auf der gleichen Insel (oder dem gleichen Kontinent) liegen. Inseln und Kontinente sind dann die Äquivalenzklassen. In der Topologie spielt der Begriff des Wegzusammenhangs eine wichtige Rolle: Zwei Punkte sind wegzusammenhängend, wenn man sie durch einen stetigen Weg verbinden kann. Oder: Auf den ganzen Zahlen lebe eine Kolonie von Flöhen, und jeder Flohsprung geht fünf Einheiten weit (in beide Richtungen). Wie viele Flohpopulationen gibt es, welche Flöhe können sich begegnen?




    Äquivalenzklassen, Quotientenmenge, kanonische Abbildung

    Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge kann auch als Zerlegung der Menge aufgefasst werden. Hierzu ist der Begriff der Äquivalenzklasse nützlich.


    Es sei eine Äquivalenzrelation und . Dann ist

    die Äquivalenzklasse von bezüglich .

    In Worten: ist die Teilmenge aller Elemente von , die zu äquivalent sind.


    Es sei eine Äquivalenzrelation. Dann heißt

    die Quotientenmenge von .


    Es sei eine Äquivalenzrelation und die Quotientenmenge. Die Abbildung

    heißt kanonische Projektion von .



    Es sei eine Menge und eine Äquivalenzrelation auf mit den Äquivalenzklassen und der Quotientenmenge . Dann gelten folgende Aussagen.

    1. Es ist genau dann, wenn ist, und dies gilt genau dann, wenn .
    2. ist eine disjunkte Vereinigung.
    3. Die kanonische Projektion

      ist surjektiv.

    4. Es ist .
    5. Sei eine Abbildung mit für alle mit . Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Abbildung mit .
    1. Es seien und äquivalent und . Dann ist und nach der Transitivität auch , also . Damit stimmen die Äquivalenzklassen überein. Die Implikation von der Mitte nach rechts ist klar, da wegen Äquivalenzklassen nicht leer sind. Es sei nun , und sei ein Element im Durchschnitt. Dann ist und und wegen der Transitivität ist .
    2. Wegen der Reflexivität ist und daher ist . Wegen Teil (1) ist die Vereinigung disjunkt.
    3. Die Surjektivität ist klar aufgrund der Definition der Quotientenmenge, und da auf die Klasse geschickt wird.
    4. Es ist
    5. Sei gegeben. Die einzige Möglichkeit für ist zu setzen. Es muss aber gezeigt werden, dass diese Abbildung überhaupt wohldefiniert ist, also unabhängig von der Wahl des Repräsentanten ist. Es sei hierzu , also . Dann ist nach der Voraussetzung an aber .



    Es sei und . Der ist ein reeller Vektorraum, wobei die Skalarmultiplikation von und mit bezeichnet wird. Es sei weiter

    Zwei Punkte werden also als äquivalent erklärt, wenn sie durch Skalarmultiplikation mit einem Skalar ineinander überführt werden können. Ebenso könnte man sagen, dass zwei Punkte als äquivalent gelten, wenn sie dieselbe Gerade durch den Nullpunkt definieren.

    Dass wirklich eine Äquivalenzrelation vorliegt, sieht man so. Die Reflexivität folgt aus für jedes . Zur Symmetrie sei , d.h. es gibt ein mit . Dann gilt aber auch , da ja ein Inverses besitzt. Zum Nachweis der Transitivität sei und angenommen, d.h. es gibt mit und . Dann ist insgesamt mit . Die Äquivalenzklassen zu dieser Äquivalenzrelation sind die einzelnen Geraden durch den Nullpunkt (aber ohne den Nullpunkt). Die Quotientenmenge heißt reell-projektiver Raum (der reellen Dimension ) und wird mit bezeichnet.




    << | Kurs:Einführung in die Algebra (Osnabrück 2009) | >>

    PDF-Version dieser Vorlesung

    Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)