Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2014)/Vorlesung 12
Wir haben bisher nur Axiomensysteme in Sinne einer beliebigen Ausdrucksmenge gesprochen, die im Allgemeinen eine Vielzahl von Modellen besitzt und aus der gewisse Ableitungen bzw. Folgerungen gezogen werden können, die für alle Modelle gelten. Es gibt aber auch Axiomensysteme, mit denen man ein intendiertes mathematisches Objekt wie beispielsweise die vertrauten natürlichen Zahlen charakterisieren möchte. Die natürlichen Zahlen haben wir bisher nur zum Indizieren von Aussage- oder Termvariablen verwendet (wobei wir an einzelnen Stellen Induktion über die natürlichen Zahlen geführt haben) und als wichtige Quelle für offene mathematische Probleme erwähnt. Hier sprechen für von Axiomensystemen für die natürlichen Zahlen, und zwar sowohl von zweitstufigen als auch von erststufigen. Der Sprachgebrauch ist in der Literatur nicht einheitlich, wir werden von den (zweitstufigen) Dedekind-Peano-Axiomen und den erststufigen Peano-Axiomen sprechen.
- Dedekind-Peano-Axiome
Wir besprechen nun die Dedekind-Peano-Axiome, eine zweitstufige Axiomatik, die eine vollständige Charakterisierung der natürlichen Zahlen erlauben.
Eine Menge mit einem ausgezeichneten Element (die Null) und einer (Nachfolger)-Abbildung
heißt natürliche Zahlen (oder Dedekind-Peano-Modell für die natürlichen Zahlen), wenn die folgenden Dedekind-Peano-Axiome erfüllt sind.
- Das Element ist kein Nachfolger (die Null liegt also nicht im Bild der Nachfolgerabbildung).
- Jedes ist Nachfolger höchstens eines Elementes (d.h. die Nachfolgerabbildung ist injektiv).
- Für jede Teilmenge
gilt: Wenn die beiden Eigenschaften
- ,
- mit jedem Element
gelten, so ist .
Mit zweitstufig ist gemeint, dass nicht nur über die Elemente der Menge , die man axiomatisch charakterisieren will, quantifiziert wird, sondern (im dritten sogenannten Induktionsaxiom) auch über beliebige Teilmengen dieser Menge. Eine solche Situation wird erststufig nicht (zumindest nicht unmittelbar) erfasst.[1] Mit dieser Axiomatik werden wir zeigen, dass je zwei Modelle für diese zweistufigen Dedekind-Peano-Axiome „isomorph“ sind, dass es also zwischen ihnen eine strukturerhaltende Bijektion gibt, und dass man ausgehend von der Nachfolgerfunktion die Addition und die Multiplikation rekursiv einführen kann.
Die folgende Aussage ist das induktive Definitionsprinzip für Abbildungen.
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und es sei eine Menge mit einem fixierten Element und einer Abbildung .
Dann gibt es genau eine Abbildung
die die beiden Eigenschaften
erfüllt.
Wir betrachten Teilmengen mit den Eigenschaften
- .
- Für jedes , , gibt es ein mit .
- Es gibt eine eindeutig bestimmte Abbildung
mit und
für alle mit .
Wir betrachten nun die Menge
Wir zeigen durch Induktion, dass ist. Für können wir
wählen, wobei durch die erste Abbildungseigenschaft eindeutig festgelegt ist. Es sei nun vorausgesetzt. Das bedeutet, dass es und eine Abbildung mit den angegebenen Eigenschaften gibt. Bei sind wir fertig, sei also . Wir setzen und wir definieren
Dies erfüllt die Eigenschaften und ist auch die einzige Möglichkeit, da die Einschränkung von auf wegen der Eindeutigkeit mit übereinstimmen muss. Also ist .
Wir zeigen nun durch Induktion über , dass unabhängig von der gewählten Menge ist. Bei ist dies klar, sei diese Aussage für ein gewisses schon bekannt, und sei mit zugehörigen Abbildungen . Aufgrund der zweiten Eigenschaft ist , daher ist nach Induktionsvoraussetzung
Damit erhält man durch
mit einem beliebigen eine wohldefinierte Abbildung auf ganz mit den in der Formulierung des Satzes geforderten Eigenschaften. Die Eindeutigkeit von ergibt sich aus der Eindeutigkeit der Einschränkungen.
Es seien und Dedekind-Peano-Modelle für die natürlichen Zahlen.
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte bijektive Abbildung
mit und
für alle .
Insbesondere sind je zwei Dedekind-Peano-Modelle isomorph.
Aufgrund von Satz 12.2, angewendet auf und die Nachfolgerabbildung auf , gibt es genau eine Abbildung
mit den angegebenen Eigenschaften. Wenn man die Rollen vertauscht, so erhält man eine eindeutige Abbildung
mit den gleichen Eigenschaften. Wir betrachten nun die Verknüpfung
Diese erfüllt ebenfalls diese Eigenschaften. Da aber die Identität auf auch diese Eigenschaften erfüllt, folgt aus der Eindeutigkeitsaussage aus Satz 12.2, dass ist. Ebenso ist und somit sind und invers zueinander.
Für das im Wesentlichen eindeutig bestimmte Modell der Dedekind-Peano-Axiome verwenden wir das Symbol und sprechen von den natürlichen Zahlen.
- Addition auf natürlichen Zahlen
Wir wollen die Addition auf den natürlichen Zahlen definieren, und zwar ausgehend von den Dedekind-Peano-Axiomen. Die Addition mit soll dabei das Element wiedergeben - d.h. soll das neutrale Element der Addition sein - und die Addition eines Elementes mit soll der Nachfolger von sein. Die Grundidee ist dabei, die Summe dadurch zu definieren, dass man sukzessive den ersten Summanden um eins erhöht (also den Nachfolger nimmt) und den zweiten um eins vermindert (also den Vorgänger nimmt, falls ist). Man spricht vom Umlegungsprinzip (oder Umlegungsmodell) für die Addition. Um dies präzise durchzuführen verwenden wir das induktive Definitionsprinzip für Abbildungen. Wir wenden dieses Prinzip für die Nachfolgerabbildung und für eine natürliche Zahl als Startglied an. Die daraus gewonnene Abbildung beschreibt das Addieren mit dieser Zahl (es wird also die zweistellige Addition auf einstellige Operationen zurückgeführt).
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und . Dann definieren wir die Addition mit als diejenige aufgrund von Satz 12.2 eindeutig bestimmte Abbildung
für die
gilt.
Damit definieren wir
und nennen das die Addition von natürlichen Zahlen. Man beachte, dass hier die Addition in einer Weise definiert wird, in der die Kommutativität keineswegs offensichtlich ist.
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen mit der in Definition 12.4 festgelegten Addition.
Dann gelten folgende Aussagen.
für alle , d.h. ist das neutrale Element für die Addition.
für alle .
- Die Addition ist kommutativ.
- Die Addition ist assoziativ.
- Aus einer Gleichung
folgt
(1). Die Gleichung links ergibt sich direkt aus der Definition, die rechte Gleichung, also , folgt aus einer einfachen Induktion nach .
(2). Die linke Gleichung folgt direkt aus der Definition, die rechte besagt . Wir beweisen sie für beliebiges durch Induktion über . Bei steht beidseitig . Es sei die Aussage nun für schon bewiesen und betrachten wir . Dann ist
Für die anderen Aussagen siehe Aufgabe 12.5.
- Multiplikation auf natürlichen Zahlen
Zur Definition der Multiplikation verwenden wir erneut das Prinzip der induktiven Definition. Zu einer natürlichen Zahl betrachten wir den Startwert und die durch die Addition mit definierte Abbildung .
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen und . Dann definieren wir die Multiplikation mit als diejenige aufgrund von Satz 12.2 eindeutig bestimmte Abbildung
für die
gilt.
Damit definieren wir die Multiplikation von zwei natürlichen Zahlen durch
Es gilt also und . Diese beiden Eigenschaften legen bereits die Multiplikationsverknüpfung eindeutig fest.
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen.
Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Verknüpfung
die
erfüllt.
Beweis
Es sei ein Dedekind-Peano-Modell der natürlichen Zahlen mit der in Definition 12.7 festgelegten Multiplikation.
Dann gelten folgende Aussagen.
- Es gilt
für alle ,
- Es gilt
für alle , d.h. ist das neutrale Element für die Multiplikation.
- Es ist
für alle .
- Die Multiplikation ist kommutativ.
- Die Multiplikation ist assoziativ.
- Aus einer Gleichung mit folgt (Kürzungsregel).
- Für beliebige
gilt
(Distributivgesetz).
Beweis
- Erststufige Peanoaxiome
Wir betrachten zwei erststufige Varianten der Dedekind-Peano-Axiome. Dabei wird in der ersten Variante die Nachfolgerfunktion beibehalten und das Induktionsaxiom, das oben für beliebige Teilmengen formuliert wurde, wird durch ein Induktionsaxiom für die in der Sprache erster Stufe formulierbaren Ausdrücke ersetzt. Das Induktionsaxiom gilt somit lediglich für Teilmengen, die in der gegebenen Sprache charakterisierbar sind. Man spricht vom Induktionsschema, da es sich nicht um ein einzelnes Axiom handelt, sondern um eine ganze Familie von Axiomen.
Die Peano-Axiome für die Nachfolgerfunktion in der ersten Stufe werden (in der Sprache zur Symbolmenge mit einer Konstanten und einem einstelligen Funktionssymbol ) folgendermaßen definiert.
- .
- .
- Für jeden Ausdruck von mit einer freien Variablen gilt
Aus der obigen zweitstufigen Formulierung der Axiomatik, die nur die Nachfolgerabbildung verwendet, kann man in jedem Modell in eindeutiger Weise eine Addition und eine Multiplikation definieren. Dafür ist das obige erststufige Axiomensystem zu schwach. Stattdessen werden wir unter der Peano-Arithmetik das folgende Axiomensystem verstehen, das mit zwei Konstanten und und zwei zweistelligen Operationen und auskommt. Die Nachfolgerfunktion ist dann durch definiert und es braucht dafür kein eigenes Funktionssymbol.
Die Peano-Axiome für Addition und Multiplikation in der ersten Stufe werden (in der Sprache zur Symbolmenge mit den beiden Konstanten und und zwei zweistelligen Funktionssymbolen und ) folgendermaßen definiert.
- .
- .
- .
- .
- .
- .
- Für jeden Ausdruck von mit einer freien Variablen gilt
Die Axiome und entsprechen dabei direkt den Nachfolgeraxiomen von oben. Die Axiome und spiegeln die Grundregeln in der zweistufigen Peano-Arithmetik für die rekursive Definition der Addition wider, und die Axiome und entsprechen den Grundregeln für die rekursive Definition der Multiplikation. Diese Axiome gelten für die (zweitstufig festgelegten) natürlichen Zahlen. Anders als bei der obigen zweitstufigen Axiomatik gibt es aber von verschiedene Modelle (nicht Standard-Arithmetiken), die die erststufige Peano-Arithmetik erfüllen. Dies ist aber kein „zufälliges“ Defizit der gewählten Axiomatik, sondern dahinter verbirgt sich eine grundsätzliche Schwäche der Sprache erster Stufe, die durch die Gödelschen Unvollständigkeitssätze präzisiert werden wird.
- Fußnoten
- ↑ Eine andere wichtige Frage ist, inwiefern man in der ersten Stufe zweitstufige Phänome nachbilden kann. Das ist weitgehend möglich.
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