Kurs:Einführung in die mathematische Logik (Osnabrück 2016)/Vorlesung 26
- Semantik der Modallogik
Wir besprechen nun die Semantik der Modallogik, die mit gerichteten Graphen arbeitet, die die Idee von erreichbaren Welten modellieren.
Unter einem modallogischen Modell versteht man einen gerichteten Graphen zusammen mit einer Wahrheitsbelegung für die Aussagenvariablen für jeden Knotenpunkt .
Die Knotenpunkte des gerichteten Graphen nennt man in diesem Zusammenhang auch Welten oder Weltpunkte. Die von einer Welt aus verbundenen Welten , also die mit , nennt man die von aus erreichbaren Welten, die Relation heißt auch Erreichbarkeitsrelation. Durch die übliche Interpretation der aussagenlogischen Junktoren erhält man in jedem Weltpunkt eine Belegung für alle aussagenlogischen Ausdrücke in den gegebenen Aussagenvariablen. Darauf aufbauend kann man auch jedem modallogischen Ausdruck an jedem Knotenpunkt einen Wahrheitswert zuordnen, und zwar in folgender Weise. Dabei wird die Gültigkeit einer Aussage in einer Welt als notiert.
In einem modallogischen Modell (mit einer punktweisen Wahrheitsbelegung ) definiert man die Gültigkeit von modallogischen Ausdrücken induktiv wie folgt: Es sei der modallogische Ausdruck schon für jeden Weltpunkt definiert. Dann setzt man für einen jeden Weltpunkt
genau dann, wenn in jeder von aus erreichbaren Welt die Beziehung
gilt.
Wir arbeiten mit den Aussagenvariablen . Im Weltpunkt gelte
und im Weltpunkt gelte
Daraus kann man die Gültigkeit von aussagenlogischen Ausdrücken jeweils erschließen, beispielsweise gilt
oder
Für modallogische Ausdrücke muss man den gerichteten Graphen berücksichtigen, wobei man induktiv über die Anzahl der Boxen vorgeht. Es geht also zunächst um Ausdrücke der Form , wobei ein rein aussagenlogischer Ausdruck ist (also ohne jede Box). Die Gültigkeit von in einem Weltpunkt bedeutet, dass in jedem von diesem Weltpunkt aus erreichbaren Weltpunkt gilt. Somit gilt beispielsweise
und
und
ferner
und
Damit kann man dann in jedem Punkt aussagenlogisch den Wahrheitswert von jeder modallogischen Aussage bestimmen, in der die Box nur einfach (also ohne Verschachtelungen) auftritt, beispielsweise
Unter Berücksichtigung des gerichteten Graphen kann man dann auch den Wahrheitswert für jeden modallogischen Ausdruck mit modallogischer Verschachtelungstiefe bestimmen, also etwa
u.s.w.
Man sagt, dass ein modallogischer Ausdruck in einem modallogischen Modell gilt, geschrieben
wenn
für alle gilt.
- Die aussagenlogischen Tautologien der modallogischen Sprache gelten in jedem modallogischen Modell.
- In jedem modallogischen Modell gilt das
-
Axiom,
also
- Die in einem (jeden) modallogischen Modell gültigen Ausdrücke sind abgeschlossen unter dem Modus ponens.
- Wenn ein modallogischer Ausdruck in einem (jedem) modallogischen Modell gilt, so gilt auch in diesem (jedem) modallogischen Modell.
(1) und (3) sind klar, da die Gültigkeit in einem Knoten die aussagenlogischen Gesetze respektiert. (2). Sei und
und
Dann gilt in jeder von aus erreichbaren Welt
und damit
Also ist
(4). Wenn in einem modallogischen Modell gilt, so gilt für jede Welt auch . Wegen dieser allgemeinen Gültigkeit gilt auch für jede von aus erreichbare Welt und damit . Dies gilt in jedem Punkt dieses Modells.
Man sagt, dass eine Menge von modallogischen Ausdrücken in einem modallogischen Modell gilt, geschrieben
wenn
für alle gilt.
Man sagt, dass ein modallogischer Ausdruck in einem gerichteten Graphen gilt, geschrieben
wenn für jede Wahrheitsbelegung
gilt.
Es sei eine Menge von modallogischen Ausdrücken und ein modallogischer Ausdruck. Man sagt, dass aus folgt, geschrieben , wenn für jedes modallogische Modell mit
auch
gilt.
Für ergeben sich die modallogisch allgemeingültigen Ausdrücke. Aufgrund von Lemma 26.5 gehören alle in der - Modallogik ableitbaren Ausdrücke dazu. Wie in der Aussagenlogik und der Prädikatenlogik ist also der Ableitungskalkül korrekt und es erhebt sich die Frage, ob er auch vollständig ist.
Dies folgt aus Lemma 26.5.
Diese Aussage erlaubt es insbesondere, zu zeigen, dass aus einem gegebenen modallogischen Axiomensystem ein gewisser modallogischer Ausdruck nicht ableitbar, indem man ein modallogisches Modell angibt, in dem gilt, aber nicht.
- Semantik der einzelnen modallogischen Systeme
Der durch die - Modallogik gegebene axiomatische Rahmen gilt in jedem gerichteten Graphen, aufgefasst als modallogisches Modell. Wir fragen uns, wie speziellere modallogische Axiome mit Eigenschaften von gerichteten Graphen zusammenhängen. Der folgende Satz liefert eine Übersetzung zwischen diesen beiden Konzepten.
- In einem gerichteten Graphen gilt das Möglichkeitsaxiom genau dann, wenn jeder Punkt einen Nachfolger besitzt.
- In einem gerichteten Graphen gilt das Reflexivitätsaxiom genau dann, wenn reflexiv ist.
- In einem gerichteten Graphen gilt das Symmetrieaxiom genau dann, wenn symmetrisch ist.
- In einem gerichteten Graphen gilt das Transitivitätsaxiom genau dann, wenn transitiv ist.
- In einem gerichteten Graphen gilt das euklidische Axiom genau dann, wenn euklidisch ist.
- In einem gerichteten Graphen gilt das Löb-Axiom genau dann, wenn transitiv ist und es in keine unendlichen Ketten gibt.
(1). Es sei gegeben. Es sei zunächst vorausgesetzt, dass in jedes Element einen Nachfolger besitzt und sei
für eine Welt . Es sei mit . Dann ist
und somit
also
Es sei umgekehrt angenommen, dass eine Sackgassenwelt besitzt. Dann ist für eine beliebige Aussagenvariable
aber
und das Möglichkeitsaxiom kann nicht gelten.
(2). Es sei gegeben. Es sei zunächst reflexiv und sei
Wegen ist insbesondere
und damit
Wenn nicht reflexiv ist, so sei und gelte nicht. Es sei die Belegung, bei der
gelte, aber in allen anderen Welten . Dann ist
und somit ist
(3). Es sei gegeben. Es sei zunächst symmetrisch und sei
Es sei eine von aus erreichbare Welt gegeben, also . Wegen der Symmetrie ist auch und somit ist
Also ist
Wenn hingegen nicht symmetrisch ist, so seien Welten mit , aber nicht . Es sei eine Aussagenvariable und es sei die Belegung, bei der
gelte und so, dass in allen von aus erreichbaren Welten gelte. Dann ist
und somit ist
also
(4). Es sei gegeben. Es sei zunächst transitiv und sei
Es sei und und somit
Also ist
und damit
Es sei nun nicht transitiv und seien Punkte mit , , aber nicht . Es sei eine Aussagenvariable und sei die Belegung, bei der in allen von aus erreichbaren Welten gelte, in allen anderen Welten nicht. Dann ist
und
da ja , und somit ist
also
(5). Es sei gegeben. Es sei zunächst euklidisch und sei
Somit gibt es eine Welt mit und mit
Es sei eine Welt mit . Nach der euklidischen Eigenschaft ist dann auch , daher ist
Somit ist
Es sei nun nicht euklidisch und seien Punkte mit , , aber nicht . Es sei eine Aussagenvariable und sei die Belegung, bei der in allen von aus erreichbaren Welten gelte, in allen anderen Welten nicht. Dann ist
und somit
In gilt hingegen , also
Somit gilt
und damit
(6). Wir arbeiten mit der Kontraposition des Löb-Axioms, also mit
Es sei zunächst vorausgesetzt, dass die graphentheoretischen Eigenschaften besitzt. Sei und
Dann gibt es eine Welt mit und mit
Wir betrachten Ketten mit . Da es keine unendliche Kette gibt, bricht eine solche Kette ab, sagen wir in . In gilt dann
Wegen der Transitivität ist von aus erreichbar und somit ist
Es sei nun vorausgesetzt, dass nicht die Eigenschaften erfüllt. Wenn nicht transitiv ist, so ist nach Lemma 25.18 in Verbindung mit Lemma 26.9 die Gültigkeit des Löb-Axioms ausgeschlossen. Es sei also eine unendlich lange Kette der Form gegeben. Wir belegen für alle und für alle anderen Welten. Dann gilt
da außerhalb der Kette stets gilt und innerhalb der Kette stets gilt.
Ein Modell des Löb-Axioms ist insbesondere frei von Schleifen, d.h. es ist reflexivitätsfrei, es gilt also nie . Eine solche Schleife würde ja direkt eine unendliche Kette produzieren. Der gerichtete Graph
mit der durch , falls gegebenen Relation und der Belegung für alle zeigt, dass das Löb-Axiom (in der Form ) bei einer unendlichen transitiven Kette ohne Schleifen nicht gelten muss.
Wir betrachten für die modallogische Ausdrucksmenge, die durch
gegeben ist. Da sich die Ausdrücke, die innerhalb des -Operators von stehen, gegenseitig ausschließen, braucht man zur Realisierung von mindestens Punkte. Daher ist
nicht durch einen endlichen gerichteten Graphen erfüllbar. Die Ausdrucksmenge ist aber problemlos durch einen unendlichen gerichteten Graphen erfüllbar: Es seien , , die unendlich vielen Welten, in gilt (die Wahrheitsbelegung ist ansonsten unerheblich) und jede Welt sei von jeder Welt aus erreichbar.
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