Kurs:Fundamentalgruppe und Vektorbündel (Osnabrück 2011)/Vorlesung 2/kontrolle
- Etale Fundamentalgruppe
Zu einem Schema kann man die Kategorie aller endlichen étalen Morphismen betrachten, wobei jeder Morphismus in dieser Kategorie die Basis festlässt. Die Idee ist dabei, die „universelle Überlagerung“, die es im algebraischen Kontext nicht gibt, durch das System aller endlichen Überlagerungen anzunähern.
Sei eine komplexe Mannigfaltigkeit oder allgemeiner ein topologischer Raum. Die universelle Überlagerung
hat die Eigenschaft, dass die Automorphismengruppe von über , also die Menge der Homöomorphismen (Decktransformationen)
(die sogenannte Monodromie) der topologischen Fundamentalgruppe auf . Einem stetigen Weg
(siehe hierzu auch Kurs:Topologie (Osnabrück 2008-2009)/Vorlesung 17). Dies führt zu einem Gruppenhomomorphismus
bzw. einer Operation von auf . Diese Zuordnung ist für zusammenhängend injektiv, da generell für einen zusammenhängenden topologischen Raum (z.B. selbst, oder , oder das Einheitsintervall) und einer stetigen Abbildung
zwei Liftungen
mit für einen einzelnen Punkt schon gelten muss.
Dieser Gruppenhomomorphismus ist nur in Ausnahmefällen surjektiv. Es muss im Allgemeinen auch keinen Automorphismus geben, der einen Punkt der Faser in einen anderen Punkt der Faser überführt. Diese Eigenschaft führt vielmehr zur folgenden Definition.
Eine Überlagerung
heißt normal, wenn es zu jedem Punkt und jedem Punktepaar eine Decktransformation
mit gibt.
Eine normale Überlagerung ist also dadurch gekennzeichnet, dass die Gruppe der Decktransformationen transitiv auf einer jeden Faser operiert. Jeder Punkt in einer Faser definiert eine Abbildung
die stets injektiv und im normalen Fall auch bijektiv ist.
Es ist eine wichtige Eigenschaft von Überlagerungen, dass man zu einer normalen Überlagerung übergehen kann. Diese topologische Eigenschaft ist analog dazu, dass man separable Körpererweiterungen in eine Galoiserweiterung (normale Hülle) einbetten kann.
- Liftungseigenschaften von étalen Abbildungen und Galoiserweiterungen
Die beiden oben in Erinnerung gerufenen Eigenschaften von topologischen Überlagerungen, nämlich die eindeutige Liftungseigenschaft und die Normalität, kommen auch im Kontext der algebraischen Geometrie vor.
Es sei ein zusammenhängendes Schema und sei
eine étaler Schemamorphismus. Es sei
ein Schnitt zu .
Dann ist eine offene Einbettung. Wenn zusätzlich separiert ist, so ist eine abgeschlossene Einbettung.
Es sei ein zusammenhängendes Schema und sei
ein separierter und étaler Schemamorphismus. Es sei ein Punkt und es seien
Schnitte zu mit .
Dann ist .
Es sei
ein separierter und étaler Schemamorphismus. Es sei ein zusammenhängendes Schema über und seien
-Morphismen mit für einen Punkt derart, dass auch die zugehörigen Körperhomomorphismen
identisch sind.
Dann ist .
Ein endlicher Morphismus ist affin und insbesondere separiert.
Die Gruppe der Decktransformationen wird im algebraisch-geometrischen Kontext folgendermaßen definiert.
Die Automorphismengruppe (oder Galoisgruppe) sollte man sich im Kontext von Fundamentalgruppen als Gruppe von Decktransformationen vorstellen.
Besonders wichtig sind die galoisschen Morphismen, das sind die étalen Morphismen mit „großer“ Automorphismengruppe und entsprechen den normalen Überlagerungen. Die folgende Definition lehnt sich an der der Normalität an.
Es sei
ein endlicher étaler Morphismus zwischen zwei zusammenhängenden Schemata. Man nennt galoissch, wenn es zu jedem Morphismus
( ein separabel abgeschlossener Körper) und zwei Liftungen
einen - Automorphismus
gibt mit .
Zu einem endlichen étalen Morphismus
kann man i.A. einen Morphismus
finden derart, dass
galoissch ist. Für die Konstruktion der étalen Fundamentalgruppe kann man sich im Wesentlichen auf galoissche Überlagerungen beschränken.
- Definition der étalen Fundamentalgruppe
Die Kategorie der endlichen étalen Morphismen
wird mit bezeichnet. Für eine Varietät über entspricht das der Kategorie aller Überlagerungen mit endlichen Fasern.
Es ist das Ziel, über die Kategorie aller étalen Morphismen bzw. aller dabei auftretenden Automorphismen einen sinnvollen Limes zu bilden. Dazu braucht man eine durch eine Menge indizierte hinreichend feine und reichhaltige Auswahl all dieser Morphismen. Dazu muss man die Morphismen in eine gewisse Ordnung bringen, was man durch ein zusätzliches Datum, eine Punktierung, erreicht.
Es sei ein zusammenhängendes Schema und ein geometrischer Punkt von , also ein Punkt zusammen mit einem Körperhomomorphismus in einen separablen Abschluss des Restekörpers . Dies ist das Gleiche wie ein Schemamorphismus
und bedeutet die Fixierung eines Basispunktes. Die Faser über zu einem endlichen étalen Morphismus ist endlich. Die Basispunktfixierung kann auf verschiedene Arten zu einer Fixierung in geliftet werden. Eine solche Liftung ist einfach ein kommutatives Diagramm
Wir setzen
Ein Element ist also eine Liftung des geometrischen Basispunktes , und ist die geometrische Faser über .
Wir betrachten die Zuordnung als einen Funktor (man spricht von dem Faserfunktor) von der Kategorie der étalen Überdeckungen in die Kategorie der Mengen. Dieser Funktor ist strikt prorepräsentierbar, d.h. es gibt eine geordnete Menge und eine durch induzierte Familie , wobei und ist derart, dass diese Familie die folgenden Eigenschaften erfüllt.
- Zu gibt es einen surjektiven -Morphismen
- Es ist und .
- Zu jedem ist die natürliche Abbildung
eine Bijektion.
Die letzte Bedingung bedeutet dabei insbesondere, dass es zu jedem gegebenen und ein und einen -Morphismus
der auf abbildet.
Die Automorphismengruppe operiert auf durch
Diese Operation induziert für jedes bei zusammenhängendem eine injektive Abbildung
da ein Automorphismus mit nach Satz 2.4 die Identität sein muss. Insbesondere haben wir also für die Familie injektive Abbildungen
Nach obiger Definition ist galoissch über , wenn diese Abbildung auch (für jedes ) surjektiv ist. Für ein gibt es einen Morphismus derart, dass galoissch über ist. Daher kann man die gegebene Familie durch eine Familie ersetzen, bei der zusätzlich jedes galoissch ist (und auch zusammenhängend). Das werden wir im folgenden tun und setzen
und nennen diese Automorphismengruppen auch Galoisgruppen. Zu einem surjektiven Morphismus
zwischen galoisschen Überdeckungen gibt es ein kommutatives Diagramm
Dabei geht auf und dies legt den surjektiven Gruppenhomomorphismus
fest. Insgesamt erhalten wir über diese Konstruktion einen Funktor
wobei zu der soeben definierte Gruppenhomomorphismus
gehört. Die surjektiven Gruppenhomomorphismen haben also die gleiche Richtung wie die Morphismen. Statt dem Kolimes betrachtet man aber jetzt den projektiven Limes über dieses System. Man setzt
und nennt dies die étale Fundamentalgruppe von im Punkt . Sie ist also eine Komplettierung von endlichen Gruppen, ihre Elemente bestehen aus Folgen , , die die Bedingung erfüllen. Zu jedem gibt es einen surjektiven Gruppenhomomorphismus
Für einen anderen Basispunkt ergibt sich eine isomorphe Gruppe (es gibt aber keinen kanonischen Isomorphismus), wobei die Basispunkte noch nicht einmal abgeschlossen sein müssen.
Es sei ein Körper und
eine Einbettung in einen separablen Abschluss. Die étalen Morphismen entsprechen den separablen -Algebren , das sind endlichdimensionale -Algebren, die das direkte Produkt von Körpern sind, die alle separable Körpererweiterungen von sind. Insbesondere treten hierbei die endlichen separablen Körpererweiterungen auf. Eine Punktierung von durch ist ein - Algebrahomomorphismus
der durch einen der Körper faktorisiert. Wenn galoissch ist, so sind alle untereinander isomorph und selbst eine endliche galoissche Körpererweiterung von . Wenn nicht zusammenhängend ist, so kann die Automorphismengruppe größer als die Faser sein. Man denke an die -fache disjunkte Vereinigung des Grundpunktes mit sich selbst. Die Automorphismengruppe besitzt dann Elemente. Da man sich bei der Konstruktion der étalen Fundamentalgruppe auf zusammenhängende Erweiterungen beschränken kann, können wir uns auf eine Familie von galoisschen Körpererweiterungen beschränken. Dabei kann man überhaupt alle über endlichen und galoisschen Zwischenkörper , , als Indexmenge nehmen. Somit ist die absolute Galoisgruppe von .
Zu einem integren normalen Schema ist es relativ einfach, eine geordnete Menge anzugeben, die sämtliche Galoisüberdeckungen von erfasst (im Sinne der Prorepräsentierung). Man betrachtet den Funktionenkörper und startet wie in Bemerkung 2.7 mit der Menge aller endlichen Galoiserweiterungen mit , wobei ein separabler Abschluss von ist. Man beschränkt sich dann auf diejenigen Erweiterungen , für die der integrale Abschluss von in selbst étale (und dann automatisch galoissch) ist (diese Auswahl konstituiert also die Indexmenge, wobei die natürliche Inklusion die Ordnung festlegt). Die Abbildung
Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und die punktierte Gerade, wobei wir den Punkt fixieren. Die zusammenhängenden galoisschen Überdeckungen sind
mit der Galoisgruppe , wobei kein Vielfaches der Charakteristik ist. Als Indexmenge kann man die natürlichen Zahlen ohne die Vielfachen der Charakteristik zusammen mit der durch die Teilbarkeit gegebenen Ordnung nehmen. Für gibt es natürliche Morphismen
wobei
surjektiv ist (ein Erzeuger wird also auf einen Erzeuger abgebildet, bzw. eine primitive Einheitswurzel wird auf eine primitive Einheitswurzel abgebildet). Die étale Fundamentalgruppe
ist alsoDie beiden folgenden Sätze zeigen, dass die étale Fundamentalgruppe wichtige erwünschte Eigenschaften erfüllt.
Es sei ein zusammenhängendes Schema und ein geometrischer Punkt von mit der étalen Fundamentalgruppe .
Dann induziert der Faserfunktor
eine Äquivalenz zwischen der Kategorie der endlichen étalen Schemata über und der Kategorie der endlichen Mengen, auf denen eine stetige Operation von gegeben ist.
Die Stetigkeit bedeutet dabei, dass die Operation über eine endliche Restklassengruppe faktorisiert.
Aus dem Riemannschen Existenzsatz folgt für der folgende wichtige Vergleichssatz zwischen étaler und topologischer Fundamentalgruppe.
Es sei eine glatte Varietät über , ein abgeschlossener Punkt und die zugehörige komplexe Mannigfaltigkeit.
Dann besteht zwischen der étalen Fundamentalgruppe und der topologischen Fundamentalgruppe die Beziehung
d.h. die étale Fundamentalgruppe ist die proendliche Komplettierung der topologischen Fundamentalgruppe.
Insbesondere definiert ein geschlossener Weg
ein Element in der étalen Fundamentalgruppe, das man direkt angeben kann. Zu und der zugehörigen galoisschen Überdeckung
besitzt die Liftung mit dem Startpunkt einen eindeutig bestimmten Endpunkt , dem ein eindeutiger Automorphismus entspricht. Die Familie , , ist verträglich und definiert das zugehörige Element in der étalen Fundamentalgruppe.