Kurs:Fundamentalgruppe und Vektorbündel (Osnabrück 2011)/Vorlesung 4/kontrolle
In der letzten Vorlesung haben wir gesehen, dass man mit lokal integrablen linearen Zusammenhängen auf Vektorbündeln lineare Darstellungen der topologischen Fundamentalgruppe erhalten kann (und umgekehrt). Da die allgemeine lineare Gruppe eine Vielzahl von interessanten Untergruppen enthält, ist die Frage naheliegend, ob Eigenschaften von Vektorbündeln mit Eigenschaften von Untergruppen in Verbindung gebracht werden können. Ferner ist es natürlich, sich zu fragen, ob es entsprechend auch eine algebraische Theorie gibt, bei der lineare Darstellungen der étalen Fundamentalgruppe untersucht werden. Da bei die topologische und die étale Fundamentalgruppe dieselben endlichen Restklassengruppen besitzen, ist insbesondere auch die Frage von Interesse, welches Vektorbündel einer linearen Darstellung entspricht, deren Bild in der linearen Gruppe endlich ist (eine stetige Darstellung der étalen Fundamentalgruppe besitzt stets ein endliches Bild).
Der folgende klassische Satz von Narasimhan-Seshadri gibt eine darstellungstheoretische Charakterisierung von stabilen Vektorbündeln auf kompakten riemannschen Flächen.
Es sei eine kompakte riemannsche Fläche.
Dann entsprechen sich stabile holomorphe Vektorbündel vom Rang über und unitäre irreduzible - Darstellungen der topologischen Fundamentalgruppe .
Unitär bedeutet einfach, dass die Darstellung die Gestalt
besitzt, wobei die unitäre Gruppe ist, also die Gruppe der komplexen -Matrizen, die das komplexe Skalarprodukt respektieren. Eine kompakte riemannsche Fläche ist dasselbe wie eine projektiv-algebraische Kurve über , und auch die Theorie der algebraischen Vektorbündel und der holomorphen Vektorbündel entsprechen sich nach einem Satz von Serre. Daher ist das Konzept der stabilen Vektorbündel algebraischer Natur. Dagegen nimmt das Konzept der unitären Darstellungen explizit auf die komplexen Zahlen (z.B. auf die komplexe Konjugation) Bezug, so dass es sich hierbei um eine komplex-geometrische Theorie handelt, die sich nicht algebraisieren lässt.
Dieser Satz wurde später in höhere Dimensionen verallgemeinert, worauf wir hier nicht eingehen können (die sogenannte Kobayashi-Hitchin-Korrespondenz zwischen der Stabilität von Vektorbündeln und der Existenz von Einstein-Hermite Metriken. Wichtige Beiträge von Kobayashi, Lübke, Donaldson, Uhlenbeck, Yau).
- Etale-trivialisierbare Vektorbündel
Wir kehren zur algebraischen Situation zurück und betrachten stetige lineare Darstellungen der étalen Fundamentalgruppe.
Es sei eine zusammenhängende projektive Varietät über einem Körper und sei die zugehörige étale Fundamentalgruppe. Dann sind für folgende Strukturen äquivalent (jeweils bis auf Isomorphie).
- Eine stetige Darstellung
- Eine galoissche Überlagerung mit einer Galoisgruppe , die äquivariant, treu und linear auf operiert.
- Ein Vektorbündel vom Rang auf zusammen mit einer galoisschen Überlagerung derart, dass trivial ist (aber für keine galoissche Überlagerung, die echt dazwischen liegt, trivial wird).
Wir betrachten zuerst die Äquivalenz von (1) und (2). Die stetige Darstellung faktorisiert durch eine endliche Untergruppe . Somit ist eine endliche Restklassengruppe der étalen Fundamentalgruppe. Also gibt es aufgrund der Konstruktion der étalen Fundamentalgruppe eine galoissche Überlagerung
deren Galoisgruppe gleich ist (mit als Quotient). Mittels definieren wir eine Operation von auf durch
Diese Operation ist linear in der zweiten Komponente und treu, da ja als Untergruppe der allgemeinen linearen Gruppe gegeben ist. Ferner ist die Operation mit der Operation von auf verträglich, da ja in der ersten Komponente die Operation von auf steht.
Wenn umgekehrt eine Operation von auf gegeben ist, die in der zweiten Komponente linear ist, so führt diese Operation von auf zu einem Gruppenhomomorphismus
Diese Abbildung induziert die Darstellung
Man beachte, dass die Eigenschaften von , projektiv und zusammenhängend zu sein, sicher stellen, dass die Treuheit der Operation eine Eigenschaft der Isomorphiekklasse der Operation ist
(dies muss für affines nicht gelten, siehe
Beispiel 4.5).
Die Äquivalenz von (2) und (3) ist ein Spezialfall des treuflachen Abstiegs. Man beachte, dass die Vektorbündelstruktur auf dem absteigenden Schema sich in den Abstiegsdaten darin wiederspiegelt, dass der Schemaisomorphismus ein Vektorbündelisomorphismus ist, bzw. darin, dass die Gruppenoperation linear ist.
Wir erklären kurz das Prinzip des treuflachen Abstiegs, der dieser und ähnlichen Konstruktionen zugrunde liegt.
Sei
Dann sind folgende Daten äquivalent.
- Ein Schema über .
- Ein Schema über zusammen mit einem -Isomorphismus
der auf die (Verträglichkeits-)Bedingung
erfüllt (dabei handelt es sich um eine Abbildung von nach ).
Dabei bezeichnen die beiden Projektionen von auf die einzelnen Komponenten, die drei Projektionen von auf die einzelnen Komponenten und die drei Projektionen von nach , wobei die Indizes die beteiligten Komponenten angeben. Es ist
Ein Schema über (mit ) führt wegen zu einem natürlichen Isomorphismus
der die Verträglichkeitsbedingung erfüllt.
Wenn umgekehrt ein Schema über gegeben ist zusammen mit einem verträglichen Isomorphismus
so erhält man das Abstiegsschema durch eine Equalizerkonstruktion. Ein Schnitt in über (bzw. einer offenen Menge davon) legt einen Schnitt in dem zu konstruierenden Schema fest, wenn die beiden über zurückgezogenen Schnitte und durch ineinander überführt werden.
Wenn
eine galoissche Überlagerung mit Galoisgruppe ist und
vor, wobei die Abbildung für die Punkte hingeschrieben wurde. Das Produkt links ist über dem Grundkörper zu nehmen, wobei als ein endliches konstantes Gruppenschema aufgefasst wird. Die Isomorphie ist eine äquivalente Charakterisierung für eine galoissche Überlagerung. Man spricht von -Hauptfaserbündeln (oder -Torsoren), wobei sich in dieser Sprache auch Operationen von nicht étalen Gruppenschemata gleichermaßen erfassen lassen (das bildet die Grundlage für Noris Fundamentalgruppe).
Um den treuflachen Abstieg auf die Situation einer Gruppenoperation anwenden zu können, ist das folgende kommutative Diagramm entscheidend.
Dabei schreiben wir () für die Operation auf der ersten und zweiten (ersten und dritten) Komponente. Die Abbildungen unten links sind
(diese kommutieren mit den ).
Sei ein triviales Bündel (also ) über und sei ein -Isomorphismus
gegeben. Diese Abbildung ist in der -Komponente die Identität und hängt damit allein von der Abbildung nach ab. Da es eine Abbildung über ist, muss die Abbildung nach gleich sein, so dass der Morphismus allein durch
festgelegt ist. Wenn weiter projektiv und zusammenhängend ist, so faktorisiert, da und affine Schemata sind, diese Abbildung durch . Es liegt dann eine (nicht notwendigerweise lineare) Gruppenoperation vor. Das absteigende Schema wird in diesem Fall durch den Quotienten im Sinne der Invariantentheorie beschrieben, d.h. die absteigenden Schnitte sind die Schnitte, die unter der Gruppenoperation auf sich selbst abgebildet werden.
Es sei eine projektive zusammenhängende Varietät über einem algebraisch abgeschlossenen Körper . Es sei
eine nichttriviale lineare Darstellung der étalen Fundamentalgruppe .
Dann ist das gemäß Satz 4.2 zugehörige Vektorbündel auf nichttrivial.
Dies folgt aus Satz 4.2.
Wir geben noch einen Beweis, der sich stärker an der Invariantentheorie orientiert. Sei
die étale Überlagerung mit der Galoisgruppe und der linearen äquivarianten Operation von auf , die der Darstellung entspricht, und sei das zugehörige Bündel auf . Die Schnitte in über entsprechen den -invarianten Schnitten von über . Da projektiv und zusammenhängend ist, liegt die Beziehung
vor. Wir zeigen, dass nicht alle globalen Schnitte -invariant sind. Dann besitzt weniger als linear unabhängige globale Schnitte und kann daher nicht trivial sein. Da die Darstellung nichttrivial ist, gibt es ein , das nicht wie die Identität operiert. Dann gibt es aber auch einen Vektor mit . Der entsprechende konstante Schnitt in über ist nicht -invariant.
Wir betrachten die durch definierte endliche étale Abbildung
Es sei die Gruppe der -ten Einheitswurzeln, die in natürlicher Weise aus operiert und deren Quotient ist ( sei kein Vielfaches der Charakteristik). Die Operation lässt sich auf das triviale Geradenbündel fortsetzen, z.B. durch
Da die affine Gerade das einzige Geradenbündel auf ist, muss gemäß dem flachen Abstieg der Quotient dieser Operation auf dem Bündel gleich dem trivialen Bündel sein, obwohl die Operation nicht trivial „aussieht“. Der Punkt ist, dass diese Operation isomorph zur (in der Bündelkomponente) trivialen Operation ist. Die Operation
wird nämlich durch die Bündelisomorphie in die erste Operation überführt.
Wenn man und durch die affinen Geraden und ersetzt, so ist die durch gegebene Abbildung ebenfalls treuflach, aber nicht mehr étale. Dies bedeutet insbesondere, dass kein Isomorphismus zwischen und vorliegt. In der Tat ist ja die -fache disjunkte Kopie von , während
(bei algebraisch abgeschlossen) die Vereinigung von Geraden im Nullpunkt ist.
In Folge dieses Unterschieds fallen auch die Abstiegsbedingung und die Invariantenbedingung auseinander. Es gibt nach wie vor nur das triviale Geradenbündel auf mit der trivialen Operation und dem trivialen Abstieg. Die Operationen von auf ist nicht mehr isomorph zur trivialen Operation, die oben über angegebene Isomorphie bricht zusammen, da nicht mehr zur Verfügung steht. Die nicht-triviale Operation erfüllt nicht mehr die Verträglichkeitsbedingung und hat daher keinen Abstieg.
Das Quotientenschema (im Sinne der Invariantentheorie, also das Spektrum des Invariantenrings) ist für kein Geradenbündel über , sondern enthält über dem Nullpunkt eine nichtreduzierte Faser mit einer Singularität. Der Invariantenring der Operation ist
und .
Bei handelt es sich bei der Operation um die Punktspiegelung der affinen Ebene am Nullpunkt über der Punktspiegelung der affinen Geraden . Dabei wird die Faser über dem Nullpunkt auf sich selbst abgebildet (aber „umgeklappt“). Für den Invariantenring liegt die Situation vor (mit .), wobei die Faser zu durch beschrieben wird, also nicht reduziert ist. Der Rückzug dieses Schemas nach ist
Dies ist ein nicht normales Schema und insbesondere nicht isomorph zur affinen Gerade (wie dies bei der Abstiegskorrespondenz wäre), und die Faser über ist nicht reduziert. Da dieses Schema von herkommt, erfüllt es wiederum die Abstiegsbedingung.
Es sei ein kommutativer Ring der positiven Charakteristik und sei der Polynomring in zwei Variablen über , wodurch das triviale Vektorbündel
über beschrieben wird. Wir betrachten den durch
beschriebenen -Automorphismus von mit fixiertem . Bei ist dies kein Vektorbündelisomorphismus. Wegen ist die Ordnung dieses Automorphismus gleich . Dieser Automorphismus gibt also Anlass zu einer nicht-linearen Operation von auf dem trivialen Bündel vom Rang zwei (zu den invarianten Polynomen gehört neben auch .). Wenn zusätzlich fixpunktfrei auf operiert mit dem Quotienten (sodass also
Im Gegensatz zu den linearen Operationen einer endlichen Gruppe lässt sich dieser Typ auch deformieren, man denke an die von abhängige, durch , gegebene Operation.
Ein Vektorbündel auf wird durch eine offene Überdeckung mit lokalen verträglichen Identifizierungen beschrieben. Die über gegebenen Übergangsabbildungen definieren eine Čech-Kohomologieklasse und somit ein Element in der nicht-abelschen Kohomologie (das ist lediglich eine Menge, die die Isomorphieklassen von Vektorbündeln repräsentiert, aber keine Gruppe). Es ist verlockend zu vermuten, dass die durch eine galoissche Überlagerung
mit Galoisgruppe trivialisierbaren Vektorbündel durch Kohomologieklassen repräsentiert werden, die von einer Klasse via einer Darstellung
herrühren. Bei einem integren Schema besitzt aber eine endliche Gruppe auf jeder offenen Menge nur die konstanten Schnitte, sodass die Kohomologiemenge in der Zariski-Topologie trivial ist.
Dies ändert sich, wenn man statt mit der Zariski-Topologie mit der étalen oder der treuflachen Topologie arbeitet. Die Menge klassifiziert die étalen -Hauptfaserbündel über . Wenn eine Darstellung
und ein étales -Hauptfaserbündel
gegeben ist, so wird die zugehörige Klasse auf zu , und dasselbe gilt für die Kohomologieklasse (Vektorbündel in der Zariski- und in der étalen Topologie sind äquivalent), sodass das durch repräsentierte Vektorbündel auf über trivialisiert.