Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 37/latex

\setcounter{section}{37}






\zwischenueberschrift{Vergleichskriterien mit Reihen}





\inputfaktbeweis
{Fallende Funktion/Uneigentliches Integral und Reihe/Vergleichskriterium/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ I }
{ = }{ [1, \infty] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein rechtsseitig unbeschränktes Intervall und sei \maabbdisp {f} {I} {\R } {} eine \definitionsverweis {stetige}{}{} \definitionsverweis {fallende Funktion}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(x) }
{ \geq }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann existiert das \definitionsverweis {uneigentliche Integral}{}{}
\mathdisp {\int_{ 1 }^{ \infty } f ( t) \, d t} { }
genau dann, wenn die \definitionsverweis {Reihe}{}{}
\mathdisp {\sum_{n=1}^\infty f(n)} { }
\definitionsverweis {konvergiert}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

\teilbeweis {}{}{}
{Wenn das uneigentliche Integral existiert, so betrachten wir die Abschätzung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \sum_{n = 2}^k f(n) }
{ \leq} { \int_{ 1 }^{ k } f ( t) \, d t }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} die darauf beruht, dass die linke Seite das \definitionsverweis {Treppenintegral}{}{} zu einer \definitionsverweis {unteren Treppenfunktion}{}{} für $f$ auf
\mathl{[1,k]}{} ist. Da die rechte Seite beschränkt ist, gilt dies auch für die linke Seite, so dass wegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(n) }
{ \geq }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die Reihe konvergiert.}
{} \teilbeweis {}{}{}
{Ist umgekehrt die Reihe konvergent, so betrachten wir die Abschätzung
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{ 1 }^{ k } f ( t) \, d t }
{ \leq} { \sum_{n = 1}^{k-1} f(n) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} die gilt, da die rechte Seite das Treppenintegral zu einer \definitionsverweis {oberen Treppenfunktion }{}{} ist. Wegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(t) }
{ \geq }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist die Integralfunktion
\mathl{x \mapsto \int_{ 1 }^{ x } f ( t) \, d t}{} \definitionsverweis {wachsend}{}{} und beschränkt, da die rechte Seite wegen der Konvergenz der Reihe beschränkt ist. Daher besitzt die Integralfunktion für
\mathl{x \mapsto \infty}{} einen \definitionsverweis {Grenzwert}{}{} und das uneigentliche Integral existiert.}
{}

}





\inputbeispiel{}
{

Die Funktion \maabbeledisp {f} {[1, \infty]} {\R } {t} { { \frac{ 1 }{ t } } } {,} ist \definitionsverweis {streng fallend}{}{.} Daher ist die Funktion $g$, die für $x$ mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ k }
{ \leq }{ x }
{ < }{ k+1 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} \zusatzklammer {
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ k }
{ \in }{ \N }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}} {} {} durch
\mathl{{ \frac{ 1 }{ k } }}{} definiert ist, eine \anfuehrung{Majorante}{} für $f$, also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ g(t) }
{ \geq }{ f(t) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Auf jedem Intervall
\mathl{[1,n]}{} liefert $g$ eine \definitionsverweis {obere Treppenfunktion}{}{} zu $f$. Ebenso liefert die durch
\mathl{{ \frac{ 1 }{ k+1 } }}{} bei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ k }
{ \leq }{ x }
{ < }{ k+1 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} definierte Funktion $h$ eine untere Treppenfunktion für $f$. Daher gelten die Abschätzungen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \sum_{k = 1}^{n-1} { \frac{ 1 }{ k } } }
{ \geq} { \int_{ 1 }^{ n } { \frac{ 1 }{ t } } \, d t }
{ \geq} { \sum_{k = 1}^{n-1} { \frac{ 1 }{ k+1 } } }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Das Integral in der Mitte besitzt den Wert
\mathl{\ln n}{.} Daraus ergibt sich mit Lemma 37.1 ein neuer Beweis, dass die \definitionsverweis {harmonische Reihe}{}{} \definitionsverweis {divergiert}{}{.}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Gamma-area.svg} }
\end{center}
\bildtext {Die blaue Fläche stellt die Eulersche Konstante dar, die Darstellung ist überhöht.} }

\bildlizenz { Gamma-area.svg } {} {Kiwi128} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}

Die Differenz zwischen der linken und der rechten Summe ist
\mathl{1- { \frac{ 1 }{ n } }}{.} Daher ist die Differenz
\mathdisp {\sum_{k=1}^{n-1} { \frac{ 1 }{ k } } - \ln n} { }
für jedes $n$ positiv, mit $n$ wachsend und \definitionsverweis {nach oben beschränkt}{}{.} Daher existiert für
\mathl{n \rightarrow \infty}{} der Limes, und dieser Limes ändert sich nicht, wenn man vorne in der Summe bis $n$ aufsummiert anstatt bis
\mathl{n-1}{.} Wir setzen
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \gamma }
{ \defeq} { \lim_{n \rightarrow \infty} { \left( \sum_{k = 1}^{n} { \frac{ 1 }{ k } } - \ln n \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} und nennen sie die \stichwort {eulersche Konstante} {} \zusatzklammer {oder \stichwort {Mascheronische Konstante} {}} {} {.} Ihr numerischer Wert ist ungefähr
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \gamma }
{ =} { 0{,}5772156649\dotso }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Es ist ein offenes mathematisches Problem, ob diese Zahl \definitionsverweis {rational}{}{} ist oder nicht.


}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Zeta.svg} }
\end{center}
\bildtext {Die Riemannsche Zeta-Funktion im Reellen} }

\bildlizenz { Zeta.svg } {} {WhiteTimberwolf} {Commons} {PD} {}

Nach Beispiel 36.8 existiert für
\mathl{c <-1}{} das uneigentliche Integral
\mathl{\int_{ 1 }^{ \infty } t^c \, d t}{,} so dass aufgrund von Lemma 37.1, auch die Reihen
\mathl{\sum_{n=1}^\infty n^{c} = \sum_{n=1}^\infty { \frac{ 1 }{ n^{-c} } }}{} konvergieren. Daher ist die folgende Funktion wohldefiniert.


\inputdefinition
{}
{

Die \definitionswort {Riemannsche $\zeta$-Funktion}{} ist für
\mathbed {s\in \R} {mit}
{s > 1} {}
{} {} {} {} durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \zeta(s) }
{ =} { \sum_{n = 1}^\infty \frac{1}{n^s} }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} definiert.

} Diese Funktion lässt sich komplex fortsetzen und spielt eine wichtige Rolle in der Zahlentheorie.






\zwischenueberschrift{Die Fakultätsfunktion}

Die Fakultät einer natürlichen Zahl $n$ ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ n! }
{ = }{ \cdot(n-1)\cdot(n-2) \cdots 3\cdot 2 \cdot 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dabei gilt die rekursive Beziehung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ n! }
{ = }{ n ((n-1)!) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Gibt es eine Möglichkeit, diese für die natürlichen Zahlen definierte Funktion auf $\R_{\geq 0}$ durch eine differenzierbare Funktion $f$ fortzusetzen? Ist es sogar möglich, dass dabei die Beziehung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(x) }
{ = }{ x f(x-1) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für jedes $x$ gilt? Wir werden mit Hilfe von uneigentlichen Integralen zeigen, dass dies in der Tat möglich ist.




\inputbeispiel{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{x }
{ > }{-1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Wir betrachten die Funktion \maabbeledisp {} {\R_{+}} {\R } {t} { t^xe^{-t} } {.} Wir behaupten, dass das \definitionsverweis {uneigentliche Integral}{}{}
\mathdisp {\int_{ 0 }^{ \infty } t^xe^{-t} \, d t} { }
existiert. Für den rechten Rand \zusatzklammer {also $\infty$} {} {} betrachten wir eine natürliche Zahl
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{n }
{ \geq }{x }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Da die Exponentialfunktion schneller wächst als jede Polynomfunktion \zusatzklammer {siehe Aufgabe *****} {} {,} gibt es ein
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{a }
{ \in }{ \R_+ }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} derart, dass
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ t^n e^{ - { \frac{ t }{ 2 } } } }
{ \leq }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \geq }{a }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gilt. Daher ist
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{ \int_{ a }^{ b } t^x e^{-t} \, d t }
{ \leq} { \int_{ a }^{ b } t^n e^{-t} \, d t }
{ =} { \int_{ a }^{ b } t^n e^{- { \frac{ t }{ 2 } } } e^{- { \frac{ t }{ 2 } } } \, d t }
{ \leq} { \int_{ a }^{ b } e^{- { \frac{ t }{ 2 } } } \, d t }
{ =} { 2 { \left( e^{ - { \frac{ a }{ 2 } } } - e^{ - { \frac{ b }{ 2 } } } \right) } }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ \leq} { 2 e^{ - { \frac{ a }{ 2 } } } }
{ } {}
{ } {}
{ } {}
} {}{.} Für
\mathl{b \rightarrow \infty}{} wächst das linke Integral und ist durch
\mathl{2 e^{ - { \frac{ a }{ 2 } } }}{} \definitionsverweis {beschränkt}{}{,} so dass der Grenzwert existiert. Für das Verhalten am linken Rand \zusatzklammer {das nur bei
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ -1 }
{ < }{x }
{ \leq }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} problematisch ist} {} {} müssen wir wegen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ e^{-t} }
{ \leq }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} nach Lemma 36.6 nur
\mathl{\int_{ 0 }^{ 1 } t^x \, d t}{} betrachten. Eine Stammfunktion davon ist
\mathl{{ \frac{ 1 }{ x+1 } } t^{x+1}}{,} deren Exponent positiv ist, so dass der Limes für
\mathl{t \rightarrow 0}{} existiert.


}

Das uneigentliche Integral
\mathdisp {\int_{ 0 }^{ \infty } t^x e^{-t} \, d t} { }
existiert also für
\mathl{x \in \R,\ x > -1}{.} Dies ist der Ausgangspunkt für die Definition der Fakultätsfunktion.




\inputdefinition
{}
{

Für
\mathbed {x \in \R} {}
{x > -1} {}
{} {} {} {,} heißt die \definitionsverweis {Funktion}{}{}
\mathdisp {x \longmapsto \operatorname{Fak} \, (x) \defeq \int_{ 0 }^{ \infty } t^x e^{-t} \, d t} { }
die \definitionswort {Fakultätsfunktion}{.}

}

Die für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ > }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \Gamma(x) }
{ \defeq} { \operatorname{Fak} \, (x-1) }
{ =} { \int_{ 0 }^{ \infty } t^{x-1} e^{-t} \, d t }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} definierte Funktion heißt \stichwort {Gammafunktion} {,} mit der häufiger gearbeitet wird. Mit der Fakultätsfunktion werden aber die Formeln etwas schöner und insbesondere wird der Zusammenhang zur Fakultät, der in der folgenden Aussage aufgezeigt wird, deutlicher.




\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Factorial_plot.png} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Factorial plot.png } {Mathacw} {} {PD} {} {}





\inputfaktbeweis
{Fakultätsfunktion/Reell/Elementare Eigenschaften/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {}
\faktvoraussetzung {Die \definitionsverweis {Fakultätsfunktion}{}{} besitzt die folgenden Eigenschaften.}
\faktfolgerung {\aufzaehlungvier{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, (x) }
{ = }{ x \cdot \operatorname{Fak} \, (x-1) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ > }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, (0) }
{ = }{ 1 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, (n) }
{ = }{ n! }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für natürliche Zahlen
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ n }
{ \in }{ \N }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, { \left( - \frac{1}{2} \right) } }
{ = }{ \sqrt{\pi} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

\teilbeweis {}{}{}
{(1) Mittels partieller Integration ergibt sich \zusatzklammer {für reelle Zahlen
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ b }
{ \geq }{ a }
{ > }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} bei fixiertem
\mavergleichskettek
{\vergleichskettek
{ x }
{ > }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}} {} {}
\mavergleichskettealignhandlinks
{\vergleichskettealignhandlinks
{ \int_{ a }^{ b } t^x e^{-t} \, d t }
{ =} { -t^x e^{-t} | _{ a } ^{ b } + \int_{ a }^{ b } x t^{x-1} e^{-t} \, d t }
{ =} { -b^x e^{-b} + a^x e^{-a} + x \cdot \int_{ a }^{ b } t^{x-1} e^{-t} \, d t }
{ } { }
{ } { }
} {} {}{.} Für
\mathl{b \rightarrow \infty}{} geht
\mathl{b^xe^{-b} \rightarrow 0}{} und für
\mathl{a \rightarrow 0}{} geht
\mathl{a^xe^{-a} \rightarrow 0}{} \zusatzklammer {da $x$ positiv ist} {} {.} Wendet man auf beide Seiten diese Grenzwertprozesse an, so erhält man
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, (x) }
{ = }{ x \operatorname{Fak} \, (x-1) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}}
{} \teilbeweis {}{}{}
{(2). Es ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, (0) }
{ =} { \int_{ 0 }^{ \infty } e^{-t} \, d t }
{ =} { - e^{-t} | _{ 0 } ^{ \infty } }
{ =} { 1 }
{ } { }
} {}{}{.}}
{} \teilbeweis {}{}{}
{(3) folgt aus (1) und (2) durch Induktion.}
{} \teilbeweis {}{}{}
{(4). Es ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Fak} \, { \left( -\frac{1}{2} \right) } }
{ =} { \int_{ 0 }^{ \infty } t^{- \frac{1}{2} }e^{-t} \, d t }
{ =} { 2 \int_{ 0 }^{ \infty } e^{-s^2} \, d s }
{ =} { \int_{ - \infty }^{ \infty } e^{-s^2} \, d s}
{ =} { \sqrt{\pi} }
} {}{}{.} Dies ergibt sich mit der Substitution
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ t }
{ = }{ s^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und dem sogenannten Fehlerintegral.}
{}

}






\zwischenueberschrift{Gewöhnliche Differentialgleichungen}






\bild{ \begin{center}
\includegraphics[width=5.5cm]{\bildeinlesung {Taraxacum_sect_Ruderalia13_ies.jpg} }
\end{center}
\bildtext {} }

\bildlizenz { Taraxacum sect Ruderalia13 ies.jpg } {Frank Vincentz} {} {Commons} {CC-by-sa 3.0} {}

Welche Bewegung vollzieht ein Löwenzahnfallschirmchen? Das Fallschirmchen lässt sich zu jedem Zeitpunkt von dem Wind tragen, der an der Stelle herrscht, wo es sich gerade befindet. Der Wind, seine Stärke und seine Richtung, hängt sowohl von der Zeit als auch vom Ort ab. Das bedeutet, dass hier ein gewisser \anfuehrung{Rückkopplungsprozess}{} vorliegt: Die bisherige Bewegung \zusatzklammer {also die Vergangenheit} {} {} bestimmt, wo sich das Fallschirmchen befindet und damit auch, welcher Wind auf es einwirkt und damit den weiteren Bewegungsablauf. Solche Bewegungsprozesse werden durch Differentialgleichungen beschrieben.

Differentialgleichungen sind ein fundamentaler Bestandteil der Mathematik und der Naturwissenschaften. Sie drücken eine Beziehung zwischen einer abhängigen Größe \zusatzklammer {häufig \mathlk{y(t)}{}} {} {} und der Änderung dieser Größe \zusatzklammer {\mathlk{y'(t)}{}} {} {} aus. Viele Gesetzmäßigkeiten in der Natur wie Bewegungsprozesse, Ablauf von chemischen Reaktionen, Wachstumsverhalten von Populationen werden durch Differentialgleichungen beschrieben. Hier besprechen wir nur solche Differentialgleichungen, die durch Integration gelöst werden können.

Die Vektorfelder werden im Folgenden nicht immer auf ganz $\R^2$ definiert sein, sondern auf einer \stichwort {offenen Menge} {}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Dabei heißt $U$ offen, wenn es zu jedem Punkt
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Ballumgebung
\mathl{U(P,r)}{} gibt, die ganz in $U$ liegt.


\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Teilmenge und es sei \maabbeledisp {f} {U} {\R } {(t,y)} {f(t,y) } {,} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.} Dann nennt man
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{y' }
{ =} {f(t,y) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} die \zusatzklammer {gewöhnliche} {} {} \definitionswort {Differentialgleichung}{} zu $f$ \zusatzklammer {oder zum \stichwort {Vektorfeld} {} oder zum \stichwort {Richtungsfeld} {} $f$} {} {.}

}

Dabei ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{y' }
{ = }{ f(t,y) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} erstmal nur ein formaler Ausdruck, dem wir aber sofort eine inhaltliche Interpretation geben. Das $y$ soll eine Funktion in einer Variablen repräsentieren und $y'$ ihre Ableitung. Dies wird präzisiert durch den Begriff der \stichwort {Lösung einer Differentialgleichung} {.}


\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Teilmenge und es sei \maabbeledisp {f} {U} {\R } {(t,y)} {f(t,y) } {,} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.} Zur \definitionsverweis {gewöhnlichen Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{y' }
{ =} {f(t,y) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} heißt eine \definitionsverweis {Funktion}{}{} \maabbeledisp {y} {I} {\R } {t} {y(t) } {,} auf einem \zusatzklammer {mehrpunktigen} {} {} \definitionsverweis {Intervall}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{\R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionswort {Lösung der Differentialgleichung}{,} wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind. \aufzaehlungdrei{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t,y(t)) }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }{Die Funktion $y$ ist \definitionsverweis {differenzierbar}{}{.} }{Es ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{y'(t) }
{ = }{f(t,y(t)) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für alle
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{t }
{ \in }{I }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} }

} Statt Lösung sagt man auch \stichwort {Lösungsfunktion} {} oder \stichwort {Lösungskurve} {.} Es sei betont, dass anders als bei vielen Gleichungen wie quadratische Gleichungen oder lineare Gleichungssysteme, wo die Lösung eine Zahl oder ein Vektor ist, die Lösungen von Differentialgleichungen Funktionen sind.

Differentialgleichungen beschreiben häufig physikalische Prozesse, insbesondere Bewegungsprozesse. Daran soll auch die Notation erinnern, es steht $t$ für die Zeit und $y$ für den Ort. Dabei ist hier der Ort eindimensional, d.h. die Bewegung findet nur auf einer Geraden statt. Den Wert
\mathl{f(t,y)}{} sollte man sich als eine zu einem Zeit- und Ortspunkt vorgegebene Richtung auf der Ortsgeraden vorstellen. Eine Lösung ist dann eine Funktion \maabbeledisp {y} {I} { \R } {t} { y(t) } {,} die differenzierbar ist und deren Ableitung, vorgestellt als Momentangeschwindigkeit, zu jedem Zeitpunkt $t$ mit dem durch
\mathl{f(t,y(t))}{} gegebenen Richtungsvektor übereinstimmt. Später werden wir auch Bewegungen betrachten, die sich in der Ebene oder im Raum abspielen, und die durch ein entsprechendes Richtungsfeld gesteuert werden.


Die Lösung einer Differentialgleichung ist im Allgemeinen nicht eindeutig, man muss noch Anfangsbedingungen festlegen.


\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Teilmenge und es sei \maabbeledisp {f} {U} {\R } {(t,y)} {f(t,y) } {,} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t_0,y_0) }
{ \in }{U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} vorgegeben. Dann nennt man
\mathdisp {y'=f(t,y) \text{ und } y(t_0)=y_0} { }
das \definitionswort {Anfangswertproblem}{} zur \definitionsverweis {gewöhnlichen Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{y' }
{ = }{f(t,y) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit der \definitionswort {Anfangsbedingung}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ y(t_0) }
{ = }{y_0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.}

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ \R^2 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine offene Teilmenge und es sei \maabbeledisp {f} {U} {\R } {(t,y)} {f(t,y) } {,} eine \definitionsverweis {Funktion}{}{.} Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ (t_0,y_0) }
{ \in }{ U }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} vorgegeben. Dann nennt man eine \definitionsverweis {Funktion}{}{} \maabbeledisp {y} {I} {\R } {t} {y(t) } {,} auf einem \definitionsverweis {Intervall}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{I }
{ \subseteq }{ \R }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionswort {Lösung des Anfangswertproblems}{}
\mathdisp {y'=f(t,y) \text{ und } y(t_0)=y_0} { , }
wenn $y$ eine \definitionsverweis {Lösung der Differentialgleichung}{}{} ist und wenn zusätzlich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ y(t_0) }
{ =} { y_0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} gilt.

}

Es gibt kein allgemeines Verfahren eine Differentialgleichung bzw. ein Anfangswertproblem explizit zu lösen. Die Lösbarkeit hängt wesentlich von der gegebenen Funktion
\mathl{f(t,y)}{} ab.

Das eine Differentialgleichung beschreibende Vektorfeld
\mathl{f(t,y)}{} hängt im Allgemeinen von beiden Variablen \mathkor {} {t} {und} {y} {} ab. Einfache, aber keineswegs triviale Spezialfälle von Differentialgleichungen liegen vor, wenn das Vektorfeld nur von einer der beiden Variablen abhängt.


\inputdefinition
{}
{

Eine \definitionsverweis {gewöhnliche Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ y' }
{ =} { f(t,y) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} heißt \definitionswort {ortsunabhängig}{,} wenn die Funktion $f$ nicht von $y$ abhängt, wenn also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(t,y) }
{ = }{ g(t) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit einer Funktion $g$ in der einen Variablen $t$ gilt.

}

Eine ortsunabhängige gewöhnliche Differentialgleichung
\mathdisp {y'=g(t)} { }
zu einer stetigen Funktion $g$ ist nichts anderes als das Problem, eine Stammfunktion
\mathl{G(t)}{} von $g$ zu finden; eine Lösung $y$ der Differentialgleichung ist ja genau durch die Bedingung ausgezeichnet, dass
\mathl{y'(t)= g(t)}{} ist. Da eine Stammfunktion nur bis auf die Integrationskonstante bestimmt ist, besitzt ein ortsunabhängiges Anfangswertproblem eine eindeutige Lösung.




\inputdefinition
{}
{

Eine \definitionsverweis {gewöhnliche Differentialgleichung}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{y' }
{ =} {f(t,y) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} heißt \definitionswort {zeitunabhängig}{,} wenn die Funktion $f$ nicht von $t$ abhängt, wenn also
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{f(t,y) }
{ = }{ h(y) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} mit einer Funktion $h$ in der einen Variablen $y$ gilt.

}

Bei einer zeitunabhängigen Differentialgleichung hängt nur das zugrunde liegende Vektorfeld nicht von der Zeit ab, die Lösungskurven sind hingegen im Allgemeinen zeitabhängig.


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