Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 36
In dieser Vorlesung entwickeln wir die Integrationstheorie in zweierlei Hinsicht weiter. Einerseits untersuchen wir, wie sich bei einer konvergenten Funktionenfolge die Integrale verhalten. Andererseits beschäftigen wir uns mit der Frage, was passiert, wenn wir in einem Integral die Intervallgrenzen gegen unendlich oder gegen eine Zahl, wo die Funktion nicht definiert ist, wandern lassen.
- Integrale von Grenzfunktionen
Es sei
eine gleichmäßig konvergente Folge von stetigen Funktionen mit der Grenzfunktion
Dann gilt die Beziehung
Da die Grenzfunktion nach Fakt ***** stetig ist, existiert das bestimmte Integral rechts nach Satz 31.14. Für jedes gibt es ein mit
für alle und alle . Daher gilt für diese die Abschätzung unter Verwendung von Lemma 31.15 (3) und Lemma 31.15 (6)
Es sei ein metrischer Raum und ein kompaktes Intervall. Es sei
eine stetige Funktion.
Dann ist auch die Funktion
stetig.
Aufgrund von Satz 20.3 müssen wir für jede konvergente Folge in mit dem Grenzwert zeigen, dass die Folge der Integrale
gegen
konvergiert. Aufgrund von Lemma 36.1 genügt es zu zeigen, dass die Funktionenfolge gleichmäßig gegen konvergiert. Nehmen wir also an, dass diese Folge nicht gleichmäßig konvergiert. Dann gibt es ein mit der Eigenschaft, dass es zu jedem ein und ein mit gibt. So können wir eine Teilfolge mit zugehörigen Punkten konstruieren, die diese Abstandbedingung erfüllen. Wegen Bolzano Weierstraß gibt es zu dieser Folge in eine konvergente Teilfolge, und durch Umbenennen können wir annehmen, dass die Folge konvergiert, sagen wir gegen . Wegen der Stetigkeit von und den Konvergenzeigenschaften gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzungen und gelten. Damit ist
ein Widerspruch.
- Uneigentliche Integrale
Wir erinnern zunächst an die Definition des Grenzwertes.
Es sei ein metrischer Raum, sei eine Teilmenge und sei ein Berührpunkt von . Es sei
eine Abbildung in einen weiteren metrischen Raum . Dann heißt der Grenzwert (oder Limes) von in , wenn es für jedes ein gibt mit der folgenden Eigenschaft: Für jedes ist . In diesem Fall schreibt man
Wir interessieren uns dabei hauptsächlich für den Fall, wo eine stetige Funktion gegeben ist und die stetige Fortsetzbarkeit nach oder nach geklärt werden soll. Wir wollen aber auch für eine Funktion das Verhalten für oder erfassen.
Es sei ein metrischer Raum und es sei
eine Abbildung. Dann heißt der Grenzwert von für , wenn es für jedes ein gibt mit der folgenden Eigenschaft: Für jedes , , ist .
Unter einem Randpunkt eines (ein- oder beidseitig) unbeschränkten Intervalls verstehen wir im Folgenden auch die Symbole und . Dies heißt nicht, dass diese Symbole zu gehören, sondern lediglich, dass man dafür sinnvolle Grenzwertbetrachtungen durchführen kann.
Es sei ein Intervall, ein (uneigentlicher) Randpunkt von und . Es sei eine stetige Funktion
gegeben. Man sagt, dass das uneigentliche Integral zu für existiert, wenn der Grenzwert
existiert. In diesem Fall schreibt man für diesen Grenzwert auch
und nennt dies das uneigentliche Integral von nach
Die Existenz dieses uneigentlichen Integrals hängt nicht vom gewählten Intervallpunkt ab, wohl aber der Wert des uneigentlichen Integrals. Die inhaltliche Interpretation des uneigentlichen Integrals ist wiederum der Flächeninhalt unterhalb des Funktionsgraphen, aber erstreckt über ein nicht notwendigerweise kompaktes Intervall. Wenn für die Funktion eine Stammfunktion bekannt ist, so geht es um das Bestimmen des Grenzwertes
Die Frage, ob eine uneigentliches Integral existiert, ist nur relevant, wenn ein uneigentlicher Randpunkt oder ist oder wenn der eigentliche Randpunkt eines an dieser Stelle halboffenen Intervalls ist.
Es sei ein reelles Intervall, und sei ein (uneigentlicher) Randpunkt von . Es seien
und es sei vorausgesetzt, dass das uneigentliche Integral
existiert.
Dann existiert auch das uneigentliche Integral
und es gilt
Es sei mit . Wir interessieren uns für die uneigentlichen Integrale zu für von bis . Dabei ist die Funktion bei der Intervallgrenze (bei negativem ) nicht definiert, das ist also der kritische Randpunkt. Bei ist eine Stammfunktion von . Daher ist
und der Grenzwert für existiert nicht. Das uneigentliche Integral existiert also nicht.
Es sei nun . Dann ist eine Stammfunktion zu und daher ist
Da es sich rechts um eine Potenz von mit einem negativen Exponenten handelt, ist nach der inversen Version von Aufgabe *****.
Das uneigentliche Integral existiert also nicht. Dies folgt übrigens auch aus Lemma 36.6, da ja für und gilt.
Es sei nun . Dann ist eine Stammfunktion zu und daher ist
Da es sich um eine Potenz von mit einem positiven Exponenten handelt, ist (nach Aufgabe *****). Das uneigentliche Integral existiert also und besitzt den Wert .
Es sei mit . Wir interessieren uns für das uneigentliche Integral zu für von bis . Der kritische (uneigentliche) Randpunkt ist also . Bei ist eine Stammfunktion von . Daher ist
und der Grenzwert für existiert nicht. Das uneigentliche Integral existiert also nicht.
Es sei nun . Dann ist eine Stammfunktion zu und daher ist
Da es sich um eine Potenz von mit einem negativen Exponenten handelt, ist . Das uneigentliche Integral existiert also und besitzt den Wert .
Bei ist für und daher kann nach Lemma 36.6 das uneigentliche Integral nicht existieren.
Es sei ein Intervall mit den beiden (uneigentlichen) Randpunkten und von . Es sei eine stetige Funktion
gegeben. Man sagt, dass das (beidseitig) uneigentliche Integral
existiert, wenn für ein die beiden einseitig uneigentlichen Integrale
existieren. In diesem Fall setzt man
und nennt dies das uneigentliche Integral zu von nach .
Die Existenz des beidseitig uneigentlichen Integrals hängt nicht von der Wahl des Punktes ab. Darüber hinaus hängt der Wert dieses Integrals, falls es existiert, ebenso wenig von dem gewählten Punkt ab.
Die Funktion ist nicht elementar integrierbar, d.h., man kann keine geschlossene Stammfunktion mit rationalen Funktionen, Exponentialfunktion, trigonometrischen Funktionen und ihren Umkehrfunktionen angeben. Es ist
was wir hier ohne Beweis mitteilen, siehe Lemma 75.5. Durch eine einfache Substitution ergibt sich daraus
Dieses Integral nennt man Fehlerintegral; es spielt in der Stochastik eine wichtige Rolle.
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