Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 2



Nullstellengebilde von Polynomen

Wir legen, ausgehend von der Situation des Satzes über implizite Abbildungen, die geometrischen Objekte und die Funktionen darauf fest, mit denen wir uns hauptsächlich in dieser Vorlesung beschäftigen wollen.


Es sei ein Körper. Dann nennt man den affinen Raum über der Dimension .

Der affine Raum ist also zunächst einfach eine Menge aus Punkten. Ein Punkt im affinen Raum ist einfach ein -Tupel mit Koordinaten aus . Für spricht man von der affinen Geraden und für von der affinen Ebene.

Ein Polynom fasst man in natürlicher Weise als Funktion auf dem affinen Raum auf: Einem Punkt mit wird der Wert zugeordnet, indem die Variable durch ersetzt wird und alles in ausgerechnet wird. Zu einen Polynom kann man insbesondere fragen, ob ist oder nicht. Zu rückt dann insbesondere das dadurch definierte „Nullstellengebilde“ ins Interesse.


Zu einem Polynom über einem Körper nennt man

die durch definierte (affin-algebraische) Hyperfläche.

Neben Nullstellengebilden, die durch eine Gleichung definiert sind, ist es auch sinnvoll, zu untersuchen, wie das gemeinsame (simultane) Nullstellengebilde zu mehreren Polynomen aussieht. Dieses beschreibt den Durchschnitt der einzelnen beteiligten Nullstellengebilde (wie beispielsweise bei Kegelschnitten, wo man einen Kegel im dreidimensionalen Raum mit verschiedenen Ebenen schneidet).

Kegelschnitte sind die Nullstellengebilde, die als Durchschnitt des Doppelkegels mit einer Ebenen entstehen.


Daher definieren wir allgemein.


Es sei ein Körper und sei , , eine Familie von Polynomen in Variablen. Dann nennt man

das durch die Familie definierte Nullstellengebilde (oder Nullstellenmenge). Es wird mit bezeichnet.

Diejenigen Teilmengen des affinen Raumes, die als Nullstellenmengen auftreten, verdienen einen eigenen Namen.


Es sei ein Körper und sei der Polynomring in Variablen. Dann heißt eine Teilmenge im affinen Raum affin-algebraisch, wenn sie die Nullstellenmenge zu einer Familie , , von Polynomen ist, wenn also gilt.

Oft spricht man auch von Varietäten, wobei dieser Begriff eigentlich für irreduzible affin-algebraische Mengen reserviert wird. Die einfachsten Beispiele sind eine endliche Punktemenge auf der affinen Geraden , die durch ein einzelnes Polynom gegeben sind, und affin-lineare Unterräume im , die ja als Lösungsmenge eines inhomogenen linearen Gleichungssystems über gegeben sind. Wir führen ohne Beweise einige wichtige Aussagen für affin-algebraische Mengen an.


Es sei ein Körper und sei , , eine Familie von Polynomen in Variablen. Es sei das von den erzeugte Ideal in . Dann ist

Wir können also im Folgenden bei jeder Nullstellenmenge davon ausgehen, dass sie durch ein Ideal gegeben ist.

Affin-algebraische Teilmengen des affinen Raumes erfüllen einige wichtige strukturelle Eigenschaften.


Es sei ein Körper, der Polynomring in Variablen und sei der zugehörige affine Raum. Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Es ist , d.h. der ganze affine Raum ist eine affin-algebraische Menge.
  2. Es ist , d.h. die leere Menge ist eine affin-algebraische Menge.
  3. Es seien affin-algebraische Mengen mit . Dann gilt

    Insbesondere ist die Vereinigung von endlich vielen affin-algebraischen Mengen wieder eine affin-algebraische Menge.

  4. Es seien , , affin-algebraische Mengen mit . Dann gilt
    Insbesondere ist der Durchschnitt von beliebig vielen affin-algebraischen Mengen wieder eine affin-algebraische Menge.

Diese strukturellen Eigenschaften erlauben es, eine Topologie auf dem affine Raum einzuführen, die für das Studium von Polynomen angemessen ist.


In einem affinen Raum versteht man unter der Zariski-Topologie diejenige Topologie, bei der die affin-algebraischen Mengen als abgeschlossen erklärt werden.

Die offenen Mengen in dieser Topologie werden mit

bezeichnet. Die Zariski-Topologie ist nicht Hausdorffsch, es gibt keine kleinen offenen Bälle.

Der folgende Satz heißt Hilbertscher Basissatz. Er besagt, dass Ideale im Polynomring endlich erzeugt sind und damit auch, dass affin-algebraische Mengen stets durch eine endliche Familie von Polynomen beschrieben werden können.


Es sei ein Körper.

Dann ist noethersch.



Der Hilbertsche Nullstellensatz

Sei eine Teilmenge. Dann nennt man

das Verschwindungsideal zu . Es wird mit bezeichnet.

Wenn man mit einem Ideal startet, so erhält man die Nullstellenmenge und dazu wiederum das Verschwindungsideal, das das Ausgangsideal umfasst. Über die reellen Zahlen kann es dabei eine große Diskrepanz geben. Wenn man beispielsweise mit dem Hauptideal startet, so ist die Nullstellenmenge allein der Nullpunkt und dessen zugehöriges Verschwindungsideal ist , das deutlich größer ist. Eine solche Diskrepanz kann es über einem algebraisch abgeschlossenen Körper nicht geben. Es gibt aber auch das folgende einfache Phänomen, das über jedem Körper gilt. Wenn das definieren Ideal eine Potenz besitzt, so verschwindet nicht nur auf der Nullstellenmenge, sondern auch . Diese Beobachtung führt zu dem folgenden idealtheoretischen Begriff.


Ein Ideal in einem kommutativen Ring heißt Radikal (oder Radikalideal), wenn folgendes gilt: Falls ist für ein , so ist bereits .

Der folgende Satz heißt Hilbertscher Nullstellensatz. Man sollte ihn so verstehen, dass über einem algebraisch abgeschlossenen Körper die Nullstellenmengen von Polynomen stets so groß sind, dass man daraus wesentliche algebraische Eigenschaften erschließen kann. Der Übergang von der Algebra zur Geometrie ist also durch keinen (großen) Informationsverlust gekennzeichnet.


Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper mit dem Polynomring und dem affinen Raum .

Dann gibt es eine natürliche Korrespondenz zwischen affin-algebraischen Mengen in und Radikalidealen in .

Dabei gehen Radikale auf ihre Nullstellengebilde und affin-algebraische Mengen auf ihre Verschwindungsideale.

Zu einem einzelnen Punkt ist das Verschwindungsideal das maximale Ideal . Es besteht aus allen Polynomen, die im gegebenen Punkt den Wert annehmen. Ein Spezialfall des Hilbertschen Nullstellensatzes ist, dass jedes maximale Ideal des Polynomringes diese Form besitzt. Über einem algebraisch abgeschlossenen Körper entsprechen sich also Punkte und maximale Ideale. Ein weiteres wichtiges Konzept für Ideale ist das Primideal.


Ein Ideal in einem kommutativen Ring heißt Primideal, wenn ist und wenn für mit folgt: oder .


Eine affin-algebraische Menge heißt irreduzibel, wenn ist und es keine Zerlegung mit affin-algebraischen Mengen gibt.

Aus dem Hilbertschen Nullstellensatz ergibt sich die folgende Korrespondenz.


In der durch den Hilbertschen Nullstellensatz gegebenen Korrespondenz

entsprechen sich irreduzible Varietäten und Primideale.

Die bunte Kurve besitzt drei irreduzible Komponenten, den Kreis, den Parabelbogen und die Gerade.

Es sei eine affin-algebraische Menge. Eine affin-algebraische Teilmenge heißt eine irreduzible Komponente von , wenn sie irreduzibel ist und wenn es keine irreduzible Teilmenge gibt.

Die irreduziblen Komponenten sind die maximalen irreduziblen Teilmengen des Nullstellengebildes.



Der affine Koordinatenring

Wie in der ersten Vorlesung erwähnt gehört zu einem geometrischen Objekt eine adäquate Klasse von darauf definierten Funktionen mit Werten in einem geeigneten Körper. Da man Funktionen von einer Menge in einen Körper unmittelbar addieren und multiplizieren kann, bilden solche Funktionenmengen einen kommutativen Ring. In der algebraischen Geometrie und insbesondere in der Theorie der Schemata ist die Beziehung zwischen geometrischen Objekten und kommutativen Ringen besonders eng. Andere typische Beispiele für solche beringten Räume sind.

  1. Topologische Räume und -wertige stetige Funktionen.
  2. Reelle Mannigfaltigkeiten und stetig differenzierbare -wertige Funktionen.
  3. Reell-analytische Mannigfaltigkeiten und reell-analytische Funktionen.
  4. Komplexe Mannigfaltigkeiten und holomorphe Funktionen.

Um eine affin-algebraische Menge, die bisher einfach die Nullstellenmenge zu einer Familie von Polynomen ist, besser verstehen zu können, müssen wir festlegen, welche Funktionen wir darauf als passend zur gegebenen algebraischen Struktur auffassen wollen. Für den affinen Raum soll der Polynomring in Variablen über der Ring der relevanten Funktionen sein. Eine Polynomfamilie in Variablen legt selbst ein geometrisches Objekt fest, nämlich die zugehörige Nullstellenmenge . Die Polynome des umgebenden Raumes ergeben unmittelbar durch Einschränken Funktionen auf . Allerdings liefert eine Funktion aus der Polynomfamilie, mit der man festgelegt hat, einfach die Nullfunktion auf . Von daher ist es natürlich, diese Funktionen in einem algebraischen Sinn vom Polynomring ausgehend zu zu machen. Die Menge der auf verschwindenden Polynome bilden ein Ideal im Polynomring, das die definierende Polynomfamilie samt allen Linearkombinationen umfasst und das das Verschwindungsideal zu heißt. Wenn man ein Ideal zu machen möchte, so steht eine wichtige algebraische Konstruktion zur Verfügung, der Restklassenring.


Zu einer affin-algebraischen Menge mit Verschwindungsideal nennt man den Koordinatenring von .

Diese Definition ist bei einem algebraisch abgeschlossenen Körper sinnvoll, hat sonst aber auch einige Tücken. Wenn man reell das Polynom betrachtet, so besteht allein aus dem Nullpunkt und somit gehört bereits zum Verschwindungsideal, aber nicht zu dem von erzeugten Ideal. Der Restklassenring ist dann einfach , was zu dem einen Punkt gut passt, aber woran das Ausgangspolynom nicht mehr erkennbar ist. Eine alternative Sichtweise besteht darin, den Restklassenring als passenden Ring anzusehen.


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