Algebraische Differentialoperatoren/Einführung/1/Textabschnitt



Differentialoperatoren auf dem Polynomring


Es sei ein Körper. Zu einem Polynom

und , , heißt das Polynom

die formale partielle Ableitung von nach .

Es wird also einfach algebraisch gemäß der üblichen Formel abgeleitet. Wenn ein Vielfaches der Charakteristik des Körpers ist, so kann diese Ableitung „überraschenderweise“ ergeben. Statt schreibt man auch kurz . Insgesamt handelt es sich um eine -lineare Abbildung

Es gilt die Produktregel (oder Leibnizregel)

Diese partiellen Ableitungen kann man miteinander verknüpfen. Hierzu empfiehlt sich Monomschreibweise. Zu einem Tupel (einem Multiindex)

setzen wir

wobei die -fache Hintereinanderschaltung von bezeichnet. Bei dieser Gesamtkomposition kommt es nicht auf die Reihenfolge an, was hier im algebraischen Kontext einfacher ist als der analytische Satz von Schwarz. Die Summe

nennt man die Ordnung der Hintereinanderschaltung. Zu einem Monom ist

wobei zu einem Tupel die Fakultät als

definiert wird und wobei dieser Ausdruck als zu verstehen ist, wenn in einer Komponente negativ ist.


Es sei ein Körper der Charakteristik . Unter einem (formalen) Differentialoperator auf versteht man eine endliche Summe

mit polynomialen Koeffizientenfunktionen , wobei die Indizes Tupel aus sind.

Die Ordnung eines Operators ist das maximale mit . Ein solcher Differentialoperator ist eine -lineare Abbildung

Er führt also polynomiale Funktionen auf dem in ebensolche Funktionen über. Im physikalischen Kontext sind die Koeffizientenfunktionen häufig nur stetige Funktionen auf einer offenen Menge , und da beim Anwenden des Operators der Differenzierbarkeitsgrad heruntergeht, sind die Funktionenräume, die aus hinreichend oft differenzierbaren Funktionen bestehen und die als Definitionsbereich und als Wertebereich auftreten, nicht unbedingt identisch. Die beschriebenen Differentialoperatoren nennt man genauer lineare partielle Differentialoperatoren. Partiell bezieht sich dabei darauf, dass es mehr als eine Variable gibt (sonst spricht man von gewöhnlichen Differentialgleichungen) und linear darauf, dass die einzelnen nur mit Koeffizientenfunktionen multipliziert werden, aber beispielsweise nicht quadriert werden. Insbesondere ist der Operator als Abbildung -linear. Ein nichtlinearer partieller Differentialoperator ist beispielsweise der Monge-Ampère-Operator

Hier steht links nicht die Verknüpfung der Operatoren, sondern das Produkt! Die Wirkungsweise auf eine Funktion ist also .

Ein Differentialoperator auf

und ein Polynom gibt Anlass zur (linearen) partiellen Differentialgleichung

wobei nach den Lösungen (bzw. realistischer im Ring der hinreichend oft differenzierbaren Funktionen auf dem , ) gesucht wird. Prominente partielle Differentialgleichungen sind die Wärmeleitungsgleichung mit

(in ) oder die Wellengleichung

(in ).



Den Operator

nennt man den Homogenitätsoperator oder die Euler-Derivation. Er bildet ein Monom auf ab. Allgemeiner wird ein homogenes Polynom von Grad durch diesen Operator auf abgebildet. Die homogenen Polynome vom Grad sind also die Eigenvektoren zum Eigenwert zu diesem Operator.


Die Differentialoperatoren haben die besondere Eigenschaft, dass sie auf abbilden. Generell gibt es für jedes Polynom einen Operator, der dieses Polynom auf abbildet. Wenn die Form

mit einem vom Grad für ein bestimmtes , so ist ein Operator, der auf abbildet.


Wir nennen einen Differentialoperator unitär, wenn es ein Polynom mit

gibt, wenn also die partielle Differentialgleichung eine Lösung besitzt. Wegen der Existenz der Operatoren gibt es in einem Polynomring viele unitäre Operatoren. Ein Operator wie ist nicht unitär.

Die Operatoren sind in positiver Charakteristik zunächst nicht definiert, wenn ein Vielfaches der Charakteristik ist. Dennoch kann man dieses Operatoren auch in diesem Fall sinnvoll interpretieren.

Die mehrdimensionale Taylor-Formel (bis zur Ordnung ) hat die Form (siehe Fakt)

Dabei ist eine hinreichend oft differenzierbare Funktion in einer Umgebung eines Punktes , repräsentiert einen von ausgehenden Vektor und bedeutet, dass der Fehlerterm in einem gewissen Sinne klein ist. Wenn ein Polynom über einem beliebigen Körper ist, so gilt diese Beziehung nach wie vor (bei hinreichend groß handelt es sich um eine Gleichung), und zwar im Polynomring , und diese Beziehung lässt sich direkt algebraisch beweisen. Beispielsweise ist für

Die Koeffizientenfunktion vor , also die konstante Funktion , kann man als erhalten. Da die Gleichung aber algebraisch ist, gilt sie in jeder Charakteristik. In der Tat kann man den Ausdrücken auch in positiver Charakteristik einen wohldefinierten Sinn zuordnen, nämlich eben als Koeffizientenfunktion zu in der Taylor-Entwicklung. Zur Berechnung kann man dabei so vorgehen, dass man „normal“ vollständig ableitet und die vorgezogenen Exponenten erstmal in belässt, dann mit kürzt (das Ergebnis bleibt in ) und erst dann diese Zahl in interpretiert.

Über einem Körper der Charakteristik gibt es also auch die Differentialoperatoren . Insbesondere ist

Diese Operatoren sind aber nicht, wie in Charakteristik , als eine Hintereinanderschaltung von partiellen Ableitungen realisierbar. Der Ring aller Differentialoperatoren ist in positiver Charakteristik nicht endlich erzeugt.


Einen Differentialoperator auf bzw. auf kann man auf jede offene Menge einschränken. Er ist dann definiert auf der entsprechenden Funktionsklasse auf . Dies gilt auch im algebraischen Kontext.

Die partiellen Ableitungen sind lokal in dem Sinne, dass nur von einer offenen Umgebung des Punktes abhängt und auch nur auf einer solchen Umgebung definiert sein muss. Insbesondere ist für rationale Funktionen (also Polynome mit ) wohldefiniert, und ergibt wieder eine rationale Funktion, die außerhalb der Nullstellenmenge von definiert ist. Dies überträgt sich auf alle Differentialoperatoren. Insbesondere führt ein Differentialoperator auf zu einem Differentialoperator auf dem Körper der rationalen Funktionen

Umgekehrt lässt sich nicht jeder auf einer offenen Menge definierte Differentialoperator sinnvoll auf den Gesamtraum fortsetzen. Beispielsweise ist ein Operator wie auf der Nenneraufnahme (geometrisch: dort, wo ist) definiert, aber nicht überall. Alle unter der Verwendung verschiedener Nennerpolynome aufgestellten Differentialoperatoren kann man als Differentialoperator auf auffassen und vergleichen. Dabei gilt, dass ein Differentialoperator

genau dann auf einem Unterring

einen sinnvollen Differentialoperator definiert, wenn gilt. Es wird dann einfach der Definitionsbereich und der Bildbereich auf eingeschränkt.



Differentialoperatoren auf singulären Räumen

Im Weiteren soll es um Differentialoperatoren gehen, die nicht auf (Funktionen auf) dem glatten Raum wirken, sondern auf Räumen mit Singularitäten. Als ein typisches Beispiel kann man einen Doppelkegel betrachten, den man als die Nullstellenmenge des Polynoms betrachten kann. Nennen wir dieses geometrische Objekt , also

Es hat in der Kegelspitze eine Singularität. In jedem anderen Punkt ist er glatt, d.h. man kann (bei oder ) den Satz über implizite Abbildungen anwenden und erhält, dass außerhalb der Singularität eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit vorliegt. Es gibt also lokal in einer offenen Umgebung zu einem jeden Punkt einen Diffeomorphismus zu einer offenen Menge . Auf einer solchen offenen Menge wissen wir, was die Differentialoperatoren sind. Mit lokalen Koordinaten für hat man lokal die partiellen Ableitungen und und somit auch ihre Verknüpfungen und Multiplikation mit Koeffizentenfunktionen zur Verfügung. Über den Diffeomorphismus überträgt sich dies zurück auf . Im algebraischen Kontext ist diese Überlegung etwas komplizierter und arbeitet mit regulären Ringen.

Ein sinnvoller Differentialoperator auf (Funktionen auf) muss jedenfalls auch auf jeder offenen Menge einen Differentialoperator induzieren, und wenn eine Überdeckung

mit offenen Mengen vorliegt und auf den jeweils ein Differentialoperator gegeben ist, die miteinander verträglich sind in dem Sinne, dass für die Einschränkungen

gilt, so sollte dies von einem Differentialoperator auf ganz herrühren. D.h. man erwartet, dass Differentialoperatoren eine Garbe bilden. Diese naheliegenden Bedingungen legen bereits ein eindeutiges Konzept für Differentialoperatoren auf fest. In der Tat werden diese Operatoren bereits die Operatoren auf ganz sein (die Singularität ist normal).

Achtung: Die partiellen Ableitungen des umgebenden Raumes ergeben keinen Sinn auf . Das Polynom ist ja die Nullfunktion auf ( wurde ja als die Nullstellenmenge dieses Polynoms definiert), es ist aber

auf .

Wir geben nun die allgemeine algebraische Definition für einen Differentialoperator für eine beliebige kommutative -Algebra. Im ober erwähnten Beispiel geht es um den Restklassenring .


Es sei eine kommutative -Algebra. Das Konzept eines Differentialoperators wird induktiv definiert, wobei es sich um spezielle -lineare Abbildungen von nach handelt.

  1. Ein Differentialoperator der Ordnung ist die Multiplikationsabbildung

    zu einem Element .

  2. Ein Differentialoperator der Ordnung ist eine lineare Abbildung mit der Eigenschaft, dass für jedes die Abbildung

    ein Differentialoperator der Ordnung ist.

Wir bemerken, dass dieses Konzept für den Polynomring über einem Körper den durch die frei erzeugten Modul ergibt. Eine entsprechende Beschreibung gilt für jeden regulären (glatten) lokalen Ring.

Man sagt, dass ein Differentialoperator die Ordnung (genau) besitzt, wenn er eine Ordnung , aber nicht besitzt. Differentialoperatoren der Ordnung sind einfach Derivationen, also -lineare Abbildungen , die die Leibniz-Regel

erfüllen. Diese Regel kann man auch (was zunächst komplizierter aussieht) als

schreiben, da eine Derivation die Konstanten auf abbildet. Diese so formulierte Regel wird auch von den Multiplikationsabbildungen erfüllt, d.h. sie gilt für alle Differentialoperatoren der Ordnung . Sie besitzt die folgende Verallgemeinerung.


Es sei eine kommutative -Algebra und sei eine -lineare Abbildung. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist ein Differentialoperator der Ordnung .
  2. Für beliebige Elemente gilt

Ein Differentialoperator auf einer -Algebra besitzt eine eindeutige Fortsetzung auf der Nenneraufnahme zu einem multiplikativen System . Diese wird induktiv über die Ordnung von definiert. Für die Ordnung ist

Es sei die Fortsetzung nun für alle Operatoren der Ordnung definiert und sei ein Operator der Ordnung . Dann setzt man

wobei die Fortsetzung rechts aufgrund der kleineren Ordnung schon definiert ist.


Es ist im Allgemeinen schwierig, sich einen Überblick über alle Differentialoperatoren einer -Algebra zu verschaffen. Wir werden uns im Rahmen dieser Vorlesungen auf die folgenden Fragen konzentrieren.

  1. Wie kann man für Monoidringe die Differentialoperatoren beschreiben?
  2. Wie kann man Differentialoperatoren algorithmisch beschreiben?
  3. Kann man über die Anzahl von unitären Differentialoperatoren eine sinnvolle Aussage machen und mit ihnen eine Singularität quantitativ erfassen?