Kurs:Analysis (Osnabrück 2013-2015)/Teil I/Vorlesung 9
- Reihen
Wir haben in der siebten Vorlesung gesagt, dass man eine Dezimalentwicklung, also eine (unendliche) Ziffernfolge mit Ziffern zwischen und als eine wachsende Folge von rationalen Zahlen auffassen kann. Dabei hat die -te Nachkommastelle die Bedeutung, dass zur vorhergehenden Approximation hinzu zu addieren ist. Die Ziffernfolge gibt also direkt die Differenz der Folgenglieder an, und die Folgenglieder ergeben sich durch Aufsummieren dieser Differenzen. Diese Sichtweise führt zum Begriff der Reihe.
Es sei eine Folge von komplexen Zahlen. Unter der Reihe versteht man die Folge der Partialsummen
Falls die Folge konvergiert, so sagt man, dass die Reihe konvergiert. In diesem Fall schreibt man für den Grenzwert ebenfalls
und nennt ihn die Summe der Reihe.
Alle Begriffe für Folgen übertragen sich auf Reihen, indem man eine Reihe als Folge der Partialsummen auffasst. Wie schon bei Folgen kann es sein, dass die Summation nicht bei , sondern bei einer anderen Zahl beginnt.
Wir wollen die Reihe
berechnen, wozu wir zuerst eine Formel für die -te Partialsumme angeben. Es ist
Diese Folge konvergiert gegen , sodass die Reihe konvergiert und ihre Summe gleich ist.
Es sei
eine Reihe von komplexen Zahlen.
Dann ist die Reihe genau dann konvergent, wenn das folgende Cauchy-Kriterium erfüllt ist: Zu jedem gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzung
gilt.
Beweis
Es seien
konvergente Reihen von komplexen Zahlen mit den Summen und . Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Reihe mit ist ebenfalls konvergent mit der Summe .
- Für ist auch die Reihe mit konvergent mit der Summe .
Beweis
Dies folgt direkt aus Lemma 9.3.
Es ist also eine notwendige Bedingung für die Konvergenz einer Reihe, dass die Reihenglieder eine Nullfolge bilden. Diese Bedingung ist nicht hinreichend, wie die harmonische Reihe zeigt.
Die harmonische Reihe ist die Reihe
Diese Reihe divergiert: Für die Zahlen ist
Daher ist
Damit ist die Folge der Partialsummen unbeschränkt und kann nach Lemma 5.8 nicht konvergent sein.
Die folgende Aussage heißt Leibnizkriterium für alternierende Reihen.
Es sei eine fallende Nullfolge von nichtnegativen reellen Zahlen.
Dann konvergiert die Reihe .
Wir setzen
Wir betrachten die Teilfolge mit geradem Index. Für jedes gilt wegen die Beziehung
d.h. diese Teilfolge ist fallend. Ebenso ist die Folge der ungeraden Teilsummen wachsend. Es gelten die Abschätzungen
Daher sind die beiden Teilfolgen fallend und nach unten beschränkt bzw. wachsend und nach oben beschränkt, und daher wegen Korollar 7.1 konvergent. Wegen und stimmen die Grenzwerte überein.
- Absolute Konvergenz
Eine absolut konvergente Reihe von komplexen Zahlen
Es sei vorgegeben. Wir wenden das Cauchy-Kriterium an. Aufgrund der absoluten Konvergenz gibt es ein derart, dass für alle die Abschätzung
gilt. Daher ist
was die Konvergenz bedeutet.
Eine konvergente Reihe muss nicht absolut konvergieren, d.h. Satz 9.9 lässt sich nicht umkehren. Aufgrund des Leibnizkriteriums konvergiert die alternierende harmonische Reihe
und zwar ist ihr Grenzwert , was wir hier aber nicht beweisen. Die zugehörige absolute Reihe ist aber die harmonische Reihe, die nach Beispiel 9.6 divergiert.
Die folgende Aussage heißt das Majorantenkriterium.
Es sei eine konvergente Reihe von reellen Zahlen und eine Folge komplexer Zahlen mit für alle .
Dann ist die Reihe
Das folgt direkt aus dem Cauchy-Kriterium.
Wir wollen bestimmen, ob die Reihe
konvergiert oder nicht. Dazu ziehen wir das Majorantenkriterium und Beispiel 9.2 heran, wo wir die Konvergenz von gezeigt haben. Für ist
Daher konvergiert und somit auch . Über den Wert der Summe ist damit noch nichts gesagt. Mit deutlich aufwändigeren Methoden (siehe Fakt *****) kann man zeigen, dass diese Summe gleich ist.
- Die geometrische Reihe und das Quotientenkriterium
Die Reihe heißt geometrische Reihe zu , es geht also um die Summe
Die Konvergenz hängt wesentlich vom Betrag von ab.
Für alle komplexen Zahlen mit konvergiert die Reihe absolut und es gilt
Für jedes gilt die Beziehung
und daher gilt für die Partialsummen die Beziehung (bei )
Für und konvergiert dies wegen Aufgabe 8.14 und Satz 8.10 gegen .
Die folgende Aussage heißt Quotientenkriterium.
Es sei
eine Reihe von komplexen Zahlen. Es gebe eine reelle Zahl mit und ein mit
für alle (Insbesondere sei für ).
Dann konvergiert die Reihe absolut.
Die Konvergenz[1] ändert sich nicht, wenn man endlich viele Glieder ändert. Daher können wir annehmen. Ferner können wir annehmen, dass alle nichtnegative reelle Zahlen sind. Es ist
Somit folgt die Konvergenz aus dem Majorantenkriterium und der Konvergenz der geometrischen Reihe.
Unter den Kochschen Schneeflocken versteht man die Folge der folgendermaßen rekursiv definierten ebenen Figuren: Die Ausgangsfigur ist ein gleichseitiges Dreieck. Die Figur entsteht aus , indem man in jeder Begrenzungskante von das mittlere Drittel durch die beiden Schenkel eines darauf aufgesetzten nach außen gerichteten gleichmäßigen Dreiecks ersetzt.
Es sei der Flächeninhalt und die Länge des Randes der -ten Kochschen Schneeflocke. Wir wollen zeigen, dass die Folge konvergiert und die Folge bestimmt gegen divergiert.
Die Anzahl der Kanten von ist , da bei jedem Unterteilungsschritt eine Kante durch vier Kanten ersetzt wird, deren Länge der Länge der Vorgängerkante ist. Es sei die Seitenlänge des gleichseitigen Ausgangsdreiecks. Dann besteht aus Kanten der Länge und die Gesamtlänge der Kanten von ist gleich
Wegen divergiert dies gegen .
Beim Übergang von nach kommt für jede Kante ein neues Dreieck mit gedrittelter Seitenlänge hinzu. Der Flächeninhalt eines gleichseitigen Dreiecks mit Seitenlänge ist (Grundseite mal Höhe durch ). Im Schritt von nach kommen somit Dreiecke mit dem Flächeninhalt hinzu. Daher ist der Gesamtflächeninhalt von gleich
Wenn wir hinten die erste und den Faktor ignorieren, was die Konvergenzeigenschaft nicht ändert, so steht in der Klammer die Partialsumme einer geometrischen Reihe zu , welche konvergiert.
- Fußnoten
- ↑ Wohl aber die Summe.
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