Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil II/Vorlesung 51
- Stetige Funktionen
Den Abstand zwischen zwei reellen Zahlen und bezeichnen wir mit
Bei einer Funktion
kann man sich fragen, inwiefern der Abstand in der Wertemenge durch den Abstand in der Definitionsmenge kontrollierbar ist. Sei und der Bildpunkt. Man möchte, dass für Punkte , die „nahe“ an sind, auch die Bildpunkte „nahe“ an sind. Schon lineare Funktionen mit unterschiedlicher Steigung zeigen, dass die „Nähe“ im Bildbereich nicht mit der „Nähe“ im Definitionsbereich direkt verglichen werden kann. Die Zielsetzung ist vielmehr, dass zu einer gewünschten Genauigkeit im Bildbereich überhaupt eine Ausgangsgenauigkeit gefunden werden kann, die sichert, dass die Funktionswerte innerhalb der gewünschten Genauigkeit beieinander liegen.
Um diese intuitive Vorstellung zu präzisieren, sei ein vorgegeben. Dieses repräsentiert eine „gewünschte Zielgenauigkeit“. Die Frage ist dann, ob man ein finden kann (eine „Startgenauigkeit“) mit der Eigenschaft, dass für alle mit die Beziehung gilt. Dies führt zum Begriff der stetigen Funktion.
Es sei eine Teilmenge,
eine Funktion und . Man sagt, dass stetig im Punkt ist, wenn es zu jedem ein derart gibt, dass für alle mit die Abschätzung gilt. Man sagt, dass stetig ist, wenn sie in jedem Punkt stetig ist.
Bei sollte man an den Definitionsbereich der Funktion denken. Typische Situationen sind, dass ganz ist, oder ein reelles Intervall, oder ohne endlich viele Punkte und Ähnliches. Statt mit den nichtnegativen reellen Zahlen und kann man genauso gut mit Stammbrüchen und oder mit inversen Zehnerpotenzen und arbeiten.
Eine konstante Funktion
ist stetig. Zu jedem vorgegebenen kann man hier ein beliebiges wählen, da ja ohnehin
gilt.
Eine lineare Funktion
mit einem Proportionalitätsfaktor (bei ist die Funktion konstant und somit auch stetig) ist ebenfalls stetig. Zu jedem vorgegebenen kann man unabhängig vom Punkt hier wählen: Wenn nämlich
gilt, so ist
Wir zeigen, dass das Quadrieren
an der Stelle stetig ist. Es sei ein vorgegeben, das wir als annehmen dürfen. Wir müssen ein finden, das die Eigenschaft besitzt: Wenn
dann ist auch
also wenn und -nahe beieinander sind, so sind die beiden Funktionswerte -nahe beieinander. Wenn man zu eine Zahl hinzuaddiert, so ist der Funktionswert gleich
und die Differenz zu ist somit . Insbesondere muss diese Differenz kleinergleich dem vorgegebenen werden. Dies wird erreicht, wenn die beiden Summanden und beide kleinergleich sind. Dies legt die Wahl
nahe. Es gelten dann in der Tat für
die Abschätzungen
Das vorhergehende Beispiel zeigt schon, dass im Allgemeinen das Auffinden eines geeigneten zu einem vorgegebenen recht mühsam sein kann. Wir werden aber gleich wichtige Sätze kennenlernen, mit denen man die Stetigkeit einer Vielzahl an wichtigen Funktionen sofort erhält.
Wir betrachten die Funktion
mit
Diese Funktion ist im Nullpunkt nicht stetig. Für und jedes beliebige positive gibt es nämlich negative Zahlen mit . Für diese ist aber .
Die folgende Aussage bringt die Stetigkeit mit konvergenten Folgen in Verbindung.
Es sei eine Teilmenge,
eine Funktion und . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- ist stetig im Punkt .
- Für jede konvergente Folge in mit ist auch die Bildfolge konvergent mit dem Grenzwert .
Es sei (1) erfüllt und sei eine Folge in , die gegen konvergiert. Wir müssen zeigen, dass
ist. Dazu sei vorgegeben. Wegen (1) gibt es ein mit der angegebenen Abschätzungseigenschaft und wegen der Konvergenz von gegen gibt es eine natürliche Zahl derart, dass für alle die Abschätzung
gilt. Nach der Wahl von ist dann
sodass die Bildfolge gegen konvergiert.
Es sei (2) erfüllt. Wir nehmen an, dass nicht stetig ist. Dann gibt es ein
derart, dass es für alle
Elemente
gibt, deren Abstand zu maximal gleich ist, deren Wert unter der Abbildung aber zu einen Abstand besitzt, der größer als ist. Dies gilt dann insbesondere für die Stammbrüche
, .
D.h. für jede natürliche Zahl
gibt es ein
mit
Diese so konstruierte Folge konvergiert gegen , aber die Bildfolge konvergiert nicht gegen , da der Abstand der Bildfolgenglieder zu zumindest ist. Dies ist ein Widerspruch zu (2).
Es sei
eine stetige Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Funktion ist durch ihre Werte auf eindeutig festgelegt.
- Der Funktionswert ist durch die Funktionswerte , , festgelegt.
- Wenn für alle
die Abschätzung
gilt, so gilt auch
- Nach
Korollar 28.10
gibt es für jede reelle Zahl eine Folge von rationalen Zahlen
(sogar von Dezimalbrüchen),
die gegen
konvergiert.
Wegen der Stetigkeit und
Lemma 51.6
ist dann
- Für jedes
ist
Da die Folge der Stammbrüche eine Nullfolge ist, konvergiert diese Folge gegen . Wegen der Stetigkeit und Lemma 51.6 ist wieder
- Dies folgt aus Teil (2) und Lemma 44.15.
Die letzte Aussage gilt nicht, wenn man durch ersetzt.
- Rechenregeln für stetige Funktionen
Es seien und Teilmengen und
und
Funktionen mit . Dann gelten folgende Aussagen.
- Wenn in und in stetig sind, so ist auch die Hintereinanderschaltung in stetig.
- Wenn und stetig sind, so ist auch stetig.
Die Aussage (1) ergibt sich direkt aus der Folgencharakterisierung der Stetigkeit. Daraus folgt auch (2).
Es sei und seien
Dann sind auch die Funktionen
stetig. Für eine Teilmenge , auf der keine Nullstelle besitzt, ist auch die Funktion
stetig.
Dies ergibt sich aus der Folgencharakterisierung der Stetigkeit und Lemma 44.12.
Aufgrund von Beispiel 51.3 und Satz 51.9 sind für jedes die Potenzen
stetig. Daher sind auch für jedes die Funktionen
stetig und wiederum aufgrund von Satz 51.9 sind auch alle Funktionen
stetig.
Dies folgt aus Korollar 51.10 und Satz 51.9.
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