Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil II/Vorlesung 46

Eine Äquivalenzrelation auf einer Menge definiert die Quotientenmenge und die kanonische Projektion . Wenn es auf zusätzliche Strukturen gibt und die Äquivalenzrelation diese respektiert, so kann man häufig auf wieder die gleiche Struktur erhalten. Als Hauptbeispiel für diesen Prozess betrachten wir Äquivalenzrelationen auf Gruppen, die durch eine Untergruppe definiert werden.



Nebenklassen

Es sei eine Gruppe und eine Untergruppe. Wir setzen (und sagen, dass und äquivalent sind) wenn .

Dies ist in der Tat eine Äquivalenzrelation: Aus folgt, dass diese Relation reflexiv ist. Aus folgt sofort und aus und folgt .


Es sei eine Gruppe und eine Untergruppe. Dann heißt zu jedem die Teilmenge

die Linksnebenklasse von in bezüglich . Jede Teilmenge von dieser Form heißt Linksnebenklasse. Entsprechend heißt eine Menge der Form

Rechtsnebenklasse (zu ).

Die Äquivalenzklassen zu der oben definierten Äquivalenzrelation sind wegen

genau die Linksnebenklassen. Die Linksnebenklassen bilden somit eine disjunkte Zerlegung (eine Partition) von . Dies gilt ebenso für die Rechtsnebenklassen. Im kommutativen Fall muss man nicht zwischen Links- und Rechtsnebenklassen unterscheiden.


Es sei eine Gruppe und eine Untergruppe. Es seien Elemente.

Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. .
  2. .
  3. .
  4. .
  5. .
  6. .
  7. .

Die Äquivalenz von und (und die von und ) folgt aus Multiplikation mit bzw. mit . Die Äquivalenz von und folgt durch Übergang zum Inversen. Aus folgt wegen . Wenn erfüllt ist, so bedeutet das mit gewissen . Damit ist und ist erfüllt. (4) und (6) sind nach Definition 46.1 äquivalent. Da die Linksnebenklassen die Äquivalenzklassen sind, ergibt sich die Äquivalenz von (5) und (7).



Der Satz von Lagrange



Es sei eine endliche Gruppe und eine Untergruppe von .

Dann ist ihre Kardinalität ein Teiler von .

Betrachte die Linksnebenklassen für sämtliche . Es ist

eine Bijektion zwischen und , sodass alle Nebenklassen gleich groß sind (und zwar Elemente haben). Die Nebenklassen bilden (als Äquivalenzklassen) zusammen eine Zerlegung von , sodass ein Vielfaches von sein muss.



Zu einer endlichen Gruppe bezeichnet man die Anzahl ihrer Elemente als Gruppenordnung oder als die Ordnung der Gruppe, geschrieben

Mit diesem Begriff kann man sagen, dass die Ordnung einer Untergruppe die Ordnung der Gruppe teilt.



Es sei eine endliche Gruppe.

Dann besitzt jedes Element eine endliche Ordnung.

Die Potenzen

sind alle verschieden.

Beweis

Siehe Aufgabe 46.2.



Es sei eine endliche Gruppe und sei ein Element.

Dann teilt die Ordnung von die Gruppenordnung.

Es sei die von erzeugte Untergruppe. Nach Lemma 46.6 ist

Daher teilt diese Zahl nach Satz 46.4 die Gruppenordnung von .



Zu einer Untergruppe heißt die Anzahl der (Links- oder Rechts--)Nebenklassen der Index von in , geschrieben

In der vorstehenden Definition ist Anzahl im allgemeinen als die Mächtigkeit einer Menge zu verstehen. Der Index wird aber hauptsächlich dann verwendet, wenn er endlich ist, wenn es also nur endlich viele Nebenklassen gibt. Das ist bei endlichem automatisch der Fall, kann aber auch bei unendlichem der Fall sein, wie schon die Beispiele , , zeigen. Wenn eine endliche Gruppe ist und eine Untergruppe, so gilt aufgrund des Satzes von Lagrange die einfache Indexformel



Normalteiler

Es sei eine Gruppe und eine Untergruppe. Man nennt einen Normalteiler, wenn

für alle ist, wenn also die Linksnebenklasse zu mit der Rechtsnebenklasse zu übereinstimmt.

Bei einem Normalteiler braucht man nicht zwischen Links- und Rechtsnebenklassen zu unterscheiden und spricht einfach von Nebenklassen. Statt oder schreiben wir meistens . Die Gleichheit bedeutet nicht, dass für alle ist, sondern lediglich, dass es zu jedem ein mit . gibt.



Es sei eine Gruppe und eine Untergruppe.

Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist ein Normalteiler von .
  2. Es ist für alle und .
  3. ist invariant unter jedem inneren Automorphismus von .

(1) bedeutet bei gegebenem , dass man mit einem schreiben kann. Durch Multiplikation mit von rechts ergibt sich , also . Dieses Argument rückwärts ergibt die Implikation . Ferner ist eine explizite Umformulierung von .



Wir betrachten die Permutationsgruppe zu einer dreielementigen Menge, d.h. besteht aus den bijektiven Abbildungen der Menge in sich. Die triviale Gruppe und die ganze Gruppe sind Normalteiler. Die Teilmenge , wobei die Elemente und vertauscht und unverändert lässt, ist eine Untergruppe. Sie ist aber kein Normalteiler. Um dies zu zeigen, sei die Bijektion, die fest lässt und und vertauscht. Dieses ist zu sich selbst invers. Die Konjugation ist dann die Abbildung, die auf , auf und auf schickt, und diese Bijektion gehört nicht zu .




Es seien und Gruppen und sei

ein Gruppenhomomorphismus.

Dann ist der Kern ein Normalteiler in .

Eine Untergruppe liegt aufgrund von Fakt ***** vor. Wir verwenden Lemma 46.10. Es sei also beliebig und . Dann ist

also gehört ebenfalls zum Kern.



Restklassenbildung

Wir zeigen nun umgekehrt, dass jeder Normalteiler sich als Kern eines geeigneten, surjektiven Gruppenhomomorphismus realisieren lässt.

Die Multiplikation der Nebenklassen zu einem Normalteiler .



Es sei eine Gruppe und ein Normalteiler. Es sei die Menge der Nebenklassen (die Quotientenmenge) und

die kanonische Projektion.

Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Gruppenstruktur auf derart, dass ein Gruppenhomomorphismus ist.

Da die kanonische Projektion zu einem Gruppenhomomorphismus werden soll, muss die Verknüpfung durch

gegeben sein. Wir müssen also zeigen, dass durch diese Vorschrift eine wohldefinierte Verknüpfung auf definiert ist, die unabhängig von der Wahl der Repräsentanten ist. D.h. wir haben für und zu zeigen, dass ist. Nach Voraussetzung können wir und mit schreiben. Damit ist

Somit ist . Aus der Wohldefiniertheit der Verknüpfung auf folgen die Gruppeneigenschaften, die Homomorphieeigenschaft der Projektion und die Eindeutigkeit.



Es sei eine Gruppe und ein Normalteiler. Die Quotientenmenge

mit der aufgrund von Satz 46.13 eindeutig bestimmten Gruppenstruktur heißt Restklassengruppe von modulo . Die Elemente heißen Restklassen. Für eine Restklasse heißt jedes Element mit ein Repräsentant von .


Die Untergruppen der ganzen Zahlen sind nach Satz 44.3 von der Form mit . Die Restklassengruppen werden mit

bezeichnet (sprich „ modulo “). Bei ist das einfach selbst, bei ist das die triviale Gruppe. Im Allgemeinen ist die durch die Untergruppe definierte Äquivalenzrelation auf dadurch gegeben, dass zwei ganze Zahlen und genau dann äquivalent sind, wenn ihre Differenz zu gehört, also ein Vielfaches von ist. Daher ist (bei ) jede ganze Zahl zu genau einer der Zahlen

äquivalent (oder, wie man auch sagt, kongruent modulo ), nämlich zum Rest, der sich bei Division durch ergibt. Diese Reste bilden also ein Repräsentantensystem für die Restklassengruppe, und diese besitzt Elemente. Die Tatsache, dass die Restklassenabbildung

ein Homomorphismus ist, kann man auch so ausdrücken, dass der Rest einer Summe von zwei ganzen Zahlen nur von den beiden Resten, nicht aber von den Zahlen selbst, abhängt. Als Bild der zyklischen Gruppe ist auch zyklisch, und zwar ist (aber auch ) stets ein Erzeuger.



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