Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil I/Vorlesung 20/kontrolle
- Höhere Ableitungen
Die Ableitung einer (in jedem Punkt) differenzierbaren Funktion nennt man häufig auch die erste Ableitung von . Unter der nullten Ableitung versteht man die Funktion selbst. Höhere Ableitungen werden rekursiv definiert.
Es sei ein Intervall und sei
eine Funktion. Die Funktion heißt -mal differenzierbar, wenn sie -mal differenzierbar ist und die -te Ableitung, also , differenzierbar ist. Die Ableitung
nennt man dann die -te Ableitung von .
Die zweite Ableitung schreibt man auch als , die dritte Ableitung als . Wenn eine Funktion -mal differenzierbar ist, so sagt man auch, dass die Ableitungen bis zur -ten Ordnung existieren. Eine Funktion heißt unendlich oft differenzierbar, wenn sie -mal differenzierbar ist für jedes .
Eine differenzierbare Funktion ist stetig, allerdings muss die Ableitung keineswegs stetig sein. Daher ist der folgende Begriff nicht überflüssig.
Es sei ein Intervall und
eine Funktion. Man sagt, dass stetig differenzierbar ist, wenn differenzierbar ist und die Ableitung stetig ist.
Eine Funktion heißt -mal stetig differenzierbar, wenn sie -mal differenzierbar ist und die -te Ableitung stetig ist.
- Extrema von Funktionen
Wir untersuchen jetzt mit Mitteln der Differentialrechnung, wann eine differenzierbare Funktion
wobei ein Intervall ist, (lokale) Extrema besitzt und wie ihr Wachstumsverhalten aussieht.
Wir können annehmen, dass ein lokales Maximum in besitzt. Es gibt also ein mit für alle . Es sei eine Folge mit , die gegen („von unten“) konvergiere. Dann ist und und somit ist der Differenzenquotient
was sich dann nach Lemma 12.10 auf den Limes, also den Differentialquotienten, überträgt. Also ist . Für eine Folge mit gilt andererseits
Daher ist auch und somit ist insgesamt .
Man beachte, dass das Verschwinden der Ableitung nur ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Existenz eines Extremums ist. Das einfachste Beispiel für dieses Phänomen ist die Funktion , , die streng wachsend ist, deren Ableitung aber im Nullpunkt verschwindet.
- Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung
Der folgende Satz heißt Satz von Rolle.
Der folgende Satz, der direkt aus dem Satz von Rolle folgt, heißt Mittelwertsatz der Differentialrechnung.
Wir betrachten die Hilfsfunktion
Diese Funktion ist ebenfalls stetig und in differenzierbar. Ferner ist und
Daher erfüllt die Voraussetzungen von Satz 20.4 und somit gibt es ein mit . Aufgrund der Ableitungsregeln gilt also
Wenn nicht konstant ist, so gibt es mit . Dann gibt es aufgrund von Satz 20.5 ein , , mit , ein Widerspruch zur Voraussetzung.
Es sei ein offenes Intervall und
eine differenzierbare Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Funktion ist genau dann auf wachsend (bzw. fallend), wenn (bzw. ) für alle ist.
- Wenn für alle ist und nur endlich viele Nullstellen besitzt, so ist streng wachsend.
- Wenn für alle ist und nur endlich viele Nullstellen besitzt, so ist streng fallend.
(1). Es genügt, die Aussagen für wachsende Funktionen zu beweisen. Wenn wachsend ist, und ist, so gilt für den Differenzenquotienten
für jedes mit
.
Diese Abschätzung gilt dann auch für den Grenzwert für , und dieser ist .
Es sei umgekehrt die Ableitung .
Nehmen wir an, dass es zwei Punkte
in mit
gibt. Aufgrund des
Mittelwertsatzes
gibt es dann ein mit
mit
(2). Es sei nun
mit nur endlich vielen Ausnahmen.
Angenommen es wäre
für zwei Punkte
. Da nach dem ersten Teil wachsend ist, ist auf dem Intervall konstant. Somit ist
auf diesem gesamten Intervall, ein Widerspruch dazu, dass nur endlich viele Nullstellen besitzt.
Eine reelle Polynomfunktion
vom Grad besitzt maximal lokale Extrema, und die reellen Zahlen lassen sich in maximal Intervalle unterteilen, auf denen abwechselnd streng wachsend oder streng fallend ist.
Beweis
- Der zweite Mittelwertsatz und die Regel von l'Hospital
Die folgende Aussage heißt auch zweiter Mittelwertsatz.
Es sei und seien
stetige, auf differenzierbare Funktionen mit
für alle .
Dann ist und es gibt ein mit
Zur Berechnung von Grenzwerten einer Funktion, die als Quotient gegeben ist, ist die folgende Regel von l'Hospital hilfreich.
Es sei ein offenes Intervall und ein Punkt. Es seien
stetige Funktionen, die auf differenzierbar seien mit und mit für . Es sei vorausgesetzt, dass der Grenzwert
existiert.
Dann existiert auch der Grenzwert
und sein Wert ist ebenfalls .
Da im Intervall keine Nullstelle besitzt und ist, besitzt auch nach Satz 20.4 außer keine Nullstelle. Es sei eine Folge in , die gegen konvergiert. Zu jedem gibt es nach Satz 20.9, angewandt auf bzw. , ein (im Innern[1] von ) mit
Die Folge konvergiert ebenfalls gegen , sodass nach Voraussetzung die rechte Seite gegen konvergiert. Daher konvergiert auch die linke Seite gegen , und wegen bedeutet das, dass gegen konvergiert.
Die Polynome
haben beide für eine Nullstelle. Es ist also nicht von vornherein klar, ob der Limes
existiert und welchen Wert er besitzt. Aufgrund der Regel von l'Hospital kann man den Grenzwert über die Ableitungen bestimmen, und das ergibt
- Fußnoten
- ↑ Unter dem Innern eines reellen Intervalls versteht man das Intervall ohne die Intervallgrenzen.
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