Kurs:Reelle und komplexe Analysis (Sheffield 2007)/Abschnitt 2.2/kontrolle

Sei eine durch

gegebene Abbildung. Betrachtet man für einen fixierten Index die übrigen Variablen , , als Konstanten, so erhält man eine Abbildung , die nur von abhängt (entsprechend betrachtet man die übrigen Variablen als Parameter). Falls diese Funktion, als Funktion in einer Variablen, differenzierbar ist, so sagen wir, dass partiell differenzierbar bezüglich ist und bezeichnen diese Ableitung mit . Der Vorteil der partiellen Ableitungen liegt darin, dass man diese konkret berechnen kann. Jedoch hängen sie von der Wahl einer Basis ab. Die partiellen Ableitungen sind selbst Abbildungen von . Im Folgenden wollen wir den Zusammenhang zwischen den partiellen Ableitungen und dem totalen Differential verstehen.


Es seien und endlichdimensionale normierte Vektorräume, eine offene Teilmenge, und eine Abbildung. Weiter sei ein Punkt und ein fixierter Vektor. Dann heißt differenzierbar in in Richtung , falls der Grenzwert

existiert. In diesem Fall heißt dieser Grenzwert die Ableitung von in in Richtung . Er wird mit

bezeichnet.

Die Existenz von hängt nur von der Abbildung , , ab (wobei das Intervall (im reellen Fall) bzw. der offene Ball (im komplexen Fall) so gewählt ist, dass auch impliziert). Die Richtungsableitung in einem Punkt und in eine Richtung ist ein Vektor in .

Totale Differenzierbarkeit impliziert richtungsweise Differenzierbarkeit.



Es seien und endlichdimensionale - Vektorräume, es sei eine offene Teilmenge und eine im Punkt differenzierbare Abbildung.

Dann ist in in jede Richtung differenzierbar, und es gilt

Da eine lineare Abbildung von nach ist, liefert die Anwendung dieser Abbildung auf einen Vektor einen Vektor in . Nach Voraussetzung haben wir

(mit den üblichen Bedingungen an ). Insbesondere gilt für (hinreichend kleines)

Also gilt

da und der Ausdruck beschränkt ist.


Die partiellen Ableitungen sind im Wesentlichen die Richtungsableitungen in Richtung der Basisvektoren. Insbesondere machen partielle Ableitungen nur dann Sinn, wenn eine Basis im Vektorraum, der den Definitionsbereich einer Abbildung darstellt, gewählt worden ist.


Es sei offen und sei eine Abbildung durch

gegeben. Es sei ein Punkt. Für fixierte Indizes und betrachten wir die Abbildung

(wobei ein reelles Intervall (bzw. eine offene Kreisscheibe) mit

derart sei, dass gilt) als Funktion in einer Variablen, wobei die übrigen Variablen , , fixiert seien. Ist diese Funktion in differenzierbar, so heißt partiell differenzierbar in bezüglich der Koordinate . Man bezeichnet diese Ableitung (welche ein Element in ist) mit

und nennt sie die -te partielle Ableitung von in .

Die Abbildung heißt partiell differenzierbar im Punkt , falls für alle und die partiellen Ableitungen in existieren. Die -te partielle Ableitung von in wird mit

bezeichnet.



Es sei offen, ein Punkt und sei

eine Abbildung.

Dann ist in genau dann partiell differenzierbar, wenn die Richtungsableitungen von sämtlichen Komponentenfunktionen in in Richtung eines jeden Standardvektors existieren.

In diesem Fall stimmt die -te partielle Ableitung von in mit der Richtungsableitung von in in Richtung des -ten Standardvektors überein, und ist in genau dann partiell differenzierbar, wenn die Richtungsableitungen in in Richtung eines jeden Standardvektors existieren.

Es sei . Wir können uns wegen Fakt ***** auf eine einzige Komponentenfunktion beschränken. Da partielle Ableitungen die Ableitungen von Funktionen in einer Variablen sind, ergibt sich


Das folgende einfache Beispiel zeigt, dass durchaus alle Richtungsableitungen existieren können (und damit insbesondere alle partiellen Ableitungen), die Abbildung selbst aber noch nicht einmal stetig sein muss (und damit erst recht nicht total differenzierbar).


Wir betrachten die Funktion mit

Für einen Vektor und einen reellen Parameter erhalten wir auf der Geraden die Funktion

Für ist der Nenner stets positiv und die Funktion ist stetig mit dem Wert bei , und als rationale Funktion in differenzierbar. Für ist die Funktion konstant und damit ebenfalls differenzierbar. Also existieren in alle Richtungsableitungen zu . Die Funktion ist allerdings nicht stetig: Für die Folge (die gegen konvergiert) gilt

aber .


In diesem Beispiel sind die partiellen Ableitungen nicht stetig in .

Vor dem Beweis der nächsten Aussage erinnern wir an den Mittelwertsatz für Kurven: Sei differenzierbar. Dann existiert ein mit



Es sei offen und eine Abbildung. Es seien , , die Koordinaten von und ein Punkt. Es sei angenommen, dass alle partiellen Ableitungen von in einer offenen Umgebung von existieren und in stetig sind.

Dann ist in (total) differenzierbar.

Ist die Abbildung bezüglich der Standardbasis des durch die Koordinatenfunktionen gegeben, so wird unter diesen Bedingungen das totale Differential in durch die Jacobi-Matrix

beschrieben.

Indem wir durch eine eventuell kleinere offene Umgebung von ersetzen, können wir annehmen, dass auf die Richtungsableitungen

existieren und in stetig sind. Daher ist nach Fakt ***** die lineare Abbildung

der einzige Kandidat für das totale Differential. Daher müssen wir zeigen, dass diese lineare Abbildung die definierende Eigenschaft des totalen Differentials besitzt. Setze (abhängig von ). Dann gelten mit dem Ansatz

(für hinreichend klein) die Abschätzungen

Wir betrachten jeden Summanden einzeln. Für fixiertes ist die Abbildung (die auf dem Einheitsintervall definiert ist)

differenzierbar (aufgrund der Existenz der partiellen Ableitungen auf ) mit der Ableitung

Nach der Mittelwertabschätzung existiert eine reelle Zahl

sodass (dies ist die Norm von )

gilt. Aufsummieren liefert also, dass unser Ausdruck nach oben beschränkt ist durch

Da die partiellen Ableitungen stetig in sind, wird die Summe rechts mit beliebig klein, da dann gegen konvergiert. Also ist der Grenzwert für gleich .


Fakt ***** lässt sich sofort auf Polynomfunktionen in beliebig vielen Variablen anwenden, aber auch auf holomorphe Funktionen wie etwa die Exponentialfunktion oder trigonometrische Funktionen. Wie Fakt ***** zeigt, muss man allerdings vorsichtig sein, wenn man eine solche Funktion invertiert.



Wir betrachten die Abbildung , die durch

gegeben sei. Die partiellen Ableitungen von sind

und die partiellen Ableitungen von sind

Damit erhalten wir für einen beliebigen Punkt die Jacobi-Matrix

Für einen speziellen Punkt, z.B. , setzt man einfach ein:


Das folgende Beispiel illustriert, dass das totale Differential unabhängig von der Wahl einer Basis ist, die partiellen Ableitungen aber nicht.


Wir betrachten die Abbildung , die durch

gegeben sei. Es ist leicht die partiellen Ableitungen in jedem Punkt zu berechnen, nämlich:

Da diese alle stetig sind, haben wir nach Fakt ***** das totale Differential in jedem Punkt gefunden.

Nehmen wir nun an, dass wir nur an der Restriktion dieser Funktion auf die Ebene

interessiert sind. ist also der Kern der linearen Abbildung

Als Kern ist selbst ein (zweidimensionaler) Vektorraum. Die Einschränkung von auf die Ebene ergibt also die Abbildung

Diese Abbildung kann man als die Komposition auffassen und diese ist nach der Kettenregel differenzierbar. Wenn wir die Inklusion von in mit bezeichnen, so ist das totale Differential der Komposition in einem Punkt gemäß der Kettenregel gerade die Abbildung

Daher ergibt es hier Sinn vom totalen Differential zu sprechen.

Es ergibt allerdings keinen Sinn von partiellen Ableitungen der Abbildung zu sprechen, da es keine natürliche Basis auf gibt und daher auch keine natürlichen Koordinaten. Es ist leicht eine Basis von zu finden und damit Koordinaten, es gibt aber keine „beste Wahl“, und die partiellen Ableitungen sehen in jeder Basis verschieden aus.

Eine Basis von ist beispielsweise durch und gegeben, und eine weitere durch und . Mit solchen Basen erhalten wir Identifikationen und somit numerische Beschreibungen der Abbildung , womit wir die partiellen Ableitungen bezüglich der gewählten Basen berechnen können.

In der ersten Basis ist die Identifikation gegeben durch die Abbildung

und dieser Ausdruck wird durch abgebildet auf

Die partiellen Ableitungen dieser Komposition (nennen wir sie ) bezüglich dieser Basis sind gegeben durch

und

In der zweiten Basis und ist die Identifikation gegeben durch

und dieser Ausdruck wird unter abgebildet auf

Die partiellen Ableitungen der Komposition (nennen wir sie ) bezüglich dieser Basis sind

und

Fazit: Koordinaten sind manchmal gut für Berechnungen, manchmal verdunklen sie aber auch den eigentlichen mathematischen Sachverhalt.