Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 17/latex

\setcounter{section}{17}






\zwischenueberschrift{Geschlossene Differentialformen}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{.} Eine $1$-\definitionsverweis {Differentialform}{}{} $\omega$ auf $M$ heißt \definitionswort {exakt}{,} wenn es eine \definitionsverweis {differenzierbare}{}{} Funktion $f$ auf $M$ mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ d f }
{ = }{ \omega }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} gibt.

}




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{.} Eine \definitionsverweis {differenzierbare}{}{} \definitionsverweis {Differentialform}{}{} $\omega$ auf $M$ heißt \definitionswort {geschlossen}{,} wenn ihre \definitionsverweis {äußere Ableitung}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ d \omega }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist.

}

Holomorphe Differentialformen auf einer riemannschen Fläche sind nach Satz 16.15 geschlossen. Eine geschlossene Differentialform ist lokal exakt, das heißt, für jeden Punkt gibt es eine offene Umgebung derart, dass die Form darauf eine Stammfunktion besitzt.






\zwischenueberschrift{Wegintegrale}

Wegintegrale zu einer $1$-Form längs eines Weges werden in der höheren Analysis \zusatzklammer {siehe Kurs:Analysis_(Osnabrück_2014-2016)/Teil_III/Vorlesung_83} {} {} und in der Funktionentheorie behandelt. Für den Zusammenhang mit Wegintegralen zu Vektorfelder siehe Aufgabe 17.7.




\inputdefinition
{}
{

Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{} und
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \omega }
{ \in }{ { \mathcal E^{(1)} } { \left( M \right) } }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine $1$-\definitionsverweis {Differentialform}{}{.} Es sei \maabbdisp {\gamma} {[a,b]} {M } {} eine \definitionsverweis {stetig differenzierbare Kurve}{}{.} Dann heißt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma \omega }
{ \defeq} { \int_{ [a,b] } \gamma^* \omega }
{ =} { \int_{ a }^{ b } \omega ( \gamma(t); \gamma'(t)) \, d t }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} das \definitionswort {Wegintegral}{} von $\omega$ längs $\gamma$.

}

Zu einer \definitionsverweis {holomorphen Differentialform}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \omega }
{ = }{ fdz }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} auf einer \definitionsverweis {offenen Menge}{}{}
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und einem stetig differenzierbaren Weg \maabb {\gamma} {[a,b]} { U } {} ist das \definitionsverweis {Wegintegral}{}{} gleich
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma \omega }
{ =} { \int_\gamma fdz }
{ =} { \int_a^b f( \gamma(t)) \gamma'(t) dt }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}


\inputbeispiel{}
{

Ein wichtiges Standardbeispiel ist die \definitionsverweis {holomorphe Differentialform}{}{}
\mathl{{ \frac{ dz }{ z } }}{} auf
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ U }
{ = }{ {\mathbb C} \setminus \{ 0\} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Längs des Einheitskreises mit der trigonometrischen Parametrisierung \maabbeledisp {\gamma} {[0,2 \pi]} { {\mathbb C} \setminus \{ 0\} } {t} { \cos t + { \mathrm i} \sin t } {,} ist
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{ \int_\gamma { \frac{ dz }{ z } } }
{ =} { \int_0^{2 \pi} { \frac{ 1 }{ \cos t + { \mathrm i} \sin t } } { \left( - \sin t + { \mathrm i} \cos t \right) } dt }
{ =} { { \mathrm i} \int_0^{2 \pi} { \left( \cos t - { \mathrm i} \sin t \right) } { \left( \cos t + { \mathrm i} \sin t \right) } dt }
{ =} { { \mathrm i} \int_0^{2 \pi} \cos^{ 2 } t + \sin^{ 2 } t dt }
{ =} { { \mathrm i} \int_0^{2 \pi} 1 dt }
} {
\vergleichskettefortsetzungalign
{ =} { 2 \pi { \mathrm i} }
{ } {}
{ } {}
{ } {}
} {}{.}


}


\inputfaktbeweis
{Reelle Mannigfaltigkeit/Geschlossene Differentialform/Lokale Stammfunktionen/Garbe/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{} und $\omega$ eine \definitionsverweis {geschlossene Differentialform}{}{} auf $M$ mit Werten in ${\mathbb K}$.}
\faktfolgerung {Dann ist die Zuordnung
\mathdisp {U \mapsto { \mathcal S } { \left( U \right) } \defeq { \left\{ f:U \rightarrow {\mathbb K} \text{ differenzierbar } \mid df = \omega{{|}}_U \right\} }} { }
eine \definitionsverweis {Garbe}{}{} auf $M$.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{ Siehe Aufgabe 17.10. }


Diese Garbe beschreibt also die lokalen Stammfunktionen zur $1$-Form $\omega$. Wir betrachten den zugehörigen \definitionsverweis {Ausbreitungsraum}{}{.}





\inputfaktbeweis
{Reelle Mannigfaltigkeit/Geschlossene Differentialform/Lokale Stammfunktionen/Garbe/Ausbreitungsraum/Eigenschaften/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{} und $\omega$ eine \definitionsverweis {geschlossene Differentialform}{}{} auf $M$ mit Werten in ${\mathbb K}$. Es sei ${ \mathcal S }$ die zugehörige \definitionsverweis {Garbe}{}{} der lokalen Stammfunktionen aus Lemma 17.5 und sei $A_\omega$ der zugehörige \definitionsverweis {Ausbreitungsraum}{}{.}}
\faktuebergang {Dann gelten folgende Aussagen.}
\faktfolgerung {\aufzaehlungvier{Die natürliche Projektion \maabbdisp {p} { A_\omega} {M } {} ist eine \definitionsverweis {surjektive}{}{} \definitionsverweis {Überlagerung}{}{.} }{Durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ F(P,f) }
{ \defeq} { f(P) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist eine differenzierbare Funktion auf $A_\omega$ gegeben. }{Auf $A_\omega$ ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ dF }
{ =} { p^* \omega }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Insbesondere ist $p^* \omega$ \definitionsverweis {exakt}{}{.} }{Zu einem stetigen differenzierbaren Weg \maabb {\gamma} {[a,b]} {M } {} ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma \omega }
{ =} { \int_{\tilde{\gamma} } p^* \omega }
{ =} { F(\tilde{\gamma} (b)) - F( \tilde{\gamma} (a) ) }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei $\tilde{\gamma}$ eine \definitionsverweis {Liftung}{}{} von $\gamma$ nach $A_\omega$ ist. }}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

\aufzaehlungvier{Nach Lemma 12.9 liegt ein \definitionsverweis {lokaler Homöomorphismus}{}{} vor. Die Surjektivität ergibt sich daraus, dass $\omega$ lokal eine Stammfunktion besitzt. Daraus ergibt sich auch die Überlagerungseigenschaft. }{Lokal stimmt $F$ auf einer offenen Menge von $A_\omega$ der Form
\mathl{(U,f)}{} mit $f$ überein. }{Dies folgt aus (2). }{Die erste Gleichung folgt aus Satz Anhang.. Die zweite Gleichung folgt daraus, dass $F \circ \tilde{\gamma}$ nach Aufgabe 17.4 eine Stammfunktion von
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \gamma^* \omega }
{ =} { \tilde{\gamma}^* { \left( p^* \omega \right) } }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} ist. }

}


Die folgende Aussage nennt man auch \stichwort {Monodromiesatz} {,} wobei Monodromie eher ein Prinzip ist, das aufgerufen wird, wenn analytische Objekte bereits durch topologische Daten festgelegt sind.




\inputfaktbeweis
{Reelle Mannigfaltigkeit/Geschlossene Differentialform/Wegintegral/Homotopieinvarianz/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{} und $\omega$ eine \definitionsverweis {geschlossene Differentialform}{}{} auf $M$ mit Werten in ${\mathbb K}$. Es seien \maabbdisp {\gamma_1, \gamma_2} {[a,b]} { M } {} \definitionsverweis {stetige differenzierbare}{}{} \definitionsverweis {homotope Wege}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{\gamma_1} \omega }
{ =} { \int_{\gamma_2} \omega }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Es seien \mathkor {} {\tilde{\gamma_1}} {bzw.} {\tilde{\gamma_2}} {} \definitionsverweis {Liftungen}{}{} von \mathkor {} {\gamma_1} {bzw.} {\gamma_2} {} nach $A_\omega$ \zusatzklammer {siehe Lemma 17.6} {} {} mit dem gleichen Startpunkt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \tilde{\gamma_1} (a) }
{ =} { \tilde{\gamma_2} (a) }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.} Die Liftungen sind nach Lemma 7.8 wieder zueinander homotop und besitzen daher auch den gleichen Endpunkt. Somit folgt die Aussage aus Lemma 17.6  (4).

}





\inputfaktbeweis
{Reelle Mannigfaltigkeit/Geschlossene Differentialform/Wegintegral/Nullhomotop/Fakt}
{Korollar}
{}
{

\faktsituation {Es sei $M$ eine \definitionsverweis {differenzierbare Mannigfaltigkeit}{}{} und $\omega$ eine \definitionsverweis {geschlossene Differentialform}{}{} auf $M$ mit Werten in ${\mathbb K}$. Es sei \maabbdisp {\gamma} {[a,b]} { M } {} ein \definitionsverweis {stetig differenzierbarer}{}{} \definitionsverweis {nullhomotoper Weg}{}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_{\gamma} \omega }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Dies ist ein Spezialfall von Satz 17.7.

}






\zwischenueberschrift{Wegintegrale auf riemannschen Flächen}






\inputbemerkung
{}
{

Eine \definitionsverweis {rationale Funktion}{}{} in \mathkor {} {x} {und in} {\sqrt{ax^2+bx+c}} {} lässt sich unter Verwendung von gewissen Standardsubstitutionen elementar integrieren, siehe Lemma 27.8 (Analysis (Osnabrück 2021-2023)). Beispielsweise ist mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ = }{ \sin s }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int { \frac{ x }{ \sqrt{ 1-x^2} } } dx }
{ =} { \int { \frac{ \sin s }{ \sqrt{ 1- \sin^{ 2 } s } } } d \sin s }
{ =} { \int { \frac{ \sin s \cos s }{ \sqrt{ \cos^{ 2 } s } } } d s }
{ =} { \int \sin s d s }
{ } { }
} {}{}{.} Eine solche Situation kann man auffassen als eine rationale Funktion $R(x,y)$ in zwei Variablen \mathkor {} {x} {und} {y} {,} wobei zusätzlich zwischen den Variablen die algebraische Beziehung
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ y^2 }
{ = }{ ax^2+bx+c }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} besteht.

Es gibt eine Reihe von geometrisch relevanten Problemen, die auf ähnliche Integrale führen, wobei allerdings keine algebraische Beziehung zwischen den Variablen vom Grad $2$, sondern von höherem Grad vorliegt. Die Berechnung der Länge einer Ellipse oder einer sogenannten Lemniskate \zusatzklammer {siehe Beispiel Anhang.} {} {} führt zu Integralen der Form
\mathl{\int { \frac{ \sqrt{g(x)} }{ 1-x^2 } }}{} mit einem Polynom $g(x)$ vom Grad $4$ bzw. $\int { \frac{ 1 }{ \sqrt{ 1-x^4} } }$. Diese Integrale sind nicht elementar integrierbar, ihre Behandlung erfordert neuartige Ansätze, die sich in der Theorie von Wegintegralen auf riemannschen Flächen niederschlagen.

}

Wir fixieren die folgende Situation.





\inputfaktbeweis
{Riemannsche Flächen/Integral/Rationale Funktion/Polynomiale Bedingung/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei $R(z,w)$ eine \definitionsverweis {rationale Funktion}{}{} in den beiden Variablen \mathkor {} {z} {und} {w} {} und es sei $P(z,w)$ ein Polynom in \mathkor {} {z} {und} {w} {,} das kein Teiler des Nenners von $R$ sei. Es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ V }
{ =} { { \left\{ (z,w) \mid P(z,w) = 0 , \, glatt \right\} } }
{ \subseteq} { {\mathbb C}^2 }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} das glatte Nullstellengebilde zu $P$. Es sei \maabbeledisp {\beta} {[a,b]} { {\mathbb C} } {t} { \beta(t) } {,} ein \definitionsverweis {differenzierbarer Weg}{}{} mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ P(t, \beta(t)) }
{ = }{ 0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ t }
{ \in }{ [a,b] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} und es sei
\mathl{R(t, \beta(t))}{} ohne Polstelle auf dem Intervall.}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \omega }
{ = }{ R(z,w) dz }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} eine \definitionsverweis {holomorphe Differentialform}{}{} auf einer offenen Menge von $V$ und
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_a^b R(t, \beta(t)) dt }
{ =} { \int_\gamma \omega }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ \gamma(t) }
{ = }{ (t, \beta(t)) }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ist.}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Nach Lemma 14.5 sind \mathkor {} {z} {und} {w} {} holomorphe Funktionen auf dem glatten Nullstellengebilde und daher ist auch
\mathl{R(z,w)}{} auf einer offenen Teilmenge davon eine holomorphe Funktion und somit liegt eine holomorphe Differentialform vor. Nach der Definition von Wegintegralen ist
\mavergleichskettealign
{\vergleichskettealign
{ \int_\gamma \omega }
{ =} { \int_\gamma R(z,w) dz }
{ =} { \int_a^b \gamma^* { \left( R(z,w) dz \right) } }
{ =} { \int_a^b R( t , \beta (t) ) d t }
{ } { }
} {} {}{.}

}





\inputbeispiel{}
{

Im Beispiel aus Bemerkung 17.9 sind die Bezeichnungen aus Lemma 17.10 als
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ P }
{ =} { x^2+y^2-1 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} das Nullstellengebilde ist also reell ein Kreis \zusatzklammer {komplex eine Quadrik} {} {} und die \definitionsverweis {holomorphe Differentialform}{}{} darauf ist
\mathl{{ \frac{ x }{ y } } dx}{.} Eine elementare Integration ist möglich, da der Kreis ein einfach zu parametrisierendes Gebilde ist.


}





\inputfaktbeweis
{Hyperelliptische Gleichung/Reell/Schleife des Graphen/Holomorphes Differential/Fakt}
{Lemma}
{}
{

\faktsituation {Es sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f }
{ \in }{ \R [Z] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} ein reelles Polynom vom Grad $\geq 3$ ohne mehrfache komplexe Nullstelle und sei
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ V }
{ = }{ { \left\{ (z,w) \mid w^2 = f(z) \right\} } }
{ \subseteq }{ {\mathbb C}^2 }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} die zugehörige \definitionsverweis {riemannsche Fläche}{}{.} Es seien
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ a }
{ < }{ b }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} benachbarte reelle Nullstellen von $f$ mit
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ f(x) }
{ \geq }{0 }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} für
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{ x }
{ \in }{ [a,b] }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{.} Es sei \maabb {\gamma} {[0,1]} {V } {} der \definitionsverweis {geschlossene Weg}{}{,} dessen $z$-Koordinate linear von $a$ nach $b$ und zurück läuft und dessen $w$-Koordinate zuerst die positive Wurzel und dann die negative Wurzel von $f$ durchläuft.}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \int_\gamma { \frac{ dz }{ w } } }
{ >} {0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {Insbesondere ist $\gamma$ nicht nullhomotop in $V$.}
\faktzusatz {}

}
{

Die Form
\mathl{{ \frac{ dz }{ w } }}{} ist nach Lemma 15.10 eine holomorphe Differentialform \zusatzklammer {hierzu braucht man Grad $\geq 3$} {} {.} Auf dem Hinweg ist der Integrand positiv, auf dem Rückweg ebenfalls, da dort $d z (t)$ negativ und auch $w(t)$ negativ ist. Der Zusatz folgt aus Korollar 17.8.

}


In der vorstehenden Situation weiß man insbesondere, dass es nicht nullhomotope Wege auf dem Nullstellengebilde gibt. Insbesondere ist diese riemannsche Fläche nicht einfach zusammenhängend.






\zwischenueberschrift{Der Residuensatz}

Wie in der Funktionentheorie definiert man das Residuum in einem Punkt $P$ einer $1$-Form $\omega$ auf einer riemannschen Fläche $X$, die in $X \setminus \{P\}$ \definitionsverweis {holomorph}{}{} ist, durch
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \operatorname{Res}_{ P } \left( \omega \right) }
{ =} { { \frac{ 1 }{ 2 \pi { \mathrm i} } } \int_\gamma \omega }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} wobei $\gamma$ einen einfach gegen den Uhrzeigersinn durchlaufenen Weg um $P$ innerhalb einer Kartenumgebung bezeichnet, die biholomorph zu einer offenen Kreisscheibe ist. Dies stimmt mit dem Koeffizienten $c_{-1}$ der \definitionsverweis {Laurent-Entwicklung}{}{} überein.





\inputfaktbeweis
{Riemannsche Fläche/Kompakt/Residuensatz/Fakt}
{Satz}
{}
{

\faktsituation {Es sei $X$ eine \definitionsverweis {kompakte}{}{} \definitionsverweis {riemannsche Fläche}{}{,} es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{D }
{ =} { \{P_1 , \ldots , P_n\} }
{ \subseteq} { X }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{} eine endliche Teilmenge in $X$ und $\omega$ eine \definitionsverweis {holomorphe Differentialform}{}{} auf
\mathl{X \setminus D}{.}}
\faktfolgerung {Dann ist
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \sum_{i = 1}^n \operatorname{Res}_{ P_i } \left( \omega \right) }
{ =} { 0 }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{.}}
\faktzusatz {}
\faktzusatz {}

}
{

Wir wählen zu jedem Punkt $P_i$ offene Kartenumgebungen $V_i$, die zueinander disjunkt und biholomorph zu einer offenen Menge
\mavergleichskette
{\vergleichskette
{\tilde{V}_i }
{ \subseteq }{ {\mathbb C} }
{ }{ }
{ }{ }
{ }{ }
} {}{}{} sind. Es sei
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ \tilde{P}_i }
{ \in} { \tilde{U}_i }
{ \subseteq} { \tilde{B}_i }
{ \subseteq} { \tilde{V}_i }
{ } { }
} {}{}{} eine offene Kreisscheibe um den Kartenbildpunkt zu $P_i$ innerhalb von $\tilde{V}_i$. Es sei $\tilde{B}_i$ die abgeschlossene Kreisscheibe zu $\tilde{U}_i$, die ganz innerhalb von $\tilde{V}_i$ sei. Es sei $\tilde{S}_i$ der Kreisrand von $\tilde{B}_i$ und sei $\tilde{\gamma}$ ein einfacher Durchlauf durch $\tilde{S}_i$ gegen den Uhrzeigersinn. Es seien $U_i, B_i, S_i, \gamma_i$ die entsprechenden Objekte auf $X$. Wir betrachten die abgeschlossene und damit kompakte \definitionsverweis {Untermannigfaltigkeit mit Rand}{}{}
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{M }
{ \defeq} { X \setminus \bigcup_{i = 1}^n U_i }
{ } { }
{ } { }
{ } { }
} {}{}{,} der Rand ist
\mathl{\bigcup_{i = 1}^n S_i}{.} Die Untermannigfaltigkeit $M$ und ihr Rand erben von der riemannschen Fläche die Orientierung. Die $1$-Form $\omega$ ist auf $M$ \definitionsverweis {geschlossen}{}{,} da dies nach Satz 16.15 auf $X \setminus D$ gilt. Daher ist der Satz von Stokes anwendbar und ergibt
\mavergleichskettedisp
{\vergleichskette
{ 0 }
{ =} { \int_M d \omega }
{ =} { \int_{\partial M} \omega }
{ =} { \sum_{i = 1}^n \int_{\gamma_i} \omega }
{ =} { \sum_{i = 1}^n - 2\pi { \mathrm i} \cdot \operatorname{Res}_{ P_i } \left( \omega \right) }
} {}{}{.} \zusatzklammer {das Minuszeichen rührt daher, dass die $S_i$ die Orientierung als Rand von $M$ tragen ud nicht als Rand von $U_i$} {} {.}

}