Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil I/Vorlesung 28

„Nicht allein in Rechnungssachen Soll der Mensch sich Mühe machen; Sondern auch der Weisheit Lehren Muß man mit Vergnügen hören.“
Wilhelm Busch, Max und Moritz

Aus der Schule wissen wir, dass es neben den abbrechenden Kommazahlen (den Dezimalbrüchen) auch „unendliche Kommazahlen“ gibt, wobei dabei die Ziffernentwicklung wiederum periodisch oder nicht periodisch sein kann. Es ist eine echte Herausforderung, die mathematische Natur solcher Ausdrücke zu verstehen, und wir werden uns einen Großteil des zweiten Semesters damit beschäftigen. Auf den ersten Blick ist jedenfalls eine solche Zahl dadurch gegeben, dass jeder natürlchen Zahl, die eine Nachkommastelle bezeichnet, mehr oder weniger willkürlich eine Ziffer zwischen und zugeordnet wird. Eine solche Zuordnung erfassen wir generell mit dem Konzept einer Folge.




Folgen

Es sei eine Menge. Eine Abbildung

nennt man auch eine Folge in . Eine Folge wird häufig in der Form

geschrieben.

Die Elemente heißen dabei die Glieder der Folge.



Der Divisionsalgorithmus

Wir besprechen nun das Verfahren des „schriftlichen Dividierens“, den Divisionsalgorithmus.


Es seien natürliche Zahlen mit positiv. Beim Divisionsalgorithmus führt man sukzessive die (unendlich vielen) Divisionen mit Rest

aus, d.h. man berechnet rekursiv aus mittels

die und die . Die Folge , , heißt die Ziffernfolge und die Folge , , heißt die Restefolge des Divisionsalgorithmus.

Man schaut also, wie oft in hineinpasst (das ergibt , den ganzzahligen Anteil der Division) und welcher Rest dabei übrigbleibt. Dann schaut man, wie oft in das Zehnfache dieses Restes hineinpasst (das ergibt , die erste Nachkommaziffer der Division) und welcher Rest dabei übrigbleibt, und wiederholt diesen Rechenschritt unendlich oft. Dieses Verfahren ist aus der Schule bekannt. Als Ergebnis wird die „unendliche Kommazahl“

notiert, wobei die ganze Zahl selbst in ihrer Dezimalentwicklung genommen wird. Unklar ist dabei, welchen genauen Sinn ein solcher Ausdruck besitzt. Dies lässt sich im Rahmen der Konvergenz von Folgen befriedigend präzisieren. Die Indizierung ist hier so gewählt, dass sich die Ziffer (für ) auf bezieht. D.h. ist die -te Nachkommaziffer des Ergebnisses der Division.



Es seien natürliche Zahlen mit positiv und es seien , , und , , die im Divisionsalgorithmus berechneten Folgen. Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Die liegen zwischen und .
  2. Die , , liegen zwischen und .
  3. Wenn für ein der Rest ist, so sind für alle auch . und .
  4. Es gibt ein und ein mit derart, dass für die Ziffern mit die Beziehung

    gilt.

  5. Wenn man statt den Divisionsalgorithmus mit ausführt, so ändert sich die Ziffernfolge nicht (wohl aber die Restefolge). Die Ziffernfolge ist also für die rationale Zahl wohldefiniert.
  6. Bei der Division von durch eine Zehnerpotenz ist

    (was bei als zu lesen ist) und

    (was für als zu lesen ist). Die Ziffernfolge ist also einfach eine verschobene Version der Zifferndarstellung des Dividenden.

  7. Der Bruch ist genau dann ein Dezimalbruch, wenn ein Rest gleich ist, und dies ist genau dann der Fall, wenn die Ziffernfolge ab einem konstant gleich ist.
  1. Ist eine Eigenschaft der Division mit Rest.
  2. Wegen

    ist

    Bei der Division von durch ist somit der ganzzahlige Anteil echt kleiner als .

  3. Dies folgt unmittelbar aus dem rekursiven Aufbau des Divisionsalgorithmus.
  4. Im Fall, dass für ein der Rest ist, ergibt sich dies unmittelbar aus (3), wobei man wählen kann. Nehmen wir also an, dass alle von verschieden sind. Da die Reste

    allesamt zwischen und liegen, muss es in ihnen irgendwann eine Wiederholung geben, sagen wir, dass

    gilt. Da und allein von abhängt, wiederholt sich dann die Restfolge und die Ziffernfolge

    unendlich oft periodisch.

  5. Aus der Division mit Rest

    ergibt sich direkt die entsprechende Division mit Rest

    woraus die Behauptung folgt.

  6. Der Divisionsalgorithmus ist in diesem Fall

    u.s.w., woraus die Aussagen ablesbar sind.

  7. Wenn ein Dezimalbruch vorliegt, so können wir wegen (5) annehmen, dass

    eine Zehnerpotenz ist. Dann folgt die Aussage mit der abbrechenden Ziffernfolge aus (6).


    Wenn ein , so sind nach (3) alle folgenden Ziffern gleich . Wenn umgekehrt für alle gilt, so wird die Rekursionsbedingung für zu

    Nehmen wir an. Dann ist

    u.s.w., was zu einem Widerspruch führt, da nach Lemma 25.9 die Zehnerpotenzen schließlich die Zahl überschreiten.

    Wenn ein ist, so folgt rekursiv aus

    bzw.

    dass die Brüche

    Dezimalbrüche sind. Somit ist auch ein Dezimalbruch.


Wir haben insbesondere bewiesen, dass beim Divisionsalgorithmus irgendwann eine Periodizität auftritt und gezeigt, wie diese zu finden ist. Das kleinste positve , das die Eigenschaft aus (4) erfüllt, heißt die Periodenlänge der Division. Die Eigenschaft (6) bedeutet, dass die Ziffernfolge, die sich aus dem allgemeinen Divisionsalgorithmus im Falle der Division durch eine Zehnerpotenz ergibt, mit der endlichen Kommazahl aus Definition 26.4 übereinstimmt. Das Ergebnis des Divisionsalgorithmus wird als

notiert, wobei die überstrichenen Zahlen die Periode darstellen.

Über die Periodenlänge kann man einige präzise Aussagen machen, die über Lemma 28.3  (4) hinausgehen und die wir im Moment noch nicht beweisen können. Es seien und teilerfremd und sei auch teilerfremd zu . Dann hängt die Periodenlänge der Division allein davon ab, welche minimale Zehnerpotenz mit bei Division durch den Rest besitzt. Für den Fall siehe Aufgabe 28.14. Der minimale Exponent ist die Periodenlänge. Wenn eine Primzahl ist, so ist diese Periodenlänge ein Teiler von . Wenn die Periodenlänge von genau ist, so gilt dies bei sämtlichen Divisionen mit teilerfremd zu , und die Reihenfolge der Ziffern ist eine zyklische Vertauschung der Reihenfolge der Ziffern zu . Siehe als Beispiel hierzu Aufgabe 28.3.



Dezimalbruchfolgen

Die Ziffern , die sich beim Divisionsalgorithmus ergeben, sind in ihrer genauen Bedeutung nicht einfach zu verstehen. Im Spezialfall, dass ein Dezimalbruch vorliegt, erhalten wir nach Lemma 28.3  (6) eine abbrechende Entwicklung , wobei wir diese Ziffern direkt aus der Dezimalentwicklung des Zählers ablesen können. Wenn kein Dezimalbruch vorliegt, so erhalten wir eine unendliche Ziffernfolge . Zunächst muss man sich klar machen, dass jeder an einer bestimmten Ziffer abbrechende Ausschnitt daraus, also

nicht die Zahl ist, obwohl es sich in einem zu präzisierenden Sinn um eine Approximation davon handelt. Eine Formulierung wie

hingegen ist ziemlich aussagelos. Eine Formulierung wie

kodiert zwar die volle Information aus dem Divisionsalgorithmus, das Problem ist aber, ob und inwiefern dies eine Zahl ist.


Es sei ein angeordneter Körper. Eine Folge der Form

mit und

heißt Dezimalbruchfolge.

Achtung! Eine Dezimalbruchfolge ist nicht das gleiche wie eine Folge von Dezimalbrüchen. Die Folge, die abwechselnd die Werte und besitzt, besteht auch nur aus Dezimalbrüchen. Hier ist wichtig, das bei einer Dezimalbruchfolge bei jedem Folgenglied sich die „Genauigkeit“ um ein erhöht, das folgende Glied liegt im Intervall

der Länge , das vom Vorgänger festgelegt ist.

Wir werden zeigen, dass es für jedes Element in einem archimedisch angeordneten Körper eine zugehörige kanonische Dezimalbruchfolge gibt, und dass diese im Fall einer rationalen Zahl aus dem Divisionsalgorithmus ablesbar ist. Die Folge

ist eine Dezimalbruchfolge, aber nicht die kanonische Dezimalbruchfolge zu , diese ist nämlich einfach die konstante Folge.


Es sei ein Element in einem archimedisch angeordneten Körper . Dann nennt man die über durch

mit und gegebene Folge

die (kanonische) Dezimalbruchfolge zu .

Die definierende Gleichung in diesem Verfahren kann man auch als von der Gleichung

herstammend interpretieren. Es ist also einfach

und

was zugleich zeigt, dass diese Folge existiert und eine Dezimalbruchfolge im Sinne der obigen Definition ist. Die Glieder dieser Folge approximieren die gegebene Zahl optimal unter allen Dezimalbrüchen mit dem vorgegebenen Nenner , wie die folgende Aussage zeigt.



Es sei ein Element in einem archimedisch angeordneten Körper und es sei , , die zugehörige (kanonische) Dezimalbruchfolge.

Dann ist

d.h. der -te Dezimalbruch der Folge approximiert die Zahl bis auf einen Fehler von maximal . Es liegt eine Dezimalbruchfolge im Sinne von Definition 28.5 vor.

In der Definition der Dezimalbruchfolge wird

mit und berechnet. Daher ist einerseits

und andererseits

Die Eigenschaft

ergibt sich auch unmittelbar.



Es seien natürliche Zahlen mit positiv und es seien , , und , , die im Divisionsalgorithmus berechneten Folgen.

Dann ist

die Dezimalbruchfolge zu . Insbesondere ist für jedes

Aus den definierenden Gleichungen des Divisionsalgorithmus ergibt sich sukzessive

und insgesamt

Division durch ergibt

Dies stimmt mit den Festlegungen aus dem Verfahren überein, in dem die Dezimalbruchfolge zu definiert wurde.



Konvergente Folgen

Die oben beschriebene Eigenschaft, dass eine rationale Zahl durch die zugehörige (im Divisonsalgorithmus berechneten) Dezimalbruchfolge beliebig genau approximiert wird, wird durch folgenden Begriff präzisiert, der im zweiten Semester eine tragende Rolle spielen wird.


Es sei eine Folge in einem angeordneten Körper und es sei . Man sagt, dass die Folge gegen konvergiert, wenn folgende Eigenschaft erfüllt ist.

Zu jedem , , gibt es ein derart, dass für alle die Beziehung

gilt. In diesem Fall heißt der Grenzwert oder der Limes der Folge. Dafür schreibt man auch

Wenn die Folge einen Grenzwert besitzt, so sagt man auch, dass sie konvergiert (ohne Bezug auf einen Grenzwert.), andernfalls, dass sie divergiert.



Es sei ein Element in einem archimedisch angeordneten Körper .

Dann konvergiert die zugehörige Dezimalbruchfolge , , gegen .

Nach Satz 28.7 ist

Wenn ein vorgegeben ist, so gibt es nach Korollar 25.10 ein mit

Für alle ist dann



Zu einer rationalen Zahl

konvergiert die Dezimalbruchfolge, die man aus dem Divisionsalgorithmus erhält, gegen .

Dies folgt direkt aus Korollar 28.10 in Verbindung mit Lemma 28.8.



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