Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil I/Vorlesung 7
- Lineare Unabhängigkeit
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt eine Familie von Vektoren , , (mit einer beliebigen endlichen Indexmenge ) linear unabhängig, wenn eine Gleichung
nur bei für alle möglich ist.
Wenn eine Familie nicht linear unabhängig ist, so nennt man sie linear abhängig. Man nennt übrigens eine Linearkombination eine Darstellung des Nullvektors. Sie heißt die triviale Darstellung, wenn alle Koeffizienten gleich sind, andernfalls, wenn also mindestens ein Koeffizient nicht ist, spricht man von einer nichttrivialen Darstellung der Null. Eine Familie von Vektoren ist genau dann linear unabhängig, wenn man mit ihnen nur auf die triviale Art den Nullvektor darstellen kann. Dies ist auch äquivalent dazu, dass man keinen Vektor aus der Familie als Linearkombination der anderen ausdrücken kann.
Die Standardvektoren im sind linear unabhängig. Eine Darstellung
bedeutet ja einfach
woraus sich aus der -ten Zeile direkt ergibt.
Die drei Vektoren
sind linear abhängig. Es ist nämlich
eine nichttriviale Darstellung des Nullvektors.
Die Vektoren sind genau dann linear abhängig, wenn das homogene lineare Gleichungssystem
eine nichttriviale (d.h. von verschiedene) Lösung besitzt.
Für eine unendliche Familie definieren wir.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt eine Familie von Vektoren , , linear unabhängig, wenn eine Gleichung
nur bei für alle möglich ist.
Damit ist die lineare Unabhängigkeit bei einer beliebigen Familie auf den endlichen Fall zurückgeführt. Man beachte, dass es in einem Vektorraum keine unendlichen Summen gibt, ein Ausdruck wie kann also von vornherein bei Untersuchungen zur linearen Unabhängigkeit keine Rolle spielen.
Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und , , eine Familie von Vektoren in . Dann gelten folgende Aussagen.
- Wenn die Familie linear unabhängig ist, so ist auch zu jeder Teilmenge die Familie , , linear unabhängig.
- Die leere Familie ist linear unabhängig.
- Wenn die Familie den Nullvektor enthält, so ist sie nicht linear unabhängig.
- Wenn in der Familie ein Vektor mehrfach vorkommt, so ist sie nicht linear unabhängig.
- Ein einzelner Vektor ist genau dann linear unabhängig, wenn ist.
- Zwei Vektoren und sind genau dann linear unabhängig, wenn weder ein skalares Vielfaches von ist noch umgekehrt.
Beweis
- Basen
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt ein linear unabhängiges Erzeugendensystem , , von eine Basis von .
Die Standardvektoren im bilden eine Basis. Die lineare Unabhängigkeit wurde in Beispiel 7.2 gezeigt. Um zu zeigen, dass auch ein Erzeugendensystem vorliegt, sei
ein beliebiger Vektor. Dann ist aber direkt
Also liegt eine Basis vor, die man die Standardbasis des nennt.
Wir betrachten den - Untervektorraum , der durch
gegeben ist. Eine Basis ist durch die Vektoren
gegeben. Diese Vektoren gehören offenbar zu . Die lineare Unabhängigkeit kann man in überprüfen. Aus einer Gleichung
folgt schrittweise , , u.s.w. Dass ein Erzeugendensystem vorliegt, ergibt sich aus
wobei die Gültigkeit in der letzten Zeile auf der Bedingung
beruht.
Für die komplexen Zahlen bilden eine reelle Basis. Im Raum der - Matrizen bilden diejenigen Matrizen, die an genau einer Stelle eine und sonst überall stehen haben, eine Basis, siehe Aufgabe 7.18.
Im Polynomring über einem Körper sind die Potenzen , , eine Basis. Nach Definition kann man jedes Polynom
als Linearkombination der Potenzen schreiben. Ferner sind diese Potenzen linear unabhängig. Wenn nämlich
ist, so müssen alle Koeffizienten gleich sein (dies gehört zum Begriff eines Polynoms).
- Der Charakterisierungssatz für eine Basis
Der folgende Satz gibt eine wichtige Charakterisierung dafür, wann eine Basis vorliegt.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Es sei eine Familie von Vektoren. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.
- Die Familie ist eine Basis von .
- Die Familie ist ein minimales Erzeugendensystem, d.h. sobald man einen Vektor weglässt, liegt kein Erzeugendensystem mehr vor.
- Für jeden Vektor
gibt es genau eine Darstellung
- Die Familie ist maximal linear unabhängig, d.h. sobald man irgendeinen Vektor dazunimmt, ist die Familie nicht mehr linear unabhängig.
Wir führen einen Ringschluss durch. . Die Familie ist ein Erzeugendensystem. Nehmen wir einen Vektor, sagen wir , aus der Familie heraus. Wir müssen zeigen, dass dann die verbleibende Familie, also kein Erzeugendensystem mehr ist. Wenn sie ein Erzeugendensystem wäre, so wäre insbesondere als Linearkombination der Vektoren darstellbar, d.h. man hätte
Dann ist aber
eine nichttriviale Darstellung der , im Widerspruch zur linearen Unabhängigkeit der Familie. . Nach Voraussetzung ist die Familie ein Erzeugendensystem, sodass sich jeder Vektor als Linearkombination darstellen lässt. Angenommen, es gibt für ein eine mehrfache Darstellung, d.h.
wobei mindestens ein Koeffizient verschieden sei. Ohne Einschränkung sei . Dann erhält man die Beziehung
Wegen kann man durch diese Zahl dividieren und erhält eine Darstellung von durch die anderen Vektoren. Nach Aufgabe 6.15 ist auch die Familie ohne ein Erzeugendensystem von , im Widerspruch zur Minimalität. . Wegen der eindeutigen Darstellbarkeit besitzt insbesondere der Nullvektor nur die triviale Darstellung, d.h. die Vektoren sind linear unabhängig. Nimmt man einen Vektor hinzu, so besitzt dieser eine Darstellung
und daher ist
eine nichttriviale Darstellung der , sodass die verlängerte Familie nicht linear unabhängig ist. . Die Familie ist linear unabhängig, wir müssen zeigen, dass sie auch ein Erzeugendensystem bildet. Es sei dazu . Nach Voraussetzung ist die Familie nicht linear unabhängig, d.h. es gibt eine nichttriviale Darstellung
Dabei ist , da andernfalls dies eine nichttriviale Darstellung der allein mit den linear unabhängigen Vektoren wäre. Daher können wir
schreiben, sodass eine Darstellung von möglich ist.
Es sei eine Basis eines - Vektorraums gegeben. Aufgrund von Satz 7.11 (3) bedeutet dies, dass es für jeden Vektor eine eindeutig bestimmte Darstellung (eine Linearkombination)
gibt. Die dabei eindeutig bestimmten Elemente (Skalare) heißen die Koordinaten von bezüglich der gegebenen Basis. Bei einer gegebenen Basis entsprechen sich also die Vektoren und die Koordinatentupel . Man sagt, dass eine Basis ein lineares Koordinatensystem festlegt.[1] Durch eine Basis hat man also insbesondere eine bijektive Abbildung
Die Umkehrabbildung
nennt man auch die Koordinatenabbildung.
Es sei ein Körper und ein - Vektorraum mit einem endlichen Erzeugendensystem.
Dann besitzt eine endliche Basis.
Es sei
, ,
ein Erzeugendensystem von mit einer
endlichen
Indexmenge . Wir wollen mit der Charakterisierung aus
Satz 7.11 (2)
argumentieren.
Falls die Familie schon minimal ist, so liegt eine Basis vor. Andernfalls gibt es ein
derart, dass die um reduzierte Familie, also
, ,
ebenfalls ein Erzeugendensystem ist. In diesem Fall kann man mit der kleineren Indexmenge weiterargumentieren.
Mit diesem Verfahren gelangt man letztlich zu einer Teilmenge
derart, dass
, ,
ein minimales Erzeugendensystem, also eine Basis ist.
Es gilt sogar generell der Satz von Hamel, dass jeder Vektorraum eine Basis besitzt. Der Beweis zu diesem Satz verwendet deutlich stärkere mengentheoretische Hilfsmittel, insbesondere das Auswahlaxiom bzw. das daraus abgeleitete Lemma von Zorn. Dies ist letztlich der Grund, warum sich viele Aussagen für endlichdimensionale Räume auch auf unendlichdimensionale übertragen lassen. Im Rahmen dieses Kurses konzentrieren wir uns, insbesondere in den Beweisen, auf den endlichdimensionalen Fall.
- Fußnoten
- ↑ Lineare Koordinaten vermitteln also eine bijektive Beziehung zwischen Punkten und Zahlentupeln. Aufgrund der Linearität ist eine solche Bijektion mit der Addition und der Skalarmultiplikation verträglich. In vielen anderen Kontexten spielen auch nichtlineare (oder krummlinige) Koordinaten eine wichtige Rolle. Auch diese setzen Raumpunkte mit Zahlentupeln in eine bijektive Verbindung. Wichtige nichtlineare Koordinaten sind u.A. Polarkoordinaten, Zylinderkoordinaten und Kugelkoordinaten. Mathematische Probleme können häufig durch eine geeignete Wahl von Koordinaten vereinfacht werden, beispielsweise bei Volumenberechnungen.