Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2017-2018)/Teil I/Vorlesung 3
- Gruppen
In der linearen Algebra wird im Allgemeinen ein Grundkörper zugrunde gelegt, über dem sich alles aufbaut. Der wichtigste Körper ist für uns der Körper der reellen Zahlen , den wir schon verwendet haben und der in der Analysis axiomatisch eingeführt wird. Wie die reellen Zahlen ist ein Körper durch die Existenz von zwei Verknüpfungen mit bestimmten Eigenschaften festgelegt, nämlich einer Addition und einer Multiplikation. Erstaunlicherweise gehören diese beiden Verknüpfungen (bei der Multiplikation muss man die herausnehmen) für sich genommen zu einer wichtigen algebraischen Struktur: Es handelt sich um Gruppen.
Eine Menge mit einem ausgezeichneten Element und mit einer Verknüpfung
heißt Gruppe, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.
- Die Verknüpfung ist assoziativ, d.h. für alle
gilt
- Das Element ist ein neutrales Element, d.h. für alle
gilt
- Zu jedem
gibt es ein inverses Element, d.h. es gibt ein
mit
Eine Gruppe heißt kommutativ, wenn die Verknüpfung kommutativ ist. Wichtige Beispiele für kommutative Gruppen sind , , oder mit der komponentenweisen Null
und der komponentenweisen Addition.
In einer Gruppe ist das neutrale Element eindeutig bestimmt. Wenn nämlich ein weiteres Element mit der für das neutrale Element charakteristischen Eigenschaft, also
für alle , ist, so ergibt sich direkt
Es sei
und
Dann ist
Abstrakte Strukturen wie Menge, Abbildung, Verknüpfung, Gruppe führen ein Doppelleben: Einerseits sind sie wirklich nur die gegebene formale Struktur, die Elemente sind nur irgendwelche Elemente einer irgendwie gegebenen Menge, die Verknüpfung ist irgendeine Verknüpfung, unter der man sich nichts Bestimmtes vorstellen soll. Die gewählten Symbole sind willkürlich und ohne Bedeutung. Andererseits erhalten solche abstrakte Strukturen dadurch ihr Leben, dass konkrete mathematische Strukturen darunter subsummiert werden können. Die konkreten Strukturen sind Beispiele oder Modelle für die abstrakte Struktur (und sie sind mathematikhistorisch auch die Motivation, abstraktere Strukturen einzuführen). Beide Ebenen sind wichtig, man sollte sie aber stets auseinanderhalten.
Die Gruppentheorie ist ein eigenständiger Zweig in der Mathematik, den wir hier aber nicht systematisch entwickeln werden. Stattdessen beschäftigen wir uns mit Ringen und vor allem mit Körpern.
- Ringe
Eine Menge heißt ein Ring, wenn es zwei Verknüpfungen (genannt Addition und Multiplikation)
und (nicht notwendigerweise verschiedene) Elemente gibt, die die folgenden Eigenschaften erfüllen.
- Axiome der Addition
- Assoziativgesetz: Für alle gilt .
- Kommutativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Addition, d.h. für alle ist .
- Existenz des Negativen: Zu jedem gibt es ein Element mit .
- Axiome der Multiplikation
- Assoziativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Multiplikation, d.h. für alle ist .
- Distributivgesetz: Für alle gilt und .
Ein Ring heißt kommutativ, wenn die Multiplikation kommutativ ist.
Die wichtigsten kommutativen Ringe sind für uns die Mengen der ganzen Zahlen , die rationalen Zahlen und die reellen Zahlen . Dass all diese Axiome für die reellen Zahlen (und die rationalen Zahlen) mit den natürlichen Verknüpfungen gelten, ist aus der Schule bekannt. Eine axiomatische Begründung ist möglich, wird aber hier nicht durchgeführt. Mit der Addition ist ein Ring insbesondere eine kommutative Gruppe.
In einem Ring gilt die Klammerkonvention, dass die Multiplikation stärker bindet als die Addition (Punktrechnung vor Strichrechnung). Man kann daher statt schreiben. Zur weiteren Notationsvereinfachung wird das Produktzeichen häufig weggelassen. Die besonderen Elemente und in einem Ring werden als Nullelement und als Einselement bezeichnet. Zu einem Element nennt man das nach Lemma 3.2 eindeutig bestimmte Element mit das Negative von und bezeichnet es mit . Es ist , da wegen das Element gleich dem eindeutig bestimmten Negativen von ist. Statt schreibt man abkürzend und spricht von der Differenz. Die Differenz ist also keine grundlegende Verknüpfung, sondern wird auf die Addition mit dem Negativen zurückgeführt.
Die folgenden Eigenschaften sind für den Ring der reellen Zahlen vertraut, wir beweisen sie aber allein aus den Axiomen eines Rings. Sie gelten daher für jeden Ring.
Es sei ein Ring und seien Elemente aus .
Dann gelten folgende Aussagen.
-
(Annullationsregel),
-
(Vorzeichenregel),
- und ,
(allgemeines Distributivgesetz).
Wir beweisen im nicht kommutativen Fall je nur eine Hälfte.
- Es ist . Durch beidseitiges Abziehen von ergibt sich die Behauptung.
nach Teil (1). Daher ist das (eindeutig bestimmte) Negative von .
- Nach (2) ist und wegen (dies gilt in jeder Gruppe) folgt die Behauptung.
- Dies folgt auch aus dem bisher Bewiesenen.
- Dies folgt aus einer Doppelinduktion.
- Körper
Einen Großteil der linearen Algebra kann man über einem beliebigen kommutativen Ring aufbauen, was aber einen ungleich umfassenderen Begriffsapparat erfordert. Stattdessen werden wir stets über einem Körper arbeiten.
Ein kommutativer Ring heißt Körper, wenn ist und wenn jedes von verschiedene Element ein multiplikatives Inverses besitzt.
Ausgeschrieben bedeutet dies:
Eine Menge heißt ein Körper, wenn es zwei Verknüpfungen (genannt Addition und Multiplikation)
und zwei verschiedene Elemente gibt, die die folgenden Eigenschaften erfüllen.
- Axiome der Addition
- Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
- Kommutativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Addition, d.h. für alle ist .
- Existenz des Negativen: Zu jedem gibt es ein Element mit .
- Axiome der Multiplikation
- Assoziativgesetz: Für alle gilt: .
- Kommutativgesetz: Für alle gilt .
- ist das neutrale Element der Multiplikation, d.h. für alle ist .
- Existenz des Inversen: Zu jedem mit gibt es ein Element mit .
- Distributivgesetz: Für alle gilt .
Die in Lemma 3.5 beschriebenen Eigenschaften (und Konventionen) für Ringe gelten insbesondere für Körper. Unter Verwendung des Gruppenbegriffs kann man auch sagen, dass ein Körper eine Menge mit zwei Verknüpfungen und und zwei fixierten Elementen ist, derart, dass und jeweils kommutative Gruppen[1] sind und dass das Distributivgesetz gilt.
Zu einem Element und einer natürlichen Zahl definiert man als die -fache Summe von mit sich selbst. Dabei setzt man . Für
schreibt man auch einfach oder . Man findet also jede natürliche Zahl in jedem Körper (auch in jedem Ring) wieder, allerdings kann es sein, dass diese Zuordnung nicht injektiv ist und beispielsweise oder in einem Körper gilt (siehe die Beispiele weiter unten). Für negative ganze Zahlen setzt man
wobei das Negative von in dem Körper ist. Aufgrund von Aufgabe 3.26 passt alles zusammen. Z.B. kann man wie eben als die -fache Summe von mit sich selbst verstehen oder als Produkt aus und , letzteres als die -fache Summe von mit sich selbst verstanden.
Das zu , , nach Lemma 3.2 (hier lohnt sich schon der Gruppenbegriff) eindeutig bestimmte Element mit nennt man das Inverse von und bezeichnet es mit .
Für , , schreibt man auch abkürzend
Die beiden linken Ausdrücke sind also Abkürzungen für den rechten Ausdruck.
Zu einem Körperelement und wird die -te Potenz, geschrieben , als das -fache Produkt von mit sich selbst definiert ( gibt die Anzahl der Faktoren an). Man setzt weiterhin , und bei und einer negativen ganzen Zahl wird der Ausdruck als interpretiert.
Ein „kurioser“ Körper wird im folgenden Beispiel beschrieben. Dieser Körper mit zwei Elementen ist in der Informatik und der Kodierungstheorie wichtig, wird für uns aber keine große Rolle spielen. Er zeigt, dass es nicht für jeden Körper sinnvoll ist, seine Elemente auf der Zahlengeraden zu verorten.
Wir suchen nach einer Körperstruktur auf der Menge . Wenn das neutrale Element einer Addition und das neutrale Element einer Multiplikation sein soll, so ist dadurch schon alles festgelegt, da sein muss, da ein inverses Element bezüglich der Addition besitzen muss, und da in jedem Körper nach Lemma 3.5 gelten muss. Die Operationstafeln sehen also wie folgt aus.
und
Durch etwas aufwändiges Nachrechnen stellt man fest, dass es sich in der Tat um einen Körper
handelt.
Auf der Menge (mit sieben Elementen) kann man durch die Festlegungen
ebenfalls einen Körper machen. Ohne weitere Theorie ist der Nachweis der Körpereigenschaften sehr aufwändig.
Es sei ein Körper. Aus
folgt oder .
Nehmen wir an, dass und beide von verschieden sind. Dann gibt es dazu inverse Elemente und und daher ist . Andererseits ist aber nach Voraussetzung und daher ist nach Lemma 3.5 (1)
ergibt.
- Fußnoten
- ↑ Das beinhaltet hier insbesondere, dass die Multiplikation sich zu einer Verknüpfung auf einschränken lässt. Aus den Körperaxiomen folgt dies, wie wir gleich sehen werden.