Kurs:Vorkurs Mathematik (Osnabrück 2021)/Vorlesung 1



Ganze Zahlen und Rechengesetze

Wir arbeiten mit den folgenden Mengen, deren Kenntnis wir voraussetzen.

die Menge der natürlichen Zahlen (mit der ).

die Menge der ganzen Zahlen.

Diese Mengen sind mit den natürlichen Operationen Addition und Multiplikation versehen, an deren Eigenschaften wir erinnern.[1]

Die Addition auf erfüllt die folgenden Eigenschaften.

  1. Es ist

    für beliebige (alle) Zahlen , d.h. die Addition ist assoziativ.

  2. Es ist

    für beliebige Zahlen , d.h. die Addition ist kommutativ.

  3. Es gilt

    für jedes (man sagt, dass das neutrale Element der Addition ist).

  4. Zu jedem besitzt die Eigenschaft

    (man sagt, dass das negative Element zu ist).

Die Multiplikation auf erfüllt die folgenden Eigenschaften.

  1. Es ist

    für beliebige (alle) Zahlen , d.h. die Multiplikation ist assoziativ.

  2. Es ist

    für beliebige Zahlen , d.h. die Multiplikation ist kommutativ.

  3. Es gilt

    für jedes (man sagt, dass das neutrale Element der Multiplikation ist).

Man spricht auch vom Assoziativgesetz der Addition u.s.w.. Addition und Multiplikation sind durch das sogenannte Distributivgesetz miteinander verbunden. Dieses besagt

für alle .

Auf den ganzen Zahlen ist die Größer/Gleich-Beziehung (oder Ordnungsbeziehung) definiert. Man schreibt , wenn mindestens so groß wie ist. Eine ganze Zahl ist genau dann eine natürliche Zahl, wenn ist. Die Beziehung gilt genau dann, wenn es eine natürliche Zahl mit gibt. Für die Ordnungsbeziehung gelten die folgenden Regeln, und zwar für beliebige ganze Zahlen :

  1. Es ist (dies nennt man die Reflexivität der Ordnung).
  2. Aus und folgt (dies nennt man die Transitivität der Ordnung).
  3. Aus und folgt (dies nennt man die Antisymmetrie der Ordnung).
  4. Aus folgt (dies nennt man die Additivität der Ordnung).
  5. Aus und folgt (dies nennt man die Multiplikativität der Ordnung).
  6. Aus und (also negativ) folgt .

Bei der Multiplikation mit einer negativen Zahl dreht sich also die Ordnungsbeziehung um.



Induktion

Die natürlichen Zahlen sind dadurch ausgezeichnet, dass man jede natürliche Zahl ausgehend von der durch den Zählprozess (das sukzessive Nachfolgernehmen)

erreichen kann. Daher können mathematische Aussagen, die von natürlichen Zahlen abhängen, mit dem Beweisprinzip der vollständigen Induktion bewiesen werden. Das folgende Beispiel soll an dieses Argumentationsschema heranführen.

Wir betrachten in der Ebene eine Konfiguration von Geraden und fragen uns, was die maximale Anzahl an Schnittpunkten ist, die eine solche Konfiguration haben kann. Dabei ist es egal, ob wir uns die Ebene als einen (eine kartesische Ebene mit Koordinaten) oder einfach elementargeometrisch vorstellen, wichtig ist im Moment allein, dass sich zwei Geraden in genau einem Punkt schneiden können oder aber parallel sein können. Wenn klein ist, so findet man relativ schnell die Antwort.

Doch schon bei etwas größerem (?) kann man ins Grübeln kommen, da man sich die Situation irgendwann nicht mehr präzise vorstellen kann. Aus einer präzisen Vorstellung wird eine Vorstellung von vielen Geraden mit vielen Schnittpunkten, woraus man aber keine exakte Anzahl der Schnittpunkte ablesen kann. Ein sinnvoller Ansatz zum Verständnis des Problems ist es, sich zu fragen, was eigentlich passiert, wenn eine neue Gerade hinzukommt, wenn also aus Geraden Geraden werden. Angenommen, man weiß aus irgendeinem Grund, was die maximale Anzahl der Schnittpunkte bei Geraden ist, im besten Fall hat man dafür eine Formel. Wenn man dann versteht, wie viele neue Schnittpunkte maximal bei der Hinzunahme von einer neuen Geraden hinzukommen, so weiß man, wie die Anzahl der maximalen Schnittpunkte von Geraden lautet.

Dieser Übergang ist in der Tat einfach zu verstehen. Die neue Gerade kann höchstens jede der alten Geraden in genau einem Punkt schneiden, deshalb kommen höchstens neue Schnittpunkte hinzu. Wenn man die neue Gerade so wählt, dass sie zu keiner der gegebenen Geraden parallel ist (was möglich ist, da es unendlich viele Richtungen gibt) und ferner so wählt, dass die neuen Schnittpunkte von den schon gegebenen Schnittpunkten der Konfiguration verschieden sind (was man erreichen kann, indem man die neue Gerade parallel verschiebt, um den alten Schnittpunkten auszuweichen), so erhält man genau neue Schnittpunkte. Von daher ergibt sich die (vorläufige) Formel

bzw.

also einfach die Summe der ersten natürlichen Zahlen.


Im vorstehenden Beispiel liegt eine Summe vor, wobei die Anzahl der Summanden selbst variieren kann. Für eine solche Situation ist das Summenzeichen sinnvoll. Für gegebene reelle Zahlen bedeutet.

Dabei hängen im Allgemeinen die in einer formelhaften Weise von ab, beispielsweise ist im Beispiel , es könnte aber auch etwas wie oder vorliegen. Der -te Summand der Summe ist jedenfalls , dabei nennt man den Index des Summanden. Entsprechend ist das Produktzeichen definiert, nämlich durch


Wir möchten für die Summe der ersten Zahlen, die die maximale Anzahl der Schnittpunkte in einer Konfiguration aus Geraden angibt, eine einfachere Formel angeben. Und zwar behaupten wir, dass

Für kleinere Zahlen stimmt dies aus dem einfachen Grund, dass links und rechts dasselbe herauskommt. Um die Gleichung allgemein zu beweisen, überlegen wir uns, was links und was rechts passiert, wenn wir das um erhöhen, so wie wir in Beispiel 1.1 die Geradenkonfiguration um eine zusätzliche Gerade verkompliziert haben. Auf der linken Seite kommt einfach der zusätzliche Summand hinzu. Auf der rechten Seite haben wir den Übergang von nach . Wenn wir zeigen können, dass die Differenz zwischen diesen beiden Brüchen ebenfalls ist, so verhält sich die rechte Seite genauso wie die linke Seite. Dann kann man so schließen: die Gleichung gilt für die kleinen , etwa für . Durch den Differenzenvergleich gilt es auch für das nächste , also für , durch den Differenzenvergleich gilt es für das nächste , u.s.w. Da dieses Argument immer funktioniert, und da man jede natürliche Zahl irgendwann durch sukzessives Nachfolgernehmen erreicht, gilt die Formel für jede natürliche Zahl.


Eine Visualisierung des Induktionsprinzips. Wenn die Steine nah beieinander stehen und der erste umgestoßen wird, so fallen alle Steine um.

Die folgende Aussage begründet das Prinzip der vollständigen Induktion.


Für jede natürliche Zahl sei eine Aussage gegeben. Es gelte

  1. ist wahr.
  2. Für alle gilt: wenn gilt, so ist auch wahr.

Dann gilt für alle .

Wegen der ersten Voraussetzung gilt . Wegen der zweiten Voraussetzung gilt auch . Deshalb gilt auch . Deshalb gilt auch . Da man so beliebig weitergehen kann und dabei jede natürliche Zahl erhält, gilt die Aussage für jede natürliche Zahl .


Der Nachweis von heißt dabei der Induktionsanfang und der Schluss von auf heißt der Induktionsschritt. Innerhalb des Induktionsschrittes nennt man die Gültigkeit von die Induktionsvoraussetzung. In manchen Situationen ist die Aussage erst für für ein gewisses (definiert oder) wahr. Dann beweist man im Induktionsanfang die Aussage und den Induktionsschluss führt man für durch.

Wir begründen nun die Gleichheit

mit dem Induktionsprinzip.

Beim Induktionsanfang ist , daher besteht die Summe links nur aus einem Summanden, nämlich der , und daher ist die Summe . Die rechte Seite ist , sodass die Formel für stimmt.

Für den Induktionsschritt setzen wir voraus, dass die Formel für ein gilt, und müssen zeigen, dass sie dann auch für gilt. Dabei ist beliebig. Es ist.

Dabei haben wir für die zweite Gleichheit die Induktionsvoraussetzung verwendet. Der zuletzt erhaltene Term ist die rechte Seite der Formel für , also ist die Formel bewiesen.

Aussagen, die durch Induktion bewiesen werden können, können manchmal auch auf andere Art bewiesen werden. Im vorstehenden Beispiel gibt es die elegantere und einsichtigere Lösung,

die Zahlen einmal aufsteigend und einmal absteigend untereinander hinzuschreiben, also

Spaltenweise ergibt sich , und diese Summe kommt -mal vor. Also ist



Division mit Rest

Jede natürliche Zahl lässt sich bekanntlich als eine Ziffernfolge „im Zehnersystem“ ausdrücken. Dies beruht auf der (sukzessiven) Division mit Rest.



Es sei eine fixierte positive natürliche Zahl.

Dann gibt es zu jeder natürlichen Zahl eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl und eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl[2] , , mit

Zur Existenz.  Dies wird durch Induktion über bewiesen. Es sei fixiert. Der Induktionsanfang für ergibt sich direkt mit und . Für den Induktionsschluss sei die Aussage für bewiesen, d.h. wir haben eine Darstellung mit

und müssen eine ebensolche Darstellung für finden. Wenn

ist, so ist

und wegen ist dies eine gesuchte Darstellung. Ist hingegen , so ist

und dies ist eine gesuchte Darstellung.

Zur Eindeutigkeit. Sei

,

wobei die Bedingungen jeweils erfüllt seien. Es sei ohne Einschränkung

. Dann gilt . Diese Differenz ist nichtnegativ und kleiner als , links steht aber ein Vielfaches von , sodass die Differenz sein muss und die beiden Darstellungen übereinstimmen.


Mit der Division mit Rest können wir die Existenz und Eindeutigkeit der üblichen Zifferndarstellung einer natürlichen Zahl beweisen. Hinter der Zifferndarstellung verbirgt sich eine Mischung aus Addition, Multiplikation und Potenzierung.


Zu jeder natürlichen Zahl

gibt es eindeutig bestimmte natürliche Zahlen und mit und mit (außer bei )

mit der Eigenschaft

Wir beweisen die Existenzaussage durch Induktion über . Für wählt man und . Es sei nun und die Aussage für kleinere Zahlen schon bewiesen. Nach Satz 1.4 mit gibt es eine Darstellung

mit zwischen und . Es ist , deshalb gilt nach Induktionsvoraussetzung die Aussage für . D.h. man kann

mit (bei ist dies als leere Summe zu lesen) und mit schreiben. Daher ist

eine Darstellung der gesuchten Art. Dabei ist für und .
Die Eindeutigkeit folgt ebenfalls aus der Eindeutigkeit bei der Division mit Rest, siehe Aufgabe 1.28.


Eine entsprechende Aussage gilt für jede Basis statt . Bei spricht man vom Dualsystem, die einzigen Ziffern sind und , bei vom Dreiersystem mit den Ziffern u.s.w.. Bei spricht man vom Hexadezimalsystem und verwendet die Ziffern .



Fußnoten
  1. An verschiedenen Stellen, die man aufklappen kann, erläutern wir wichtige abstrakte Prinzipien der Mathematik, die an der Stelle erstmals vorkommt.
  2. Bei denke man an Quotient und bei an Rest.


Kurs:Vorkurs Mathematik (Osnabrück 2021) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)