Kurs:Elemente der Algebra (Osnabrück 2015)/Vorlesung 20

Die Lösungsmenge eines homogenen linearen Gleichungssystems in Variablen über einem Körper ist ein Untervektorraum des . Häufig wird dieser Lösungsraum durch die Menge aller „Linearkombinationen“ von endlich vielen (besonders einfachen) Lösungen beschrieben. In dieser und der nächsten Vorlesung entwickeln wir die dazu notwendigen Begriffe.



Erzeugendensysteme
Die von zwei Vektoren und erzeugte Ebene besteht aus allen Linearkombinationen .

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Es sei eine Familie von Vektoren in . Dann heißt der Vektor

eine Linearkombination dieser Vektoren (zum Koeffiziententupel ).

Zwei unterschiedliche Koeffiziententupel können denselben Vektor definieren.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt eine Familie , , ein Erzeugendensystem von , wenn man jeden Vektor als

mit einer endlichen Teilfamilie und mit darstellen kann.

Im bilden die Standardvektoren , , ein Erzeugendensystem. Im Polynomring bilden die Potenzen , , ein (unendliches) Erzeugendensystem.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Zu einer Familie , , setzt man

und nennt dies den von der Familie erzeugten oder aufgespannten Untervektorraum.

Der von der leeren Menge erzeugte Unterraum ist der Nullraum.[1] Dieser wird ebenso von der erzeugt. Zu einem einzigen Vektor besteht der aufgespannte Raum aus . Bei ist dies eine Gerade, was wir im Rahmen der Dimensionstheorie noch präzisieren werden. Bei zwei Vektoren und hängt die „Gestalt“ des aufgespannten Raumes davon ab, wie die beiden Vektoren sich zueinander verhalten. Wenn sie beide auf einer Geraden liegen, d.h. wenn gilt, so ist überflüssig und der von den beiden Vektoren erzeugte Unterraum stimmt mit dem von erzeugten Unterraum überein. Wenn dies nicht der Fall ist (und und nicht sind), so erzeugen die beiden Vektoren eine „Ebene“.

Wir fassen einige einfache Eigenschaften für Erzeugendensysteme und Unterräume zusammen.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Es sei , , eine Familie von Untervektorräumen. Dann ist auch der Durchschnitt[2]

    ein Untervektorraum.

  2. Zu einer Familie , , von Elementen in ist der erzeugte Untervektorraum ein Untervektorraum[3] von .
  3. Die Familie , , ist genau dann ein Erzeugendensystem von , wenn

    ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 20.4.



Lineare Unabhängigkeit

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt eine Familie von Vektoren , , (mit einer beliebigen endlichen Indexmenge ) linear unabhängig, wenn eine Gleichung

nur bei für alle möglich ist.

Wenn eine Familie nicht linear unabhängig ist, so nennt man sie linear abhängig. Man nennt übrigens eine Linearkombination eine Darstellung des Nullvektors. Sie heißt die triviale Darstellung, wenn alle Koeffizienten gleich sind, andernfalls, wenn also mindestens ein Koeffizient nicht ist, spricht man von einer nichttrivialen Darstellung der Null. Eine Familie von Vektoren ist genau dann linear unabhängig, wenn man mit ihnen nur auf die triviale Art den Nullvektor darstellen kann. Dies ist auch äquivalent dazu, dass man keinen Vektor aus der Familie als Linearkombination der anderen ausdrücken kann.



Die Standardvektoren im sind linear unabhängig. Eine Darstellung

bedeutet ja einfach

woraus sich aus der -ten Zeile direkt ergibt.



Die drei Vektoren

sind linear abhängig. Es ist nämlich

eine nichttriviale Darstellung des Nullvektors.




Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und , , eine Familie von Vektoren in . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Wenn die Familie linear unabhängig ist, so ist auch zu jeder Teilmenge die Familie  , , linear unabhängig.
  2. Die leere Familie ist linear unabhängig.
  3. Wenn die Familie den Nullvektor enthält, so ist sie nicht linear unabhängig.
  4. Wenn in der Familie ein Vektor mehrfach vorkommt, so ist sie nicht linear unabhängig.
  5. Ein einzelner Vektor ist genau dann linear unabhängig, wenn ist.
  6. Zwei Vektoren und sind genau dann linear unabhängig, wenn weder ein skalares Vielfaches von ist noch umgekehrt.

Beweis

Siehe Aufgabe 20.7.


Die Vektoren sind genau dann linear abhängig, wenn das homogene lineare Gleichungssystem

eine nichttriviale (d.h. von verschiedene) Lösung besitzt.



Basen

Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt ein linear unabhängiges Erzeugendensystem , , von eine Basis von .


Die Standardvektoren im bilden eine Basis. Die lineare Unabhängigkeit wurde in Beispiel 20.6 gezeigt. Um zu zeigen, dass auch ein Erzeugendensystem vorliegt, sei

ein beliebiger Vektor. Dann ist aber direkt

Also liegt eine Basis vor, die man die Standardbasis des nennt.




Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Es sei eine Familie von Vektoren. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die Familie ist eine Basis von .
  2. Die Familie ist ein minimales Erzeugendensystem, d.h. sobald man einen Vektor weglässt, liegt kein Erzeugendensystem mehr vor.
  3. Für jeden Vektor gibt es genau eine Darstellung
  4. Die Familie ist maximal linear unabhängig, d.h. sobald man irgendeinen Vektor dazunimmt, ist die Familie nicht mehr linear unabhängig.

Wir führen einen Ringschluss durch. . Die Familie ist ein Erzeugendensystem. Nehmen wir einen Vektor, sagen wir , aus der Familie heraus. Wir müssen zeigen, dass dann die verbleibende Familie, also kein Erzeugendensystem mehr ist.  Wenn sie ein Erzeugendensystem wäre, so wäre insbesondere als Linearkombination der Vektoren darstellbar, d.h. man hätte

Dann ist aber

eine nichttriviale Darstellung der , im Widerspruch zur linearen Unabhängigkeit der Familie. . Nach Voraussetzung ist die Familie ein Erzeugendensystem, sodass sich jeder Vektor als Linearkombination darstellen lässt.  Angenommen, es gibt für ein eine mehrfache Darstellung, d.h.

wobei mindestens ein Koeffizient verschieden sei. Ohne Einschränkung sei . Dann erhält man die Beziehung

Wegen kann man durch diese Zahl dividieren und erhält eine Darstellung von durch die anderen Vektoren. Nach Aufgabe 20.3 ist auch die Familie ohne ein Erzeugendensystem von , im Widerspruch zur Minimalität. . Wegen der eindeutigen Darstellbarkeit besitzt insbesondere der Nullvektor nur die triviale Darstellung, d.h. die Vektoren sind linear unabhängig. Nimmt man einen Vektor hinzu, so besitzt dieser eine Darstellung

und daher ist

eine nichttriviale Darstellung der , sodass die verlängerte Familie nicht linear unabhängig ist. . Die Familie ist linear unabhängig, wir müssen zeigen, dass sie auch ein Erzeugendensystem bildet. Es sei dazu . Nach Voraussetzung ist die Familie nicht linear unabhängig, d.h. es gibt eine nichttriviale Darstellung

Dabei ist , da andernfalls dies eine nichttriviale Darstellung der allein mit den linear unabhängigen Vektoren wäre. Daher können wir

schreiben, sodass eine Darstellung von möglich ist.


Es sei eine Basis eines - Vektorraums gegeben. Aufgrund von Satz 20.12  (3) bedeutet dies, dass es für jeden Vektor eine eindeutig bestimmte Darstellung (eine Linearkombination)

gibt. Die dabei eindeutig bestimmten Elemente (Skalare) heißen die Koordinaten von bezüglich der gegebenen Basis. Bei einer gegebenen Basis entsprechen sich also die Vektoren aus und die Koordinatentupel . Man sagt, dass eine Basis ein lineares Koordinatensystem festlegt.[4]




Es sei ein Körper und ein - Vektorraum mit einem endlichen Erzeugendensystem.

Dann besitzt eine endliche Basis.

Es sei , , ein Erzeugendensystem von mit einer endlichen Indexmenge . Wir wollen mit der Charakterisierung aus Satz 20.12  (2) argumentieren. Falls die Familie schon minimal ist, so liegt eine Basis vor. Andernfalls gibt es ein derart, dass die um reduzierte Familie, also , , ebenfalls ein Erzeugendensystem ist. In diesem Fall kann man mit der kleineren Indexmenge weiterargumentieren.
Mit diesem Verfahren gelangt man letztlich zu einer Teilmenge derart, dass , , ein minimales Erzeugendensystem, also eine Basis ist.



Fußnoten
  1. Dies kann man als Definition nehmen oder aber aus der Definition ableiten, wenn man die Konvention berücksichtigt, dass die leere Summe gleich ist.
  2. Der Durchschnitt zu einer beliebigen Indexmenge und einer durch indizierten Familie , , von Teilmengen einer festen Obermenge besteht aus allen Elementen aus , die in allen Mengen enthalten sind.
  3. In der Bezeichnung „erzeugter Untervektorraum“ wurde diese Eigenschaft schon vorweg genommen.
  4. Lineare Koordinaten vermitteln also eine bijektive Beziehung zwischen Punkten und Zahlentupeln. Aufgrund der Linearität ist eine solche Bijektion mit der Addition und der Skalarmultiplikation verträglich. In vielen anderen Kontexten spielen auch nichtlineare (oder krummlinige) Koordinaten eine wichtige Rolle. Auch diese setzen Raumpunkte mit Zahlentupeln in eine bijektive Verbindung. Wichtige nichtlineare Koordinaten sind u.A. Polarkoordinaten, Zylinderkoordinaten und Kugelkoordinaten. Mathematische Probleme können häufig durch eine geeignete Wahl von Koordinaten vereinfacht werden, beispielsweise bei Volumenberechnungen.


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