Kurs:Elemente der Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Vorlesung 4
- Terme und Gleichungen
Unter einem (arithmetischen) „Term“ versteht man einen „zahlähnlichen“ Ausdruck, der sich aus „Zahlen“ und „Variablen“ mit Hilfe der Verknüpfungssymbole und (eventuell mit und oder daraus abgeleiteten Operationen wie Potenzen) und mit Klammern „korrekt“ bilden lässt. Das sind typischerweise auch die Ausdrücke, die auf einer Seite einer Gleichung (oder Ungleichung) stehen können. Beispielsweise sind
Terme. Dagegen sind
keine Terme. Bei
kann man sich darüber streiten (in der mathematischren Logik wird der Termbegriff unter Bezug auf Funktionssymbole präzisiert), es sind jedenfalls keine rein algebraischen Terme. Wichtig ist, dass man Terme nur dann als gleich ansieht, wenn es sich um dieselbe Zeichenreihe handelt. Beispielsweise sind und verschiedene Terme. Gleichheit zwischen diesen Ausdrücken gilt nur bei einer bestimmten Interpretation, wenn man und als Elemente eines kommutativen Ringes interpretiert (erste binomische Formel).
Eine wichtige Funktion von Termen ist ihr Auftreten in Gleichungen. Gleichungen und Terme treten in der Mathematik in verschiedener Bedeutung auf.
1) Identitäten von Elementen
Das sind Gleichungen der Form oder
die besagen, das zwei irgendwie gegebene Elemente einer Menge gleich sind. und sind unterschiedliche Terme, haben aber denselben Zahlwert. In solchen Gleichungen kommen keine Variablen vor. Häufig werden solche Gleichungen verwendet, um etwas auszurechnen, also einen komplizierten Ausdruck in eine Standardform zu bringen.
2) Termidentitäten (Formeln, Rechengesetze)
Beispiel dazu sind
oder
oder
Sie drücken eine Gesetzmäßigkeit aus, die unter bestimmten Bedingungen gilt, beispielsweise wenn Elemente eines kommutativen Ringes sind oder wenn Kathetenlängen und die Hypotenusenlänge eines rechtwinkligen Dreiecks ist. Charakteristisch für solche Gleichungen ist, dass in ihnen Variablen vorkommen und dass, wenn man für die Variablen simultan (also an jeder Stelle, wo die Variable steht) Elemente, die die Bedingung erfüllen, einsetzt, eine wahre Elementgleichung entsteht. Eine solche Identität repräsentiert also eine Vielzahl an einzelnen Elementgleichungen. Aus dem Distributivgesetz entsteht beispielsweise durch Einsetzen die spezielle Identität .
3) Definitionsgleichungen
Das sind Gleichungen, durch die eine abkürzende Schreibweise für einen komplexeren Ausdruck eingeführt wird. Beispiele sind
Hierbei schreibt man häufig statt .
4) Gleichungen als Bedingung
Damit sind Gleichungen wie
gemeint. In diesen kommen (in aller Regel) Variablen vor, es wird aber nicht eine allgemeingültige Formel zum Ausdruck gebracht, sondern es wird eine Bedingung an die auftretenden Variablen formuliert. D.h. es werden die Elemente gesucht, die die Gleichungen erfüllen, die man also für die Variablen einsetzen kann, damit eine wahre Elementidentität entsteht. Gleichungen in diesem Sinne definieren die Aufgabenstellung, nach Lösungen zu suchen. Statt einer einzigen Gleichung kann auch ein (beispielsweise lineares) Gleichungssystem vorliegen.
Manche Gleichungen kann man in mehrfacher Weise auffassen. So kann man die Gleichung
als Gesetzmäßigkeit in einem rechtwinkligen Dreieck auffassen (bei richtiger Interpretation der einzelnen Variablen) oder als Aufgabenstellung, alle Tripel zu bestimmen, die diese Gleichung erfüllen.
- Polynomringe in einer Variablen
Zu einem kommutativen Ausgangsring wie oder und einer fixierten Variablen kann man sich fragen, welche Terme man mit dieser Variablen über diesem Ring „basteln“ kann. Dazu gehören
wobei wir Potenzschreibweise verwendet und einige Klammern weggelassen haben. Als Terme sind und verschieden. Bei jeder Interpretation von in einem Ring sind diese Ausdrücke aber gleich. Der Polynomring besteht aus genau diesen Termen, wobei allerdings Terme miteinander identifiziert werden, wenn dies in jedem kommutativen Ring gilt (die Menge aller Terme ist kein Ring)!
Der Polynomring über einem kommutativen Ring besteht aus allen Polynomen
und mit komponentenweiser Addition und einer Multiplikation, die durch distributive Fortsetzung der Regel
definiert ist.
Ein Polynom
ist formal gesehen nichts anderes als das Tupel , die die Koeffizienten des Polynoms heißen. Der Ring heißt in diesem Zusammenhang der Grundring des Polynomrings. Aufgrund der komponentenweisen Definition der Addition liegt unmittelbar eine Gruppe vor, mit dem Nullpolynom (bei dem alle Koeffizienten null sind) als neutralem Element. Zwei Polynome sind genau dann gleich, wenn sie in allen ihren Koeffizienten übereinstimmen. Die Polynome mit für alle heißen konstante Polynome, man schreibt sie einfach als . Ein von verschiedenes Polynom kann man als mit schreiben. Der Koeffizient heißt dann der Leitkoeffizient des Polynoms.
Die für ein einfaches Tupel zunächst ungewöhnliche Schreibweise deutet in suggestiver Weise an, wie die Multiplikation aussehen soll, das Produkt ist nämlich durch die Addition der Exponenten gegeben. Dabei nennt man die Variable des Polynomrings. Für beliebige Polynome ergibt sich die Multiplikation aus dieser einfachen Multiplikationsbedingung durch distributive Fortsetzung gemäß der Vorschrift, „alles mit allem“ zu multiplizieren. Die Multiplikation ist also explizit durch folgende Regel gegeben:
Beispielsweise ist
Es sei ein kommutativer Ring und sei der Polynomring über . Dann gelten folgende Aussagen.
- ist ein Unterring von .
- ist genau dann ein Integritätsbereich, wenn ein Integritätsbereich ist.
- Ein Element wird als konstantes Polynom aufgefasst, wobei es egal ist, ob man Addition und Multiplikation in oder in ausführt.
- Wenn integer ist, so überträgt sich dies sofort auf den Unterring . Es sei also ein Integritätsbereich und seien und zwei von null verschiedene Polynome. Wir können annehmen, dass und von null verschieden sind. Dann ist und dies ist der Leitkoeffizient des Produktes , das damit nicht null sein kann.
Es sei ein kommutativer Ring und sei ein Unterring.
Dann ist auch ein Unterring von .
Beweis
Die vorstehende Aussage bedeutet einfach, dass man ein Polynom mit Koeffizienten aus direkt auch als Polynom mit Koeffizienten aus auffassen kann. So ist ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten insbesondere auch ein Polynom mit rationalen Koeffizienten und mit reellen Koeffizienten. Die Addition und die Multiplikation von zwei Polynomen hängt nicht davon ab, ob man sie über einem kleineren oder einem größeren Grundring ausrechnet, so lange dieser nur alle beteiligten Koeffizienten enthält. Es gibt aber auch viele wichtige Eigenschaften, die vom Grundring abhängen, wie beispielsweise die Eigenschaft, irreduzibel zu sein, siehe Beispiel 6.8.
In ein Polynom kann man ein Element einsetzen. Dabei ersetzt man überall die Variable durch und rechnet das Ergebnis in aus. Dieses Ergebnis wird mit bezeichnet. Ein fixiertes Element definiert dann eine Abbildung (die Auswertungsabbildung zu )
Andererseits definiert ein fixiertes Polynom die zugehörige Polynomfunktion, die durch
Diese wird insbesondere bei einem Körper studiert, siehe weiter unten.
- Der Grad eines Polynoms
Der Grad eines von verschiedenen Polynoms
mit ist .
Wenn der Leitkoeffizient ist, so nennt man das Polynom normiert. Dem Nullpolynom wird im Allgemeinen kein Grad zugewiesen; manchmal sind gewisse Gleichungen oder Bedingungen aber auch so zu verstehen, dass dem Nullpolynom jeder Grad zugewiesen wird. Polynome vom Grad heißen konstante Polynome, Polynome vom Grad heißen lineare Polynome und Polynome vom Grad heißen quadratische Polynome.
Es sei ein kommutativer Ring und sei der Polynomring über . Dann gelten für den Grad folgende Aussagen.
- Wenn ein Integritätsbereich ist, so gilt in (2) die Gleichheit.
Beweis
- Polynomringe in mehreren Variablen
Die Konstruktion von Polynomringen aus einem Grundring kann man iterieren. Aus kann man machen und daraus mit einer neuen Variablen den Ring bilden. Für diesen Ring schreibt man auch . Ein Element darin hat die Gestalt
wobei die Summe endlich ist. Ein Ausdruck der Form heißt Monom. Polynome kann man auf unterschiedliche Art sortieren. Man kann die Potenz einer Variablen (etwa ) herausnehmen und schauen, welche Polynome in sich darauf beziehen. Dann sieht ein Polynom folgendermaßen aus:
Oder man kann entlang dem Summengrad sortieren, dies ergibt
Polynomiale Identitäten haben viel mit allgemeingültigen Termidentitäten zu tun. In gilt beispielsweise
Diese Identität zwischen zwei Polynomen entspricht der allgemeinen binomischen Formel. Einerseits ist sie ein Spezialfall davon, da wir in dem kommutativen Ring sind und die speziellen Elemente und anschauen. Andererseits kann man aus dieser polynomialen Identität die allgemeine binomische Formel zurückgewinnen, da man für und beliebige Elemente und eines kommutativen Ringes einsetzen kann (und man weiß, wie man ganze Zahlen in jedem Ring interpretiert) und sich dabei die Identität erhält. Natürlich gibt es auch Polynomringe in beliebig vielen Variablen, dafür schreibt man .
- Polynomringe über einem Körper
Für uns sind zunächst die Polynomringe über einem Körper von besonderer Bedeutung.
Man muss zwischen Polynomen und Polynomfunktionen unterscheiden, insbesondere für .
Das Polynomdem kleinen Fermat für jedes den Wert . D.h. die durch dieses Polynom definierte Polynomfunktion ist die Nullfunktion, obwohl das Polynom selbst nicht das Nullpolynom ist.
Bei lassen sich die Polynomfunktionen graphisch veranschaulichen.
Eine wichtige Frage ist, für welche Elemente die Polynomfunktion einen bestimmten Wert annimmt. Hierbei ist insbesondere der Wert wichtig, da ja die Gleichung äquivalent zu
ist und wieder ein Polynom ist. Für lineare Polynome (mit ) ist die einzige Lösung. Für quadratische Polynome der reinen Form sind die Quadratwurzeln von aus , falls sie denn existieren, die Lösungen. Für ein quadratisches Polynom kann man das Bestimmen der Nullstellen durch quadratisches Ergänzen auf die reine Form zurückführen, siehe Aufgabe 4.13.
Der folgende Satz heißt Interpolationssatz und beschreibt die Interpolation von vorgegebenen Funktionswerten durch Polynome.
Es sei ein Körper und es seien verschiedene Elemente und Elemente gegeben.
Dann gibt es ein eindeutiges Polynom vom Grad derart, dass für alle ist.
Wir beweisen die Existenz und betrachten zuerst die Situation, wo ist für alle für ein festes . Dann ist
ein Polynom vom Grad , das an den Stellen den Wert hat. Das Polynom
hat an diesen Stellen ebenfalls eine Nullstelle, zusätzlich aber noch bei den Wert . Nennen wir dieses Polynom . Dann ist
das gesuchte Polynom. An der Stelle gilt ja
für und .
Die Eindeutigkeit folgt aus Korollar 5.6.
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