Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 45



Totale Differenzierbarkeit und partielle Ableitungen

Im Folgenden wollen wir den Zusammenhang zwischen Richtungsableitungen, partiellen Ableitungen und dem totalen Differential verstehen.

Totale Differenzierbarkeit impliziert richtungsweise Differenzierbarkeit.



Es seien und endlichdimensionale - Vektorräume, es sei eine offene Teilmenge und eine im Punkt differenzierbare Abbildung.

Dann ist in in jede Richtung differenzierbar, und es gilt

Da eine lineare Abbildung von nach ist, liefert die Anwendung dieser Abbildung auf einen Vektor einen Vektor in . Nach Voraussetzung haben wir

(mit den üblichen Bedingungen an ). Insbesondere gilt für (hinreichend kleines)

Also gilt

da und der Ausdruck beschränkt ist.


Vor dem Beweis der nächsten Aussage erinnern wir an den Mittelwertsatz für Kurven: Sei differenzierbar. Dann existiert ein mit



Es sei offen und eine Abbildung. Es seien , , die Koordinaten von und ein Punkt. Es sei angenommen, dass alle partiellen Ableitungen von in einer offenen Umgebung von existieren und in stetig sind.

Dann ist in (total) differenzierbar.

Ist die Abbildung bezüglich der Standardbasis des durch die Koordinatenfunktionen gegeben, so wird unter diesen Bedingungen das totale Differential in durch die Jacobi-Matrix

beschrieben.

Indem wir durch eine eventuell kleinere offene Umgebung von ersetzen, können wir annehmen, dass auf die Richtungsableitungen

existieren und in stetig sind. Daher ist nach Proposition 45.1 die lineare Abbildung

der einzige Kandidat für das totale Differential. Daher müssen wir zeigen, dass diese lineare Abbildung die definierende Eigenschaft des totalen Differentials besitzt. Setze (abhängig von ). Dann gelten mit dem Ansatz

(für hinreichend klein) die Abschätzungen

Wir betrachten jeden Summanden einzeln. Für fixiertes ist die Abbildung (die auf dem Einheitsintervall definiert ist)

differenzierbar (aufgrund der Existenz der partiellen Ableitungen auf ) mit der Ableitung

Nach der Mittelwertabschätzung existiert eine reelle Zahl

sodass (dies ist die Norm von )

gilt. Aufsummieren liefert also, dass unser Ausdruck nach oben beschränkt ist durch

Da die partiellen Ableitungen stetig in sind, wird die Summe rechts mit beliebig klein, da dann gegen konvergiert. Also ist der Grenzwert für gleich .



Dies folgt aus Satz 45.2 und daraus, dass die partiellen Ableitungen von Polynomfunktionen wieder Polynomfunktionen und daher nach Fakt ***** stetig sind.


Zu einer reellwertigen Funktion

interessieren wir uns wie schon bei einem eindimensionalen Definitionsbereich für die Extrema, also Maxima und Minima, der Funktion, und inwiefern man dies anhand der Ableitungen (falls diese existieren) erkennen kann. Wenn eine solche Funktion total differenzierbar ist, so ist das totale Differential in einem Punkt eine lineare Abbildung von nach . Für solche linearen Abbildungen gibt es einen eigenen Namen.


Es sei ein Körper und sei ein - Vektorraum. Eine lineare Abbildung

heißt eine Linearform auf .


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Dann heißt der Homomorphismenraum

der Dualraum zu .

Wenn ist, so bilden die partiellen Ableitungen in einem Punkt eine Matrix mit einer einzigen Zeile, die bei stetigen partiellen Ableitungen das totale Differential repräsentiert. Eine solche Matrix kann man aber ebenso auch als ein -Tupel in und damit als einen Vektor in auffassen. Dieser Zusammenhang zwischen Vektoren und Linearformen beruht auf dem Standardskalarprodukt des , und lässt sich konzeptioneller mit Hilfe von Bilinearformen erfassen. Bilinearformen haben wir in Zusammenhang mit multilinearen Abbildungen und Skalarprodukten kennengelernt, sie sind spezielle multilineare Abbildungen.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Abbildung

heißt Bilinearform, wenn für alle die induzierten Abbildungen

und für alle die induzierten Abbildungen

- linear sind.

Eine wichtige Eigenschaft von Bilinearformen, die Skalarprodukte erfüllen, wird in der nächsten Definition formuliert.


Es sei ein Körper und ein - Vektorraum. Eine Bilinearform

heißt nicht ausgeartet, wenn für alle , die induzierten Abbildungen

und für alle , die induzierten Abbildungen

nicht die Nullabbildung sind.

In der nächsten Vorlesung werden wir für Vektorräume, auf denen eine nicht-ausgeartete Bilinearform gegeben ist, eine bijektive Beziehung zwischen Vektoren und Linearformen beweisen und damit einen Zusammenhang zwischen dem totalen Differential zu einer Funktion in einem Punkt und einem Vektor, dem sogenannten Gradienten der Funktion in diesem Punkt, herstellen.

In einer topographischen Karte wird ein Gebirge durch seine Niveaulinien (Höhenlinien) repräsentiert.

Zu einer Funktion

wobei ein metrischer Raum sei, nennt man zu die Menge

die Niveaumenge zu zum Wert .



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