Kurs:Mathematik (Osnabrück 2009-2011)/Teil II/Vorlesung 46



Der Gradient



Es sei ein Körper und ein - Vektorraum, der mit einer Bilinearform versehen sei. Dann gelten folgende Aussagen

  1. Für jeden Vektor sind die Zuordnungen

    und

    - linear.

  2. Die Zuordnung

    ist -linear.

  3. Wenn nicht ausgeartet ist, so ist die Zuordnung in (2) injektiv. Ist zusätzlich endlichdimensional, so ist diese Zuordnung bijektiv.

(1) folgt unmittelbar aus der Bilinearität.
(2). Seien und . Dann ist für jeden Vektor

und dies bedeutet gerade die Linearität der Zuordnung.
(3). Da die Zuordnung nach (2) linear ist, müssen wir zeigen, dass der Kern davon trivial ist. Es sei also so, dass die Nullabbildung ist. D.h. für alle . Dann muss aber nach der Definition von nicht ausgeartet sein.
Wenn endliche Dimension hat, so liegt eine injektive lineare Abbildung zwischen Vektorräumen der gleichen Dimension vor, und eine solche ist nach Korollar 12.10 bijektiv.


Wenn es also in einem endlichdimensionalen Vektorraum eine nicht ausgeartete Bilinearform gibt, bspw. ein Skalarprodukt, so gibt es zu jeder Linearform einen eindeutig bestimmten Vektor, mit dem diese Linearform beschrieben wird. Wendet man dies auf die Linearform an, die durch das totale Differential zu einer differenzierbaren Funktion gegeben ist, so gelangt man zum Begriff des Gradienten.


Es sei ein euklidischer Vektorraum, offen und

eine in differenzierbare Funktion. Dann nennt man den eindeutig bestimmten Vektor mit

für alle den Gradienten von in . Er wird mit

bezeichnet.

Man beachte, dass wir durchgehend die endlichdimensionalen Vektorräume mit einem Skalarprodukt versehen, um topologische Grundbegriffe wie Konvergenz und Stetigkeit zur Verfügung zu haben, dass diese Begriffe aber nicht von dem gewählten Skalarprodukt abhängen. Dem entgegen hängt aber der Gradient von dem gewählten Skalarprodukt ab.

Bei , versehen mit dem Standardskalarprodukt, ist der Gradient einfach gleich



Es sei ein euklidischer Vektorraum, sei offen und sei

eine in differenzierbare Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Für jeden Vektor ist
  2. Dabei gilt Gleichheit genau dann, wenn linear abhängig zum Gradienten ist.
  3. Sei . Unter allen Vektoren  mit ist die Richtungsableitung in Richtung des normierten Gradienten maximal, und zwar gleich der Norm des Gradienten.

Beweis

(1) folgt wegen

direkt aus der Abschätzung von Cauchy-Schwarz. (2) ergibt sich aus den Zusätzen zur Cauchy Schwarz, siehe Aufgabe 46.14. (3). Aus (1) und (2) folgt, dass

gilt, und dass diese beiden Vektoren die einzigen Vektoren der Norm sind, für die diese Gleichung gilt. Wenn man links die Betragstriche weglässt, so gilt die Gleichheit für nach wie vor, da das Skalarprodukt positiv definit ist.

Der Gradient gibt demnach die Richtung an, in die die Funktion den stärksten Anstieg hat. In die entgegengesetze Richtung liegt entsprechend der steilste Abstieg vor.



Lokale Extrema von Funktionen in mehreren Variablen

Wir wollen mit den Mitteln der Differentialrechnung Kriterien erarbeiten, in welchen Punkten eine Funktion

ein lokales Minimum oder ein lokales Maximum annimmt. Wenn man sich den Graph einer solchen Funktion als ein Gebirge über der Grundmenge vorstellt, so geht es also um die Gipfel und die Senken des Gebirges. Der folgende Satz liefert ein notwendiges Kriterium für die Existenz eines lokalen Extremums, das das entsprechende Kriterium in einer Variablen verallgemeinert.



Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum und eine offene Teilmenge. Es sei

eine Funktion, die im Punkt ein lokales Extremum besitzt. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Wenn in in Richtung differenzierbar ist, so ist
  2. Wenn in total differenzierbar ist, so verschwindet das totale Differential, also

(1) Zu betrachten wir die Funktion

wobei ein geeignetes reelles Intervall ist. Da die Funktion in ein lokales Extremum besitzt, besitzt die Funktion in ebenfalls ein lokales Extremum. Nach Voraussetzung ist differenzierbar und nach Satz 28.1 ist . Diese Ableitung stimmt aber mit der Richtungsableitung überein, also ist


(2) folgt aus (1) aufgrund von Proposition 45.1.


Ein lokales Extremum kann also nur in einem sogenannten kritischen Punkt einer Funktion auftreten.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, offen und

eine differenzierbare Funktion. Dann heißt ein kritischer Punkt von (oder ein stationärer Punkt), wenn

ist. Andernfalls spricht man von einem regulären Punkt.

Wir sind natürlich auch an hinreichenden Kriterien für das Vorliegen von lokalen Extrema interessiert. Wie schon im eindimensionalen Fall muss man sich die zweiten Ableitungen anschauen, wobei die Situation natürlich dadurch wesentlich verkompliziert wird, dass es zu je zwei Richtungsvektoren und eine zweite Richtungsableitung gibt. Die zweite Richtungsableitung wird dadurch handhabbar, dass man sie in die sogenannte Hesse-Form bzw. Hesse-Matrix zusammenfasst. Als solche ist sie eine symmetrische Bilinearform, die mit Methoden der linearen Algebra analysiert werden kann. Diese Methoden werden wir im Folgenden entwickeln und insbesondere auf die Hesse-Form anwenden, um schließlich hinreichende Kriterien für die Existenz von lokalen Extrema zu erhalten.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, eine offene Menge und

eine zweimal stetig differenzierbare Funktion. Zu heißt die Abbildung

die Hesse-Form im Punkt .


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum, eine offene Menge und

eine zweimal stetig differenzierbare Funktion. Es sei eine Basis , , von gegeben mit den zugehörigen Richtungsableitungen , . Zu heißt dann die Matrix

die Hesse-Matrix zu im Punkt bezüglich der gegebenen Basis.

Die Hesse-Matrix ist beispielsweise die Gramsche Matrix der Hesse-Form bezüglich der Standardbasis im .



Eigenschaften von Bilinearformen

Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es sei eine Basis von . Dann heißt die - Matrix

die Gramsche Matrix von bezüglich dieser Basis.



Es sei ein Körper, ein endlichdimensionaler - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Es seien und zwei Basen von und es seien bzw. die Gramschen Matrizen von bezüglich dieser Basen. Zwischen den Basiselementen gelte die Beziehungen

die wir durch die Übergangsmatrix ausdrücken.

Dann besteht zwischen den Gramschen Matrizen die Beziehung

Es ist



Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und eine Bilinearform auf . Die Bilinearform heißt symmetrisch, wenn

für alle gilt.


Es sei ein reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Diese Bilinearform heißt

  1. positiv definit, wenn für alle , ist.
  2. negativ definit, wenn für alle , ist.
  3. positiv semidefinit, wenn für alle ist.
  4. negativ semidefinit, wenn für alle ist.
  5. indefinit, wenn weder positiv semidefinit noch negativ semidefinit ist.

Positiv definite symmetrische Bilinearformen nennt man auch Skalarprodukte. Eine Bilinearform auf kann man auf einen Untervektorraum einschränken, wodurch sich eine Bilinearform auf ergibt. Wenn die ursprüngliche Form positiv definit ist, so überträgt sich dies auf die Einschränkung. Allerdings kann eine indefinite Form eingeschränkt auf gewisse Unterräume positiv definit werden und auf andere negativ definit. Dies führt zu folgender Definition.


Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform . Man sagt, dass eine solche Bilinearform den Typ

besitzt, wobei

und

ist.

Bei einem Skalarprodukt auf einem -dimensionalen reellen Vektorraum ist der Typ . Wie für Skalarprodukte nennt man zwei Vektoren orthogonal bezüglich einer Bilinearform, wenn ist, und ähnlich wie im Fall eines Skalarproduktes kann man zeigen, dass es Orthogonalbasen gibt. Die folgende Aussage nennt man den Trägheitssatz von Sylvester.



Es sei ein endlichdimensionaler reeller Vektorraum mit einer symmetrischen Bilinearform vom Typ .

Dann ist die Gramsche Matrix von bezüglich einer jeden Orthogonalbasis eine Diagonalmatrix mit positiven und negativen Einträgen.

Bezüglich einer Orthogonalbasis von (die es nach Fakt ***** gibt) hat die Gramsche Matrix natürlich Diagonalgestalt. Es sei die Anzahl der positiven Diagonaleinträge und die Anzahl der negativen Diagonaleinträge. Die Basis sei so geordnet, dass die ersten Diagonaleinträge positiv, die folgenden Diagonaleinträge negativ und die übrigen seien. Auf dem -dimensionalen Unterraum ist die eingeschränkte Bilinearform positiv definit, sodass gilt. Sei , auf diesem Unterraum ist die Bilinearform negativ semidefinit. Dabei ist , und diese beiden Räume sind orthogonal zueinander.

 Angenommen, es gebe einen Unterraum , auf dem die Bilinearform positiv definit ist, und dessen Dimension größer als ist. Die Dimension von ist und daher ist nach Fakt *****.

Für einen Vektor , , ergibt sich aber direkt der Widerspruch und .



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