Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil I/Repetitorium/Vorlesung 13

„If you don't know how to fix it, please stop breaking it“

In dieser Vorlesung führen wir weitere wichtige Funktionen über ihre Potenzreihen ein.



Die Hyperbelfunktionen
Der Verlauf der Hyperbelfunktionen



Die für durch

definierte Funktion heißt Sinus hyperbolicus.


Die für durch

definierte Funktion heißt Kosinus hyperbolicus.

Der Kosinus hyperbolicus (mit Parameter ) beschreibt eine sogenannte Kettenlinie, das ist diejenige Kurve, die ein durchhängendes Seil einnimmt.



Die Funktionen Sinus hyperbolicus und Kosinus hyperbolicus besitzen die folgenden Eigenschaften.

Beweis

Siehe Aufgabe 13.1.



Die Funktion Sinus hyperbolicus ist streng wachsend und die Funktion Kosinus hyperbolicus ist auf streng fallend und auf streng wachsend.



Die durch

definierte Funktion heißt Tangens hyperbolicus.


Eine Funktion heißt gerade, wenn für alle die Gleichheit

gilt.

Eine Funktion heißt ungerade, wenn für alle die Gleichheit

gilt.

Der Kosinus hyperbolicus ist eine gerade und der Sinus hyperbolicus ist eine ungerade Funktion.



Der Kreis und die trigonometrischen Funktionen

Im ist der Abstand zwischen zwei Punkten eine positive reelle Zahl (bzw. gleich , falls die Punkte zusammenfallen). Wenn die beiden Punkte in Koordinaten gegeben sind, also und , so ist der Abstand gleich

Diese Gleichung beruht auf dem Satz des Pythagoras. Speziell besitzt jeder Punkt zum Nullpunkt den Abstand

Weil die Koordinaten reelle Zahlen sind, sind auch die Abstände reelle Zahlen. Wenn ein Punkt und eine positive reelle Zahl fixiert sind, so nennt man die Menge aller Punkte der Ebene, die zu den Abstand besitzen, den Kreis um mit Radius . In Koordinaten sieht die Definition folgendermaßen aus.


Es sei und . Dann nennt man die Menge

den Kreis (oder die Kreislinie oder die -Sphäre) mit dem Mittelpunkt und dem Radius .

Von Kreislinie spricht man, um zu betonen, dass man nicht den Vollkreis (die Kreisscheibe) meint, sondern nur den Rand. Alle Kreise sind wesensgleich, es kommt für die wichtigsten Eigenschaften des Kreises nicht auf den Mittelpunkt und nicht auf den Radius an. Von daher ist der Einheitskreis der einfachste Kreis, der alle Kreise repräsentiert.


Die Menge

heißt der Einheitskreis.


Der Einheitskreis besitzt dem Radius und den Mittelpunkt . Die trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus werden in einem naiven Zugang am Einheitskreis definiert. Ein „Winkel“ am Nullpunkt (und von der positiven „-Achse“ aus „gegen den Uhrzeigersinn“ gemessen.) definiert eine vom Nullpunkt ausgehende „Halbgerade“ (oder „Strahl“). Da diese einen eindeutigen Durchstoßungspunkt mit der Einheitskreislinie besitzt, definiert der Winkel auch einen eindeutigen Punkt auf dem Einheitskreis. Dessen Koordinaten sind nach Definition gleich

d.h. die -Koordinate wird durch den Kosinus und die -Koordinate wird durch den Sinus angegeben. Dadurch sind einige wichtige Eigenschaften direkt klar:

  1. Es gilt
  2. Es ist und .
  3. Wenn der Winkel eine Vierteldrehung bezeichnet, so ist und .
  4. Es ist und . Dabei bezeichnet den durch den gegenläufigen Strahl definierten Winkel.[1]
  5. Die Werte von Sinus und Kosinus wiederholen sich nach einer Volldrehung.

Diese Definition ist zwar intuitiv klar, sie ist aber in verschiedener Hinsicht unbefriedigend.

  1. Es ist nicht klar, wie der Winkel zu messen ist.
  2. Es gibt keinen analytischen „berechenbaren“ Ausdruck, wie zu einem gegebenen Winkel die Werte von Kosinus und Sinus berechnet werden müssen.
  3. Damit fehlt die Grundlage, um Gesetzmäßigkeiten dieser Funktionen zu beweisen.
Die Graphen von Kosinus und Sinus. Der qualitative Verlauf ist von der naiven Definition her klar. Mit der unten folgenden analytischen Definition über Reihen kann man die Funktionswerte beliebig genau ausrechnen. Für viele wichtige qualitative Eigenschaften wie die Periodizität mit der Periodenlänge muss man aber die analytische Definition genauer studieren.


Mit diesen Defiziten hängt auch zusammen, dass wir noch keine präzise Definition für die Kreiszahl haben. Diese ist bekanntlich gleich dem Kreisinhalt des Einheitskreises und gleich der Hälfte des Kreisumfanges. Doch sind sowohl der „Flächeninhalt ebener berandeter Gebiete“ als auch die „Länge von gebogenen Kurven“ problematische Begriffe. Von daher ist es in der höheren Mathematik sinnvoll, die Kreisfunktionen über ihre Potenzreihen einzuführen und nach und nach zu beweisen, dass sie die gewünschten Eigenschaften erfüllen. Sodann kann man auch die Kreiszahl über Eigenschaften dieser Funktionen einführen und letztlich den Winkel als Länge des zugehörigen Kreisbogens einführen, nachdem diese Länge exakt definiert wird (was wir erst im zweiten Semester tun).

Wir besprechen einige wichtige Anwendungen der trigonometrischen Funktionen wie Polarkoordinaten, wobei wir die Winkel naiv verstehen und die trigonometrischen Funktionen als geometrisch definiert betrachten.



Polar- und Zylinderkoordinaten

Ein Winkel und eine positive reelle Zahl definieren einen eindeutigen Punkt

in der reellen Ebene . Dabei bedeutet den Abstand des Punktes vom Nullpunkt und bedeutet den Durchstoßungspunkt der durch definierten Halbgeraden mit dem Einheitskreis. Jeder Punkt besitzt eine eindeutige Darstellung mit und mit einem Winkel , der je nach dem gewählten Winkelmaß geeignet zu wählen ist, also beispielsweise aus ist (der Nullpunkt wird durch und einen beliebigen Winkel repräsentiert). Die Komponenten heißen die Polarkoordinaten von .



Jede komplexe Zahl , , kann man eindeutig schreiben als

mit einer eindeutig bestimmten positiven reellen Zahl , nämlich dem Abstand von zum Nullpunkt (also ) und einem eindeutig bestimmten Winkel zwischen (einschließlich) und Grad (ausschließlich), der ausgehend von der positiven reellen Achse gegen den Uhrzeigersinn gemessen wird. Man spricht von Polarkoordinaten für die komplexen Zahlen.

Polarkoordinaten der reellen Zahlenebene und für komplexe Zahlen unterscheiden sich nicht. Allerdings erlauben Polarkoordinaten eine Neuinterpretation der Multiplikation von komplexen Zahlen: Wegen

(dabei wurden im letzten Schritt die Additionstheoreme für Sinus und Kosinus verwendet) multipliziert man zwei komplexe Zahlen, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Winkel addiert.


Diese Neuinterpretation der Multiplikation von komplexen Zahlen führt auch zu einem neuen Verständnis der Wurzeln aus komplexen Zahlen, die es aufgrund des Fundamentalsatzes der Algebra geben muss. Wenn ist, so ergibt sich, dass

eine -te Wurzel von ist. D.h. man muss für den Betrag der komplexen Zahl die reelle -te Wurzel nehmen und den Winkel durch teilen.


Eine räumliche Variante von Beispiel 13.9 wird durch Zylinderkoordinaten gegeben. Ein Tripel wird dabei auf die kartesischen Koordinaten

abgebildet.




Die trigonometrischen Reihen

Wir besprechen nun den analytischen Zugang zu den trigonometrischen Funktionen.


Für heißt

die Kosinusreihe und

die Sinusreihe zu .

Durch Vergleich mit der Exponentialreihe ergibt sich sofort, dass diese beiden Reihen für jedes absolut konvergieren. Die zugehörigen Funktionen

heißen Sinus und Kosinus. Beide Funktionen stehen unmittelbar in Zusammenhang mit der Exponentialfunktion, wobei man allerdings die komplexen Zahlen braucht, um diesen Zusammenhang zu erkennen. Der Hintergrund ist, dass man in Potenzreihen stets auch komplexe Zahlen einsetzen kann (der Konvergenzbereich ist dann nicht ein reelles Konvergenzintervall, sondern eine Kreisscheibe). Für die Exponentialreihe und (wobei reell oder komplex sein kann) ist (wir verwenden Rechenregeln für Potenzreihen, die wir für komplexe Zahlennicht behandelt haben)

Mit dieser Beziehung zwischen komplexer Exponentialfunktion und den trigonometrischen Funktionen (die die eulersche Formel heißt) lassen sich viele Eigenschaften der letzteren besonders einfach beweisen. Prominente Spezialfälle dieser Beziehung sind

und

Aufgrund von 12 2. sind Sinus und Kosinus stetige Funktionen. Weitere wichtige Eigenschaften werden in der folgenden Aussage zusammengefasst.


Die Funktionen

und

besitzen für folgende Eigenschaften.

  1. Es ist und .
  2. Es ist und .
  3. Es gelten die Additionstheoreme

    und

  4. Es gilt

(1) und (2) folgen direkt aus der Definition der Reihen.
(3). Der -te Summand (also derjenige Term, der die Potenz mit dem Exponenten beinhaltet) in der Kosinusreihe (die Koeffizienten zu , ungerade, sind ) von ist

wobei wir im letzen Schritt die Indexmenge in gerade und ungerade Zahlen aufgeteilt haben.

Der -te Summand im Cauchy-Produkt von und ist

und der -te Summand im Cauchy-Produkt von und ist

Daher stimmen die beiden Seiten des Additionstheorems im geraden Fall überein.

Bei einem ungeraden Index ist die linke Seite gleich . Da in der Kosinusreihe nur gerade Exponenten vorkommen, kommen im Cauchy-Produkt der beiden Kosinusreihen nur Exponenten der Form mit gerade vor. Da in der Sinusreihe nur ungerade Exponenten vorkommen, kommen im Cauchy-Produkt der beiden Sinusreihen nur Exponenten der Form mit gerade vor. Deshalb kommen Ausdrücke der Form mit ungerade weder links noch rechts vor.

Das Additionstheorem für den Sinus folgt ähnlich.
(4). Aus dem Additionstheorem für den Kosinus angewendet auf und aufgrund von (2) ergibt sich



Die letzte Aussage im vorstehenden Satz besagt, dass das Paar ein Punkt auf dem Einheitskreis ist. Wir werden später sehen, dass sich jeder Punkt des Einheitskreises als schreiben lässt, wobei man als Winkel interpretieren kann. Dabei tritt die Periode auf, wobei wir die Kreiszahl eben über die trigonometrischen Funktionen einführen werden.


In der folgenden Definition für Tangens und Kotangens verwenden wir in der Formulierung der Definitionsbereiche bereits die Zahl .


Die Funktion

heißt Tangens und die Funktion

heißt Kotangens.



Fußnoten
  1. Dieser Winkel ist im Bogenmaß.


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