Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil I/Repetitorium/Vorlesung 14
- Differenzierbarkeit
In diesem Abschnitt betrachten wir Funktionen
wobei eine Teilmenge ist. Wir wollen erklären, wann eine solche Funktion in einem Punkt differenzierbar ist. Die intuitive Idee ist dabei, für einen weiteren Punkt die Sekante durch die beiden Punkte und des Funktionsgraphen zu ziehen und dann „ gegen laufen zu lassen“. Wenn sich dieser Grenzwertprozess sinnvoll durchführen lässt, so wird aus den Sekanten eine Tangente. Dieser Grenzwertprozess wird über den Begriff des Grenzwertes einer Funktion präzise gefasst, den wir im Anschluss an die Stetigkeit eingeführt haben.
Es sei eine Teilmenge, ein Punkt und
eine Funktion. Zu , , heißt die Zahl
der Differenzenquotient von zu und .
Der Differenzenquotient ist die Steigung der Sekante am Graph durch die beiden Punkte und . Für ist dieser Quotient nicht definiert. Allerdings kann ein sinnvoller Limes für existieren. Dieser repräsentiert dann die Steigung der Tangente an im Punkt (oder an der Stelle ).
Die Ableitung in einem Punkt ist, falls sie existiert, ein Element in . Häufig nimmt man die Differenz als Parameter für den Limes des Differenzenquotienten, und lässt gegen gehen, d.h. man betrachtet
Die Bedingung wird dann zu , . Wenn die Funktion einen eindimensionalen Bewegungsvorgang beschreibt, also eine von der Zeit abhängige Bewegung auf einer Strecke, so ist der Differenzenquotient die (effektive) Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen den Zeitpunkten und und ist die Momentangeschwindigkeit zum Zeitpunkt .
Es seien und sei
eine affin-lineare Funktion. Zur Bestimmung der Ableitung in einem Punkt betrachtet man
Dies ist konstant gleich , sodass der Limes für gegen existiert und gleich ist. Die Ableitung in jedem Punkt existiert demnach und ist gleich . Die Steigung der affin-linearen Funktion ist also die Ableitung.
Wir betrachten die Funktion
Der Differenzenquotient zu und ist
Der Limes davon für gegen ist . Die Ableitung von in ist daher .
- Lineare Approximierbarkeit
Wir besprechen eine zur Differenzierbarkeit äquivalente Eigenschaft, die lineare Approximierbarkeit. Diese Formulierung ist in dreifacher Hinsicht wichtig: Sie erlaubt vergleichsweise einfache Beweise für Rechenregeln für differenzierbare Funktionen, sie liefert ein Modell für Approximierbarkeit durch Polynome von höherem Grad (quadratische Approximation, Taylor-Entwicklung) und sie erlaubt eine Verallgemeinerung auf die höherdimensionale Situation (im zweiten Semester).
Es sei eine Teilmenge, ein Punkt und
eine Funktion.
Dann ist in genau dann differenzierbar, wenn es ein und eine Funktion
gibt mit stetig in und und mit
Wenn differenzierbar ist, so setzen wir
Für die Funktion muss notwendigerweise
gelten, um die Bedingungen zu erfüllen. Aufgrund der Differenzierbarkeit existiert der Limes
und hat den Wert . Dies bedeutet, dass in stetig ist.
Wenn umgekehrt
und
mit den angegebenen Eigenschaften existieren, so gilt für
die Beziehung
Da stetig in ist, muss auch der Limes links für existieren.
Die in diesem Satz formulierte Eigenschaft, die zur Differenzierbarkeit äquivalent ist, nennt man auch die lineare Approximierbarkeit. Die affin-lineare Funktion
heißt dabei die affin-lineare Approximation. Die durch gegebene konstante Funktion kann man als konstante Approximation ansehen.
Es sei eine Teilmenge, ein Punkt und
eine Funktion, die im Punkt differenzierbar sei.
Dann ist stetig in .
Dies folgt direkt aus Satz 14.5.
- Rechenregeln für differenzierbare Funktionen
Es sei eine Teilmenge, ein Punkt und
Funktionen, die in differenzierbar seien. Dann gelten folgende Differenzierbarkeitsregeln.
- Die Summe ist differenzierbar in mit
- Das Produkt ist differenzierbar in mit
- Für
ist auch in differenzierbar mit
- Wenn keine Nullstelle in besitzt, so ist differenzierbar in mit
- Wenn keine Nullstelle in besitzt, so ist differenzierbar in mit
(1). Wir schreiben bzw. mit den in Fakt ***** formulierten Objekten, also
und
Summieren ergibt
Dabei ist die Summe wieder stetig in mit dem Wert .
(2). Wir gehen wieder von
und
aus und multiplizieren die beiden Gleichungen. Dies führt zu
Aufgrund von
Fakt *****
für
Limiten
ist die aus der letzten Zeile ablesbare Funktion stetig mit dem Wert für
.
(3) folgt aus (2), da eine konstante Funktion differenzierbar mit Ableitung ist.
(4). Es ist
Da nach
Korollar 14.6
stetig in ist, konvergiert für der linke Faktor gegen und wegen der Differenzierbarkeit von in konvergiert der rechte Faktor gegen .
(5) folgt aus (2) und (4).
Diese Rechenregeln heißen Summenregel, Produktregel, Quotientenregel. Die folgende Aussage heißt Kettenregel.
Es seien Teilmengen und seien
und
Funktionen mit . Es sei in differenzierbar und sei in differenzierbar.
Dann ist auch die Hintereinanderschaltung
in differenzierbar mit der Ableitung
Aufgrund von Satz 14.5 kann man
und
(wenn man durch ersetzt)
Die hier ablesbare Restfunktion
ist stetig in mit dem Wert .
Es seien Intervalle und sei
eine bijektive stetige Funktion mit der Umkehrfunktion
Dann ist auch die Umkehrfunktion in differenzierbar mit
Wir betrachten den Differenzenquotienten
und müssen zeigen, dass der Limes für existiert und den behaupteten Wert annimmt. Es sei dazu eine Folge in , die gegen konvergiert. Nach Satz 11.7 ist stetig. Daher konvergiert auch die Folge mit den Gliedern gegen . Wegen der Bijektivität ist für alle . Damit ist
wobei die rechte Seite nach Voraussetzung existiert und die zweite Gleichheit auf Lemma 8.1 (5) beruht.
Die Funktion
ist die Umkehrfunktion der Funktion mit (eingeschränkt auf ). Deren Ableitung in einem Punkt ist . Nach Satz 14.9 gilt daher für die Beziehung
Im Nullpunkt ist nicht differenzierbar.
Die Funktion
ist die Umkehrfunktion der Funktion mit Deren Ableitung in ist , dies ist für von verschieden. Nach Satz 14.9 ist für somit
Im Nullpunkt ist nicht differenzierbar.
- Die Ableitungsfunktion
Bisher haben wir nur von der Differenzierbarkeit einer Funktion in einem Punkt gesprochen. Jetzt lösen wir uns von dieser punktweisen Betrachtung.
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