Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 7/kontrolle
In den folgenden beiden Vorlesungen möchten wir die endlichen Untergruppen (bis auf Konjugation) und die zugehörigen Invariantenringe bestimmen. Es wird sich herausstellen, dass es hierzu eine überschaubare Klassifikation gibt, nämlich die ADE-Klassifikation. Die auftretenden Invariantenringe bzw. ihre Spektren (also die Bahnenräume) nennt man ADE-Singularitäten. Die anvisierte Klassifikation beruht auf der Klassifikation der endlichen Bewegungsgruppen im . Die ADE-Singularitäten treten in vielen verschiedenen Kontexten immer wieder auf.
- Gruppenoperationen
Es sei eine zumeist multiplikativ geschriebene Gruppe mit neutralem Element .
Man spricht auch von einer Aktion oder einer Wirkung der Gruppe auf . Im Zusammenhang von Gruppenoperationen schreibt man die Gruppe zumeist multiplikativ, und ebenso schreibt man die Operation multiplikativ.
Es liege eine Gruppenoperation einer Gruppe auf einer Menge vor. Man nennt zwei Elemente
äquivalent (oder äquivalent unter ), wenn es ein mit gibt.
Diese Relation ist in der Tat eine Äquivalenzrelation, wie man sich direkt überlegen kann. Die Äquivalenzklassen bekommen einen eigenen Namen.
Es liege eine Gruppenoperation einer Gruppe auf einer Menge vor. Die Äquivalenzklassen auf zur - Äquivalenz nennt man die Bahnen der Operation.
Es liege eine Gruppenoperation einer Gruppe auf einer Menge vor. Ein Punkt heißt Fixpunkt der Operation, wenn ist für alle .
Ein Element ist genau dann ein Fixpunkt der Operation, wenn die Bahn durch diesen Punkt einelementig ist.
Es liege eine Gruppenoperation einer Gruppe auf einer Menge vor. Dann nennt man die Menge der Bahnen den Bahnenraum der Operation. Er wird mit
bezeichnet. Die Abbildung
wobei die Bahn durch bezeichnet, heißt Quotientenabbildung.
Der Bahnenraum ist also einfach die Quotientenmenge der Äquivalenzrelation, die durch die Gruppenoperation festgelegt wird, und die angegebene Quotientenabbildung ist die zugehörige kanonische Projektion.
- Lineare Gruppenoperationen auf dem
Wichtige Gruppenoperationen ergeben sich auf dem ergeben sich, wenn man eine endliche Untergruppe betrachtet und die natürliche Operation der allgemeinen linearen Gruppe (also die Gruppe der invertierbaren -Matrizen) auf dem auf einschränkt. Jedes Gruppenelement wirkt durch die entsprechende Matrix
also
Die Bahn durch einem Punkt
besteht aus den höchstens Punkten . Wir fragen uns, in Anschluss an Beispiel 1.5, inwiefern die Quotientenmenge eine affin-algebraische Menge ist und wie die Singularitäten darauf aussehen. Wir machen folgenden Ansatz: Wenn man affin-algebraisch realisieren kann, so gibt es auch einen affinen Koordinatenring dazu. Dieser besteht aus gewissen polynomialen Funktion auf . Eine solche Funktion ergibt mit Hilfe der kanonischen Projektion auf die Quotientenmenge über die Hintereinanderschaltung
eine Funktion auf , also ein Polynom aus . Da auf den Bahnen zurr Operation konstant ist, gilt für alle Punkte und alle . Dabei kann man auch so verstehen, dass dem Polynom ein neues Polynom zugeordnet wird und darin der Punkt eingesetzt wird. Dabei ergibt sich die Abbildung
als Einsetzungshomomorphimus zu . Die geometrische Operation auf dem Raum induziert also auch eine algebraische Operation auf dem Ring der Polynomfunktionen, und die Bedingung wird zur Bedingung, dass ein invariantes Polynom unter der Operation sein muss.
- Invariantenringe
Da eine Operation einer Gruppe von links auf einem geometrischen Objekt in natürlicher Weise zu einer Operation von rechts auf dem Ring der Funktionen führt, werden wir im Folgenden die Operationen auf einem Ring generell von rechts schreiben.
Es sei eine Gruppe, die auf einem kommutativen Ring als Gruppe von Ringautomorphismen operiert (von rechts). Dann bezeichnet man
als den Invariantenring (oder Fixring) von unter der Operation von .
Das ist in der Tat wieder ein Ring, ein Unterring von . Die und die sind invariant, da alle als Ringautomorphismen operieren. Ebenso ist mit invarianten Funktionen auch das Negative , deren Summe und deren Produkt invariant.
Es sei eine kommutative - Algebra über einem Körper und es sei eine Gruppe, die als Gruppe von - Algebraautomorphismen operiere. Zu jedem sei also
ein -Algebrahomomorphismus. Dann ist und der Fixring ist selbst eine -Algebra.
- Eine Liste von Untergruppen der
Wir betrachten die folgenden Beispiele von endlichen Untergruppen der . Wir werden später sehen, dass diese Liste bis auf Konjugation vollständig ist.
Die zyklische Gruppe der Ordnung lässt sich einfach als eine Untergruppe der realisieren. Dazu sei eine -te komplexe primitive Einheitswurzel, beispielsweise . Die von
erzeugte Untergruppe, also
ist eine zyklische Gruppe der Ordnung . Diese Untergruppe wird mit bezeichnet.
Es sei und sei eine -te komplexe primitive Einheitswurzel, beispielsweise
Die von den Matrizen
erzeugte Untergruppe der heißt die binäre Diedergruppe. Sie wird mit bezeichnet. Das Element besitzt die Ordnung und es ist
Insbesondere besitzt die Ordnung . Es ist
Somit lassen sich alle Elemente der Gruppe als
schreiben. Da nicht zu der von erzeugten Untergruppe gehört und (bei ) umgekehrt, ist diese Darstellung bei eindeutig und besitzt genau Elemente. Es liegt die Untergruppenbeziehung vom Index vor.
Die Matrizen
wobei eine primitive achte Einheitswurzel ist, erzeugen eine Untergruppe von . Die Ordnungen dieser Elemente ergeben sich folgendermaßen. Es ist
also besitzt die Ordnung und die Ordnung . Mit
ist
sodass die Ordnung von gleich ist. Jedes Element dieser Gruppe kann man als schreiben, wobei die Exponenten jeweils maximal bis zur Ordnung der Matrizen laufen. Um das einzusehen muss man untersuchen, was passiert, wenn man ein solches Element mit oder rechterhand multipliziert. Es ist
man kann also von rechts an vorbeischieben. Wegen
kann man von rechts an vorbeischieben. Wegen
kann man von rechts an vorbeischieben. Wegen
kann man sogar jedes Gruppenelement als
schreiben.
Wir zeigen, dass es unter diesen Elementen keine Wiederholungen gibt. Die Produkte mit bilden nach Beispiel 7.8 die binäre Diedergruppe der Ordnung , dort gibt es also keine Wiederholungen. Also enthält die Gruppe eine Untergruppe der Ordnung aber auch eine Untergruppe der Ordnung (die von erzeugte Untergruppe), also muss ihre Ordnung sein (und in den obigen Produkten kann es keine Wiederholung geben). Es handelt sich also um eine Gruppe mit Elementen, die die binäre Oktaedergruppe heißt. Sie wird mit bezeichnet. Es liegt die Untergruppenbeziehung
vor.
Es seien
wobei eine primitive achte Einheitswurzel ist, die Erzeuger der binären Oktaedergruppe . Die darin von erzeugte Untergruppe besteht aus allen Elementen mit , wie ähnliche Berechnungen wie die aus Beispiel 7.9 zeigen, und besitzt demnach Elemente. Diese Gruppe nennt man die binäre Tetraedergruppe, sie wird mit bezeichnet.
Es sei eine primitive -te komplexe Einheitswurzel. Wir setzen
Die von diesen Elementen erzeugte Untergruppe der heißt die binäre Ikosaedergruppe. Es ist
und somit besitzt die Ordnung . Wegen
besitzt die Ordnung . Ferner ist
Dabei ist
und (unter Verwendung von )
also ist
und die Ordnung von ist . Diese Gruppe besitzt Elemente und heißt die binäre Ikosaedergruppe, sie wird mit bezeichnet.
Jede endliche Untergruppe
ist zu einer Untergruppe der konjugiert.
Es sei das Standardskalarprodukt auf dem . Wir definieren zuerst unter Bezug auf die endliche Gruppe
ein neues Skalarprodukt auf , nämlich
Nach Aufgabe 7.18 handelt es sich in der Tat um ein Skalarprodukt. Für ein Gruppenelement ist ferner
da ja insgesamt über die gleichen Gruppenelemente aufsummiert wird. Die zu gehörenden linearen Abbildungen sind also unitär bezüglich . Es sei eine Orthonormalbasis von bezüglich und sei die Matrix, deren Spalten die sind. Wir betrachten die konjugierte Gruppe
also
Dabei gilt die Beziehung
da dies für die Standardbasis git. Für und gilt
d.h. ist bezüglich des Standardskalarproduktes unitär. Wegen
und besitzt auch die Determinante , und daher ist .
- Die Beziehung zwischen und
Für die Klassifikation der endlichen Untergruppen der werden wir die platonische Klassifikation der endlichen Untergruppen der heranziehen. Die Beziehung zwischen diesen beiden Fragestellungen beruht darauf, dass einerseits die auf der komplex-projektiven Geraden und andererseits die Isometrien des auf der 2-Sphäre
operiert. Die Homöomorphie ermöglicht einen Zusammenhang zwischen diesen Gruppen und ihren endlichen Untergruppen.
Die projektive komplexe Gerade ist die Menge aller Geraden im durch den Nullpunkt; sie ist topologisch betrachtet eine Sphäre . Diesen Zusammenhang kann man explizit machen, indem man als Zwischenschritt mit arbeitet. Diese erweiterte komplexe Ebene steht einerseits mit der projektiven Geraden ( ist eine affine Karte der projektiven Gerade, die den „unendlich fernen Punkt“ nicht enthält) und andererseits mit der Sphäre über die stereographische Projektion in Bijektion ( entspricht dabei dem Nordpol).
Eine komplexe Zahl definiert die von erzeugte Gerade und damit den Punkt (in homogenen Koordinaten) der komplex-projektiven Geraden . Die Umkehrabbildung ist durch gegeben, die für definiert ist. Dem Punkt entspricht der unendlich ferne Punkt .
Die Umkehrabbildung der stereographischen Projektion ist die Abbildung
Die Gesamtabbildung
besitzt insgesamt die Beschreibung
Mit und schreibt man dies (unter Verwendung von ) als
Diese Formel zeigt, dass die Abbildung für alle definiert ist, wobei auf den Nordpol abgebildet wird. Es liegt also eine explizite Bijektion vor. Die Umkehrabbildung ist (für mit ) durch
gegeben. Wenn man eine normierte Repräsentierung dieses Punktes erhalten möchte, so muss man durch dividieren.
Insbesondere erhält man eine explizite (in den natürlichen Topologien stetige) Abbildung
deren Fasern genau die punktierten komplexen Geraden sind.
Die natürliche Operation der auf - und das gilt auch für jede endliche Untergruppe - induziert eine Operation auf der Menge der eindimensionalen Untervektorräume (also der komplexen Geraden durch den Nullpunkt) und damit auf . Eine Gerade wird durch einfach auf die Bildgerade abgebildet. Eine Gerade wird unter auf die Gerade abgebildet, bzw. in homogenen Koordinaten
Dabei wirken Streckungen, also Abbildungen der Form mit , trivial auf der Menge der Geraden und auf der projektiven Geraden. Da man jede invertierbare Matrix als Produkt einer solchen Streckungsmatrix und einer invertierbaren Matrix mit Determinante schreiben kann, muss man im Wesentlichen die Operation der auf der projektiven Geraden verstehen. Die einzige Matrix neben der Einheitsmatrix, die sämtliche Geraden auf sich selbst abbildet, ist
Es gibt einen surjektiven Gruppenhomomorphismus
dessen Kern gleich
ist.
Die Abbildung kann explizit (mit und unter der Bedingung ) durch
realisiert werden.
Es sei
die explizite Homöomorphie zwischen der komplex-projektiven Geraden und der - Sphäre . Durch
erhält man einen Gruppenhomomorphismus der allgemeinen linearen Gruppe in die Gruppe der stetigen Automorphismen
(also der Homöomorphismen)
der Sphäre. Eine explizite Rechnung für zeigt, dass der zugehörige Homöomorphismus von einer linearen Abbildung der angegebenen Gestalt herrührt.
Zur Surjektivität. Für und mit geht die Matrix links auf
Wenn man und vorgibt und und setzt (das Vorzeichen ist geeignet zu wählen), so wird die Matrix zu
d.h. sie beschreibt die Drehung um den Winkel um die -Achse. Diese Drehung liegt also im Bild der Abbildung. Indem man die Rollen von ändert, sieht man, dass auch die Drehungen um die beiden anderen Koordinatenachsen im Bild der Abbildung liegen. Nach
[[Raumisometrie/Drehung um Koordinatenachsen/Aufgabe|Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Raumisometrie/Drehung um Koordinatenachsen/Aufgabe/Aufgabereferenznummer (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))]]
lässt sich jede Isometrie als eine Verknüpfung von Drehungen um die Koordinatenachsen erhalten. Also ist die Abbildung surjektiv.
Zur Bestimmung des Kerns addieren wir jeweils die beiden Einträge der Matrix, die nicht auf der Diagonalen liegen und symmetrisch zur Diagonalen sind. Dies ergibt die Bedingungen
.
Die Differenzen von je zwei Einträgen der Diagonalen ergibt die Bedingung
,
woraus insgesamt
folgt. Die Bedingung
führt dann zu den beiden Elementen im Kern.
Die endlichen Untergruppen der sind bis auf Isomorphie
- die endlichen zyklischen Gruppen ,
- die binären Diedergruppen , ,
- die binäre Tetraedergruppe ,
- die binäre Oktaedergruppe ,
- die binäre Ikosaedergruppe .
Nach Lemma 7.12 können wir davon ausgehen, dass ist. Es sei
der surjektive Gruppenhomomorphismus aus Satz 7.13. Es sei die Bildgruppe von unter dieser Abbildung, für die es aufgrund von [[Endliche Symmetriegruppe/Klassifizierung/Fakt|Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Endliche Symmetriegruppe/Klassifizierung/Fakt/Faktreferenznummer (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))]] starke Einschränkungen gibt. Wenn ungerade ist, so enthält kein Element der Ordnung . Also ist trivial und somit ist ein Isomorphismus. Aufgrund der Klassifikation für endliche Symmetriegruppen muss zyklisch sein. Es sei also gerade, sagen wir mit ungerade. Nach dem Satz von Sylow besitzt eine Untergruppe mit Elementen und damit insbesondere auch ein Element der Ordnung . Wegen Lemma 7.11 gibt es in nur das Element der Ordnung . Also ist und somit ist . Damit ist insbesondere
d.h. ist das
Urbild
zu einer endlichen Untergruppe . ist also eine der Untergruppen aus der Liste von
[[Endliche Symmetriegruppe/Klassifizierung/Fakt|Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025)/Endliche Symmetriegruppe/Klassifizierung/Fakt/Faktreferenznummer (Lineare Algebra (Osnabrück 2024-2025))]].
Zwei isomorphe Gruppen sind sogar
konjugiert.
Wenn den inneren Automorphismus stiftet und ein Urbild ist, so vermittelt einen Isomorphismus der Urbildgruppen
und .
Der Isomorphietyp von ist also durch festgelegt. Wenn ist, so muss sein, da der Isomorphietyp festgelegt ist und die in den definierenden Beispielen
Beispiel 7.8,
Beispiel 7.10,
Beispiel 7.9
und
Beispiel 7.11
beschriebenen Gruppen modulo dem Element der Ordnung die entsprechenden reellen Symmetriegruppen ergeben.
- Quotientensingularitäten
Es sei ein Körper und eine endliche Untergruppe. Dann nennt man den Invariantenring (bzw. sein Spektrum) eine Quotientensingularität.
Es sei ein Körper und eine endliche Untergruppe. Dann nennt man den Invariantenring (bzw. sein Spektrum) eine spezielle Quotientensingularität.
Diese beiden Definitionen umfassen als Extremfall auch die Situation, wo der Invariantenring regulär ist, also im strengen Sinn überhaupt keine Singularität vorliegt. Es kann sein, dass ein kommutativer Ring sowohl zum Invariantenring zu , , als auch zum Invariantenring zu
isomorph ist. Ein Beispiel dafür ist der Polynomring selbst. Ein Beispiel für eine Quotientensingularität, die keine spezielle Quotientensingularität ist, ist der Veronesering
bei .