Kurs:Einführung in die Algebra (Osnabrück 2009)/Vorlesung 25
- Konstruierbare und algebraische Zahlen
Wir wollen nun die konstruierbaren Zahlen algebraisch mittels quadratischer Körpererweiterungen charakterisieren. Unter einer reell-quadratischen Körpererweiterung eines Körpers verstehen wir eine quadratische Körpererweiterung mit , die sich also innerhalb der reellen Zahlen abspielt. Eine solche Körpererweiterung ist immer durch die Adjunktion einer Quadratwurzel einer positiven reellen Zahl mit , gegeben. Es gilt die Isomorphie
Es sei ein Körper. Es sei ein Punkt, der sich aus in einem Schritt konstruieren lässt.
Dann liegen die Koordinaten von in einer reell-quadratischen Körpererweiterung von .
Wir gehen die drei Möglichkeiten durch, einen Punkt aus
in einem Schritt
zu konstruieren. Es sei der Schnittpunkt von zwei verschiedenen Geraden
und ,
die über definiert sind. Es sei also
und
mit
.
Dann gehört der Schnittpunkt zu und seine Koordinaten gehören zu .
Es sei eine über definierte Gerade und ein über definierter Kreis. Dann ist
und
mit
.
Wir können annehmen, dass
ist, sodass die Geradengleichung auf die Form
gebracht werden kann. Einsetzen von dieser Gleichung in die Kreisgleichung ergibt eine quadratische Gleichung für über . Die reellen Koordinaten der
(eventuell komplexen)
Lösungen davon liegen in einer quadratischen Erweiterung von . Das gilt dann auch für die zugehörigen Lösungen für .
Es seien nun
und
zwei über definierte verschiedene Kreise. Es seien
und
die Kreisgleichungen. Ein Schnittpunkt der beiden Kreise muss auch jede Linearkombination der beiden Gleichungen erfüllen. Wir betrachten die Differenz der beiden Gleichungen, die die Gestalt
besitzt. D.h. dies ist eine Geradengleichung, und die Schnittpunkte der beiden Kreise stimmen mit den Schnittpunkten eines Kreises mit dieser Geraden überein. Wir sind also wieder im zweiten Fall.
Wir betrachten die beiden Kreise mit den Kreisgleichungen
Die Differenz der beiden Gleichungen ist
bzw.
Die Schnittpunkte der beiden Kreise müssen also auch auf der durch gegebenen Geraden liegen. Setzt man diese Geradenbedingung in die erste Kreisgleichung ein, so erhält man
also
Es sei eine komplexe Zahl. Dann ist eine konstruierbare Zahl genau dann,
wenn es eine Kette von reell-quadratischen Körpererweiterungen
derart ist, dass die Koordinaten von zu gehören.
Es sei eine konstruierbare komplexe Zahl. D.h. es gibt eine Folge von Punkten derart, dass aus den Vorgängerpunkten in einem Schritt konstruierbar ist. Es sei und es sei
der von den Koordinaten der Punkte erzeugte Unterkörper von .
Nach
Lemma 25.1
liegt in einer reell-quadratischen Körpererweiterung von
(und zwar ist
oder ist eine reell-quadratische Körpererweiterung von ).
Die Koordinaten von liegen also in , und ist das Endglied in einer Folge von quadratischen Körpererweiterungen von .
Es sei umgekehrt angenommen, dass die Koordinaten eines Punktes
in einer Kette von reell-quadratischen Körpererweiterungen von liegen.
Wir zeigen durch Induktion über die Länge der Körperkette, dass die Zahlen in einer solchen Kette aus quadratischen Körpererweiterungen konstruierbar sind. Bei
ist
,
und diese Zahlen sind konstruierbar. Es sei also schon gezeigt, dass alle Zahlen aus konstruierbar sind, und sei
eine reell-quadratische Körpererweiterung. Nach
Lemma 22.10
ist
mit einer positiven reellen Zahl
.
Nach Induktionsvoraussetzung ist konstruierbar und nach
Lemma 24.10
ist konstruierbar. Daher ist auch jede Zahl
mit ,
konstruierbar. Damit sind die Koordinaten von konstruierbar und somit ist nach
Lemma 24.7
auch selbst konstruierbar.
Man kann ebenfalls zeigen, dass eine komplex-algebraische Zahl genau dann konstruierbar ist, wenn der Grad des Zerfällungskörpers des Minimalpolynoms von eine Potenz von ist. Dies erfordert jedoch die Galoistheorie. Für viele Anwendungen ist allerdings schon die oben vorgestellte Charakterisierung bzw. die folgenden Korollare ausreichend.
Eine mit Zirkel und Lineal konstruierbare Zahl
ist algebraisch.
Es sei eine konstruierbare Zahl.
Dann ist der Grad des Minimalpolynoms von eine Potenz von zwei.
Die Koordinaten der konstruierbaren Zahl liegen nach Satz 25.3 in einer Folge von reell-quadratischen Körpererweiterungen
Diese Kette kann man um die komplex-quadratische Körpererweiterung ergänzen mit . Nach der Gradformel ist der Grad von über gleich . Dabei ist ein Unterkörper und daher ist, wieder nach der Gradformel, der Grad von über ein Teiler von , also selbst eine Potenz von .
- Das Delische Problem
Wir kommen zur ersten Konsequenz von unserer systematischen Untersuchung der konstruierbaren Zahlen auf die klassischen Konstruktionsprobleme.
Die Würfelverdopplung mit Zirkel und Lineal ist nicht möglich.
Wir betrachten einen Würfel mit der Kantenlänge und dem Volumen . Die Konstruktion eines Würfels mit dem doppelten Volumen würde bedeuten, dass man die neue Kantenlänge, also mit Zirkel und Lineal konstruieren könnte. Das Minimalpolynom von ist , da dieses offenbar annulliert und nach Satz 22.13 irreduzibel ist. Nach Korollar 25.5 ist nicht konstruierbar, da keine Zweierpotenz ist.
- Die Quadratur des Kreises
Es ist nicht möglich, zu einem vorgegebenen Kreis ein flächengleiches Quadrat mit Zirkel und Lineal zu konstruieren.
Wenn es ein Konstruktionsverfahren gäbe, so könnte man insbesondere den Einheitskreis mit dem Radius quadrieren, d.h. man könnte ein Quadrat mit der Seitenlänge mit Zirkel und Lineal konstruieren. Nach Korollar 25.4 muss aber eine konstruierbare Zahl algebraisch sein. Nach dem Satz von Lindemann ist aber und damit auch transzendent.
Es gibt natürlich einige geometrische Methoden die Zahl zu erhalten, z.B. die Abrollmethode und die Schwimmbadmethode.
Die einfachste Art, die Zahl geometrisch zu konstruieren, ist die Abrollmethode, bei der man einen Kreis mit Durchmesser einmal exakt abrollt. Die zurückgeführte Entfernung ist genau der Kreisumfang, also .
Man kann die Zahl auch mit Hilfe von Schwimmbecken und einer idealen Flüssigkeit erhalten.
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Wir starten mit einem Einheitskreis,
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den wir als Grundfläche
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eines Schwimmbeckens der Höhe 1 nehmen.
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Das füllen wir randvoll mit Wasser auf.
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Wir nehmen ein zweites Schwimmbecken mit quadratischer Grundfläche und Höhe 4.
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Der Inhalt des ersten Schwimmbeckens wird
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in das zweite Schwimmbecken gegossen.
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Der Wasserstand im zweiten Schwimmbecken ist exakt .