Kurs:Funktionentheorie (Osnabrück 2023-2024)/Vorlesung 16/kontrolle
- Laurent-Reihen
Die Funktion besitzt in jedem Punkt eine Potenzreihenentwicklung, die man einfach mit Hilfe der geometrischen Reihe erhalten kann. Im Nullpunkt kann man sie aber definitiv nicht durch eine Potenzreihe beschreiben. Es erhebt sich die Frage, wie eine möglichst einfache Beschreibung einer außerhalb eines Punktes definierte holomorphe Funktion in dem Punkt aussieht, und welche Verhaltensweisen um eine solche Undefinierbarkeitsstelle (einer Singularität) auftreten können. Im Rahmen der Laurent-Reihen betrachtet man die inversen Potenzen ( positiv) als die einfachsten Grundformen der Funktionen, die in nicht definiert sind, und drückt andere, auf einer punktierten Umgebung von definierte, holomorphe Funktionen als Reihe zu solchen inversen Potenzen aus, so wie eben holomorphe Funktionen durch Potenzreihen beschrieben werden. Allgemeiner untersucht man auf Kreisringen definierte holomorphe Funktionen mit Hilfe ihrer Lauren-Reihen.
Eine Laurent-Reihe über in ist ein formaler Ausdruck der Form mit .
Jede Potenzreihe ist insbesondere eine Laurent-Reihe. Ein Laurent-Polynom ist ein Ausdruck der Form
Bei
nennt man auch den (Ober-) Grad und den Untergrad von , im Allgemeinen geht aber eine Laurent-Reihe in beide Richtungen gegen unendlich. Laurent-Reihen wie oben sind genuaer Laurent-Reihen im Entwicklungspunkt , zu jedem Punkt kann man auch die Laurent-Reihe im Entwicklungspunkt betrachten, die die Gestalt besitzt.
Wie bei Potenzreihen ist die Konvergenz eine zusätzliche Bedingung.
Eine Laurent-Reihe über konvergiert in , wenn die Reihen und konvergieren.
Der Konvergenzbereich einer Laurent-Reihe ist typischerweise ein Kreisring, da die Konvergenz der Potenzreihe eine Bedingung der Form und die Konvergenz der Reihe eine Bedingung der Form erfordert (siehe unten). Die beteiligten Teilreihen einer Laurent-Reihe bekommen eigene Namen, die etwas überaschen.
Zu einer Laurent-Reihe nennt man die Reihe den Hauptteil.
Zu einer Laurent-Reihe nennt man die Reihe den Nebenteil.
Diese Begriffe erklären sich aus einem Kontext, wo man holomorphe Funktionen und die sie beschreibenden Potenzreihen schon gut verstanden hat und wo es jetzt darum geht, auch meromorphe Funktionen und ihre Verhalten in Polen und allgemeiner das Verhalten von holomorphen Funktionen auf Kreisringen zu verstehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist dann in einer Laurent-Reihe die Potenzreihe, also die Teilreihe zu den nichtnegativen Indizes, nebensächlich und das Hauptgewicht liegt auf der Teilreihe zu den negativen Indizes. Potenzreihen stimmen mit ihrem Nebenteil überein und ihr Hauptteil ist gleich .
Die rationale Funktion besitzt im Nullpunkt den Hauptteil und den Nebenteil .
Es sei eine Laurent-Reihe zu ausschließlich negativen Indizes. Es gebe ein derart, dass die Reihe konvergiert. Dann gelten folgende Eigenschaften.
- Die Laurent-Reihe konvergiert für jedes mit .
- Für jedes mit ist die Laurent-Reihe auf punktweise absolut und gleichmäßig konvergent.
- Es gibt ein (minimales) derart, dass die Reihe auf konvergiert und dort eine holomorphe Funktion darstellt.
Das aus Lemma 16.6 (3) nennt man den (unteren oder inneren) Konvergenzradius der Laurent-Reihe.
Es sei eine holomorphe Funktion, die durch eine Potenzreihe mit Konvergenzradius beschrieben werde.
Dann ist die Laurent-Reihe für konvergent und stellt auf die holomorphe Funktion dar.
Dies folgt aus Lemma 16.6, die Holomorphie von beruht auf Lemma 1.7 und Satz 1.8.
Es sei eine konvergente Laurent-Reihe, wobei der Konvergenzradius des Hauptteiles kleiner als der Konvergenzradius des Nebenteils sei.
Dann stellt die Reihe auf dem offenen Kreisring
eine holomorphe Funktion dar.
Dies folgt aus Lemma 16.6 und Satz 8.12.
Wir betrachten die Potenzreihe
die für nach Satz 7.3 konvergiert. Nach Lemma 16.8 konvergiert daher die Laurent-Reihe
für . Die Laurent-Reihe konvergiert also auf dem Kreisring .
- Laurent-Entwicklung auf Kreisringen
Wir möchten nun umgekehrt zeigen, dass eine holomorphe Funktion auf einem Kreisring durch eine Laurent-Reihe entwickelbar ist, was insbesondere für holomorphe Funktionen auf einer punktierten Kreisscheibe anwendbar ist. Der folgende Satz ist eine direkte Verallgemeinerung von Satz 13.7 und von Satz 14.1.
Es seien reelle Zahlen (wobei für auch erlaubt ist), ein Punkt und sei eine holomorphe Funktion auf dem offenen Kreisring
Dann gibt es eine auf konvergente Laurent-Reihe , die dort darstellt.
Für die Koeffizienten der Laurent-Reihe gilt
wobei eine einfache Umrundung von im Kreisring ist.
Ohne Einschränkung sei , es sei fixiert. Es sei hinreichend klein, wir setzen
Es sei die einfache Umrundung von mit dem Abstand , nach der Integralformel gilt
Statt betrachten wir den Weg , der sich aus je einem Kreisbogen auf den Kreisen um mit den Radien und und den an tangentialen Strahlen zusammensetzt. Wegen Satz 13.3, angewendet auf Viertelausschnitte von bzw. , ist auch
Wir füllen den durch und gegebenen Kreisring durch (neben den durch gegebenen) weitere sternförmige Kreisringsektoren auf, die zugehörigen Wegintegrale über sind nach Satz 13.3 gleich , da die Form dort holomorph ist. Wenn man diese Wegintegrale aufsummiert, so ergibt sich, da die Strahlen entgegengesetzt durchlaufen werden,
wobei die einfach gegen den Uhrzeigersinn durchlaufenen Kreiswege um mit den Radien und bezeichnen.
Auf die beiden Integrale wenden wir den Trick mit der geometrischen Reihe aus Satz 14.1 an (beachte, dass im linken Integral und im rechten Integral gilt). Das linke Integral wird zu
und das rechte Integral wird unter Verwendung von
zu
Dies zeigt insgesamt die Gleichheit
wobei die Koeffizienten durch die angegebenen Integrale gegeben und insbesondere unabhängig von sind. In der Berechnung der Koeffizienten kann man dabei und nach Korollar 13.5 untereinander und durch einen beliebigen Kreisweg um den Nullpunkt innerhalb des Kreisringes ersetzen.
In der Situation von Satz 16.10 kann man die Koeffizienten der Laurent-Entwicklung, wenn man mit der Umrundung mit einem Radius arbeitet, auch als
ausdrücken.
Die folgende Aussage heißt Identitätssatz für Laurent-Reihen.
Es seien und konvergente Laurent-Reihe, die auf einer offenen Menge konvergieren und dort übereinstimmen.
Dann ist .
Nach Lemma 16.8 sind beide Laurent-Reihen konvergent auf einem offenen Kreisring und wegen der Voraussetzung können wir zu einem Kreisring übergehen, wo beide konvergieren und zwar so, dass auf einer offenen Menge davon die Funktionen übereinstimmen. Wir können weiter davon ausgehen, dass die eine Laurent-Reihe die Laurent-Reihe aus Satz 16.10 ist. Nach Bemerkung 16.11 können wir weiter zu einem Kreis mit Radius übergehen. Wir setzen in die dortige Formel für die nach Voraussetzung konvergente Laurent-Reihe ein und erhalten
da bei die Integrale nach Lemma 23.4 (Maß- und Integrationstheorie (Osnabrück 2022-2023)) gleich sind.
Es sei ein Punkt und sei
eine auf einer punktierten Kreisscheibe um definierte holomorphe Funktion.
Dann gibt es eine auf konvergente Laurent-Reihe , die dort darstellt.
Dies ist ein Spezialfall von Satz 16.10.
Es sei ein Punkt und sei
eine auf einer punktierten Kreisscheibe um definierte holomorphe Funktion derart, dass ihre Laurent-Reihe nur aus dem Hauptteil besteht. Dann gelten folgende Aussagen.
- Die Laurent-Reihe besitzt eine holomorphe Fortsetzung auf .
- Wenn der Koeffizient zu gleich ist, so besitzt eine Stammfunktion auf .
- Dies folgt aus Lemma 16.6.
- Ohne Einschränkung sei , die Laurent-Reihe sei . Wir zeigen, dass der natürliche Kandidat konvergiert und eine Stammfunktion zu ist. Wir schreiben die Ausgangsreihe als , welche überall konvergiert, und den Kandidaten als mit . Es konvergiert dann (Multiplikation mit ) auch . Dazu ist aber eine Stammfunktion, die nach Satz 8.17 konvergiert.
Es seien reelle Zahlen (wobei für auch erlaubt ist), ein Punkt und seien und holomorphe Funktionen auf dem offenen Kreisring
mit den Laurent-Reihen bzw.
Dann ist die beschreibende Laurent-Reihe zu (mit ) gleich der Laurent-Reihe .
Dies folgt wegen Satz 16.10 aus Lemma 12.7 (1).