Kurs:Zahlentheorie (Osnabrück 2016-2017)/Vorlesung 11



Die Unendlichkeit der Primzahlen



Es gibt unendlich viele Primzahlen.

Angenommen, die Menge aller Primzahlen sei endlich, sagen wir . Man betrachtet die Zahl

Diese Zahl ist durch keine der Primzahlen teilbar, da bei Division von durch immer ein Rest verbleibt. Damit sind die Primfaktoren von , die es nach Korollar 3.9 geben muss, nicht in der Ausgangsmenge enthalten - Widerspruch.


Eine Liste aller Primzahlen findet sich hier.

Kann man weitere Aussagen darüber machen, wie viele Primzahlen es gibt? Wir werden zunächst die Frage betrachten, was man über die Reihe

sagen kann. Dies ist also die Summe aller Kehrwerte von Primzahlen,

Bekanntlich divergiert die harmonische Reihe, also die Summe über aller Kehrwerte von positiven ganzen Zahlen. Dagegen konvergiert die Summe über alle Kehrwerte von Quadraten (und zwar gegen ), es gibt also im gewissen Sinn wenig Quadrate. Für jede unendliche Teilmenge ist es eine interessante und meistens schwierige Frage, ob konvergiert oder divergiert. Für die Primzahlen werden wir das hier in Kürze beantworten. Die Beantwortung hängt eng mit der Riemannschen -Funktion zusammen. Die hier benutzten Methoden gehören zur analytischen Zahlentheorie.


Die Riemannsche -Funktion ist für mit Realteil durch

definiert.

Wir erinnern an die Konvergenz der geometrischen Reihe.


Für alle komplexen Zahlen mit konvergiert die Reihe absolut und es gilt

Dies wird in der Grundvorlesung Analysis bewiesen.




Es sei eine endliche Menge von Primzahlen und sei eine komplexe Zahl mit . Es sei die Menge aller natürlichen Zahlen, die sich als Produkt von Primzahlen aus darstellen lassen. Dann ist

Es sei . Es ist nach Voraussetzung über den Realteil. Unter Verwendung der geometrischen Reihe ergibt sich


Aus dieser Aussage ergibt sich sofort ein neuer Beweis dafür, dass es unendlich viele Primzahlen gibt. Wenn es nämlich nur endlich viele Primzahlen gäbe, so könnte man als die endliche Menge aller Primzahlen ansetzen. Es wäre dann . Für stünde dann links eine reelle Zahl, und rechts würde die Summe über alle natürlichen Kehrwerte stehen. Dies ist aber die harmonische Reihe, und diese divergiert!



Es sei eine komplexe Zahl mit . Dann gilt für die Riemannsche -Funktion die Produktdarstellung

Dies folgt aus Lemma 11.4, wenn man für die Menge der ersten Primzahlen überhaupt ansetzt und dann gegen unendlich laufen lässt. Die Konvergenz der linken Seite, also die Wohldefiniertheit der -Funktion, sichert dabei auch die Konvergenz der rechten Seite.



Das unendliche Produkt

divergiert.

Dies folgt aus Lemma 11.4 für . Man hat die Gleichheit

wobei die ersten Primzahlen umfasse. Für ergibt sich rechts die harmonische Reihe, die bekanntlich divergiert. Also divergiert auch das Produkt links.


Wir können nun die oben formulierte Frage beantworten.


Die Reihe der Kehrwerte der Primzahlen, also

divergiert.

Das Produkt divergiert für aufgrund von Korollar 11.6 und ist insbesondere unbeschränkt. Daher ist auch der natürliche Logarithmus davon unbeschränkt. Dieser ist

Die Potenzreihenentwicklung des natürlichen Logarithmus ist

für . Angewendet auf die vorstehende Situation ergibt das

Für die hinteren Summanden hat man die Abschätzungen

wobei hinten wieder die geometrische Reihe benutzt wurde. Damit ist insgesamt

Da die Summe der reziproken Quadrate konvergiert, ist diese Gesamtsumme beschränkt. Daher ist die Summe unbeschränkt, was die Behauptung ist.


Ein Primzahlzwilling ist ein Paar bestehend aus und , wobei diese beiden Zahlen Primzahlen sind. Die ersten Beispiele sind

Es ist ein offenes Problem der Zahlentheorie, ob es unendlich viele Primzahlzwillinge gibt (was aber stark vermutet wird). Dagegen ist bekannt, dass die zugehörige Reihe, also

konvergiert. In diesem Sinne gibt es also, verglichen mit der Gesamtzahl der Primzahlen, wenige Primzahlzwillinge.


Die Frage, ob es unendlich viele Primzahlzwillinge gibt, besitzt verschiedene schwächere Varianten. Man kann sich zum Beispiel fragen, ob es unendlich oft vorkommt, dass es in einem Zehnerintervall zwei Primzahlen gibt, oder dass es in einem Hunderterintervall zwei Primzahlen gibt, und so weiter. Die ersten Primzahlen vermitteln dabei ein Bild, dass Primzahlen ziemlich häufig sind. Sie werden aber zunehmend seltener, sodass es für hohe Hunderterintervalle, sagen wir für die Zahlen von

ziemlich unwahrscheinlich ist, eine Primzahl zu enthalten, geschweige denn zwei Primzahlen. Bis vor kurzem war es nicht bekannt, ob es überhaupt eine Zahl mit der Eigenschaft gibt, dass es unendlich viele Intervalle der Länge gibt, die zwei Primzahlen enthalten ( wäre die positive Lösung des Primzahlzwillingsproblems). Im Jahr 2013 bewies Zhang Yitang, dass man

nehmen kann, dass es also unendlich viele Intervalle der Form
gibt, in denen zwei Primzahlen liegen. Dieses Resultat ist ein Durchbruch in der Primzahlzwillingforschung, da es erstmals zeigt, dass sich Primzahlen unendlich oft „ziemlich nahe“ kommen. Zwischenzeitlich wurde die Schranke von auf gesenkt, siehe [1].




Die Funktion

Es gehört zu den schwierigsten Fragen der Zahlentheorie und der Mathematik überhaupt, die Verteilung der Primzahlen zu verstehen. Viele offene Fragen und Vermutungen beziehen sich auf Teilaspekte dieses Problems.

Einfachere Fragestellungen, die bereits die Schwierigkeit im Allgemeinen erahnen lassen, sind etwa: gibt es mehr Primzahlen unterhalb von als zwischen und ? Gibt es stets eine Primzahl zwischen und ? Gibt es stets eine Primzahl zwischen und ?

Es ist hilfreich, die folgende Funktion einzuführen, die Primzahlfunktion genannt wird.


Die für definierte Funktion

heißt Primzahlfunktion.


Die Primzahlfunktion zählt also, wie viele Primzahlen es unterhalb einer gewissen Schranke gibt. Sie nimmt offenbar nur natürliche Zahlen als Werte an und sie ist eine monton wachsende Treppenfunktion. Sie hat genau an den Primzahlen eine Sprungstelle. Die Frage nach der Verteilung von Primzahlen ist gleichbedeutend dazu, gute Approximationen bzw. Abschätzungen für sie durch andere, besser verstandene (analytische) Funktionen zu finden.


Ein Hauptresultat der analytischen Zahlentheorie ist der sogenannte Primzahlsatz von Hadamard und de la Vallée Pousin von 1896. Es besagt grob gesprochen, dass sich die Primzahlfunktion in etwa so verhält wie , also dass der Quotient der beiden Funktionen gegen konvergiert. Hier tritt der natürliche Logarithmus (zur Basis ) auf.



Es gilt die asymptotische Abschätzung

Das heißt

Dies ist ein Satz der analytischen Zahlentheorie, den wir hier nicht beweisen.

Den Primzahlsatz kann man auch so verstehen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zahl in der Größenordnung eine Primzahl ist, gleich ist. In der Tat ist sogar das Integral dazu, also der sogenannte Integrallogarithmus eine bessere Approximation für als . Für ist , und (die beiden letzten Werte gerundet).


Wir erwähnen abschließend ohne Beweis noch den Satz von Dirichlet. Einzelne Spezialfälle werden in den Aufgaben besprochen.


Es sei eine natürliche Zahl und eine zu teilerfremde Zahl. Dann gibt es unendlich viele Primzahlen, die modulo den Rest haben.

Dies ist ein Satz der analytischen Zahlentheorie, den wir im Rahmen dieser Vorlesung nicht beweisen können.


Generationenübergreifend forschen. Hier Paul Erdős und Terence Tao.

Der folgende Satz wurde 2004 von Ben Green und Terence Tao bewiesen.


Zu jedem gibt es arithmetische Progressionen der Länge , die nur aus Primzahlen bestehen.

Dies können wir hier nicht beweisen.

Eine arithmetische Progression innerhalb der Primzahlen der Länge ist

Die derzeit längste bekannte arithmetische Progression besitzt Glieder, nämlich


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