Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2008)/Vorlesung 15



Affine und quasiaffine Varietäten

Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und sei eine - Algebra von endlichem Typ. Dann nennt man das - Spektrum von , wobei alle Zariski-offenen Mengen mit dem Ring der algebraischen Funktionen versehen seien, eine affine Varietät.

Eine offene Teilmenge einer affinen Varietät, wobei ebenfalls alle offenen Mengen mit den Strukturringen versehen seien, nennt man eine quasiaffine Varietät. Eine quasiaffine Varietät wird überdeckt durch endlich viele offene Mengen der Form , welche selbst affine Varietäten sind. Manche Autoren nennen nur irreduzible -Spektren eine Varietät. Satz 14.9 sichert, dass man beim Übergang von zu nichts verliert, da man den Ring als zurückgewinnen kann. Dies ist aus dem topologischen Raum allein nicht möglich.



Lokale Ringe

Zu einem gegebenen Punkt in einem -Spektrum interessieren wir uns für die Menge aller algebraischen Funktionen, die in definiert sind und in einer gewissen Umgebung von eine rationale Darstellung besitzen. Dabei sind die algebraischen Funktionen auf unterschiedlichen Umgebungen definiert, und es gibt keine kleinste Umgebung, auf der alle in definierten algebraischen Funktionen definiert sind. Es liegt ein System von Ringen , , vor, das wir geometrisch und algebraisch verstehen wollen. Es stellt sich heraus, dass man diesem System einen sinnvollen Limes („direkter Limes“ oder „Kolimes“) zuordnen kann, und dass dieser mit der Lokalisierung an dem zu gehörenden maximalen Ideal übereinstimmt. Wir führen zunächst die algebraischen Begriffe ein.


Ein kommutativer Ring heißt lokal, wenn genau ein maximales Ideal besitzt.

Dazu ist äquivalent, dass das Komplement der Einheitengruppe von abgeschlossen unter der Addition ist. Die einfachsten lokalen Ringe sind die Körper. Zu jedem lokalen Ring gehört der Restklassenkörper , den man den Restekörper von nennt. Wir werden bald sehen, dass es zu jedem Punkt in einem -Spektrum einen zugehörigen lokalen Ring gibt, der das „lokale Aussehen“ der Varietät in dem Punkt algebraisch beschreibt.


Es sei ein kommutativer Ring und sei ein Primideal. Dann nennt man die Nenneraufnahme an die Lokalisierung von an . Man schreibt dafür . Es ist also

Der folgende Satz zeigt, dass diese Namensgebung Sinn macht.


Es sei ein kommutativer Ring und sei ein Primideal in .

Dann ist die Lokalisierung ein lokaler Ring mit maximalem Ideal

Die angegebene Menge ist in der Tat ein Ideal in der Lokalisierung

Wir zeigen, dass das Komplement von nur aus Einheiten besteht, sodass es sich um ein maximales Ideal handeln muss. Es sei also , aber nicht in . Dann sind und somit gehört der inverse Bruch ebenfalls zur Lokalisierung.



Quotientenkörper und Funktionenkörper

Wenn ein Integritätsbereich ist, so ist der Quotientenkörper eine Lokalisierung, und zwar am Primideal . Wir zeigen jetzt, dass für die zugehörige irreduzible affine Varietät jede algebraische Funktion in natürlicher Weise im Quotientenkörper liegt.


Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper, eine integre - Algebra von endlichem Typ, und sei eine offene nicht-leere Teilmenge.

Dann gibt es einen eindeutig bestimmten injektiven - Algebrahomomorphismus

Insbesondere ist jede auf einer nicht-leeren offenen Menge definierte algebraische Funktion ein Element im Quotientenkörper .

Es sei ein Punkt und die algebraische Funktion sei in einer Umgebung von durch gegeben, , . Dann kann man sofort als Element im Quotientenkörper auffassen. Es sei ein anderer Punkt mit einer Darstellung . Nach Lemma 14.8 und da ein Integritätsbereich vorliegt ist in . Daher ist der Quotient im Quotientenkörper wohldefiniert. Die Abbildung ist dann offensichtlich ein Ringhomomorphismus und das Diagramm

kommutiert. Die Abbildung ist auch durch die Eigenschaften eindeutig festgelegt, da die algebraischen Funktionen, die Elementen aus entsprechen, auf die zugehörigen Elemente im Quotientenkörper gehen müssen. Damit sind bereits die Bilder der Brüche festgelegt.

Die Injektivität ergibt sich daraus, dass aus im Quotientenkörper sofort folgt, und damit ist auch die zugehörige Funktion auf die Nullfunktion. Wenn es eine weitere Darstellung gibt, so folgt wiederum und erneut ist das die Nullfunktion.


Aus der Eindeutigkeit folgt ebenfalls sofort, dass für zwei offene Mengen das Diagramm

kommutiert, wobei links der Restriktionshomomorphismus steht. Wir werden im integren Fall von nun an eine algebraische Funktion mit dem zugehörigen Element im Quotientenkörper identifizieren.



Topologische Filter und ihre Halme

Das Ergebnis des letzten Abschnitts besagt, dass man den Quotientenkörper gewinnen kann als eine geordnete Vereinigung aller Schnittringe über alle nichtleeren offenen Mengen. Eine ähnliche Konstruktion kann man generell für sinnvoll strukturierte Systeme von offenen Mengen durchführen. Dazu benötigen wir den Begriff des Filters.


Es sei ein topologischer Raum. Ein System aus offenen Teilmengen von heißt Filter, wenn folgende Eigenschaften gelten ( seien offen).

  1. .
  2. Mit und ist auch .
  3. Mit und ist auch .
Schematische Darstellung eines Umgebungsfilters



Es sei ein topologischer Raum und sei eine Teilmenge. Dann nennt man das System

den Umgebungsfilter von .

Es handelt sich dabei offensichtlich um einen topologischen Filter. Insbesondere gibt es zu einem einzelnen Punkt den Umgebungsfilter . Der Umgebungsfilter fasst alle offenen Umgebungen des Punktes zusammen. Wenn zwei offene Umgebungen von gegeben sind zusammen mit zwei algebraischen Funktionen

so ergibt die Summe (ebensowenig das Produkt) zunächst keinen Sinn, da die Definitionsbereiche verschieden sind. Im integren Fall kann man beide Funktionen als Elemente im Quotientenkörper auffassen und dort addieren. Man kann aber auch zum Durchschnitt (der ebenfalls eine offene Umgebung des Punktes ist) übergehen und dort die Einschränkungen der beiden Funktionen addieren. Wichtig ist hierbei die Eigenschaft eines Filters, dass man zu je zwei offenen Mengen auch den Durchschnitt im Filter hat mit den zugehörigen Inklusionen

und den zugehörigen Restriktionen

Diese Beobachtung wird durch den Begriff der gerichteten Menge und des gerichteten Systems präzisiert.


Eine geordnete Menge heißt gerichtet geordnet oder gerichtet, wenn es zu jedem ein gibt mit .

Wir fassen einen topologischen Filter als eine durch die Inklusion geordnete Menge auf. Aus der Durchschnittseigenschaft eines Filters ergibt sich, dass eine gerichtete Menge vorliegt (Es ist dabei „“).


Es sei eine geordnete Indexmenge. Eine Familie

von Mengen nennt man ein geordnetes System von Mengen, wenn folgende Eigenschaften erfüllt sind.

  1. Zu gibt es eine Abbildung .
  2. Zu und ist .

Ist die Indexmenge zusätzlich gerichtet, so spricht man von einem gerichteten System von Mengen.

Wenn die beteiligten Mengen allesamt Gruppen (Ringe) sind und alle Abbildungen zwischen ihnen Gruppenhomorphismen (Ringhomomorphismen), so spricht man von einem geordneten bzw. gerichteten System von Gruppen (Ringen).


Es sei , , ein gerichtetes System von Mengen. Dann nennt man

den Kolimes (oder induktiven Limes) des Systems. Dabei bezeichnet die Äquivalenzrelation, bei der zwei Elemente und als äquivalent erklärt werden, wenn es ein mit und mit

gibt.

Bei dieser Definition ist insbesondere ein Element äquivalent zu seinem Bild für alle . Wenn ein gerichtetes System von Gruppen (Ringen) vorliegt, so kann man auf dem soeben eingeführten Kolimes der Mengen auch eine Gruppenstruktur (Ringstruktur) definieren. Dies beruht darauf, dass zwei Elemente in diesem Kolimes, die durch und repräsentiert seien, mit ihren Bildern in () identifiziert werden können. Dann kann man dort die Gruppenverknüpfung erklären, siehe Aufgabe 15.7. Unser Hauptbeispiel für ein gerichtetes System ist das durch einen topologischen Filter gerichtete System der Ringe

Der zugehörige Kolimes über dieses System bekommt einen eigenen Namen.


Es sei eine quasiaffine Varietät und sei ein topologischer Filter in . Dann nennt man

den Halm von in .

Den Halm im Umgebungsfilter eines Punktes nennt man auch den Halm in und schreibt dafür .



Es sei eine reduzierte kommutative Algebra von endlichem Typ über einem algebraisch abgeschlossenen Körper . Es sei ein Punkt im - Spektrum mit zugehörigem maximalen Ideal .

Dann gibt es eine natürliche Isomorphie (von -Algebren)

Der Halm hat eine eindeutige Struktur als -Algebra, da ja die Gesamtmenge zum Filter gehört. Es sei , . Dann ist auf der offenen Umgebung von definiert. Dabei gilt dort , sodass in dieser Menge und damit auch im Kolimes eine Einheit ist. Nach der universellen Eigenschaft der Nenneraufnahme gibt es also einen - Algebrahomomorphismus

den wir als bijektiv nachweisen müssen. Es sei zuerst . Dieses Element wird repräsentiert durch eine algebraische Funktion mit . Insbesondere gibt es eine rationale Darstellung für in , d.h. auf und . Daher ist ein Element in der Lokalisierung , und dieses wird auf geschickt.

Zur Injektivität sei gegeben mit und vorausgesetzt, dass es als Element im Halm ist. Dies bedeutet, dass es eine offene Umgebung von gibt, auf der die Nullfunktion ist. Wir können annehmen, dass diese offene Menge die Form hat. Wegen Korollar 14.11 gibt es dann auch eine Beschreibung . Das heisst nach Lemma 14.8, dass in ist. Dann ist auch in der Lokalisierung.



Es sei ein algebraisch abgeschlossener Körper und sei eine integre - Algebra von endlichem Typ. Sei eine offene Teilmenge.

Dann ist

(dabei wird der Durchschnitt im Quotientenkörper genommen).

Zu jedem Punkt gibt es Ringhomomorphismen und , die jeweils injektiv sind. Damit gibt es auch einen injektiven Ringhomomorphismus

Es sei ein Element im Durchschnitt rechts. Dann gibt es zu jedem Punkt eine Darstellung mit . Dies bedeutet direkt, dass eine algebraische Funktion auf ist.



Es sei eine irreduzible quasiaffine Varietät. Dann ist der Halm von über alle nichtleeren offenen Mengen von ein Körper, den man den Funktionenkörper von nennt.



<< | Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2008) | >>

PDF-Version dieser Vorlesung

Arbeitsblatt zur Vorlesung (PDF)