Kurs:Algebraische Kurven (Osnabrück 2008)/Vorlesung 27



Der projektive Raum
Die Geraden durch einen Punkt

Es sei ein Körper. Der projektive -dimensionale Raum besteht aus allen Geraden des durch den Nullpunkt, wobei diese Geraden als Punkte aufgefasst werden. Ein solcher Punkt wird repräsentiert durch homogene Koordinaten , wobei nicht alle sein dürfen, und wobei zwei solche Koordinatentupel genau dann den gleichen Punkt repräsentieren, wenn sie durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander übergehen.

Wir werden den projektiven Raum nach und nach mit zusätzlichen Strukturen versehen.



Es sei ein Körper und sei ein projektiver Raum. Es sei fixiert.

Dann gibt es eine natürliche Abbildung

Diese Abbildung ist injektiv und induziert eine Bijektion zu denjenigen Punkten des projektiven Raumes, bei denen die -te homogene Koordinate nicht ist. Die Umkehrabbildung wird durch

gegeben.

Der projektive Raum wird überdeckt von diesen affinen Räumen. Das Komplement eines solchen affinen Raumes ist ein -dimensionaler projektiver Raum.

Die Abbildung ist offensichtlich wohldefiniert, da die sicher stellt, dass mindestens eine homogene Koordinate nicht ist. Die Abbildung ist injektiv, da aus einer Gleichung der Form (für homogene Koordinaten)

sofort wegen der folgt. Die Umkehrabbildung ist auf der angegebenen Teilmenge wohldefiniert, und ist invers zu der Abbildung. Die Überdeckungseigenschaft ist klar, da für jeden Punkt des projektiven Raumes mindestens eine homogene Koordinate nicht ist. Das Komplement zu ist

mit keinerlei weiteren Einschränkung an die übrigen Variablen und mit der Identifizierung von zwei solchen Tupeln, wenn sie durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander übergehen.






Die projektive Gerade ist als die Menge der Geraden durch den Nullpunkt in der affinen Ebene gegeben. Eine solche Gerade ist entweder die -Achse oder aber eine Gerade, die die Gerade (also die zur -Achse parallele Gerade durch ) in genau einem Punkt schneidet. Umgekehrt liefert jeder Punkt eine eindeutig bestimmte Gerade durch den Nullpunkt. D.h. die projektive Gerade besteht aus einer affinen Gerade und einem weiteren Punkt, den man den „unendlich fernen“ Punkt nennt. Wichtig ist dabei aber, dass dieser unendlich ferne Punkt nicht wesensverschieden von den anderen Punkten ist. Wenn man eine beliebige Gerade durch den Nullpunkt nimmt sowie eine dazu parallele Gerade , so übernimmt die Rolle der affinen Geraden, und repräsentriert dann einen (von dieser affinen Geraden aus gesehen) unendlich fernen Punkt.




Die Punkte in der projektiven Ebene entsprechen den Geraden durch den Nullpunkt im affinen Raum . Jeder Punkt der projektiven Ebene wird repräsentiert durch ein Tupel , wobei nicht alle gleichzeitig sein dürfen und wobei zwei Koordinatentupel identifiziert werden, wenn sie durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander überführt werden können. Die projektive Ebene wird überdeckt durch drei affine Ebenen, nämlich

Dabei besteht aus allen Punkten, deren dritte Koordinate nicht ist. Durch Multiplikation mit kann man diese Punkte mit

identifizieren, sodass wirklich eine affine Ebene vorliegt. Das Komplement der affinen Ebene ist die Menge der Punkte, wo die dritte Komponente ist. Da man nach wie vor Punkte identifiziert, die durch Multiplikation mit einem Skalar ineinander überführbar sind, ist eine projektive Gerade. Ein Punkt auf dieser Geraden und der Nullpunkt von definieren die Gerade durch den Nullpunkt mit dem Richtungsvektor (und der homogenen Geradengleichung bzw. ). Man kann sich also die projektive Ebene gut vorstellen als eine affine Ebene, in der jede Gerade durch den Nullpunkt noch einen zusätzlichen („unendlich fernen“) Punkt definiert.





Nullstellen von homogenen Polynomen

Für ein beliebiges Polynom ergibt es keinen Sinn zu sagen, ob ein Punkt eine Nullstelle davon ist, da diese Eigenschaft nicht invariant unter der Multiplikation mit einem Skalar ist und daher vom Repräsentanten von abhängt. Für homogene Polynome sieht das anders aus.



Es sei ein Körper und sei ein homogenes Polynom vom Grad .

Dann gilt für einen Punkt und einen Skalar die Beziehung

Insbesondere verschwindet in genau dann, wenn für ein beliebiges in verschwindet.

Dies kann man auf den Fall eines Monoms vom Grad zurückführen. Für mit und gilt


Man beachte, dass es durch diese Aussage zwar wohldefiniert ist, ob ein homogenes Polynom an einem projektiven Punkt verschwindet oder nicht, dass es aber keinen Sinn ergibt, einem homogenen Polynom einen Wert an jedem Punkt des projektiven Raumes zuzuordnen. Ein homogenes Polynom definiert keine Funktion auf dem projektiven Raum.


Es sei ein Körper. Zu einem homogenen Polynom bezeichnet man die Menge

als die projektive Nullstellenmenge zu .

Wenn man bestimmen möchte, so kann man die disjunkte Zerlegung

(ebenso für jede andere Variable) ausnutzen. Zur Bestimmung von setzt man in die Variable gleich und muss die Lösungen im affinen Raum von finden. Dabei wird das Polynom inhomogen, gleichzeitig eliminiert man eine Variable. Die Dimension bleibt gleich, die Situation wird aber affin. Zur Bestimmung von setzt man in die Variable gleich und muss die Lösungen im projektiven Raum von finden. Hier eliminert man eine Variable, das Polynom bleibt homogen, man bleibt projektiv, die Dimension reduziert sich um .


Die einfachsten homogenen Polynome in sind die vom Grad , also Ausdrücke der Form

wobei nicht alle Koeffizienten gleichzeitig sein dürfen. Die affine Nullstellenmenge im ist ein -dimensionaler affiner Raum durch den Nullpunkt, die projektive Nullstellenmenge im ist isomorph zu einem -dimensionalen projektiven Raum.



Es sei ein Körper und ein Ideal. Das Ideal heißt homogen, wenn für jedes mit der homogener Zerlegung auch für alle homogenen Bestandteile ist.


Zu einem homogenen Ideal nennt man

das projektive Nullstellengebilde oder die projektive Varietät zu .


Der projektive Raum wird mit der Zariski-Topologie versehen, bei der die Mengen zu einem homogenen Ideal als abgeschlossen erklärt werden.

Die offenen Mengen des projektiven Raumes sind demnach die Mengen der Form zu einem homogenen Ideal . Dabei sind die offenen Mengen isomorph zu einem affinen Raum der Dimension .

Ein Punkt ist abgeschlossen, und zwar ist mit

Wenn ist, so kann man dies auch als schreiben. Die Erzeuger , , sind dann überflüssig. Dieses Ideal ist offenbar homogenen, und liegt in . Sei angenommen. Für einen weiteren Punkt folgt sofort für alle bzw.

sodass es sich projektiv um den gleichen Punkt handelt.

Das Ideal ist kein maximales Ideal im Polynomring, es ist aber maximal unter allen homogenen Idealen, die von verschieden sind. In definiert es eine Gerade durch den Nullpunkt, und zwar die Gerade, die dem projektiven Punkt entspricht.



Der projektive Raum über und über

Wir wollen uns ein Bild über die projektiven Räume für und machen. Die (reell) -dimensionale Sphäre ist

Dabei ist die euklidische Norm.



Man kann den reell-projektiven Raum durch die -dimensionale Sphäre modulo der Äquivalenzrelation repräsentieren, die antipodale Punkte miteinander identifiziert.

Den komplex-projektiven Raum kann man durch die -dimensionale Sphäre modulo der Äquivalenzrelation repräsentieren, die zwei Punkte miteinander identifiziert, wenn man mit einem schreiben kann.

Wir behandeln die beiden Fälle parallel. Jeder Punkt der Sphäre definiert eine (reelle oder komplexe) Gerade durch den Nullpunkt im umliegenden Raum oder und damit einen Punkt im projektiven Raum. Zwei Punkte definieren genau dann die gleiche Gerade, wenn es einen Skalar mit gibt. Wegen der Multiplikativität der Norm ist dann auch , woraus sich wegen sofort ergibt. Dies bedeutet im reellen Fall und im komplexen Fall, dass ist, also zum Einheitskreis gehört.


Wir haben insgesamt Abbildungen

(im reellen Fall) bzw.

(im komplexen Fall). Nach dem vorstehenden Lemma sind die Gesamtabbildungen jeweils surjektiv. Man versieht die reell und die komplex-projektiven Räume mit der Quotiententopologie zur metrischen Topologie des reellen Vektorraumes unter dieser Abbildung, d.h. man erklärt eine Teilmenge für offen, wenn das Urbild in offen ist. (dies ist äquivalent dazu, dass das Urbild auf der jeweiligen Sphäre offen ist). Mit dieser (metrischen oder natürlichen) Topologie auf dem projektiven Raum sind diese Abbildungen stetig. Dies hat folgende Konsequenz.



Für den reell-projektiven und den komplex-projektiven Raum sind

die Teilmengen offen in der natürlichen Topologie und homöomorph zu bzw. .

Insbesondere sind die reell- und komplex-projektiven Räume topologische Mannigfaltigkeiten.

Das Urbild von unter der kanonischen Abbildung ist , also das Komplement eines -dimensionalen Untervektorraumes und damit offen in der natürlichen Topologie. Wir betrachten die stetigen Abbildungen

Die Gesamtabbildung ist eine Bijektion und trägt die Quotiententopologie unter der zweiten Abbildung. Wir müssen zeigen, dass die Bijektion eine Homöomorphie ist. Dazu genügt es, die Offenheit der Abbildung zu zeigen. Es sei also offen und das zugehörige Bild in . Die Offenheit von ist nach Definition der Quotiententopologie äquivalent dazu, dass das Urbild von offen ist. Diese Menge besteht aus allen Punkten in , die auf einer Geraden durch den Nullpunkt und durch einen Punkt aus liegen. Es sei ein solcher Punkt, und mit und . Es sei eine offene Ballumgebung um in . Dann ist auch der dadurch definierte Kegel in offen und liegt ganz in .


Die projektive Gerade über ist eine Sphäre.



Die reell-projektiven und die komplex-projektiven Räume sind kompakt und hausdorffsch in der natürlichen Topologie.

Es gibt eine surjektive stetige Abbildung von einer Sphäre auf einen jeden projektiven Raum. Die Sphäre ist eine abgeschlossene und beschränkte Teilmenge eines reellen endlichdimensionalen Vektorraumes und daher nach dem Satz von Heine-Borel kompakt. Da das Bild einer kompakten Menge unter einer stetigen Abbildung nach Fakt ***** wieder kompakt ist, folgt, dass die projektiven Räume kompakt sind.

Für die Hausdorff-Eigenschaft seien zwei verschiedene Punkte. Man kann annehmen, dass sie beide auf einem der affinen überdeckenden Räume liegen. Damit gibt es nach Satz 27.12 trennende Umgebungen.



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