Kurs:Analysis (Osnabrück 2013-2015)/Teil I/Vorlesung 7



Weitere Eigenschaften der reellen Zahlen



Eine beschränkte und monotone Folge in

konvergiert.

Nach Voraussetzung ist die Folge wachsend und nach oben beschränkt oder fallend und nach unten beschränkt. Nach Lemma 6.8 liegt eine Cauchy-Folge vor, und diese konvergiert in .


Diese Aussage ist auch die Grundlage dafür, dass die Dezimalentwicklung stets eine (eindeutige) reelle Zahl definiert. Eine (unendliche) Dezimalentwicklung

mit (wir beschränken uns auf nichtnegative Zahlen) und für alle ist nämlich zu verstehen als die Folge der rationalen Zahlen

Diese ist offenbar monoton wachsend. Wir werden in einer der nächsten Vorlesung sehen, dass sie nach oben beschränkt ist (beispielsweise durch ), so dass dadurch in der Tat eine reelle Zahl definiert wird.

Eine weitere Möglichkeit, reelle Zahlen zu beschreiben, wird durch Intervallschachtelungen gegeben.


Es sei ein angeordneter Körper. Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen

in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also

gegen konvergiert.



Es sei , , eine Intervallschachtelung in .

Dann besteht der Durchschnitt

aus genau einem Punkt

.

Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.

Beweis

Siehe Aufgabe 7.19.


Genauer gilt, dass bei einer Intervallschachtelung sowohl die Folge der unteren Intervallgrenzen als auch die Folge der oberen Intervallgrenzen gegen ein und dieselbe Zahl konvergieren. Ebenso konvergiert jede Folge mit gegen diesen Grenzwert, siehe Aufgabe 7.10.

Die Vollständigkeit der reellen Zahlen sichert auch die Existenz einer eindeutig bestimmten Quadratwurzel für eine nichtnegative reelle Zahl.


Zu jeder nichtnegativen reellen Zahl

gibt es eine eindeutige nichtnegative reelle Zahl mit .

Diese Zahl heißt die Quadratwurzel von und wird mit bezeichnet.

Nach Aufgabe 5.1 kann es maximal zwei Zahlen geben, deren Quadrat gleich ist, und diese Zahlen sind wegen

negativ zueinander. Es kann also maximal nur eine nichtnegative Quadratwurzel geben. Die Existenz wird durch das babylonische Wurzelziehen gesichert, das eine Intervallschachtelung beschreibt. Nach Satz 7.3 legt eine Intervallschachtelung eine eindeutig bestimmte reelle Zahl fest. Nennen wir diese Zahl . Wir müssen zeigen, dass diese Zahl in der Tat eine Quadratwurzel von ist, dass also ist. Bei ist dies klar, wir nehmen also an. Die Intervallgrenzen sind rekursiv (bei einem Startwert ) durch

und bestimmt und die Folge konvergiert gegen . Dies gilt auch für die „verschobene“ Folge . Nach den Rechengesetzen für konvergente Folgen gilt somit

Dies ergibt

und somit .


Bei einer wachsenden, nach oben beschränkten Folge kann man den Grenzwert auch auffassen als das Supremum der Menge . Insofern ist die folgende Aussage eine weitreichende Verallgemeinerung von Korollar 7.1.


Jede nichtleere nach oben beschränkte Teilmenge der reellen Zahlen

besitzt ein Supremum in .

Es sei eine nichtleere, nach oben beschränkte Teilmenge. Es sei und eine obere Schranke für , d.h. es ist für alle . Wir konstruieren zwei Folgen und , wobei wachsend, fallend ist und jedes eine obere Schranke von ist (sodass insbesondere für alle ist), und so, dass eine Cauchy-Folge ist. Dabei gehen wir induktiv vor, d.h. die beiden Folgen seien bis bereits definiert und erfüllen die gewünschten Eigenschaften. Wir setzen

und

Dieses Punktepaar erfüllt die gewünschten Eigenschaften, und es ist

da in beiden Fällen der Abstand zumindest halbiert wird. Da die Folge wachsend und nach oben beschränkt ist, konvergiert sie nach Korollar 7.1 gegen einen Grenzwert, sagen wir . Ebenso ist die fallende Folge nach unten beschränkt und konvergiert gegen denselben Grenzwert .  Wir behaupten, dass dieses das Supremum von ist. Wir zeigen zuerst, dass eine obere Schranke von ist.  Sei dazu für ein angenommen. Da die Folge gegen konvergiert, gibt es insbesondere ein mit

im Widerspruch dazu, dass jedes eine obere Schranke von ist.
 Für die Supremumseigenschaft müssen wir zeigen, dass kleinergleich jeder oberen Schranke von ist. Sei dazu eine obere Schranke von und  nehmen wir an, dass ist. Da gegen konvergiert, gibt es wieder ein mit

im Widerspruch dazu, dass eine obere Schranke ist. Also liegt wirklich das Supremum vor.


Mit diesem Satz kann man einfach die Existenz von beliebigen Wurzeln nachweisen.


Es sei und . Es sei

Diese Menge ist wegen nicht leer und nach oben beschränkt (bei ist eine obere Schranke, sonst ist eine obere Schranke). Es sei , das es nach Satz 7.5 geben muss. Dann ist , d.h. ist eine -te Wurzel von , da sowohl die Annahme als auch die Annahme , zu einem Widerspruch führt, siehe Aufgabe 7.15.




Der Satz von Bolzano-Weierstraß


Die folgende Aussage heißt Satz von Bolzano-Weierstraß.


Es sei eine beschränkte Folge von reellen Zahlen.

Dann besitzt die Folge eine konvergente Teilfolge.

Die Folge sei durch

beschränkt. Wir definieren zuerst induktiv eine Intervallhalbierung derart, dass in den Intervallen unendlich viele Folgenglieder liegen. Das Startintervall ist . Es sei das -te Intervall bereits konstruiert. Wir betrachten die beiden Hälften

In mindestens einer der Hälften liegen unendlich viele Folgenglieder, und wir wählen als Intervall eine Hälfte mit unendlich vielen Gliedern. Da sich bei diesem Verfahren die Intervalllängen mit jedem Schritt halbieren, liegt eine Intervallschachtelung vor. Als Teilfolge wählen wir nun ein beliebiges Element

mit . Dies ist möglich, da es in diesen Intervallen unendlich viele Folgenglieder gibt. Diese Teilfolge konvergiert nach Aufgabe 7.10 gegen die durch die Intervallschachtelung bestimmte Zahl .


Eine äquivalente Formulierung ist, dass jede beschränkte Folge in einen Häufungspunkt besitzt.



Die eulersche Zahl e

Wir besprechen eine Beschreibung der sogenannten eulerschen Zahl .


Die Intervalle , , mit den Grenzen

definieren eine Intervallschachtelung.

Wegen ist klar, dass

ist, sodass also wirklich Intervalle vorliegen.
Um zu zeigen, dass die Intervalle ineinander liegen, zeigen wir, dass die unteren Grenzen wachsend und die oberen Grenzen fallend sind. Wir betrachten zuerst . Aufgrund der Bernoulli-Ungleichung gilt

Dies schreiben wir als

Daraus ergibt sich durch beidseitige Multiplikation mit (es sei .) die Abschätzung

Für die oberen Intervallgrenzen ergibt die Bernoullische Ungleichung die Abschätzung

Daraus folgt

Durch beidseitige Multiplikation mit ergibt sich


Wir betrachten schließlich die Intervalllängen. Diese sind

und konvergieren somit gegen .
  Also liegt insgesamt eine Intervallschachtelung vor.


Durch diese Intervallschachtelung ist aufgrund von Satz 7.3 eindeutig eine reelle Zahl bestimmt.


Die reelle Zahl

heißt Eulersche Zahl.

Ihr numerischer Wert ist

Wir werden bei der Behandlung der Exponentialfunktion auf die eulersche Zahl zurückkommen und eine andere Beschreibung dafür kennenlernen.


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