Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil I/Vorlesung 25

„Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe“
Isaac Newton



Das Archimedes-Axiom für die rationalen Zahlen



Zu jeder rationalen Zahl

gibt es eine natürliche Zahl mit

Sei

mit positivem . Wenn negativ ist, kann man jede natürliche Zahl nehmen. Wenn nicht negativ ist, so ist

und damit

gemäß der Definition der Ordnung auf den rationalen Zahlen.


Vor der folgenden Definition erinnern wir daran, dass jeder angeordnete Körper (und jeder angeordnete Ring ) die ganzen Zahlen enthält.


Es sei ein angeordneter Körper. Dann heißt archimedisch angeordnet, wenn das folgende Archimedische Axiom gilt, d.h. wenn es zu jedem eine natürliche Zahl mit

gibt.

Gemäß Lemma 25.1 sind die rationalen Zahlen archimedisch angeordnet. Die reellen Zahlen bilden ebenfalls, wie wir später in Lemma 46.7 sehen werden, einen archimedisch angeordneten Körper. Man kann sich darüber streiten, ob jeder angeordnete Körper, für den die Zahlengerade ein sinnvolles Modell ist, bereits archimedisch angeordnet ist. Da die Zahlengerade eine geometrisch-intuitives Konstrukt ist, lässt sich dies nicht endgültig entscheiden. Es geht um die Frage, ob die Vorstellung einer Zahlengeraden umfasst, dass es jenseits eines jeden Punktes auf der Geraden noch größere natürliche Zahlen gibt. Unabhängig davon sei bemerkt, dass es angeordnete Körper gibt, die nicht archimedisch angeordnet sind, siehe Aufgabe 50.30.



In einem archimedisch angeordneten Körper

gibt es zu jedem Element eine eindeutig bestimmte ganze Zahl mit

Dass es ganze Zahlen mit

gibt folgt unmittelbar aus der Definition bzw. für die untere Grenze aus Aufgabe 25.5. Da es nur endlich viele ganze Zahlen zwischen und gibt, findet man auch die zu nächstliegenden ganzen Zahlen.

Die letzte Aussage lässt sich gut mit Intervallen formulieren.


Es sei ein angeordneter Körper. Zu , , nennt man

    das abgeschlossene Intervall.

    das offene Intervall.

    das linksseitig offene Intervall.

    das rechtsseitig offene Intervall.

    Die Differenz nennt man die Intervalllänge. Bei spricht man von einem ganzzahligen Intervall, das Intervall heißt das (abgeschlossene) Einheitsintervall. Die obige Aussage bedeutet, dass jedes Element in einem archimedisch angeordneten Körper in einem eindeutig bestimmten Intervall der Form mit liegt.



    Gemischte Brüche

    Zu einer rationalen Zahl ist die Gaußklammer durch

    definiert.

    Diese ganze Zahl existiert nach Lemma 25.3, da wir uns in einem archimedisch angeordneten Körper befinden. Ein damit verwandtes Konzept ist die Rundung. Die Rundung einer rationalen (oder reellen) Zahl ist durch definiert. Sie gibt an, welche Ganze Zahl der Zahl am nächsten ist, wobei man die -Werte abrundet.


    Unter einem gemischten Bruch versteht man einen Ausdruck der Form

    mit einer natürlichen Zahl und einer rationalen Zahl mit und . Der Wert eines gemischten Bruches ist

    Die natürliche Zahl heißt der ganzzahlige Anteil und heißt der Bruchanteil. Ein gemischter Bruch ist eine besondere Darstellung für eine rationale Zahl, sie ist vor allem bei Mengen-, Zeit- und bei Längenangaben gebräuchlich, wie wenn man sagt, dass die Oper dreieinviertel Stunden gedauert hat. Vorteile sind, dass durch den ganzzahligen Anteil die Größenordnung der Zahl unmittelbar ersichtlich ist und dass sich diese Darstellung ergibt, wenn man bei einem gegebenen Bruch die Division mit Rest von Zähler durch Nenner durchführt. Ein Nachteil ist die Verwechslungsgefahr von mit dem Produkt . In einem Kontext, in dem man mit gemischten Brüchen arbeitet, muss man auf die Konvention, dass man das Produktzeichen weglassen darf, verzichten. Was gemischte Brüche für negative Zahlen sind ist auch heikel.

    Jede positive rationale Zahl besitzt eine Darstellung als gemischter Bruch, die bis auf das Kürzen des Bruchanteils eindeutig bestimmt ist. Zu einem Bruch erhält man die Darstellung als gemischter Bruch, indem man die Division mit Rest

    mit durchführt und die Umformung

    vornimmt. Insbesondere ist . Bei der Weiterverarbeitung eines gemischten Bruches arbeitet man mit . Dies kann man in einen ungemischten Bruch zurückrechnen, was aber nicht immer von Vorteil ist. Wenn man beispielsweise die beiden gemischten Brüche und miteinander addieren und das Ergebnis als gemischten Bruch haben möchte, so kann man von ausgehen und muss für die Summe der Brüche hinten nur überprüfen, ob diese übertrifft oder nicht und gegebenenfalls zum ganzen Anteil dazuschlagen.



    Das Archimedes-Prinzip für kleine Zahlen


    Die folgende wichtige Aussage sollte man so lesen: Egal wie groß ist und egal wie klein ein positives ist, man kann stets mit hinreichend vielen die Zahl übertreffen. Egal wie klein eine Strecke ist, wenn man sie hinreichend oft hintereinander legt, übertrifft man damit jede gegebene Strecke. Mit Sandkörnern beliebig kleiner Größe kann man eine beliebig große Sanddüne aufbauen.


    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper.

    Dann gibt es zu mit stets ein mit .

    Wir betrachten . Aufgrund des Archimedes-Axioms gibt es ein mit . Da positiv ist, gilt nach Lemma 19.13 auch .



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper. Es sei .

    Dann gibt es eine natürliche Zahl mit .

    Es ist eine nach Lemma 24.5  (1) positive Zahl und daher gibt es eine natürliche Zahl mit . Dies ist nach Lemma 24.5  (4) äquivalent zu


    Bei den beiden folgenden Aussagen denke man bei an eine sehr große und bei an eine sehr kleine Zahl.


    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und .

    Dann gibt es zu jedem eine natürliche Zahl mit

    Wir schreiben  mit . Aufgrund von Lemma 25.7 gibt es eine natürliche Zahl mit . Damit gilt unter Verwendung der Bernoulli-Ungleichung die Abschätzung



    Es sei ein archimedisch angeordneter Körper und mit .

    Dann gibt es zu jedem positiven eine natürliche Zahl mit

    Sei und . Nach Lemma 25.9 gibt es ein mit

    Durch Übergang zu den inversen Elementen erhält man gemäß Lemma 24.5  (4) die Behauptung.



    Monotone Abbildungen

    Abbildungen eines angeordneten Körpers in sich kann man dahingehend untersuchen, ob sie die Ordnung beibehalten oder verändern.


    Es sei ein angeordneter Körper und eine Teilmenge. Eine Abbildung

    heißt wachsend, wenn für je zwei Elemente mit auch gilt.


    Es sei ein angeordneter Körper und eine Teilmenge. Eine Abbildung

    heißt streng wachsend, wenn für je zwei Elemente mit auch gilt.


    Es sei ein angeordneter Körper und eine Teilmenge. Eine Abbildung

    heißt fallend, wenn für je zwei Elemente mit die Abschätzung gilt.


    Es sei ein angeordneter Körper und eine Teilmenge. Eine Abbildung

    heißt streng fallend, wenn für je zwei Elemente mit die Abschätzung gilt.

    Als gemeinsame Bezeichnung spricht man von (streng) monotonen Funktionen.



    Es sei ein angeordneter Körper, eine Teilmenge und

    eine streng wachsende (oder streng fallende) Funktion.

    Dann ist injektiv.

    Es seien verschieden. Da wir in einem angeordneten Körper sind, ist oder , wobei wir ohne Einschränkung den ersten Fall annehmen können. Bei streng wachsender Monotonie folgt daraus

    und insbesondere sind und verschieden, also ist die Abbildung injektiv.


    Es sei ein Körper. Eine Funktion der Form

    mit einem festen heißt lineare Funktion.

    Lineare Funktionen drücken eine Proportionalität aus.


    Es sei ein angeordneter Körper, und

    die zugehörige lineare Funktion. Dann gelten folgende Aussagen.

    1. Bei ist streng wachsend.
    2. Bei ist konstant und damit (nicht streng) wachsend und fallend.
    3. Bei ist streng fallend.

    Die Aussagen folgen aus Lemma 19.13, wenn man dort durch ersetzt. Wir führen dies für (1) aus. Sei

    und . Dann ist

    und damit

    also

    und somit

    Insbesondere ist die Negation

    streng fallend.

    Die Funktionen, deren Monotonieverhalten in der folgenden Aussage besprochen wird, heißen Potenzfunktionen.

    Die zweite Potenz ist im Positiven streng wachsend und im Negativen streng fallend.
    Die dritte Potenz ist auf ganz bzw. streng wachsend.



    Es sei ein angeordneter Körper und . Dann gelten folgende Aussagen.

    1. Die Abbildung

      ist streng wachsend.

    2. Die Abbildung

      ist bei ungerade streng wachsend.

    3. Die Abbildung

      ist bei gerade streng fallend.

    Der erste Teil folgt unmittelbar durch -fache Anwendung von Lemma 19.13  (6), die beiden weiteren Teile ergeben sich daraus durch Berücksichtigung der Negation und Lemma 25.17  (3).



    Antiproportionale Zusammenhänge

    In einem Körper sind zu

    und einer negativen ganzen Zahl

    mit auch die Ausdrücke

    sinnvoll definiert und ergeben sinnvolle Funktionen

    die man, wenn ein geordneter Körper vorliegt, ähnlich zu Lemma 25.18 auf das Monotonieverhalten hin untersuchen kann. Hierbei muss man hauptsächlich die Invertierungsfunktion

    verstehen.

    Den Graphen der Invertierungsfunktion nennt man auch Hyperbel.



    Es sei ein angeordneter Körper.

    Dann ist die Abbildung

    streng fallend und ebenso ist

    streng fallend.

    Dies folgt direkt aus Lemma 24.5  (4) und Lemma 19.13  (2).

    Obwohl die Invertierungsfunktionen auf den beiden Abschnitten, auf denen sie definiert ist, streng fallend ist, ist sie insgesamt nicht streng fallend. Wenn zwischen zwei Größen die Beziehung

    mit einer Konstanten besteht, so spricht man von einem antiproportionalen Zusammenhang oder einem reziproken Zusammenhang.


    Es sei ein angeordneter Körper und . Dann gelten folgende Aussagen.

    1. Die Abbildung

      ist streng fallend.

    2. Die Abbildung

      ist bei ungerade streng fallend.

    3. Die Abbildung

      ist bei gerade streng wachsend.

    Dies folgt wegen

    und Lemma 24.5  (4) aus Lemma 25.18.


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