Kurs:Grundkurs Mathematik (Osnabrück 2018-2019)/Teil I/Vorlesung 26



Dezimalbrüche

Zu jeder rationalen Zahl kann man die Potenzen , , betrachten. Bei ganzzahligem sind die (beliebig) groß für positives und (beliebig) klein für negatives . Solche Potenzen stellen ein wichtiges Vergleichsmaß für die Größenordnung von Zahlen dar. Da wir im Dezimalsystem arbeiten, sind insbesondere die Zehnerpotenzen , , wichtig. Für treten die Zehnerpotenzen insbesondere bei der Dezimaldarstellung natürlicher Zahlen auf. Die Zehnerpotenzen zu negativem spielen auch eine wichtige Rolle bei der Erfassung und Beschreibung von beliebigen rationalen Zahlen.


Eine rationale Zahl, die man mit einer Zehnerpotenz als Nenner schreiben kann, heißt Dezimalbruch.

Dezimalbrüche sind beispielsweise sämtliche ganzen Zahlen (man kann als Nenner nehmen), ferner Zahlen wie

Nach unserer Definition liegt ein Dezimalbruch vor, wenn man die dadurch gegebene rationale Zahl mit einer Zehnerpotenz als Nenner schreiben kann. Das heißt nicht, dass die Zahl in dieser Form vorliegen muss. Beispielsweise sind auch die Brüche

Dezimalbrüche, da man sie nach einer Erweiterung mit einer Zehnerpotenz als Nenner schreiben kann. Dies gilt für alle Brüche mit der Eigenschaft, dass in der Primfaktorzerlegung des Nenners nur Potenzen von und von vorkommen. Wenn der Bruch gekürzt ist, so sind genau die Brüche der Form die Dezimalbrüche, siehe Aufgabe 26.14.

Die Linealversion der Zahlengeraden markiert neben den ganzen Zahlen die ganzzahligen Vielfachen des Dezimalbruches . Wenn man den Meter als Einheit nimmt, zeigt es die ganzzahligen Vielfachen von .


Einen Dezimalbruch (mit ) kann man auch in der Form schreiben. Dies ergibt wohl die kompakteste Charakterisierung eines Dezimalbruches, eine rationale Zahl der Form

Aus dieser Darstellung ist unmittelbar ersichtlich, dass man Dezimalbrüche miteinander addieren und multiplizieren kann und dabei wieder einen Dezimalbruch erhält.


Die Summe und das Produkt von zwei Dezimalbrüchen ist wieder ein Dezimalbruch. Das Negative eines Dezimalbruches ist ein Dezimalbruch.

Die Menge der Dezimalbrüche bilden einen kommutativen Ring[1] innerhalb der rationalen Zahlen.

Die Brüche seien

und

mit und mit . Wegen der Symmetrie können wir annehmen. Dann ist

wieder von der gleichen Bauart, also ein Dezimalbruch. Für das Produkt ist

Die anderen Behauptungen sind ebenfalls klar.


Die Menge der Dezimalbrüche bilden keinen Körper, da zwar sämtliche ganzen Zahlen Dezimalbrüche sind, ihre inversen Elemente aber im Allgemeinen nicht. Beispielsweise sind und keine Dezimalbrüche. Für zwei Dezimalbrüche ist es einfach, einen Hauptnenner zu finden, da die Nenner im gekürzten Fall grundsätzlich von der Form sind. Insofern spielt sich bei Rechnungen mit Dezimalbrüchen alles Wesentliche im Zähler ab.


Es ist

und




Dezimaldarstellung für Dezimalbrüche

Wenn man für einen Dezimalbruch, sagen wir

für den Zähler die Dezimalentwicklung einsetzt, so erhält man

In diesem Sinne kann man jeden Dezimalbruch auf die Form

mit Ziffern und ganzen Zahlen

bringen, wobei der untere Summationsindex bei einem echten Dezimalbruch (also keiner ganzen Zahl) negativ ist. Von dieser Beobachtung her ist es naheliegend, die Dezimaldarstellung auf Dezimalbrüche auszudehnen. Dadurch erhält man abbrechende[2]

„Kommazahlen“.


Es sei ein Dezimalbruch

mit , , und gegeben, und es sei

die Dezimaldarstellung von . Dann nennt man

die Darstellung des Dezimalbruches im Dezimalsystem.

Diese Darstellung verwendet also direkt die Zifferndarstellung von , wobei allein ein Komma eingeführt wird, und zwar so, dass hinter dem Komma genau Ziffern stehen, nämlich die hinteren Ziffern von . Dabei darf man hintere Nullen weglassen. Wenn weniger als Stellen besitzt, muss man dies vorne durch hinreichend viele Nullen auffüllen. Wegen Satz 14.3 ist diese Darstellung eindeutig.

Für ergibt sich die folgende Tabelle.

Potenz Bruch Kommazahl

Die Potenz ist also der Bruch, wo im Nenner Ziffern stehen, nämlich eine und Nullen, und das ist zugleich die Kommazahl, bei der nach dem Komma Ziffern stehen, nämlich Nullen und eine . Für Umrechnungen ist auch folgende Beobachtung hilfreich: Wenn man eine Kommazahl mit multipliziert, so verschiebt sich das Komma um eine Stelle nach rechts, wenn man sie mit multipliziert, verschiebt sich das Komma um eine Stelle nach links. Die Stelle zu nennt man auch die -te Nachkommastelle, die entsprechende Ziffer die -te Nachkommaziffer.

Das Rechnen mit Kommazahlen ist einfach, allerdings ist das richtige Setzen des Kommas eine Fehlerquelle.

Der Größenvergleich zwischen zwei Dezimalbrüchen im Dezimalsystem ist einfach (wir beschränken uns auf positive Zahlen). Man schreibt die beiden Zahlen übereinander, wobei die beiden Kommata übereinander stehen müssen. Dann vergleicht man wie bei den ganzen Zahlen (siehe Korollar 15.4) von links nach rechts.



Dezimalbrüche im Dezimalsystem addiert man wie ganze Zahlen im Zehnersystem, d. h., man addiert von hinten nach vorne mit Übertrag, wobei die beiden Kommata deckungsgleich sein müssen. Beispielsweise ist

Dieses Verfahren ist korrekt nach Satz 15.6, da im Wesentlichen die Zähler bezogen auf einen gemeinsamen Nenner addiert werden.


Dezimalbrüche im Dezimalsystem multipliziert man wie ganze Zahlen im Zehnersystem, d.h. man multipliziert die eine Zahl nacheinander mit allen Ziffern der anderen Zahl. Abschließend muss man das Komma richtig setzen. Dazu zählt man die Stellen hinter den Kommata der beiden Zahlen zusammen und setzt an der entsprechenden Stelle im Produkt von hinten gezählt das Komma. Dabei muss man, wenn hinten die Zahlen mit bzw. enden, die sich ergebende mitzählen (bei ganzen Zahlen darf man die ja auch nicht weglassen), auch wenn sie letztendlich weggelassen werden darf. Dieses Verfahren ist korrekt, da ihm die Gleichung

zugrunde liegt. Bei nicht zu großen und nicht zu kleinen Zahlen kann man auch durch eine Überschlagsrechnung entscheiden, wo das Komma hingehört.


Wenn man beispielsweise rechnen möchte, so kann man zuerst berechnen und dann zwei Stellen von hinten gezählt das Komma setzen, also .



Approximation durch Dezimalzahlen

Eine wichtige Motivation zur Einführung der rationalen Zahlen war, beliebige Längen, die beispielsweise bei der gleichmäßigen Unterteilung einer gegebenen Strecke auftreten, möglichst gut messen zu können. Dies können wir erst dann präzise formulieren, wenn wir die reellen Zahlen zur Verfügung haben. Die folgende Aussage zeigt, dass man rationale Zahlen selbst schon beliebig gut mit Dezimalbrüchen approximieren (annähern) kann. Wenn es also nur darum geht, beliebige Längen approximativ zu beschreiben, so sind die Dezimalbrüche genauso gut wie die deutlich größere Menge aller rationalen Zahlen.


Zu jeder rationalen Zahl und jedem

gibt es ein eindeutig bestimmtes derart, dass

gilt.

D.h., dass man jede rationale Zahl beliebig gut (nämlich mit einem Fehler, der maximal gleich ist) durch Dezimalbrüche approximieren kann.

Es sei

Dann ist

Division durch ergibt die Behauptung. Der Zusatz ergibt sich daraus, dass man nach Korollar 25.10 jede beliebige positive Fehlergenauigkeit durch eine geeignete Zehnerpotenz mit einem negativen Exponenten unterbieten kann.

In diesem Satz gibt das über die Potenz vor, wie groß der Fehler sein darf. Man sagt dann auch, dass die Approximation bis zur -ten Nachkommaziffer genau ist.

Es sei . Wenn man beispielsweise einen Taschenrechner mit acht Nachkommastellen hat, so ergibt sich zu die Zahl als Ergebnis, wenn man eingibt und das Komma in der Darstellung ignoriert.


Wir wenden Lemma 26.8 auf mit an. Eine Rechnung des Taschenrechners mit menschlichen Korrekturen liefert

Die beiden Dezimalbrüche links und rechts sind also eine Approximation des wahren Bruches mit einem Fehler, der kleiner als ist.


Die Rechnung im vorangehenden Beispiel beruht auf dem Divisionsalgorithmus, den wir noch nicht besprochen haben. Lemma 26.8 besagt, dass es eine solche eindeutig bestimmte Zahl geben muss. Dass die angeführten Abschätzungen gelten, kann man einfach überprüfen, indem man die beiden Dezimalzahlen mit multipliziert.

Mit der Approximation von rationalen Zahlen durch Dezimalzahlen geht die Dezimalrundung einher. Bei der Rundung auf eine ganze Zahl schaut man einfach nach der ganzzahligen Approximation im Sinne von Lemma 25.3 und nimmt von der unteren und der oberen Approximation diejenige, die näher ist (wobei man bei gleichem Abstand aufrundet). Bei der Dezimalrundung von zur Stellenanzahl (bzw. zur Genauigkeit ) führt man dies für die Nenner bzw. in der Approximation aus Lemma 26.8 durch. Die Zahl ist beispielsweise auf zwei Nachkommastellen gerundet gleich . Häufig finden sich auch Rundungsangaben von der Form .



Halbierung und Division durch

Einen im Dezimalsystem gegebenen Dezimalbruch kann man einfach durch teilen, indem man einfach das Komma um eine Stelle nach links verschiebt. Die Zahl , die die Grundlage des Dezimalsystems ist, hat die beiden Teiler und . Durch diese beiden Zahlen kann man ebenfalls teilen und erhält wieder einen Dezimalbruch (was für andere Primzahlen nicht stimmt). Ein wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist, dass die Division durch das gleiche ist wie Multiplikation mit (also im Wesentlichen Multiplikation mit ) und dass die Division durch das gleiche ist wie die Multiplikation mit . Daher sind diese Divisionen im Dezimalsystem algorithmisch besonders einfach durchzuführen. Eine Besonderheit liegt darin, dass die Ziffern des Ergebnisses nur von der entsprechenden und von der um eins höherstelligen Ziffer des Dividenden abhängen. Man braucht keinen Übertrag und kann an jeder beliebigen Stelle anfangen.


Es sei

ein Dezimalbruch, für den die Halbierung (also die Division durch ) durchgeführt werden soll. Dazu führt man für jede Ziffer für

die Division mit Rest durch durch, d.h. man berechnet

Aus diesen Zahlen berechnet man

Dies sind die Ziffern der Halbierung von , also

Da die Ziffern zwischen und liegen, sind die zwischen und und die sind oder . Ohne die Division mit Rest kann man diesen Algorithmus auch mit der folgenden Fallunterscheidung darstellen. Es ist

Kurz gesagt: Man nehme von die abgerundete Hälfte und erhöhe dies um , falls die davorstehende Ziffer ungerade ist. Oder: Man teile jeweils die zweistellige Zahl durch und schreibe davon die Einerziffer an die -te Stelle hin (die Zehnerziffer muss nicht ausgerechnet werden). Man muss also nur zweistellige Zahlen durch dividieren können.


Wir wollen den Dezimalbruch mit dem Verfahren halbieren. Wir fangen hinten an, auch wenn wir an jeder Stelle anfangen könnten, und zwar an der Stelle mit dem Index (die Zehntausendstel-Stelle). Es ist (das Aufschreiben ist mühseliger als die Durchführung) , und weil ungerade ist, ist

Aus ergibt sich und da ungerade ist, ist


Aus ergibt sich und da gerade ist, ist

So fährt man fort und erhält schließlich




Der Algorithmus zur Berechnung der Halbierung eines Dezimalbruches ist korrekt.

Die Division durch ist die Multiplikation mit , also die Multiplikation mit . Man muss also die Zahl mit multiplizieren und anschließend durch dividieren, was in der Dezimaldarstellung lediglich eine Kommaverschiebung bedeutet. Die Korrektheit des Algorithmus beruht daher auf der Korrektheit des speziellen Algorithmus für die Multiplikation mit , siehe Bemerkung 16.5.


Auch für die Division durch gibt es einen entsprechenden Algorithmus.


Es sei

ein Dezimalbruch, für den der fünfte Anteil (also die Division durch ) berechnet werden soll. Dazu führt man für jede Ziffer für

die Division mit Rest durch durch, d.h. man berechnet

Aus diesen Zahlen berechnet man

Dies sind die Ziffern der Fünftelung von , also

Kurz gesagt: Man nehme von das abgerundete Fünftel (das oder ist) und addiere das Doppelte des Fünferrestes der Ziffer dazu. Oder: Man teile jeweils die zweistellige Zahl durch und schreibe davon die Einerziffer hin (die Zehnerziffer muss nicht ausgerechnet werden). Man muss also nur zweistellige Zahlen durch dividieren können.



Der Algorithmus zur Berechnung des fünften Anteils eines Dezimalbruches ist korrekt.

Beweis

Siehe Aufgabe 26.32.

Wenn man beispielsweise durch teilt, so hängt die Ziffer des Ergebnisses nicht nur von zwei Ziffern, sondern von drei Ziffern ab, wie und zeigt.

Die in dieser Vorlesung angestellten Betrachtungen kann man in jedem Zahlensystem wie hier im Zehnersystem durchführen. Die Aussagen gelten entsprechend, wobei die zuletzt genannten Ergebnisse dann für die Teiler der Grundzahl gelten.



Fußnoten
  1. Man spricht von einem Unterring.
  2. Bei unendlichen Kommazahlen handelt es sich um ein viel komplizierteres Konzept, das wir erst richtig im zweiten Semester verstehen werden.


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