Kurs:Kommutative Algebra/Teil I/Vorlesung 15



Multiplikative Systeme

Wir wollen zeigen, dass es zu jedem Integritätsbereich einen Körper gibt derart, dass ein Unterring von wird. Diesen Körper werden wir dann den Quotientenkörper von nennen. Die Konstruktion ist dieselbe, mit der man aus den ganzen Zahlen die rationalen Zahlen gewinnt.


Es sei ein kommutativer Ring. Eine Teilmenge heißt multiplikatives System, wenn die beiden Eigenschaften

  1. ,
  2. Wenn , dann ist auch ,

gelten.

Wir erwähnen einige Beispiele von multiplikativen Systemen. Zunächst ist natürlich der Gesamtring, die Menge und die Einheitengruppe ein multiplikatives System. Darüber hinaus erwähnen wir die folgenden Beispiele.


Es sei ein kommutativer Ring und ein Element. Dann bilden die Potenzen , , ein multiplikatives System.



Die Nichtnullteiler bilden ein multiplikatives System in einem kommutativen Ring. Die ist wie jede Einheit ein Nichtnullteiler, und wenn und Nichtnullteiler sind, so ist auch deren Produkt ein Nichtnullteiler, da aus zunächst und daraus folgt.



Es sei ein Integritätsbereich. Dann bilden alle von verschiedenen Elemente in ein multiplikatives System, das mit bezeichnet wird.



Ein Ideal in einem kommutativen Ring heißt Primideal, wenn ist und wenn für mit folgt: oder .


Es sei ein kommutativer Ring und ein Primideal. Dann ist das Komplement ein multiplikatives System. Dies folgt unmittelbar aus der Definition.



Es sei ein faktorieller Bereich und sei eine Menge von Primelementen. Dann ist die Menge aller Elemente aus , in deren Primfaktorzerlegung ausschließlich Primelemente aus vorkommen, ein multiplikatives System . Es ist also




Es seien und kommutative Ringe und sei

ein Ringhomomorphismus.

Dann ist das Urbild der Einheitengruppe ein multiplikatives System.

Beweis

Das ist trivial.




Nenneraufnahme

Unser nächstes Ziel ist es, zu einem multiplikativen System einen Ring zu konstruieren mit der Eigenschaft, dass die Elemente aus dort zu Einheiten werden, und dieser Ring minimal mit dieser Eigenschaft ist. Die Konstruktion beruht auf einer einfachen Äquivalenzrelation.


Es sei ein kommutativer Ring und ein multiplikatives System. Auf der Produktmenge nennt man die durch

falls es ein mit gibt, die durch das multiplikative System gegebene Überkreuzrelation.



Es sei ein kommutativer Ring und ein multiplikatives System.

Dann ist die Überkreuzrelation auf der Produktmenge eine Äquivalenzrelation. Für die Äquivalenzklassen ist durch

eine wohldefinierte Addition und durch

eine wohldefinierte Multiplikation gegeben, derart, dass die Quotientenmenge ein kommutativer Ring wird.

Beweis

Siehe Aufgabe 15.1.



Es sei ein kommutativer Ring und ein multiplikatives System. Dann versteht man unter der Nenneraufnahme zu die Quotientenmenge zur Überkreuzrelation auf mit den in Lemma 15.10 beschriebenen Verknüpfungen. Die Nenneraufnahme wird mit bezeichnet.

Für die Nenneraufnahme an dem von einem Element erzeugten multiplikativen System schreibt man einfach statt . Die Elemente aus dem multiplikativen System werden in zu Einheiten, und zwar ist das Inverse zu . Die Nenneraufnahme an in einem Integritätsbereich spielt eine besondere Rolle. Dort werden sämtliche Elemente zu Einheiten und es entsteht somit ein Körper.


Zu einem Integritätsbereich ist der Quotientenkörper als die Menge der formalen Brüche

mit natürlichen Identifizierungen und Operationen definiert.

Die einfachste rationale Funktion (von den Polynomen abgesehen) ist .

Die wichtigsten Beispiele für einen Quotientenkörper sind die rationalen Zahlen und der Quotientenkörper des Polynomrings in einer Variablen über einem (Grund-)körper . Man bezeichnet ihn mit und nennt ihn den Körper der rationalen Funktionen (über ). In der Tat definiert ein Bruch aus zwei Polynomen , , eine Funktion

wobei das Komplement der Nullstellenmenge von bezeichnet. Wie schon im Fall von Polynomen und den dadurch definierten polynomialen Funktionen muss man auch hier vorsichtig sein und darf nicht die formalen Brüche mit den dadurch definierten Funktionen gleichsetzen, auch wenn dies bei die Vorstellung unterstützt.



Es seien und kommutative Ringe und sei ein multiplikatives System. Es sei

ein Ringhomomorphismus derart, dass eine Einheit in für alle ist.

Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Ringhomomorphismus

der fortsetzt.

Damit die Ringhomomorphismen kommutieren muss für und damit sein. Es kann also maximal einen solchen Ringhomomorphismus geben, der durch die letzte Gleichung definiert sein muss.

Es ist zu zeigen, dass dadurch ein wohldefinierter Ringhomomorphismus gegeben ist. Zum Nachweis der Wohldefiniertheit sei mit . Dies bedeutet, dass es ein mit gibt. Dann ist auch

und durch Multiplizieren mit der Einheit folgt

Wir zeigen exemplarisch für die Addition, dass ein Ringhomomorphismus vorliegt. Es ist



Die folgende Aussage kann man so verstehen, dass der Quotientenkörper der minimale Körper ist, in dem man einen Integritätsbereich als Unterring realisieren kann.


Es sei ein Integritätsbereich mit Quotientenkörper . Es sei

ein injektiver Ringhomomorphismus in einen Körper .

Dann gibt es einen eindeutig bestimmten Ringhomomorphismus

mit

wobei die kanonische Einbettung

bezeichnet.

Dies folgt unmittelbar aus Satz 15.13.



Es sei ein kommutativer Ring, ein Ideal und ein multiplikatives System.

Dann gibt es eine natürliche Ringisomorphie

wobei links die Nenneraufnahme am Bild des multiplikativen Systems in bezeichnet.




Der Satz von Gauß

Wir wollen nun für einen faktoriellen Integritätsbereich zeigen, dass auch der Polynomring faktoriell ist. Speziell ergibt sich daraus induktiv, dass für einen Körper die Polynomringe in beliebig vielen Variablen faktoriell sind, obwohl sie nur bei einer Variablen Hauptidealbereiche sind. Es liegt nahe, dabei mit dem Quotientenkörper zu arbeiten und Teilbarkeitseigenschaften in mit denen in zu vergleichen. Da letzteres ein Hauptidealbereich ist, ist darüber viel bekannt.

In den folgenden Beweisen werden zwei einfache Beobachtungen wiederholt zur Anwendung kommen. Ein konstantes Polynom teilt ein Polynom genau dann, wenn jeden Koeffizienten teilt. Und zu einem Polynom gibt es stets ein (nämlich einen Hauptnenner der ) derart, dass zu gehört.


Es sei ein kommutativer Ring und sei der Polynomring über . Es sei ein Primelement.

Dann ist auch in prim.

Sei .  Wir nehmen an, dass weder noch teilt. Dann teilt nicht alle Koeffizienten von und von . Es sei und und es seien bzw. die kleinsten Indizes derart, dass (bzw. ) kein Vielfaches von ist (für alle kleineren Indizes sind die Koeffizienten also Vielfache von ). Wir betrachten den -ten Koeffizienten von , dieser ist

Die Summanden links sind Vielfache von aufgrund der Wahl von und die Summanden rechts sind ebenso Vielfache von . Da auch der Gesamtkoeffizient nach Voraussetzung ein Vielfaches von ist, muss auch der mittlere Summand ein Vielfaches von sein. Da prim ist, ist dies ein Widerspruch.



Es sei ein faktorieller Bereich und der zugehörige Quotientenkörper. Es sei ein nicht-konstantes Polynom derart, dass in nur Faktorzerlegungen  mit möglich sind.

Dann ist irreduzibel in .

 Nehmen wir an, es gebe eine nicht-triviale Faktorzerlegung  mit nicht-konstanten Polynomen . Sowohl in als auch in kommen nur endlich viele Nenner aus vor, sodass man mit einem gemeinsamen Hauptnenner multiplizieren kann und somit eine Darstellung  mit erhält. Dabei haben sich die Grade der beteiligten Polynome nicht geändert. Es sei die Primfaktorzerlegung von . Nach Lemma 15.16 ist auch im Polynomring prim. Da es das Produkt teilt, muss es einen der Faktoren teilen, sagen wir . Dann kann man mit kürzen und erhält eine Gleichung der Form

Dabei ändern sich wieder die Grade nicht. So kann man sukzessive alle Primfaktoren wegkürzen und erhält schließlich eine Zerlegung

mit nicht konstanten Polynomen  im Widerspruch zur Voraussetzung.



Es sei ein faktorieller Bereich.

Dann ist auch der Polynomring faktoriell.

Wir zeigen, dass jedes irreduzible Element prim ist und dass jedes Polynom eine Zerlegung in irreduzible Polynome besitzt. Es sei also irreduzibel und

Bei ist prim nach Lemma 15.16, sodass wir annehmen können. Die Teilbarkeitsbeziehung gilt erst recht in . Nach Lemma 15.17 ist das Polynom auch irreduzibel in und damit darin prim nach Satz 6.3. Daher teilt dieses Element in einen der Faktoren, sagen wir . Es ist also  mit . Wir können mit einem Hauptnenner von multiplizieren und erhalten die Beziehung

mit , wobei durch seine Primfaktorzerlegung ersetzt wurde. Da irreduzibel ist, sind die Koeffizienten von teilerfremd. Insbesondere ist kein Teiler von allen Koeffizienten von . Da nach Lemma 15.16 auch in prim ist, folgt, dass ein Vielfaches von ist. Man kann also durch kürzen. So kann man sukzessive die Primfaktorzerlegung von abarbeiten und erhält schließlich, dass ein Vielfaches von ist.

Dass jedes Polynom ein Produkt von irreduziblen Polynomen ist, beweisen wir durch Induktion über den Grad von . Bei Grad null liefert die Primfaktorzerlegung in sofort die gewünschte Zerlegung in . Es sei also der Grad von positiv. Wenn es eine Produktzerlegung in Polynome von kleinerem Grad gibt, so sind wir fertig aufgrund der Induktionsvoraussetzung. Andernfalls sei der größte gemeinsame Teiler der Koeffizienten von . Dann ist  mit und die Koeffizienten von sind teilerfremd. Dann ist aber irreduzibel, da es weder eine Zerlegung in Polynome mit kleinerem Grad noch eine nicht-triviale Zerlegung mit Konstanten geben kann.



Der Polynomring

ist faktoriell.

Dies folgt aus Satz 5.2, Satz 9.3 und Satz 15.18.



Es sei ein Körper. Dann sind die Polynomringe

faktoriell.

Dies folgt durch induktive Anwendung von Satz 15.18 auf die Kette



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