Kurs:Lineare Algebra (Osnabrück 2015-2016)/Teil II/Vorlesung 52

Auf dem gibt es sehr viele verschiedene Normen, allerdings hängen sehr viele wichtige Begriffe wie die Konvergenz einer Folge, die Kompaktheit einer Teilmenge, die Stetigkeit einer Abbildung gar nicht von der Norm ab, sondern nur von der Topologie. Daher kann man sich häufig eine für das Problem besonders angemessene Norm frei wählen und sich dadurch viel Arbeit sparen. In dieser Vorlesung besprechen wir die topologischen Grundlagen für diesen Zugang, wobei wir weitgehend auf Beweise verzichten, die sich in einem Anhang finden. In den nächsten beiden Vorlesungen werden wir diese Methoden insbesondere auf das Konvergenzverhalten von Potenzen einer Matrix anwenden.



Teilmengen in einem metrischen Raum
Die Gestalt der Kugelumgebungen hängt von der Norm bzw. Metrik ab.

Es sei ein metrischer Raum, und eine positive reelle Zahl. Es ist

die offene und

die abgeschlossene -Kugel um .

Natürlich müssen Kugeln nicht unbedingt kugelförmig aussehen, aber sie tun es in der euklidischen Norm. Für ist einfach das beidseitig offene Intervall und ist einfach das beidseitig abgeschlossene Intervall .

Eine Teilmenge ist offen, wenn jeder Punkt darin gleich mit einer vollen Kugelumgebung drin liegt. Bei einer solchen Menge ist es entscheidend, ob die Randpunkte dazu gehören oder nicht.



Es sei ein metrischer Raum. Eine Teilmenge heißt offen (in ), wenn für jedes ein mit

existiert.


Es sei ein metrischer Raum. Eine Teilmenge heißt abgeschlossen, wenn das Komplement offen ist.

Achtung! Abgeschlossen ist nicht das „Gegenteil“ von offen. Die „allermeisten“ Teilmengen eines metrischen Raumes sind weder offen noch abgeschlossen, es gibt aber auch Teilmengen, die sowohl offen als auch abgeschlossen sind, z.B. die leere Teilmenge und die Gesamtmenge. Offene Bälle sind in der Tat offen und abgeschlossene Bälle sind abgeschlossen, siehe Aufgabe 52.1 und Aufgabe 52.2.



Es sei ein metrischer Raum. Dann gelten folgende Eigenschaften.

  1. Die leere Menge und die Gesamtmenge sind offen.
  2. Es sei eine beliebige Indexmenge und seien , , offene Mengen. Dann ist auch die Vereinigung

    offen.

  3. Es sei eine endliche Indexmenge und seien , , offene Mengen. Dann ist auch der Durchschnitt

    offen.

Beweis

Siehe Aufgabe 52.3.


Die offenen Mengen in einem metrischen Raum bilden somit eine Topologie im Sinne der folgenden Definition.


Ein topologischer Raum besteht aus einer Menge zusammen mit einer Teilmenge der Potenzmenge von , die folgende strukturelle Bedingungen erfüllt (die Teilmengen , die zu gehören, nennt man offene Mengen).

  1. Die leere Menge und die ganze Menge sind offen (d.h. gehören zu ).
  2. Der Durchschnitt von endlich vielen offenen Mengen ist wieder offen, d.h. mit ist auch .
  3. Die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen ist wieder offen, d.h. mit für jedes (zu einer beliebigen Indexmenge ) ist auch .



Äquivalente Normen

Es sei ein - Vektorraum. Zwei Normen und heißen äquivalent, wenn sie die gleiche Topologie, also die gleichen offenen Mengen definieren.


Auf dem sind die euklidische Norm, die Summennorm und die Maximumsnorm äquivalent. Es sei dazu ein Vektor, wobei ohne Einschränkung betragsmäßig der größte Eintrag sei. Dann gelten die Abschätzungen

und diese ergeben im Wesentlichen die Äquivalenz von euklidischer Norm und Maximumsnorm.


Wir werden später sehen, dass auf einem endlichdimensionalen - Vektorraum zwei Normen stets äquivalent sind. Dies bedarf einiger Vorbereitungen, die insbesondere den Begriff der Kompaktheit betreffen.



Kompaktheit

Eine Teilmenge eines metrischen Raumes heißt beschränkt, wenn es eine reelle Zahl mit

gibt.


Eine Teilmenge heißt kompakt, wenn sie abgeschlossen und beschränkt ist.

Die Beschränktheit und damit nach der vorstehenden Definition auch die Kompaktheit hängt wesentlich von der gewählten Metrik ab. Es ist wichtig, auch einen Kompaktheitsbegriff zu besitzen, der rein topologisch ist.


Ein topologischer Raum heißt kompakt (oder überdeckungskompakt), wenn es zu jeder offenen Überdeckung

eine endliche Teilmenge derart gibt, dass

ist.

Der folgende Satz heißt Satz von Heine-Borel.


Es sei eine Teilmenge, wobei der mit der euklidischen Metrik versehen sei. Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist überdeckungskompakt.
  2. Jede Folge in besitzt einen Häufungspunkt in .
  3. Jede Folge in besitzt eine in konvergente Teilfolge.
  4. ist abgeschlossen und beschränkt.



Stetige Abbildungen zwischen metrischen Räumen

Ein metrischer Raum ist dadurch ausgezeichnet, dass es in ihm eine Abstandsfunktion gibt, und dass dadurch zwei Punkte „näher“ zueinander liegen können als zwei andere Punkte. Bei einer Abbildung

zwischen zwei metrischen Räumen kann man sich fragen, inwiefern der Abstand im Werteraum durch den Abstand im Definitionsraum kontrollierbar ist. Sei und der Bildpunkt. Man möchte, dass für Punkte , die „nahe“ an sind, auch die Bildpunkte nahe an sind. Um diese intuitive Vorstellung zu präzisieren, sei ein vorgegeben. Dieses repräsentiert eine „gewünschte Zielgenauigkeit“. Die Frage ist dann, ob man ein finden kann (eine „Startgenauigkeit“) mit der Eigenschaft, dass für alle mit die Beziehung gilt. Dies führt zum Begriff der stetigen Abbildung.


Es seien und metrische Räume,

eine Abbildung und . Die Abbildung heißt stetig in , wenn für jedes ein derart existiert, dass

gilt. Die Abbildung heißt stetig, wenn sie stetig in für jedes ist.

Statt mit den abgeschlossenen Ballumgebungen könnte man hier genauso gut mit den offenen Ballumgebungen arbeiten. Die einfachsten Beispiele für stetige Abbildungen sind konstante Abbildungen, die Identität eines metrischen Raumes und die Inklusion einer mit der induzierten Metrik versehenen Teilmenge eines metrischen Raumes. Siehe dazu die Aufgaben.



Es sei

eine Abbildung zwischen den metrischen Räumen und . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. ist stetig in jedem Punkt .
  2. Für jeden Punkt und jedes gibt es ein mit der Eigenschaft, dass aus folgt, dass ist.
  3. Für jeden Punkt und jede konvergente Folge in mit ist auch die Bildfolge konvergent mit dem Grenzwert .
  4. Für jede offene Menge ist auch das Urbild offen.

Die Eigenschaft (4) zeigt, dass es sich bei der Stetigkeit um eine rein topologische Eigenschaft handelt.



Lineare stetige Abbildungen

Eine lineare Abbildung ist im Allgemeinen nicht stetig. Allerdings gibt es eine relativ einfache Charakterisierung der Stetigkeit einer linearen Abbildung, man muss nämlich nur die Stetigkeit im Nullpunkt überprüfen. Weiter unten ergibt sich, dass diese Eigenschaft bei endlichdimensionalen Vektorräumen stets erfüllt ist.


Es seien und normierte - Vektorräume und

eine lineare Abbildung. Dann sind folgende Eigenschaft äquivalent.

  1. ist stetig.
  2. ist stetig im Nullpunkt.
  3. Die Menge

    ist beschränkt.

Von (1) nach (2) ist klar. Von (2) nach (3). Es gibt insbesondere für ein derart, dass aus

die Abschätzung

folgt. Aus

folgt dann wegen der skalaren Verträglichkeit

Von (3) nach (1). Es sei eine obere Schranke für die Norm der Werte auf der Einssphäre. Sei gegeben. Es ist

Zu kann man also

wählen.




Äquivalenz von Normen



Es sei ein - Vektorraum und es seien und Normen auf . Dann sind folgende Aussagen äquivalent.

  1. Die beiden Normen sind äquivalent.
  2. Die Identität

    ist stetig, unabhängig davon, ob man links mit der ersten und rechts mit der zweiten Norm versieht oder umgekehrt.

  3. Die - Einheitskugel ist beschränkt in der -Norm und umgekehrt.
  4. Es gibt reelle Zahlen mit

    und

    für alle .

Die Äquivalenz von (1) und (2) ergibt sich aus Satz 52.13, die Äquivalenz von (2) und (3) aus Satz 52.14. Die Eigenschaften (3) und (4) sind aufgrund der skalaren Verträglichkeit der Normen äquivalent.



Auf einem endlichdimensionalen - Vektorraum sind je zwei Normen

äquivalent.

Wir verwenden Lemma 52.15. Die Norm und die Topologie hängen nur von dem zugrunde liegenden reellen Vektorraum ab, wir können also

annehmen. Zu einer Basis gibt es einen Isomorphismus

mit . Da unter dem Isomorphismus durch

eine Norm auf dem definiert wird, können wir direkt annehmen. Wir vergleichen nun eine beliebige Norm auf dem mit der Maximumsnorm bzw. der euklidischen Norm, von denen wir nach Beispiel 52.7 schon wissen, dass sie untereinander äquivalent sind. Es sei . Wegen

sind hinreichend kleine -offene Bälle in -offenen Bällen enthalten. Die Topologie zur Maximumsnorm ist also mindestens so fein wie die Topologie zu jeder anderen Norm. Zum Beweis der Umkehrung betrachten wir die Identität

wobei die Topologie links durch die euklidische (bzw. Maximumsnorm) und rechts durch die Norm gegeben sei. Diese Abbildung ist nach der bisherigen Überlegung stetig. Die euklidische Einheitssphäre links ist kompakt und nach Fakt ***** ist bezüglich der Norm ebenfalls überdeckungskompakt. Diese nennen wir . Da mit jeder Norm ein Hausdorff-Raum ist, ist wegen Aufgabe ***** insbesondere abgeschlossen. Da der Nullpunkt nicht zu gehört, gibt es ein

mit

(der offene Ball in der -Topologie). Für ist wegen also

und somit



Es seien und normierte - Vektorräume und

eine lineare Abbildung. Es sei endlichdimensional.

Dann ist stetig.

Da das Bild der Abbildung ebenfalls ein endlichdimensionaler Vektorraum ist, können wir annehmen, dass beide Räume endlichdimensional sind. Ferner können wir annehmen, dass und ist und nach Satz 52.16 können wir annehmen, dass beidseitig die Maximumsnorm vorliegt. Es sei der maximale Betrag der Einträge in der beschreibenden Matrix von bezüglich der Standardbasen. Für mit

ist dann

Daher folgt die Stetigkeit aus Satz 52.14.


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