Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2011-2012)/Teil II/Vorlesung 39



Eigentheorie

Unter einer Achsenspiegelung in der Ebene verhalten sich gewisse Vektoren besonders einfach. Die Vektoren auf der Spiegelungsachse werden auf sich selbst abgebildet, und die dazu senkrechten Vektoren werden auf ihr Negatives abgebildet. Für all diese Vektoren liegt das Bild unter der linearen Abbildung in dem von diesem Vektor aufgespannten eindimensionalen Unterraum. In der Theorie der Eigenwerte und Eigenvektoren untersucht man, ob es zu einer linearen Abbildung Geraden (also eindimensionale Unterräume) gibt, die unter der Abbildung auf sich selbst abgebildet werden. Eine Zielsetzung ist dabei, zu einer gegebenen linearen Abbildung eine möglichst einfache beschreibende Matrix zu finden. Eine wichtige Anwendung ist dabei, Lösungen für ein lineares Differentialgleichungssystem zu finden.

Eine Achsenspiegelung besitzt zwei Eigengeraden, die Spiegelungsachse zum Eigenwert und die dazu senkrechte Gerade zum Eigenwert .

Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Dann heißt ein Element , , ein Eigenvektor von (zum Eigenwert ), wenn

mit einem gilt.

Eine Scherung hat eine Eigengerade zum Eigenwert und keine weitere Eigenwerte.

Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Dann heißt ein Element ein Eigenwert zu , wenn es einen von verschiedenen Vektor mit

gibt.


Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Zu nennt man

den Eigenraum von zum Wert .

Wir erlauben also beliebige Werte (nicht nur Eigenwerte) in der Definition der Eigenräume. Einen eindimensionalen Eigenraum nennen wir auch Eigengerade. Wir betrachten einige einfache Beispiele über .


Eine lineare Abbildung von nach ist die Multiplikation mit einer festen Zahl (dem Streckungsfaktor oder Proportionalitätsfaktor). Daher ist jede Zahl ein Eigenvektor zum Eigenwert und der Eigenraum zu diesem Eigenwert ist ganz . Es gibt neben keinen weiteren Eigenwert, sämtliche Eigenräume zu sind .



Eine lineare Abbildung von nach ist bezüglich der Standardbasis durch eine - Matrix gegeben. Wir betrachten die Eigenwerte zu einigen elementaren Beispielen. Eine Streckung ist durch mit einem Streckungsfaktor gegeben. Jeder Vektor ist ein Eigenvektor zum Eigenwert und der Eigenraum zu diesem Eigenwert ist ganz . Es gibt neben keinen weiteren Eigenwert, sämtliche Eigenräume zu sind . Die Identität besitzt den einzigen Eigenwert .

Eine Achsenspiegelung an der -Achse wird durch die Matrix beschrieben. Der Eigenraum zum Eigenwert ist die -Achse, der Eigenraum zum Eigenwert ist die -Achse. Ein Vektor mit kann kein Eigenvektor sein, da die Gleichung

dann keine Lösung besitzt.

Eine ebene Drehung wird durch die Drehmatrix zu einem Drehwinkel , , gegeben. Bei liegt die Identität vor, bei liegt die Halbdrehung vor, also die Punktspiegelung bzw. die Streckung mit dem Faktor . Bei allen anderen Drehwinkeln wird keine Gerade auf sich selbst abgebildet, sodass diese Drehungen keine Eigenwerte und keine Eigenvektoren besitzen (und alle Eigenräume sind).




Es sei ein Körper, ein - Vektorraum

eine lineare Abbildung und . Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Der Eigenraum

    ist ein Untervektorraum von .

  2. ist genau dann ein Eigenwert zu , wenn der Eigenraum nicht der Nullraum ist.
  3. Ein Vektor , ist genau dann ein Eigenvektor zu , wenn ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 39.3.


Für Matrizen verwenden wir die entsprechenden Begriffe. Ist eine lineare Abbildung und eine beschreibende Matrix bezüglich einer Basis, so gilt für einen Eigenwert und einen Eigenvektor mit dem Koordinatentupel bezüglich dieser Basis die Beziehung

Die Matrix bezüglich einer weiteren Basis steht dann zu in der Beziehung , wobei eine invertierbare Matrix ist. Es sei

das Koordinatentupel bezüglich der anderen Basis. Dann ist

d.h. die beschreibenden Matrizen besitzen dieselben Eigenwerte, wobei sich allerdings die beschreibenden Koordinatentupel für die Eigenvektoren mit den Basen ändern.


Wir betrachten die durch eine Diagonalmatrix

gegebene lineare Abbildung

Die Diagonaleinträge sind Eigenwerte von , und zwar ist der -te Standardvektor ein zugehöriger Eigenvektor. Die Eigenräume sind

Diese Räume sind genau dann von verschieden, wenn mit einem Diagonaleintrag übereinstimmt. Die Dimension der Eigenräume ist durch die Anzahl gegeben, wie oft der Wert in der Diagonalen vorkommt. Die Summe dieser Dimensionen ergibt .



Bei einer orthogonalen Spiegelung des an einem -dimensionalen Untervektorraum wird dieser Untervektorraum fixiert und jeder Vektor wird senkrecht zu auf die andere Seite von abgebildet. Wenn eine Basis von und ein zu orthogonaler Vektor ist, so wird die Spiegelung bezüglich dieser Basis durch die Matrix

beschrieben.



Wir betrachten die durch die Matrix

definierte lineare Abbildung

Die Frage, ob diese Abbildung Eigenwerte besitzt, führt zur Frage, ob es derart gibt, dass die Gleichung

eine nichttriviale Lösung besitzt. Bei gegebenem kann dies auf ein lineares Problem zurückgeführt werden, das mit dem Eliminationsalgorithmus einfach gelöst werden kann. Die Frage aber, ob es Eigenwerte überhaupt gibt, führt wegen des variablen „Eigenwertparameters“ zu einem nichtlinearen Problem. Das obige Gleichungssystem bedeutet ausgeschrieben

Bei ist auch , der Nullvektor ist aber kein Eigenvektor. Es sei also . Aus den beiden Gleichungen erhält man die Bedingung

woraus folgt. Da in die Zahl keine Quadratwurzel besitzt, gibt es keine Lösung und das bedeutet, dass keine Eigenwerte und damit auch keine Eigenvektoren besitzt.

Wir fassen nun die Matrix als eine reelle Matrix auf und untersuchen die zugehörige Abbildung

Die gleichen Rechnungen führen auf die notwendige Lösungsbedingung , die jetzt von den beiden reellen Zahlen

erfüllt wird. Für diese beiden Werte kann man unabhängig voneinander nach Eigenvektoren suchen. Wir betrachten zuerst den Fall , was zum linearen Gleichungssystem

führt. Dies schreibt man als

bzw. als lineares Gleichungssystem

Dieses ist einfach lösbar, der Lösungsraum ist eindimensional und

ist eine Basislösung.

Für führen dieselben Umformungen zu einem weiteren linearen Gleichungssystem, für das der Vektor

eine Basislösung ist. Über sind also und Eigenwerte und die zugehörigen Eigenräume sind




Weiteres zu Eigenräumen



Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung.

Dann ist

Insbesondere ist genau dann ein Eigenwert von , wenn nicht injektiv ist.

Beweis

Siehe Aufgabe 39.4.


Allgemeiner gilt die folgende Charakterisierung.


Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Es sei .

Dann ist

Es sei . Dann ist genau dann, wenn ist, und dies ist genau bei der Fall, was man als schreiben kann.


Neben dem Eigenraum zu , der der Kern der linearen Abbildung ist, sind die Eigenwerte und besonders interessant. Der Eigenraum zu besteht aus allen Vektoren, die auf sich selbst abgebildet werden. Auf diesem Untervektorraum wirkt also die Abbildung wie die Identität, man nennt ihn den Fixraum. Der Eigenraum zu besteht aus allen Vektoren, die auf ihr Negatives abgebildet werden. Auf diesem Untervektorraum wirkt die Abbildung wie eine Punktspiegelung.




Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Es seien Elemente in .

Dann ist

Beweis

Siehe Aufgabe 39.11.



Es sei ein Körper, ein - Vektorraum und

eine lineare Abbildung. Es seien Eigenvektoren zu (paarweise) verschiedenen Eigenwerten .

Dann sind linear unabhängig.

Wir beweisen die Aussage durch Induktion nach . Für ist die Aussage richtig. Es sei die Aussage also für weniger als Vektoren bewiesen. Betrachten wir eine Darstellung der , also

Wir wenden darauf an und erhalten einerseits

Andererseits multiplizieren wir die obige Gleichung mit und erhalten

Die so entstandenen Gleichungen zieht man voneinander ab und erhält

Aus der Induktionsvoraussetzung folgt, dass alle Koeffizienten , , sein müssen. Wegen folgt  für und wegen ist dann auch .



Es sei ein Körper und es sei ein endlichdimensionaler - Vektorraum. Es sei

eine lineare Abbildung.

Dann gibt es nur endlich viele Eigenwerte zu .

Beweis

Siehe Aufgabe 39.6.




Eigenwerte bei Isometrien



Es sei ein euklidischer Vektorraum und sei

eine lineare Isometrie.

Dann besitzt jeder Eigenwert von den Betrag .

Es sei mit , d.h. ist ein Eigenvektor zum Eigenwert . Wegen der Isometrieeigenschaft gilt

Wegen folgt daraus , also .

Im Allgemeinen muss eine Isometrie keine Eigenwerte besitzen, bei ungerader Dimension allerdings schon.



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