Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Teil I/Vorlesung 5/kontrolle

„Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe“
Isaac Newton



Anordnungseigenschaften der reellen Zahlen

Bekanntlich kann man die reellen Zahlen mit einer Geraden identifizieren. Auf der Zahlengeraden liegen von zwei Punkten einer weiter rechts als der andere, was bedeutet, dass sein Wert größer ist. Wir besprechen nun diese Anordnungseigenschaften der reellen Zahlen.


Ein Körper heißt angeordneter Körper, wenn es zwischen den Elementen von eine Beziehung („größer als“) gibt, die die folgenden Eigenschaften erfüllt ( bedeutet oder ).

  1. Für je zwei Elemente gilt entweder oder oder .
  2. Aus und folgt (für beliebige ).
  3. Aus folgt (für beliebige ).
  4. Aus und folgt (für beliebige ).

Die rationalen Zahlen als auch die reellen Zahlen bilden mit den natürlichen Vergleichsordnungen einen angeordneten Körper. Im Zahlenstrahl bedeutet

dass mindestens so weit rechts wie liegt. Die ersten beiden Eigenschaften drücken aus, dass auf eine totale (oder lineare) Ordnung vorliegt; die in (2) beschriebene Eigenschaft heißt Transitivität.

Statt schreibt man auch („kleiner als“) und statt schreibt man auch . Ein Element in einem angeordneten Körper nennt man positiv, wenn ist, und negativ, wenn ist. Die ist demnach weder positiv noch negativ, und jedes Element ist entweder positiv oder negativ oder gleich . Die Elemente  mit nennt man dann einfach nichtnegativ und die Elemente  mit nichtpositiv.



Lemma Lemma 5.2 ändern

In einem angeordneten Körper gelten die folgenden Eigenschaften.

  1. .
  2. Es ist genau dann, wenn ist.
  3. Es ist genau dann, wenn ist.
  4. Es ist genau dann, wenn ist.
  5. Aus und folgt .
  6. Aus und folgt .
  7. Aus und folgt .
  8. Aus und folgt .
  9. Aus und folgt .
  10. Aus und folgt .

Beweis

Siehe Aufgabe 5.5.



In einem angeordneten Körper gelten die folgenden Eigenschaften.

  1. Aus folgt auch .
  2. Aus folgt auch .
  3. Für ist genau dann, wenn ist.
  4. Aus folgt .
  5. Für positive Elemente ist äquivalent zu .


Wir besprechen nun eine weitere Anordungseigenschaft der reellen Zahlen, das sogenannte Archimedes-Axiom. Um dieses formulieren zu können, müssen wir uns zunächst klar machen, dass in jedem Körper jede natürliche Zahl eine sinnvolle und eindeutige Interpretation hat. Dies ist nicht selbstverständlich, da ja in der Axiomatik eines Körpers zwar eine und eine vorkommt, aber keine . Wir legen daher einfach über die Addition im Körper die Bedeutung dieser Zahlen fest, also

, u.s.w. Dabei kann passieren, dass eine positive natürliche Zahl in einem Körper gleich ist, im Körper mit zwei Elementen ist beispielsweise und . Eine negative ganze Zahlen kann man in jedem Körper als das Negative (im Körper) von interpretieren. Bei einem angeordneten Körper ist aber die natürliche Abbildung injektiv. Damit können wir das noch ausstehende Axiom formulieren.


Es sei ein angeordneter Körper. Dann heißt archimedisch angeordnet, wenn das folgende Archimedische Axiom gilt, d.h. wenn es zu jedem eine natürliche Zahl mit

gibt.

Die reellen Zahlen (ebenso die rationalen Zahlen) erfüllen das Archimedische Axiom, sie bilden also einen archimedisch angeordneten Körper. Die folgenden Folgerungen aus dem Archimedes-Axiom gelten also für die reellen Zahlen. Wir werden sie direkt nur für die reellen Zahlen selbst formulieren, da man sogar jeden archimedisch angeordneten Körper als Unterkörper der reellen Zahlen erhalten kann. In Aufgabe 6.22 wird ein angeordneter Körper beschrieben, der nicht archimedisch angeordnet ist. Aufgrund von Aufgabe ***** {{:Kurs:Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Angeordneter Körper/Enthält Q/Verknüpfung und Ordnung/Aufgabe/Aufgabereferenznummer/Angeordneter Körper/Enthält Q/Verknüpfung und Ordnung/Aufgabe/Aufgabereferenznummer}} enthält ein angeordneter Körper nicht nur die ganzen Zahlen, sondern auch die rationalen Zahlen.



  1. Zu mit gibt es ein mit .
  2. Zu gibt es eine natürliche Zahl mit .
  3. Zu zwei reellen Zahlen gibt es auch eine rationale Zahl (mit , ) mit

(1). Wir betrachten . Aufgrund des Archimedes-Axioms gibt es ein mit . Da positiv ist, gilt nach Lemma 5.2  (6) auch . Für (2) und (3) siehe Aufgabe 5.18.



Für reelle Zahlen , , nennt man

    das abgeschlossene Intervall.

    das offene Intervall.

    das linksseitig offene Intervall.

    das rechtsseitig offene Intervall.

    Für das offene Intervall wird häufig auch geschrieben. Die Zahlen und heißen die Grenzen des Intervalls (oder Randpunkte des Intervalls), genauer spricht man von unterer und oberer Grenze. Die Bezeichnung linksseitig und rechtsseitig bei den beiden letzten Intervallen (die man auch als halboffen bezeichnet) rühren von der üblichen Repräsentierung der reellen Zahlen als Zahlengerade her, bei der rechts die positiven Zahlen stehen. Manchmal werden auch Schreibweisen wie verwendet. Dies bedeutet nicht, dass es in ein Element gibt, sondern ist lediglich eine kurze Schreibweise für . Ferner verwendet man Schreibweisen wie

    oder Ähnliches. Für die reellen Zahlen bilden die ganzzahligen Intervalle , , eine disjunkte Überdeckung. Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.



    Zu einer reellen Zahl ist die Gaußklammer durch

    definiert.

    Die Anordnungseigenschaften erlauben es auch, von wachsenden und fallenden Funktionen zu sprechen.


    Es sei ein Intervall und

    eine Funktion. Dann heißt wachsend, wenn

    streng wachsend, wenn

    fallend, wenn

    streng fallend, wenn



    Der Betrag

    Für eine reelle Zahl ist der Betrag folgendermaßen definiert.

    Der Betrag ist also nie negativ und hat nur bei den Wert , sonst ist er immer positiv. Die Gesamtabbildung

    nennt man auch Betragsfunktion. Der Funktionsgraph setzt sich aus zwei Halbgeraden zusammen; eine solche Funktion nennt man auch stückweise linear.



    Die reelle Betragsfunktion

    erfüllt folgende Eigenschaften (dabei seien beliebige reelle Zahlen).

    1. Es ist .
    2. Es ist genau dann, wenn ist.
    3. Es ist genau dann, wenn oder ist.
    4. Es ist .
    5. Es ist .
    6. Für ist .
    7. Es ist (Dreiecksungleichung für den Betrag).
    8. Es ist .

    Beweis

    Siehe Aufgabe 5.20.




    Bernoullische Ungleichung
    Die Bernoullische Ungleichung für .


    Die folgende Aussage heißt Bernoulli-Ungleichung.


    Für jede reelle Zahl und eine natürliche Zahl

    gilt die Abschätzung

    Wir führen Induktion über . Bei steht beidseitig , sodass die Aussage gilt. Es sei nun die Aussage für bereits bewiesen. Dann ist

    da Quadrate (und positive Vielfache davon) in einem angeordneten Körper nichtnegativ sind.




    Die komplexen Zahlen

    Wir führen nun ausgehend von den reellen Zahlen die komplexen Zahlen ein. Zwar haben wir noch nicht alle Eigenschaften der reellen Zahlen kennengelernt, insbesondere haben wir noch nicht die Vollständigkeit diskutiert, die von unterscheidet, doch ist dies für die Konstruktion von unerheblich. Verwenden werden weiter unten, dass jede nichtnegative reelle Zahl eine eindeutige Quadratwurzel besitzt. Damit haben wir alle für die Anfängervorlesungen relevanten Zahlenbereiche zur Verfügung.


    Die Menge mit und , mit der komponentenweisen Addition und der durch

    definierten Multiplikation nennt man Körper der komplexen Zahlen. Er wird mit

    bezeichnet.

    Die Addition ist also einfach die vektorielle Addition im , während die Multiplikation eine neuartige Verknüpfung ist, die zwar numerisch einfach durchführbar ist, an die man sich aber dennoch gewöhnen muss. Wir werden in Fakt ***** noch eine geometrische Interpretation für die komplexe Multiplikation kennenlernen.



    Die komplexen Zahlen

    bilden einen Körper.

    Beweis

    Siehe Aufgabe 5.27.


    Wir lösen uns von der Paarschreibweise und schreiben

    Insbesondere ist , diese Zahl heißt imaginäre Einheit. Diese Zahl hat die wichtige Eigenschaft

    Aus dieser Eigenschaft ergeben sich sämtliche algebraischen Eigenschaften der komplexen Zahlen durch die Körpergesetze. So kann man sich auch die obige Multiplikationsregel merken, es ist ja

    Wir fassen eine reelle Zahl als die komplexe Zahl auf. In diesem Sinne ist . Es ist gleichgültig, ob man zwei reelle Zahlen als reelle Zahlen oder als komplexe Zahlen addiert oder multipliziert.


    Zu einer komplexen Zahl

    heißt

    der Realteil von und

    heißt der Imaginärteil von .

    Man sollte sich allerdings die Menge der komplexen Zahlen nicht als etwas vorstellen, was weniger real als andere Zahlensysteme ist. Die Konstruktion der komplexen Zahlen aus den reellen Zahlen ist bei Weitem einfacher als die Konstruktion der reellen Zahlen aus den rationalen Zahlen. Allerdings war es historisch ein langer Prozess, bis die komplexen Zahlen als Zahlen anerkannt wurden; das Irreale daran ist, dass sie einen Körper bilden, der nicht angeordnet werden kann, und dass es sich daher scheinbar um keine Größen handelt, mit denen man sinnvollerweise etwas messen kann.

    Man kann sich die komplexen Zahlen als die Punkte in einer Ebene vorstellen; für die additive Struktur gilt ja einfach . In diesem Zusammenhang spricht man von der Gaussschen Zahlenebene. Die horizontale Achse nennt man dann die reelle Achse und die vertikale Achse die imaginäre Achse.


    Real- und Imaginärteil von komplexen Zahlen erfüllen folgende Eigenschaften (für und aus ).

    1. Es ist .
    2. Es ist .
    3. Es ist .
    4. Für ist
    5. Es ist genau dann, wenn ist, und dies ist genau dann der Fall, wenn ist.

    Beweis

    Siehe Aufgabe 5.29.



    Die Abbildung

    heißt komplexe Konjugation.

    Zu heißt die konjugiert-komplexe Zahl von . Geometrisch betrachtet ist die komplexe Konjugation zu einfach die Achsenspiegelung an der reellen Achse.



    Für die komplexe Konjugation gelten die folgenden Rechenregeln (für beliebige ).

    1. Es ist .
    2. Es ist .
    3. Es ist .
    4. Für ist .
    5. Es ist .
    6. Es ist genau dann, wenn ist.

    Beweis

    Siehe Aufgabe 5.36.



    Für eine komplexe Zahl gelten die folgenden Beziehungen.

    1. Es ist .
    2. Es ist .
    3. Es ist .

    Beweis

    Siehe

    Aufgabe *****.

    {{:Kurs:Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2019-2020)/Komplexe Zahlen/Konjugation/Realteil Imaginärteil/Fakt/Beweis/Aufgabe/Aufgabereferenznummer/Komplexe Zahlen/Konjugation/Realteil Imaginärteil/Fakt/Beweis/Aufgabe/Aufgabereferenznummer}}


    Das Quadrat einer reellen Zahl ist stets nichtnegativ, und die Summe von zwei nichtnegativen reellen Zahlen ist wieder nichtnegativ. Zu einer nichtnegativen reellen Zahl gibt es eine eindeutige nichtnegative Quadratwurzel , siehe Aufgabe 8.9  (das werden wir später beweisen) Daher liefert folgende Definition eine wohldefinierte nichtnegative reelle Zahl.


    Zu einer komplexen Zahl

    ist der Betrag durch

    definiert.

    Der Betrag einer komplexen Zahl ist aufgrund des Satzes des Pythagoras der Abstand von zum Nullpunkt . Insgesamt ist der Betrag eine Abbildung

    Die Menge aller komplexen Zahlen mit einem bestimmten Betrag bilden einen Kreis mit dem Nullpunkt als Mittelpunkt und mit dem Betrag als Radius. Insbesondere bilden alle komplexen Zahlen mit dem Betrag den komplexen Einheitskreis.



    Lemma  Lemma 5.20 ändern

    Für den Betrag von komplexen Zahlen gelten folgende Eigenschaften.

    1. Es ist .
    2. Für reelles stimmen reeller und komplexer Betrag überein.
    3. Es ist genau dann, wenn ist.
    4. Es ist .
    5. Es ist .
    6. Für ist .
    7. Es ist .
    8. Es ist (Dreiecksungleichung).

    Wir zeigen die Dreiecksungleichung, für die anderen Aussagen siehe Aufgabe 5.31. Zunächst gilt nach (7) für jede komplexe Zahl die Abschätzung . Daher ist

    und somit ist

    Durch Wurzelziehen ergibt sich die gewünschte Abschätzung.



    Fußnoten