Kurs:Mathematik für Anwender (Osnabrück 2020-2021)/Teil I/Vorlesung 8

Als Alternative wurde über ein Vorlesungslama ...




Rechenregeln für Folgen



Es seien und konvergente Folgen. Dann gelten folgende Aussagen.

  1. Die Folge ist konvergent und es gilt
  2. Die Folge ist konvergent und es gilt
  3. Für gilt
  4. Es sei und für alle . Dann ist ebenfalls konvergent mit
  5. Es sei und für alle . Dann ist ebenfalls konvergent mit

(1). Es seien bzw. die Grenzwerte der beiden Folgen. Sei vorgegeben. Wegen der Konvergenz der ersten Folge gibt es zu

ein derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Ebenso gibt es wegen der Konvergenz der zweiten Folge zu ein derart, dass für alle die Abschätzung

gilt. Sei

Dann gilt für alle (unter Verwendung der Dreiecksungleichung) die Abschätzung


(2). Sei vorgegeben. Die konvergente Folge ist nach Lemma 7.9 insbesondere beschränkt und daher existiert ein mit für alle . Sei und . Wir setzen . Aufgrund der Konvergenz gibt es natürliche Zahlen und mit

Diese Abschätzungen gelten dann auch für alle . Für diese Zahlen gilt daher


Für die anderen Teile siehe Aufgabe 8.1, Aufgabe 8.2 und Aufgabe 8.3.


Wir beschreiben eine typische Anwendung des vorstehenden Satzes.


Wir betrachten die durch

definierte Folge und wollen wissen, ob und gegebenenfalls wogegen sie konvergiert. Man kann Lemma 8.1 nicht unmittelbar anwenden, da weder der Zähler noch der Nenner konvergiert. Allerdings kann man den folgenden Trick anwenden, man schreibt

In dieser Form sind die Zähler- und die Nennerfolge konvergent, und zwar gegen bzw. , und daher konvergiert die Folge gegen .




Cauchy-Folgen

Ein Problem des Konvergenzbegriffes ist, dass zur Formulierung der Grenzwert verwendet wird, den man unter Umständen noch gar nicht kennt. Wenn man beispielsweise die durch das babylonische Wurzelziehen konstruierte Folge (sagen wir zur Berechnung von ) mit einem rationalen Startwert betrachtet, so ist dies eine Folge aus rationalen Zahlen. Wenn wir diese Folge in betrachten, wo existiert, so ist die Folge konvergent. Innerhalb der rationalen Zahlen ist sie aber definitiv nicht konvergent. Es ist wünschenswert, allein innerhalb der rationalen Zahlen den Sachverhalt formulieren zu können, dass die Folgenglieder beliebig nahe zusammenrücken, auch wenn man nicht sagen kann, dass die Folgenglieder einem Grenzwert beliebig nahe zustreben. Dazu dient der Begriff der Cauchy-Folge.


Eine reelle Folge heißt Cauchy-Folge, wenn folgende Bedingung erfüllt ist

Zu jedem gibt es ein derart, dass für alle die Beziehung

gilt.



Es sei eine konvergente Folge mit Grenzwert . Sei vorgegeben. Wir wenden die Konvergenzeigenschaft auf an. Daher gibt es ein mit

Für beliebige gilt dann aufgrund der Dreiecksungleichung

  Also liegt eine Cauchy-Folge vor.



Es sei eine reelle Folge. Zu jeder streng wachsenden Abbildung , , heißt die Folge

eine Teilfolge der Folge.


Die reelle Folge heißt wachsend, wenn für alle ist, und streng wachsend, wenn für alle ist.

Die Folge heißt fallend, wenn für alle ist, und streng fallend, wenn für alle ist.

Als gemeinsamen Begriff für (streng) wachsende oder (streng) fallende Folgen verwendet man die Bezeichnung (streng) monotone Folgen.



Es sei eine wachsende, nach oben beschränkte reelle Folge.

Dann ist eine Cauchy-Folge.

Es sei eine obere Schranke, also für alle Folgenglieder .  Wir nehmen an, dass keine Cauchy-Folge ist. Dann gibt es ein derart, dass es für jedes Indizes mit gibt (wir können die Betragstriche weglassen). Wegen der Monotonie gibt es dann auch zu jedem ein mit . Wir können daher induktiv eine wachsende Folge von natürlichen Zahlen definieren durch

etc. Andererseits gibt es aufgrund des Archimedesaxioms ein mit

Die Summe der ersten Differenzen der Teilfolge , , ergibt

  Dies impliziert im Widerspruch zur Voraussetzung, dass eine obere Schranke der Folge ist.



Die Vollständigkeit der reellen Zahlen

Innerhalb der rationalen Zahlen gibt es Cauchy-Folgen, die nicht konvergieren, beispielsweise die Heron-Folge zur Berechnung von . Man kann sagen, dass eine nichtkonvergente Cauchy-Folge eine Lücke entdeckt und adressiert. Innerhalb der reellen Zahlen werden diese Lücken aufgefüllt.


Ein angeordneter Körper heißt vollständig oder vollständig angeordnet, wenn jede Cauchy-Folge in konvergiert (also in einen Grenzwert besitzt).

Die rationalen Zahlen sind nicht vollständig. Die Vollständigkeit fordern wir für die reellen Zahlen als das letzte Axiom.


Die reellen Zahlen sind ein vollständiger archimedisch angeordneter Körper.

Damit haben wir alle Axiome der reellen Zahlen zusammengetragen: die Körperaxiome, die Anordnungsaxiome und das Vollständigkeitsaxiom. Diese Eigenschaften legen die reellen Zahlen eindeutig fest, d.h. wenn es zwei Modelle und gibt, die beide für sich genommen diese Axiome erfüllen, so kann man eine bijektive Abbildung von nach angeben, der alle mathematischen Strukturen erhält (so etwas nennt man einen „Isomorphismus“).

Die Existenz der reellen Zahlen ist nicht trivial. Vom naiven Standpunkt her kann man, und das haben wir bisher getan und werden wir auch weiterhin tun, die Vorstellung einer „kontinuierlichen Zahlengerade“ zugrunde legen, und dies als Existenznachweis akzeptieren. In einer strengeren mengentheoretischen Begründung der Existenz geht man von aus und konstruiert die reellen Zahlen als die Menge der Cauchy-Folgen in mit einer geeigneten Identifizierung.



Folgerungen aus der Vollständigkeit



Eine beschränkte und monotone Folge in

konvergiert.

Nach Voraussetzung ist die Folge wachsend und nach oben beschränkt oder fallend und nach unten beschränkt. Nach Lemma 8.7 liegt eine Cauchy-Folge vor, und diese konvergiert in .


Diese Aussage ist auch die Grundlage dafür, dass die Dezimalentwicklung stets eine (eindeutige) reelle Zahl definiert. Eine (unendliche) Dezimalentwicklung

mit (wir beschränken uns auf nichtnegative Zahlen) und ist nämlich die Folge der rationalen Zahlen

Diese ist offenbar monoton wachsend. Sie ist ferner nach oben beschränkt, beispielsweise durch , sodass dadurch in der Tat eine Cauchy-Folge und somit eine reelle Zahl definiert wird.



Intervallschachtelungen

Eine Folge von abgeschlossenen Intervallen

in heißt eine Intervallschachtelung, wenn für alle ist und wenn die Folge der Intervalllängen, also

gegen konvergiert.

Die Intervalllängen müssen also insbesondere eine fallende Nullfolge bilden. Es wird nicht eine bestimmte Geschwindigkeit dieser Konvergenz verlangt. Die Intervallhalbierung ist eine spezielle Intervallschachtelung, bei der man zusätzlich verlangt, dass das folgende Intervall jeweils die untere oder die obere Hälfte des Vorgängerintervalls ist.


Es sei , , eine Intervallschachtelung in .

Dann besteht der Durchschnitt

aus genau einem Punkt

.

Eine reelle Intervallschachtelung bestimmt also genau eine reelle Zahl.

Beweis

Siehe Aufgabe 8.20.



Zu jeder nichtnegativen reellen Zahl und jedem

gibt es eine eindeutige nichtnegative reelle Zahl mit

Wir definieren rekursiv eine Intervallschachtelung , und zwar setzen wir

und eine beliebige reelle Zahl mit . Es seien die Intervallgrenzen bis zum Index bereits definiert, die Intervalle seien ineinander enthalten und es gelte dabei

Wir setzen

und

Dadurch wird eine Grenze beibehalten und die andere Grenze wird durch das arithmetische Mittel der beiden Vorgängergrenzen ersetzt. Insbesondere gelten die angegebenen Eigenschaften für alle Intervalle und es liegt eine Intervallschachtelung vor. Es sei die durch diese Intervallschachtelung gemäß Satz 8.12 festgelegte reelle Zahl. Nach Aufgabe 8.21 gilt

Damit ist nach Lemma 8.1  (2)

Wegen der Konstruktion der Intervallgrenzen ist dies nach Lemma 7.11 sowohl als auch , also ist .

Diese eindeutig bestimmte Zahl wird mit oder mit bezeichnet.



Bestimmte Divergenz

Eine Folge in heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit

gibt.

Sie heißt bestimmt divergent gegen , wenn es zu jedem ein mit

gibt.


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