Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 19
- Divisoren
Eine meromorphe Funktion auf einer riemannschen Fläche besitzt in jedem Punkt eine wohldefinierte Ordnung, die durch eine ganze Zahl gegeben ist. In einer lokalen Beschreibung als Laurentreihe mit dem lokalen Parameter ist die Ordnung die ganze Zahl mit
mit einer holomorphen nullstellenfreien Funktion . Bei positiven liegt in dem Punkt eine Nullstelle der Ordnung vor und im negativen Fall liegt eine Polstelle der Ordnung vor. Dieses für die meromorphe Funktion charakteristische Null- und Polstellenverhalten fasst man in dem folgenden Konzept zusammen.
Es sei eine zusammenhängende riemannsche Fläche und eine meromorphe Funktion auf . Dann nennt man die formale Summe
den Hauptdivisor zu . Er wird mit bezeichnet.
Es seien Polynome mit den Faktorzerlegungen bzw. , wobei eine endliche Menge sei, die alle Nullstellen von und von umfasse. Dann ist der Hauptdivisor zur rationalen Funktion gleich
Die Identität auf der projektiven Geraden , also die meromorphe Funktion , besitzt den Hauptdivisor , wenn wir mit die Variable auf und mit den unendlich fernen Punkt bezüglich dieser Einbettung bezeichnen.
Wegen Satz 3.5 bzw. der Definition von meromorphen Funktionen ist die Menge der Punkte, in denen die Ordnung nicht ist, wo also eine Nullstelle oder ein Polstelle vorliegt, eine diskrete abgeschlossene Menge. Außerhalb dieser diskreten Menge ist die Funktion holomorph und invertierbar. Der Hauptdivisor ist also ein Divisor im Sinne der folgenden Definition.
Es sei eine riemannsche Fläche. Man nennt eine formale Summe
mit und der Eigenschaft, dass außerhalb einer diskreten Teilmenge die Zahlen sind, einen Divisor auf .
Man spricht auch von einem Weildivisor. Einen Divisor kann man also schreiben als
mit einer diskreten Teilmenge und mit für . Man nennt dann den Träger des Divisors. Für einen konkreten Divisor in oder einer Teilmenge davon oder in besteht eine Verwechslungsgefahr zwischen den ganzzahligen Vorfaktoren und den Bezeichnungen für die Punkte. Diese kann man umgehen, indem man beispielsweise schreibt.
Es sei eine riemannsche Fläche. Man nennt die Menge aller Divisoren auf mit der punktweisen Addition die Divisorengruppe von . Sie wird mit bezeichnet.
Die Theorie unterscheidet sich wesentlich danach, ob die riemannsche Fläche kompakt oder nichtkompakt ist. Der Träger des Divisors ist stets eine abgeschlossene diskrete Teilmenge, im kompakten Fall bedeutet dies aber bereits, dass diese Menge endlich ist.
Es sei eine meromorphe Funktion auf einer zusammenhängenden riemannschen Fläche .
Dann ist genau dann holomorph, wenn der Hauptdivisor effektiv ist.
Beweis
Es sei eine zusammenhängende riemannsche Fläche mit dem Körper der meromorphen Funktionen.
Dann ist die Zuordnung
Beweis
Das Bild dieses Gruppenhomomorphismus ist die Gruppe der Hauptdivisoren, sie wird mit bezeichnet.
Zwei Divisoren und auf einer zusammenhängenden riemannschen Fläche heißen linear äquivalent, wenn ihre Differenz ein Hauptdivisor ist.
Es sei eine zusammenhängende riemannsche Fläche mit dem Körper der meromorphen Funktionen. Man nennt die Restklassengruppe
die Divisorenklassengruppe von . Sie wird mit bezeichnet.
Über die Zuordnung
ist eine Garbe von kommutativen Gruppen auf gegeben, die wir mit bezeichnen, siehe Aufgabe 19.5.
Es sei eine zusammenhängende riemannsche Fläche.
Dann liegt eine kurze exakte Garbensequenz
vor, wobei in der Mitte die Garbe der meromorphen Funktionen und rechts die Garbe der Divisoren steht. Insbesondere ist
Beweis
Die Divisorenklassengruppe werden wir später als die erste Kohomologiegruppe der Einheitengarbe interpretieren.
- Der Rückzug von Divisoren
Zu einer nichtkonstanten holomorphen Abbildung zwischen zusammenhängenden riemannschen Flächen und und einem Divisor nennt man
den zurückgezogenene Divisor zu .
Zu einem einzelnen Punkt , aufgefasst als Divisor, ist der zurückgezogene Divisor gleich . Dies ist also im Wesentlichen die Faser über , wobei allerdings die Verzweigungspunkte, also Punkte, wo die Verzweigungsordnung ist, mehrfach gezählt werden. Der Rückzug ist ein Gruppenhomomorphismus , siehe Aufgabe 19.9.
Zu einer nichtkonstanten holomorphen Abbildung
zwischen zusammenhängenden riemannschen Flächen und einem Hauptdivisor auf zu einer meromorphen Funktion auf
stimmt der zurückgezogene Divisor mit dem Hauptdivisor zu überein.
Sei fixiert und der Bildpunkt. Die Ordnung des zurückgezogenen Divisors in ist nach Definition gleich , wobei die Ordnung von in ist, also die Ordnung der meromorphen Funktion auf in . Mit einem lokalen Parameter um , mit dessen Hilfe ja die Verzweigungsordnung von definiert wird, kann man in einer offenen Umgebung von
mit einer holomorphen Einheit schreiben. Dann ist die Ordnung von in gleich
Zu einer meromorphen Funktion auf einer zusammenhängenden riemannschen Fläche
stimmt der Hauptdivisor mit dem zurückgezogenen Divisor zum Divisor auf der projektiven Geraden unter der nach Satz 18.6 zugehörigen holomorphen Abbildung überein.
Dies folgt aus Lemma 19.13, angewendet auf die Identität auf der projektiven Geraden. Wenn man diese als meromorphe Funktion auffasst, so ist deren Hauptdivisor gleich .
Eine nichtkonstante holomorphe Abbildung
zwischen zusammenhängenden riemannschen Flächen
induziert über das Zurückziehen von Divisoren einen Gruppenhomomorphismus
Dies folgt aus Lemma 19.13.
- Der Grad eines Divisors
Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.
Dann ist der Grad eines Hauptdivisors gleich .
Dies folgt aus Korollar 18.7 oder aus Korollar 19.14 in Verbindung mit Korollar 9.9.
Die Divisorenklassengruppe der projektiven Geraden
ist .
Wir zeigen, dass jeder Divisor vom Grad ein Hauptdivisor ist. Es sei also ein Divisor mit . Wir können annehmen, dass die Ordnung am unendlich fernen Punkt gleich ist, sodass die relevanten Punkte sich in
befinden. Wir trennen nach Nullstellen- und Polstellendivisor und schreiben
mit disjunkten endlichen Mengen und und mit , wobei wegen der Gradvoraussetzung die beiden Teildivisoren den gleichen Grad besitzen. Wir betrachten die rationale Funktion
Diese besitzt in den Punkten aus die vorgegebenen Ordnungen. Sie kann als meromorphe Funktion auf der gesamten projektiven Geraden aufgefasst werden und hat im unendlich fernen Punkt wegen der Gleichgradigkeit von Zähler und Nenner den Wert als Limes und somit dort die Ordnung .
Auf der projektiven Geraden ist jede meromorphe Funktion
Es sei eine meromorphe Funktion auf und sei der zugehörige Hauptdivisor zu . Nach Satz 19.17 ist sein Grad gleich und nach dem Beweis zu Satz 19.18 gibt es eine rationale Funktion , die ebenfalls diesen Divisor als Hauptdivisor besitzt. Also ist eine meromorphe Funktion, die weder Pol- noch Nullstellen besitzt und insbesondere nach Lemma 19.7 überall definiert ist, also holomorph. Nach Satz 3.7 ist sie konstant und somit ist mit .
Der Körper der meromorphen Funktionen auf der projektiven Geraden
(siehe
Satz 18.3)
ist also einfach gleich , dem Körper der rationalen Funktionen in einer Variablen. Offene Teilmengen davon, beispielsweise selbst, besitzen einen deutlich größeren Körper der meromorphen Funktionen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der Theorie der riemannschen Flächen und der Theorie der algebraischen Kurven über , wo jede offene Menge den gleichen Funktionenkörper besitzt.
Es sei eine nichtkonstante holomorphe Abbildung zwischen den zusammenhängenden kompakten riemannschen Fläche und .
Dann gilt für einen Divisor auf die Beziehung
Es genügt, die Aussage für einen Divisor der Form mit einem Punkt zu zeigen, da der Rückzug eines Divisors und ebenso der Grad eines Divisors additiv ist. Daher folgt die Aussage aus Satz 9.8.
Aufgrund von
Satz 19.17
besitzt jeder Hauptdivisor auf einer kompakten zusammenhängenden riemannschen Fläche den Grad . Dies bedeutet insbesondere, dass linear äquivalente Divisoren den gleichen Grad besitzen und dass der Grad eine Eigenschaft der Divisorklasse ist. Deshalb ist die folgende Definition sinnvoll.
Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche. Man nennt
die Divisorenklassengruppe vom Grad 0 zu .
Für die projektive Gerade ist nach Satz 19.18 die Divsiorenklassengruppe vom Grad trivial, siehe auch Aufgabe 19.12.
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