Kurs:Riemannsche Flächen (Osnabrück 2022)/Vorlesung 33



Die jacobische Varietät

Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche vom Geschlecht . Wir betrachten die Abbildung

von der Fundamentalgruppe in den Dualraum zum Raum der globalen holomorphen Differentialformen, jedem geschlossenen stetigen Weg wird die Auswertung zugeordnet, die zu einer holomorphen Differentialform das Wegintegral über berechnet. Die Wohldefiniertheit der Abbildung beruht darauf, dass die Wegintegrale nach Satz 17.7 nur von der Homotopieklasse des Weges abhängen, unabhängig vom gewählten Aufpunkt sind und dass Wegintegrale linear in den Differentialformen sind. Ferner ist die Zuordnung ein Gruppenhomomorphismus, da Wegintegrale mit der Verknüpfung von Wegen verträglich sind. Da der Dualraum wie jeder Vektorraum eine kommutative Gruppe ist, faktorisiert die Abbildung durch die erste Homologiegruppe , die man ja als Abelianisierung der Fundamentalgruppe auffassen kann.


Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche und sei der Dualraum des Raumes der globalen holomorphen Differentialformen auf . Dann nennt man

das Periodengitter von .

Das Periodengitter ist also das Bild des oben beschriebenen Gruppenhomomorphismus. Es handelt sich unmittelbar um eine Untergruppe des Dualraumes .

Die Dimension von und seines Dualraumes ist das Geschlecht von . Bei einer gegebenen Basis von ist die Auswertung längs durch das Periodentupel (oder den Periodenvektor)

festgelegt, es liegt das kommutative Diagramm

vor, wobei der vertikale Pfeil rechts eine Linearform auf das Auswertungstupel abbildet. Das Bild von

nennt man das Periodengitter zur gegebenen Basis, es steht unter der vertikalen Abbildung in Bijektion zum Periodengitter.

Da die erste Homologiegruppe gleich ist, kann man eine Basis finden, und das Periodengitter wird von den zugehörigen Auswertungen bzw. den zugehörigen Periodenvektoren erzeugt. Es liegt das kommutative Diagramm

vor.

Das Periodengitter ist in der Tat ein Gitter im Dualraum.


Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.

Dann ist das Periodengitter ein Gitter in .

Wir fixieren eine Basis von . Es sei

der Periodenvektor zu einem geschlossenen Weg . Zu einer Basis von ist zu zeigen, dass die Vektoren über linear unabhängig sind. Es seien mit

Dann gilt

für alle holomorphen Basisformen . Dann gilt auch

für alle konjugierten Differentialformen, siehe Bemerkung 24.7. Die beiden Unterräume und erzeugen über den Ausschitt

der langen exakten Kohomologiesequenz zu Lemma 15.8 bzw. das antiholomorphe Analogon den -dimensionalen Raum . Somit gilt auch

für jede Kohomologieklasse . Nach Korollar 23.9 ist wegen der Übereinstimmungen der Dimensionen

Dann geht unter jeder Auswertung rechts auf und muss daher selbst sein. Somit sind alle .



Zu einer kompakten zusammenhängenden riemannschen Fläche nennt man

wobei das Periodengitter bezeichnet, die Jacobische Varietät zu .

Die jacobische Varietät ist eine kompakte komplexe Lie-Gruppe der Dimension , man spricht auch vom Jacobischen Periodentorus.



Eine holomorphe Abbildung zwischen kompakten zusammenhängenden riemannschen Flächen und

induziert in natürlicher Weise einen Homomorphismus

zwischen den zugehörigen jacobischen Varietäten.

Beweis

Siehe Aufgabe 33.2.



Der Satz von Abel-Jacobi

In der Theorie der kompakten riemannschen Flächen nehmen einerseits die meromorphen Funktionen mit den Konzepten Hauptdivisor und Divisorenklassengruppe und andererseits die holomorphen Differentialformen mit den Wegintegralen eine wichtige Stellung ein. Der Satz von Abel-Jacobi stiftet eine Beziehung zwischen diesen beiden Seiten.


Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche und sei die Divisorengruppe auf vom Grad . Es sei die Jacobische Varietät zu . Dann nennt man die Abbildung

die Abel-Jacobi-Abbildung. Dabei ist jeweils ein stetiger Weg von nach zu wählen.



Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.

Dann ist die Abel-Jacobi-Abbildung

von der Gruppe der Weildivisoren auf vom Grad in die Jacobische Varietät ein wohldefinierter Gruppenhomomorphismus.

Zunächst ist zu zeigen, dass das Ergebnis unabhängig von dem gewählten Weg von nach ist. Wenn zwei solche Wege sind, so ist eine geschlossener Weg mit als Auf- und Endpunkt und es gilt

für alle holomorphen Differentialformen . Da die Abbildung zum Periodengitter gehört, stimmen die Auswertungen zu und zu in überein.

Es ist ferner zu zeigen, dass die Abbildung unabhängig davon ist, welchen positiven Punkt des Weildivisors man mit welchem negativen Punkt zusammenordnet. Es seien dazu Punkte gegeben und sei ein stetiger Weg von nach , ein stetiger Weg von nach und ein stetiger Weg von nach . Dann ist, da man mit beliebigen verbindenden Wegen arbeiten kann,

Die Homomorphismuseigenschaft ist klar.



Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.

Dann induziert die Abel-Jacobi-Abbildung einen Gruppenhomomorphismus

von der Divisorenklassengruppe von vom Grad in die Jacobische Varietät .

Nach Lemma 33.6 liegt ein Gruppenhomomorphismus

vor. Nach Satz 27.10 gehört zu jedem Hauptdivisor und jeder globalen holomorphen Differentialform der Ausdruck zur Periodengruppe . Ferner zeigt der Beweis zu Satz 27.10, dass die Zugehörigkeit zur Periodengruppe auf der Existenz von Wegen beruht, die unabhängig von der Differentialform sind. Daher gehört die Auswertung zum Periodengitter, siehe Aufgabe 33.3. Deshalb faktorisiert die Abel-Jacobi-Abbildung durch die Restklassengruppe modulo der Hauptdivisoren, also durch die Divisorenklassengruppe.


Diese Abbildung nennt man ebenfalls Abel-Jacobi-Abbildung. Wir möchten zeigen, dass diese Abbildung ein Isomorphismus ist, dies ist der Inhalt des Satzes von Abel-Jacobi. Aus der Exponentialsequenz (siehe Beispiel 11.14 und Lemma 25.13) erhält man eine exakte Sequenz

Die hintere Abbildung ist dabei die Gradabbildung und somit liegt eine kurze exakte Sequenz

vor. Über die Abel-Jacobi-Abbildung ist die Gruppe rechts mit der jacobischen Varietät verbunden. Es liegt die Situation

vor, wobei die untere Zeile die jacobische Varietät definiert und wobei wir die vertikalen Abbildungen links und in der Mitte noch nicht festgelegt haben.



Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.

Dann kommutiert das Diagramm

Dabei steht links der Isomorphismus der Serre-Dualität und rechts die Abel-Jacobi-Abbildung.

Die horizontalen Abbildungen sind surjektiv. Da alle Abbildungen Gruppenhomomorphismen sind, genügt es, die Aussage für das Erzeugendensystem zu von und ein irgendwie gewähltes Urbild zu zeigen. Es sei ein stetiger Weg von nach . Die Divisorklasse wird unter der Abel-Jacobi-Abbildung auf die Auswertung für und die Kohomologieklasse wird unter der Residuenabbildung auf die Linearform abgebildet. Es ist also

in zu zeigen. Wir überdecken den Weg mit Kreisscheiben und wählen Übergangspunkte. Wegen der Additivität der Abbildungen können wir annehmen, dass die beiden Punkte in einer offenen Kreisscheibe liegen. Da die Wegintegrale nur von der Homotopieklasse des Weges abhängen, kann man im Kartenbild durch den direkten linearen Weg von nach ersetzen. Es sei

Damit sind wir in der Situation von Beispiel 25.14, d.h. die auf

definierte holomorphe Funktion

repräsentiert eine Kohomologieklasse , die auf abbildet. Wir möchten diese Kohomologieklasse im Sinne von Korollar 25.6 repräsentieren. Dazu seien

offenen Scheibenumgebungen mit unterschiedlichen Radien (im Kartenbild). Wir können durch die entsprechende Funktion auf bzw. ersetzen. Wir wählen eine -differenzierbare Funktion die auf den Wert und außerhalb von den Wert besitzt (siehe Satz 25.3). Diese können wir durch auf ganz fortsetzen. Die offenen Mengen und bilden nach wie vor eine offene Überdeckung von und die Funktion auf und auf bilden eine -Realisierung der Kohomologieklasse, da die Differenz auf dem Durchschnitt

gleich ist. Sei auf . Es ist dann gleich auf , da holomorph ist, und damit ist ein globales Element von , das ein Urbild der Kohomologieklasse ist. Nach Lemma 16.16 wird diese Form unter dem durch eine holomorphe Differentialform definierten Homomorphismus auf in abgebildet. Dieses repräsentiert das Bild der Kohomologieklasse

wobei der Abschluss von sei und wobei die letzte Umformung statthaft ist, da ja außerhalb von gleich ist. Es sei der einfach durchlaufene Rand von . Nach Stokes ist dieses Integral gleich



Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche.

Dann ist die Abel-Jacobi-Abbildung

von der Divisorenklassengruppe auf vom Grad in die Jacobische Varietät ein Gruppenisomorphismus.

Die Abbildung ist nach Lemma 33.7 ein wohldefinierter Gruppenhomomorphismus. Aus Lemma 33.8 folgt, dass er surjektiv ist.


Es sei eine kompakte zusammenhängende riemannsche Fläche und sei ein fixierter Punkt. Dann nennt man die Abbildung

die natürliche Abbildung in die Jacobische. Dabei ist ein stetiger Weg von nach zu wählen.

Man beachte, dass vom gewählten Weg abhängt, die Differenz aber ein Periodentupel zu einem geschlossenen Weg ist und also im Periodengitter liegt. Daher ist die Abbildung in die Jacobische wohldefiniert.


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