Kurs:Singularitätentheorie (Osnabrück 2019)/Vorlesung 29



Einfache Singularitäten

Es sei , offen, eine holomorphe Funktion. Man sagt, dass im Nullpunkt eine einfache Singularität besitzt, wenn es eine endliche Liste von holomorphen Funktionen (die ebenfalls auf offenen Mengen des definiert sind) derart gibt, dass in jeder Entfaltung

von mit offen und zusammenhängend und jede deformierte Funktion mit aus einer hinreichend kleinen offenen Umgebung rechtsäquivalent zu einem ist.

Zur Liste gehören natürlich stets selbst und der reguläre Funktionskeim. Es geht also darum, inwiefern die durch gegebene Singularität in nichtrechtsäquivalente Singularitäten deformiert werden kann, wie groß also die „Deformationsklasse“ ist. Aufgrund von Bemerkung 27.2 geht es nur um das Verhalten von Entfaltungen in beliebig kleinen Umgebungen von . Auf den ersten Blick scheint dieses Konzept ziemlich kompliziert und unmotiviert zu sein; das Erstaunliche ist, dass man diese einfachen Singularitäten explizit klassifizieren kann und dass diese Klasse mit anders charakterisierten Klassen von Singularitäten übereinstimmt.

Der folgende Satz ist der Klassifikationssatz von Arnold für einfache Kurvensingularitäten.


Es sei mit offen eine holomorphe Funktion mit einer einfachen Singularität im Nullpunkt.

Dann ist rechtsäquivalent zu einer der folgenden Funktionen.

Der Beweis erfolgt in mehreren Schritten, wir orientieren uns an der Originalarbeit von Arnold.


Ein homogenes Polynom vom Grad in Variablen kann durch eine lineare Transformation in eine der Standardgestalten

gebracht werden.

Sei ein homogenes Polynom vom Grad in und . Nach dem Fundamentalsatz der Algebra, einer Streckung und einer Variablenumbenennung ist

Bei sind wir im vierten Fall. Es sei also , dann können wir auf

transformieren. Bei sind wir im dritten Fall. Es sei also . Durch eine Diagonalmatrix kann man dies auf bzw. sodann auf transformieren, was dem zweiten Fall entspricht.



Die Singularitäten zu den holomorphen Funktionen und

sind nicht einfach.

Wir betrachten die Entfaltungen

mit . Für (beliebig kleines) ist (durch eine lineare Transformation) rechtsäquivalent zu . Dies zeigt, dass in Entfaltungen von auftreten. Die Funktionen , , sind aber für verschiedene nicht rechtsäquivalent zueinander, da ihre Milnorzahlen nach Beispiel 14.6 verschieden sind (nämlich gleich ) und dies wegen Lemma 26.6 die Rechtsäquivalenz ausschließt. Das bedeutet, dass zu unendlich vielen nicht rechtsäquivalenten Singularitäten deformiert werden kann und daher nicht einfach ist.

Im zweiten Fall betrachtet man die Entfaltungen

Das Jacobiideal zur Funktion ist

und die Milnorzahl hängt wieder von ab, sodass man entsprechend argumentieren kann.



Die Singularität zur holomorphen Funktion

ist nicht einfach.

Wir betrachten die Familie

also die Entfaltung

Nach Aufgabe 29.4 kann man dieses Polynom als Produkt schreiben, wobei die die Nullstellen von sind.


Die Strategie zum Beweis von Satz 29.2 liegt darin, entlang des Ranges der Hessematrix von zu argumentieren. Dieser Rang kann sein, wobei der Fall, dass der Rang ist, am schwierigsten ist. In diesem Fall muss man das dritte Taylorpolynom studieren, das homogen vom Grad ist und wozu wir Lemma 29.3 heranziehen können. Es gibt dann jeweils noch viele Möglichkeiten für die höheren Bestandteile, doch werden diese durch Satz 28.2 und seine Korollare eingeschränkt. In den verbleibenden Möglichkeiten muss man dann entweder zeigen, dass keine einfache Singularität vorliegt, oder dass die Situation rechtsäquivalent zu einer der im Satz aufgelisteten Möglichkeiten ist.



Es sei mit offen eine holomorphe Funktion mit einer einfachen Singularität im Nullpunkt. Die Hessematrix von habe den Rang .

Dann ist rechtsäquivalent zu .

Dies ist ein Spezialfall von Satz 28.5.



Es sei mit offen eine holomorphe Funktion mit einer einfachen Singularität im Nullpunkt. Die Hessematrix von habe den Rang .

Dann ist rechtsäquivalent zu für ein .

Nach Satz 28.6 ist rechtsäquivalent zu mit . Der Fall ist nach Lemma 29.4 ausgeschlossen, da dann die Singularität nicht einfach wäre. Also ist nicht und hat die Form

mit und . Da eine Singularität im Nullpunkt mit Hesserang vorliegt, muss sein. Nach Beispiel 26.4 ist rechtsäquivalent zu . Damit ist rechtsäquivalent zu mit .


Die folgenden Lemmata setzen sich mit dem Fall auseinander, dass der Rang der Hessematrix gleich ist. Dann beginnt die Taylorentwicklung im Grad und in Lemma 29.3 wurden dafür die verschiedenen Möglichkeiten aufgelistet.



Es sei mit offen eine holomorphe Funktion mit einer einfachen Singularität im Nullpunkt. Das dritte Taylorpolynom von sei .

Dann ist rechtsäquivalent zu für ein .

Die Funktion kann nicht rechtsäquivalent zu sein, da dieses nach Lemma 29.4 nicht einfach ist. Es müssen also in mindestens einem Taylorpolynom höheren Grades noch Terme hinzukommen. Es gibt also und das -te Taylorpolynom ist

mit und ein homogenes Polynom von Grad . Wir wenden auf die Transformation

und erhalten (mit )

wobei wieder homogen vom Grad und ist. Mit der holomorphen Transformation

wird daraus

mit . Bei ist bezüglich der neuen Koordinaten das -te Taylorpolynom gleich und wir können die entsprechende Argumentation für das Taylorpolynom der Ordnung durchführen. Da nach Korollar 28.3 für hinreichend groß - bestimmt ist, kann dieser Prozess nicht immer liefern, da sonst rechtsäquivalent zu wäre, was aber nicht einfach ist. Also ist rechtsäquivalent

mit und . Wir behaupten, dass die Voraussetzungen von Satz 28.2 erfüllt sind. Das Jacobiideal ist

Damit ist

für und

jeweils mit einem . Somit ist . Daher ist -bestimmt und damit rechtsäquivalent zu und auch zu mit .



Es sei mit offen eine holomorphe Funktion mit einer einfachen Singularität im Nullpunkt. Das dritte Taylorpolynom von sei .

Dann ist rechtsäquivalent zu , zu oder zu .

Das Taylorpolynom der Ordnung zu hat die Form

mit homogen von Grad . Wir wenden auf die Transformation

an und erhalten

mit (das für das Taylorpolynom vom Grad nicht relevant ist). Wir schreiben wieder statt .

Fall 1. Sei . Dann kann man durch die holomorphe Transformation (mit einer fixierten vierten Wurzel von )

die Funktion nach

mit homogen vom Grad und transformieren. Dies kann man wiederum mittels

zu mit transformieren. Es ist

und damit ist

sodass man Satz 28.2 anwenden kann. Also ist - bestimmt und damit rechtsäquivalent zu .

Fall 2. Sei und . Dann ist rechtsäquivalent zu mit . Wir schreiben als

mit und . Mit

transformiert sich dies zu

mit wie zuvor. Mit

wird das zu

Der Term ist in einer Umgebung des Nullpunktes ungleich . In den neuen Koordinaten

und

erhalten wir

Mittels

kann man den vierten Summanden wegkriegen und mittels

erhält man

mit . Es gilt wieder

woraus -bestimmt nach Satz 28.2 folgt. Somit ist die Funktion rechtsäquivalent zu .


noch: E8


Lemma 29.5


Es sei eine einfache Singularität gegeben. Wenn der Rang der Hessematrix gleich oder gleich ist, so zeigen Lemma 29.6 bzw. Lemma 29.7, dass die Singularität rechtsäquivalent zu einer -Singularität ist. Es sei der Rang der Hessematrix also gleich . Nach Lemma 29.3 hat das dritte Taylorpolynom nach einer linearen Transformation die Form

Im Fall liegt nach Lemma 29.8 eine -Singularität mit vor. Im Fall liegt nach Lemma 29.9 eine -Singularität vor. Im Fall kann die Singularität nach nicht einfach sein. Es liege also der Fall vor. Das Jacobiideal hat die Form

mit . Somit enthält das Produktideal Elemente der Form

mit . Also gilt

Daher ist nach Satz 28.2 -bestimmt, und somit ist es rechtsäquivalent zu selbst, was den -Typ ergibt.


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